Urteil des BVerwG vom 10.11.2011

Gemeinde, Raumordnung, Bebauungsplan, Konzentrationsgebot

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 CN 9.10
VGH 3 S 324/08
Verkündet
am 10. November 2011
Jakob
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Jannasch,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz
für Recht erkannt:
Die Revision der Antragsgegnerin gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom
21. September 2010 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Revisionsver-
fahrens.
G r ü n d e :
I
Gegenstand der Normenkontrolle ist der Bebauungsplan „Offenau Süd-
Erweiterung“ vom 6. März 2007. Der Bebauungsplan setzt in der Mitte und im
Norden des Plangebiets ein (eingeschränktes) Gewerbegebiet fest. Es umfasst
eine überbaubare Fläche von insgesamt ca. 6 500 qm im südlichen und von
knapp 600 qm im nördlichen Teil. Zulässig sind Gewerbebetriebe aller Art, so-
fern sie das Wohnen nicht wesentlich stören.
Die Antragstellerin,
eine Stadt mit
ca. 19 000 Einwohnern, ist als Unterzentrum eingestuft. Die Antragsgegnerin,
eine Gemeinde mit ca. 2 700 Einwohnern, hat keine zentralörtliche Funktion.
Auf den fristgerechten Normenkontrollantrag der Antragstellerin hat der Verwal-
tungsgerichtshof den Bebauungsplan mit Urteil vom 21. September 2010 für
unwirksam erklärt. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt:
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Der Bebauungsplan verstoße gegen die - jeweils wirksamen - Ziele der Raum-
ordnung in den Plansätzen 2.4.3.2.2 i.V.m. 2.4.3.2.5 des Regionalplans Heil-
bronn-Franken 2020 (im Folgenden: ROP H-F 2020) bzw. gegen die Plansätze
3.3.7 und 3.3.7.1 des Landesentwicklungsplans 2002 (im Folgenden:
LEP 2002). Er verletze das Konzentrationsgebot und das Kongruenzgebot, die
nicht nur der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten Grenzen setzten,
sondern auch auf Agglomerationssachverhalte Anwendung fänden. Plansatz
2.4.3.2.5 ROP H-F 2020 mit dem Wortlaut
Mehrere selbstständige, je für sich nicht großflächige Ein-
zelhandelsbetriebe sind bei einer räumlichen Konzentra-
tion als Agglomeration anzusehen und damit als großflä-
chiger Einzelhandelsbetrieb bzw. als Einkaufszentrum zu
behandeln, sofern raumordnerische Wirkungen wie bei ei-
nem großflächigen Einzelhandelsbetrieb bzw. Einkaufs-
zentrum zu erwarten sind;
habe mittelbar Außenwirkung, indem er die Ge- und Verbote der Plansätze
2.4.3.2.2 bis 2.4.3.2.4 ROP H-F 2020 auf Agglomerationssachverhalte für an-
wendbar erkläre. Für die Agglomerationsregelung in 2.4.3.2.5 ROP H-F 2020
bestehe ein raumordnungsrechtlich wichtiges Bedürfnis. Es sei anerkannt, dass
sich die Konzentration auch von einer Mehrzahl für sich nicht großflächiger Ein-
zelhandelsbetriebe je nach Lage und Sortimentsstruktur häufig nicht von den
Auswirkungen unterschieden, die von einem oder mehreren „echten“ großflä-
chigen Einzelhandelsbetrieben ausgingen. Derartige Auswirkungen seien mit
dem städtebaulichen Instrument der Vorhabensteuerung über § 11 Abs. 3
BauNVO nicht umfassend zu verhindern. Die Auswirkungen einer Agglomera-
tion seien nicht wegen fehlender Umsetzungsfähigkeit unwirksam. Mit den ver-
fügbaren städtebaulichen Planungsinstrumenten ließen sich Verstöße sowohl
gegen das Konzentrationsgebot wie gegen das Kongruenzgebot durch eine
Anhäufung mehrerer nicht großflächiger Einzelhandelsbetriebe wenn nicht ganz
verhindern, so doch in einem Maße minimieren, dass das Planungsergebnis
noch im Einklang mit den genannten Raumordnungszielen stehe. Der Bebau-
ungsplan werde jedenfalls im Gewerbegebiet den Planzielen des Regionalplans
nicht gerecht. Mit der uneingeschränkten Bandbreite von Einzelhandelsnutzun-
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gen und einer möglichen Gesamtverkaufsfläche von nahezu 3 000 qm erfülle
der Bebauungsplan die Voraussetzungen einer Agglomeration i.S.d. Plansatzes
2.4.3.2.5 ROP H-F 2020. Von den zulässigen Betrieben in ihrer Häufung könn-
ten je nach Sortimentsart und -umfang erhebliche raumordnerische Wirkungen
ausgehen, die denen eines oder mehrerer großflächiger Einzelhandelsbetriebe
im Gewerbegebiet gleichkämen. Solche regional bedeutsamen Einzelhandels-
großprojekte seien nur in zentralen Orten zulässig. Die Voraussetzungen für
eine Ausnahme seien eindeutig nicht erfüllt.
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der vom Verwaltungsgerichts-
hof zugelassenen Revision. Sie macht im Wesentlichen geltend, die Agglome-
rationsregelung in Plansatz 2.4.3.2.5 ROP H-F 2020 lasse sich mit den Mitteln
der Bauleitplanung nicht umsetzen; alle Versuche der Umsetzung führten zu
Einschränkungen, die über die Zielvorgaben hinausgingen. Ohne vorgeschalte-
te Einzelhandelsfachplanung könne eine Gemeinde keinen Einzelhandel in den
typisierten Baugebietskategorien zulassen. Ihr werde die Möglichkeit genom-
men, einen Bebauungsplan in der Form eines Angebotsbebauungsplans aufzu-
stellen.
II
Die Revision der Antragsgegnerin ist unbegründet. Zu Recht hat der Verwal-
tungsgerichtshof festgestellt, dass der Bebauungsplan unwirksam ist, weil die
Antragsgegnerin die Agglomerationsregelung in 2.4.3.2.5 ROP H-F 2020, die in
Verbindung mit den in 2.4.3.2.2 bis 2.4.3.2.4 ROP H-F 2020 bzw. 3.3.7 und
3.3.7.1 LEP 2002 festgelegten Vorgaben (Konzentrations- und Kongruenzge-
bot) ein verbindliches Ziel i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG darstellt, nicht beachtet
und damit gegen die Anpassungspflicht gemäß § 1 Abs. 4 BauGB verstoßen
hat.
Ziele der Raumordnung sind nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG verbindliche Vorgaben
in Form von räumlich und sachlich bestimmten, vom Träger der Landes- oder
Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen
Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Siche-
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rung des Raumes. Sie müssen hinreichend bestimmt oder wenigstens be-
stimmbar und rechtmäßig sein, um eine Anpassungspflicht der Gemeinde nach
§ 1 Abs. 4 BauGB auslösen zu können (Urteile vom 17. September 2003
- BVerwG 4 C 14.01 - BVerwGE 119, 25 <40>, vom 18. September 2003
- BVerwG 4 CN 20.02 - BVerwGE 119, 54 <58>, vom 16. Dezember 2010
- BVerwG 4 C 8.10 - BVerwGE 138, 301 Rn. 8 und vom 22. Juni 2011
- BVerwG 4 CN 4.10 - juris Rn. 26; Beschluss vom 20. August 1992 - BVerwG
4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329). Neben der Voraussetzung, dass Ziele von
einer landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt sein müssen, gehört
zur materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit nach Bundesrecht, dass sie verhält-
nismäßig, d.h. geeignet, erforderlich und angemessen sind. Eine Zielfestlegung,
die in der Bauleitplanung nicht umsetzungsfähig ist, schränkt die gemeindliche
Planungshoheit nach Art. 28 Abs. 2 GG in unzulässiger Weise ein. Diese An-
forderungen hat der Verwaltungsgerichtshof seiner Prüfung zugrunde gelegt
und ohne Verstoß gegen Bundesrecht festgestellt, dass die Agglomerationsre-
gelung in der Ausgestaltung, die der Plangeber in Plansatz 2.4.3.2.5 ROP H-
F 2020 gewählt und die als Ergebnis landesrechtlicher Auslegung der revi-
sionsgerichtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist, rechtmäßig, insbesondere
auch umsetzungsfähig ist.
1. Plansatz 2.4.3.2.5 ROP H-F 2020, der bestimmt, dass mehrere selbstständi-
ge nicht großflächige Einzelhandelsbetriebe bei räumlicher Konzentration und
raumordnerischen Wirkungen wie bei einem (regionalbedeutsamen) großflächi-
gen Einzelhandelsbetrieb bzw. Einkaufszentrum als Agglomeration anzusehen
sind, enthält selbst kein Ziel i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG, sondern definiert ledig-
lich raumordnerisch den Begriff der Agglomeration als einen Unterfall der Ein-
zelhandelsgroßprojekte, mit der Folge, dass die - nach Auslegung des Verwal-
tungsgerichtshofs wirksamen - Zielfestlegungen in 2.4.3.2.2 bis 2.4.3.2.4
ROP H-F 2020 (Konzentrations- und Kongruenzgebot) auch auf Agglomera-
tionssachverhalte anzuwenden sind. Einwände gegen eine solche Regelungs-
technik bestehen nicht. Ebenso wenig bestehen bundesrechtliche Bedenken
gegen die auf Landesrecht beruhende und daher für die revisionsgerichtliche
Beurteilung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO bindende Auslegung, dass
das für Einzelhandelsgroßprojekte geltende Konzentrationsgebot in 3.3.7
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LEP 2002 und 2.4.3.2.2 Abs. 1 und 2 ROP H-F 2020 und das Kongruenzgebot
in 3.3.7.1 LEP 2002 (vgl. dazu Urteil vom 16. Dezember 2010 a.a.O.) und
2.4.3.2.2 Abs. 3 ROP H-F 2020 verbindliche Ziele der Raumordnung i.S.d. § 3
Abs. 1 Nr. 2 ROG darstellen.
2. Die Agglomerationsregelung in 2.4.3.2.5 ROP H-F 2020 ist rechtmäßig. Sie
hat zur Folge, dass die Gemeinde die im Landesentwicklungsplan Baden-
Württemberg 2002 und Regionalplan Heilbronn-Franken 2020 für Einzelhan-
delsgroßprojekte festgelegten Zielbindungen auch im Fall raumbedeutsamer
Einzelhandelsansiedlungen gemäß § 1 Abs. 4 BauGB zu beachten hat.
2.1 Bundesrechtliche Bedenken gegen die Bestimmtheit der in 2.4.3.2.5
ROP H-F 2020 festgelegten Agglomerationsregelung, zu der sich der Verwal-
tungsgerichtshof ausführlich verhalten hat und deren Auslegung auf irrevisiblem
Landesrecht beruht, bestehen nicht.
2.2 Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Agglomerationsrege-
lung von der landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage des § 11 Abs. 3 Satz 2
Nr. 5 LplG gedeckt ist, betrifft irrevisibles Landesrecht und ist für die revisions-
gerichtliche Beurteilung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO bindend.
2.3 Die Agglomerationsregelung erweist sich nicht als kompetenzwidrig. Das
Recht der Raumordnung dient der übergeordneten, überörtlichen, überfachli-
chen und zusammenfassenden Planung und Ordnung des Raumes. Die Raum-
ordnung hat im Interesse der räumlichen Gesamtentwicklung alle auftretenden
Nutzungsansprüche an den Raum und alle raumbedeutsamen Belange zu ko-
ordinieren und in diesem Zusammenhang u.a. verbindliche Vorgaben für nach-
geordnete Planungsstufen zu schaffen (Urteil vom 17. September 2003 a.a.O.
S. 38 f.). Raumplanerische Vorgaben sind zulässig, wenn die Regelung - wie
hier - der Steuerung raumbedeutsamer Auswirkungen von Planungen oder
Maßnahmen dient. Das Kriterium der Raumbedeutsamkeit eröffnet und be-
grenzt zugleich die raumplanerische Regelungsbefugnis. In diesem Rahmen ist
der Raumordnung auch eine betriebsübergreifende funktionale Betrachtungs-
weise erlaubt. Dass der für das Bodenrecht zuständige Gesetzgeber in § 11
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Abs. 3 BauNVO eine städtebauliche Reglung getroffen hat, die auf großflächige
Einzelhandelsbetriebe beschränkt ist, steht einer Regelung von Einzelhandels-
agglomerationen im Wege der Landesplanung nicht entgegen. Städtebauliche
Vorgaben liegen auf einer anderen Ebene; sie betreffen Grund und Boden. Die
Raumordnung in Gestalt der Landes- und Regionalplanung ist dieser Ebene
vorgelagert. Die Standortplanung für Einzelhandelsgroßbetriebe ist nicht auf die
Instrumente der gemeindlichen Bauleitplanung beschränkt. Sie kann bereits auf
der Ebene der Landesplanung einsetzen und - in unterschiedlicher Gestalt - mit
der zentralörtlichen Gliederung verbunden werden (Urteil vom 17. September
2003 a.a.O. S. 41).
2.4 Die Agglomerationsregelung entspricht dem Grundsatz der Verhältnismä-
ßigkeit.
Die formal vom Landesplanungsgesetz gedeckte Einschränkung der gemäß
Art. 28 Abs. 2 GG geschützten gemeindlichen Planungshoheit ist materiell ge-
rechtfertigt, wenn sie der Wahrung überörtlicher Interessen von höherem Ge-
wicht dient. Der Eingriff in die Planungshoheit muss gerade angesichts der Be-
deutung der kommunalen Selbstverwaltung verhältnismäßig sein (Urteil vom
15. Mai 2003 - BVerwG 4 CN 9.01 - BVerwGE 118, 181 <185>, Beschluss vom
8. März 2006 - BVerwG 4 B 75.05 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 124
Rn. 16).
2.4.1 Die mit der Agglomerationsregelung bewirkte Beachtung der Zielfestle-
gungen in 2.4.3.2.2 bis 2.4.3.2.4 ROP H-F 2020 im Fall von raumbedeutsamen
Einzelhandelsagglomerationen beruht auf einem überörtlichen Interesse, das
eine Beschränkung der gemeindlichen Planungshoheit rechtfertigt. Raumord-
nerische Vorgaben für raumbedeutsame Einzelhandelsagglomerationen zielen
auf die Sicherstellung des im Raumordnungsgesetz niedergelegten Systems
leistungsfähiger Zentraler Orte. Einzelhandel ist an den Standorten zu sichern,
die in das zentralörtliche Ordnungssystem funktionsgerecht eingebunden sind
(Urteil vom 16. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 18). Nicht nur Einzelhandelsgroßpro-
jekte in der Form des großflächigen Einzelhandelsbetriebs oder Einkaufszen-
trums, sondern auch Agglomerationen von mehreren nicht großflächigen Ein-
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zelhandelsbetrieben können besondere raumstrukturelle, die zentralörtliche
Gliederung gefährdende Auswirkungen haben und damit ein Beeinträchti-
gungspotential aufweisen, das es rechtfertigt, sie einem raumordnungsrechtli-
chen Sonderregime zu unterwerfen. Die regelhafte räumliche Zuordnung nicht
nur des großflächigen Einzelhandels, sondern auch von raumbedeutsamen
(hier: regionalbedeutsamen) Einzelhandelsagglomerationen nach dem zentral-
örtlichen Gliederungssystem soll eine raumverträgliche Entwicklung des Einzel-
handels nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Gemeinden insge-
samt gewährleisten. Das ist ein raumordnungsrechtlich legitimer Zweck.
2.4.2 Der Geeignetheit der Regelung steht nicht entgegen, dass - wie der Ver-
waltungsgerichtshof dargelegt hat - Konstellationen, in denen es um die Be-
urteilung nur eines nicht großflächigen Einzelhandelsbetriebs geht, nicht von
der Regelung erfasst sind. Es mag sein, dass - wie die Antragsgegnerin geltend
macht - bei Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksfläche unterhalb der
Schwelle der Großflächigkeit, die (rechnerisch) eine Ansiedlung mehrerer Ein-
zelhandelsbetriebe ermöglicht, die Agglomerationsregelung zu Einschränkun-
gen führt, die im Fall nur eines nicht großflächigen Einzelhandelsbetriebs nicht
greifen. Ein Regelungswiderspruch, der die Konsistenz der vom Plangeber ge-
wählten Ausgestaltung in Frage stellen könnte, ist damit nicht aufgezeigt. Der
Plangeber darf sich - wie der Gesetzgeber - einer Typisierung bedienen und
muss nicht jede denkbare Fallkonstellation in seine Regelung aufnehmen. Mit
ihren Beispielen zeigt die Antragsgegnerin vor allem im Hinblick darauf, dass
insoweit andere rechtliche Einschränkungen (vgl. § 2 Abs. 2 BauGB) greifen,
keine ungleiche Behandlung auf, die nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsge-
danken orientierten Betrachtungsweise vereinbar wäre.
2.4.3 Der Senat stimmt dem Verwaltungsgerichtshof auch darin zu, dass sich
mit den verfügbaren städtebaulichen Planungsinstrumenten Verstöße sowohl
gegen das Konzentrationsgebot als auch gegen das Kongruenzgebot durch
eine Anhäufung mehrerer nicht großflächiger Einzelhandelsbetriebe wenn nicht
ganz verhindern, so doch in einem Maße minimieren lassen, dass das Pla-
nungsergebnis noch im Einklang mit den genannten Raumordnungszielen
steht.
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Welche Festsetzungen notwendig sind, um der Agglomerationsregelung Rech-
nung zu tragen, hängt von den konkreten Umständen im jeweiligen Einzelfall
ab. Je nach den örtlichen Gegebenheiten kann die Gemeinde Einzelhandel
entweder generell gemäß § 1 Abs. 5 BauGB oder bestimmte sortimentsbezo-
gene Einzelhandelstypen gemäß § 1 Abs. 9 BauNVO ausschließen; in noch
nicht überschaubaren Grenzsituationen hat sie die Möglichkeit, Einzelhandel
gemäß § 1 Abs. 5 BauNVO für ausnahmsweise zulässig zu erklären. Der Ge-
meinde stehen aber auch wirksame Festsetzungsmöglichkeiten für den Fall zur
Verfügung, dass eine Agglomeration bestimmter Sortimente nicht gänzlich,
sondern erst ab einer bestimmten Verkaufsfläche gegen die verbindlichen Ziel-
vorgaben für Einzelhandelsgroßprojekte verstoßen würde. Es gibt vielfältige
horizontale und vertikale Kombinationsmöglichkeiten, mit denen sich neben
dem Standort, d.h. der für die Frage der räumlichen Konzentration maßgebli-
chen Nähe bzw. Entfernung von Baugrundstücken zu vorhandenen Einzelhan-
delsbetrieben, mittelbar auch die raumordnungsrechtlich maximal verträgliche
Betriebsgröße eines Vorhabens bestimmen lässt. Wie der Verwaltungsgerichts-
hof ausgeführt hat, kann ein Baugebiet insbesondere nach der Art der bauli-
chen Nutzung räumlich nach unterschiedlichen Arten/Unterarten des Einzel-
handels gegliedert werden (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und § 1 Abs. 9 BauNVO).
Hinzu tritt die Möglichkeit der vertikalen Gliederung mit geschoss- und anlagen-
teilbezogenen Differenzierungen gemäß § 1 Abs. 7 und 8 BauNVO, mit der sich
neben der räumlichen Verteilung die Anzahl der für eine Einzelhandelsnutzung
zur Verfügung stehenden Grundstücke begrenzen lässt. Darüber hinaus kann
mittelbar durch Festlegung der überbaubaren Flächen in Kombination mit der
Festsetzung des Maßes der Nutzung auch die Größe der Einzelhandelsbetriebe
gesteuert werden.
Dass sich mit diesem Instrumentarium gesamt- oder sortimentsbezogene Ver-
kaufsflächenobergrenzen nicht quadratmeterscharf festsetzen lassen, stellt die
Umsetzbarkeit der Agglomerationsregelung nicht in Frage. Es genügt, dass sich
mit dem Festsetzungsinstrumentarium die jeweiligen raumordnungsrechtlich
noch verträglichen maximalen Betriebsgrößen und damit die Verkaufsflächen
jedenfalls annäherungsweise in der Größenordnung bestimmen lassen, die un-
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terhalb des seinerseits durch Schwellen- und Grenzwerte bestimmbaren Be-
griffs „wesentlich“ liegen. Denn Einzelhandelsagglomerationen mit den Wirkun-
gen nach 2.4.3.2.5 ROP H-F 2020 sind nach dem Verständnis des Verwal-
tungsgerichtshofs erst dann mit dem Zentrale-Orte-Prinzip und dem Kongru-
enzgebot nicht mehr vereinbar, wenn ihre Verkaufsfläche den zentralörtlichen
Verflechtungsbereich „wesentlich“ überschreitet (2.4.3.2.2 Abs. 3 Satz 1
ROP H-F 2020 i.V.m. 3.3.7.1 Satz 1 LEP 2002), und Einzelhandelsgroßprojekte
zur Grundversorgung in Kleinzentren und nicht-zentralen Gemeinden sind nur
dann unzulässig, wenn der Absatz „wesentlich“ über den jeweiligen Verflech-
tungsbereich hinausgeht (2.4.3.2.2 Abs. 2 ROP H-F 2020).
Sofern durch städtebauliche Gründe gerechtfertigt (Urteil vom 24. März 2010
- BVerwG 4 CN 3.09 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 178 Rn. 24), hat die Ge-
meinde überdies die Möglichkeit, ein Sondergebiet für einen einzigen großflä-
chigen Einzelhandelsbetrieb festzusetzen und den Betrieb dann - wie der Ver-
waltungsgerichtshof zutreffend dargelegt hat - in einem zweiten Schritt nach
Bedarf entsprechend den raumordnerischen Anforderungen nach Sortimenten
und (Sortiments-)Verkaufsflächen zu untergliedern und/oder zu begrenzen (Ur-
teil vom 3. April 2008 - BVerwG 4 CN 3.07 - BVerwGE 131, 86 Rn. 16, 18; Be-
schluss vom 11. November 2009 - BVerwG 4 BN 63.09 - BauR 2010, 430
Rn. 2). Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin steht dieser Umset-
zungsmöglichkeit nicht entgegen, dass eine solche Festsetzung zugleich den
(vollständigen oder teilweisen) Ausschluss von Einzelhandel in anderen Bauge-
bieten voraussetzt. Entscheidend ist, dass der Gemeinde durch die Agglomera-
tionsregelung nicht die Möglichkeit genommen werden darf, in dem noch zuläs-
sigen Umfang je nach den örtlichen Gegebenheiten im Einzelfall Einzelhandel
zuzulassen.
2.4.4 Die in Plansatz 2.4.3.2.5 ROP H-F 2020 angeordnete Gleichsetzung von
Einzelhandelsagglomerationen mit Einzelhandelsgroßprojekten stellt auch eine
angemessene Regelung dar.
Unter Geltung der Agglomerationsregelung kann eine Gemeinde zwar nicht un-
besehen ein Baugebiet, in dem Einzelhandel allgemein zulässig ist, als unbe-
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schränktes Baugebiet ausweisen. Das ist - wie bereits dargelegt - gerechtfertigt,
weil sich die Auswirkungen einer räumlichen Konzentration von mehreren nicht
großflächigen Einzelhandelsbetrieben je nach Lage und Sortimentsstruktur häu-
fig nicht von den Auswirkungen unterscheiden, die von großflächigen Einzel-
handelsbetrieben ausgehen. Wie der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat,
hat die Agglomerationsregelung handgreifliche Konfliktsituationen mit zentralört-
lich höher eingestuften Nachbargemeinden im Blick und zielt auf die „kritischen
Auswüchse“ des Einzelhandels. Die in eine solche Konfliktlage „hineinplanen-
de“ Gemeinde steht in der Pflicht, sich auf ihre Stellung im hierarchischen Sys-
tem des raumordnerischen Zentrale-Orte-Prinzips zu besinnen. Eine Gemeinde
kann in der Regel auch ohne großen Aufwand erkennen, ob ein geplantes bau-
leitplanerisches „Angebot“ zur Ansiedlung von Einzelhandel aufgrund der örtli-
chen Gegebenheiten zu Konflikten führen kann, die der Überprüfung im Wege
einer gutachterlichen Verträglichkeitsanalyse bedürfen. Zu Recht weist der
Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass die Gemeinden bereits auf der Grund-
lage des § 2 Abs. 2 BauGB gehalten sind, die Auswirkungen ihrer Planung mit
Blick auf die Bandbreite der zulässigen Einzelhandelsnutzungen daraufhin zu
untersuchen, ob sich mehr als geringfügige nachteilige Auswirkungen (insbe-
sondere) auf die raumordnungsrechtliche Zentrenfunktion der Nachbargemein-
de ergeben können. Es ist nicht zu erkennen, dass von einer Gemeinde mit Er-
hebungen, die durch die Agglomerationsregelung veranlasst sind, etwas ver-
langt wird, was von Aufwand und Umfang wesentlich von bereits bestehenden
Ermittlungspflichten abweicht.
3. Dass die Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichtshofs im Streitfall, wo-
nach der Bebauungsplan mit einer uneingeschränkten Bandbreite von Einzel-
handelsnutzungen und einer möglichen Gesamtverkaufsfläche von nahezu
3 000 qm die Voraussetzungen einer Agglomeration i.S.d. Plansatzes 2.4.3.2.5
ROP H-F 2020 erfüllt, bundesrechtlichen Anforderungen nicht genügt, ist nicht
zu erkennen und wird von der Antragsgegnerin auch nicht geltend gemacht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Jannasch
Dr. Bumke
Petz
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren gemäß § 47
Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG auf 60 000 € festgesetzt.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Jannasch
Dr. Bumke
Petz
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Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Raumordnungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BauGB
§ 1 Abs. 4
ROG
§ 3 Abs. 1 Nr. 2
Stichworte:
Regionalplan Heilbronn-Franken 2020; Landesentwicklungsplan Baden-
Württemberg 2002; Ziel der Raumordnung; Agglomerationsregelung; Einzel-
handelsgroßprojekte; raumbedeutsame Agglomeration; nicht großflächige Ein-
zelhandelsbetriebe; Konzentrationsgebot; Kongruenzgebot; Zentrale-Orte-
Prinzip; Anpassungspflicht; gemeindliche Planungshoheit; Umsetzungsfähigkeit
im Wege der Bauleitplanung; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Leitsatz:
Eine regionalplanerische Regelung, wonach mehrere nicht großflächige Einzel-
handelsbetriebe bei räumlicher Konzentration und raumordnerischen Wirkun-
gen wie bei einem (regionalbedeutsamen) großflächigen Einzelhandelsbetrieb
bzw. Einkaufszentrum als Agglomeration anzusehen sind, mit der Folge, dass
die für Einzelhandelsgroßprojekte geltenden Ziele auch auf Agglomerations-
sachverhalte anzuwenden sind, kann ein wirksames Ziel der Raumordnung
i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG darstellen, das eine Gemeinde bei der Aufstellung
eines Bebauungsplans gemäß § 1 Abs. 4 BauGB zu beachten hat.
Urteil des 4. Senats vom 10. November 2011 - BVerwG 4 CN 9.10
I. VGH Mannheim vom 21.09.2010 - Az.: VGH 3 S 324/08 -