Urteil des BVerwG vom 11.07.2013

Bebauungsplan, Erholung, Wohngebäude, Bestätigung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 CN 8.12
VGH 8 S 233/11
Verkündet
am 11. Juli 2013
Schmidt, Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz und Dr. Decker
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Antragsgegnerin wird das Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27. Juli
2012 mit Ausnahme der Feststellungen aufgehoben, dass
die Festsetzung ausnahmsweise zulässiger dauerhafter
Wohnnutzung über den vorhandenen Bestand hinaus im
Sondergebiet SO 2 in C.01.2 Satz 1 und die Festsetzung
zum Maß der baulichen Nutzung in C.02.2 Satz 2 des Be-
bauungsplans „Sonnenhalde“ der Antragsgegnerin vom
30. Juni 2010 unwirksam sind. Insoweit wird die Sache zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwal-
tungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt 1/10 der Kosten des Revisions-
verfahrens; im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung der
Schlussentscheidung vorbehalten.
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G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit des Bebauungsplans „Sonnenhal-
de“ der Antragsgegnerin.
Der Bebauungsplan erfasst ein ca. 20 ha großes, teilweise bewaldetes Gebiet,
in dem in den 1930er Jahren und verstärkt in der Kriegs- und unmittelbaren
Nachkriegszeit bauliche Anlagen in unterschiedlicher Größe und Ausprägung
errichtet worden sind. Die Bandbreite der Bebauung reicht vom großzügig an-
gelegten, ständig bewohnten Landhaus und von sonstigen Wohngebäuden
über Wochenend- und Gartenhäuser bis zu Geräteschuppen und Unterständen.
Die Wohngebäude sind teilweise genehmigt, die Wohnnutzung in Garten- bzw.
Wochenendhäusern ist teils genehmigt, teils wird sie mit schriftlicher Bestäti-
gung geduldet. In weiteren Fällen werden Gebäude zu Wohnzwecken genutzt,
ohne dass es eine Genehmigung oder schriftliche Duldung gibt. Der Bebau-
ungsplan bezweckt, das Plangebiet zu ordnen und die Ausdehnung von Wohn-
nutzungen zu verhindern, die weder genehmigt noch mit schriftlicher Bestäti-
gung geduldet sind, bzw. die planungsrechtliche Grundlage dafür zu schaffen,
solche Nutzungen zu beenden.
Der Bebauungsplan setzt hauptsächlich zwei als SO 1 und SO 2 bezeichnete
Sondergebiete fest. Das Sondergebiet SO 1 ist als „eingeschränktes Wochen-
endhausgebiet“ ausgewiesen, in dem als Gebäude ausschließlich Wochenend-
häuser, Gartenhäuser und Geschirrhütten zulässig sind. Außerdem ist aus-
nahmsweise dauerhafte Wohnnutzung zulässig, soweit rechtlich zulässigerwei-
se genutzte Wohngebäude vorhanden sind. Eine zulässige Wohnnutzung liegt
vor, wenn diese genehmigt oder von der Baurechtsbehörde mit schriftlicher Be-
stätigung zugesagt ist. Am nordwestlichen Rand des Plangebiets ist als Son-
dergebiet SO 2 ein „eingeschränktes Wochenendhausgebiet - Wohnen“ festge-
setzt. Zulässig sind die im Gebiet SO 1 zulässigen Nutzungen und zusätzlich
ausnahmsweise Wohngebäude zum dauerhaften Wohnen und dem Wohnen
zuzuordnende Nebenanlagen. Die Einschränkung der Nutzungsart „Wochen-
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endhausgebiet“ in beiden Sondergebieten besteht nach der textlichen Festset-
zung im Standard der Erschließung sowie der fehlenden Einhaltung der Lärm-
obergrenzen entsprechend der DIN 18005 für die allgemein und ausnahmswei-
se zulässigen Nutzungen.
Die Antragsteller sind Eigentümer von Grundstücken im Sondergebiet SO 1.
Die Grundstücke sind mit Gebäuden bebaut, die dauerhaft zum Wohnen ge-
nutzt werden. Die Nutzung ist weder baurechtlich genehmigt, noch wird sie auf-
grund einer schriftlichen Zusage geduldet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat den Bebauungsplan antragsgemäß für unwirk-
sam erklärt. Die Festsetzungen über eine ausnahmsweise zulässige Dauer-
wohnnutzung in den Sondergebieten SO 1 und SO 2 seien unwirksam, weil sie
nicht auf eine Rechtsgrundlage gestützt werden könnten. Ihre Unwirksamkeit
führe zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans insgesamt. Es lasse sich nicht
feststellen, dass die Ausweisung des Plangebiets allein als eingeschränktes
Wochenendhausgebiet ohne die ausnahmsweise zulässige dauerhafte Wohn-
nutzung dem Planungswillen der Antragsgegnerin entspreche. Mit dem Wegfall
der Wohnnutzung sei der Planung eine wesentliche Grundlage entzogen. Denn
maßgebliches Planungsziel sei gerade auch die Sicherung der bestehenden
genehmigten bzw. schriftlich geduldeten Dauerwohnnutzungen.
Mit ihrer vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision erstrebt die An-
tragsgegnerin die Ablehnung des Normenkontrollantrags. Die Antragsteller ver-
teidigen das Normenkontrollurteil.
II
Die Revision ist weitgehend begründet. Das vorinstanzliche Urteil verstößt in
seinem für die Beteiligten zentralen Punkt gegen Bundesrecht.
1. Mit Bundesrecht vereinbar ist das Urteil allerdings insoweit, als der Verwal-
tungsgerichtshof die Festsetzung für das Sondergebiet SO 2 in C.01.2 Satz 1
des Bebauungsplans beanstandet hat, wonach Wohnnutzung im Wochenend-
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hausgebiet ausnahmsweise auch über einen vorhandenen Bestand hinaus zu-
gelassen werden kann. Für diese Festsetzung ist eine Rechtsgrundlage nicht
vorhanden.
a) Auf § 10 BauNVO lässt sich die Festsetzung nicht stützen. Die Vorschrift er-
möglicht die Festsetzung von Sondergebieten, die der Erholung dienen, insbe-
sondere Wochenendhausgebiete, Ferienhausgebiete und Campingplätze. Für
Sondergebiete zur Erholung sind nach § 10 Abs. 2 Satz 1 BauNVO die allge-
meine Zweckbestimmung und die Art der Nutzung darzustellen und festzuset-
zen.
Anders als im jeweiligen Absatz 1 der §§ 2 bis 9 BauNVO für die darin be-
schriebenen Baugebiete ist die allgemeine Zweckbestimmung wegen der Un-
terschiedlichkeit der Sondergebiete, die der Erholung dienen, in § 10 BauNVO
nicht geregelt. Die Bestimmung des jeweiligen Zwecks des Sondergebiets bleibt
der Gemeinde überlassen. Für die Zweckbestimmung ist jedoch der Rahmen
insofern vorgegeben, als es sich um Sondergebiete handeln muss, die, dem
Begriff der Erholung entsprechend, auf das zeitweilige Freizeitwohnen ausge-
richtet sind (Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 2. Aufl. 2003, § 10 Rn. 7;
Reidt, in: Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Aufl. 2004, Rn. 1567).
Der Bebauungsplan darf in einem Sondergebiet nach § 10 BauNVO nicht belie-
bige Nutzungsarten aus den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 BauNVO zulas-
sen, sondern nur solche, die innerhalb des allgemeinen Zwecks liegen, der Er-
holung zu dienen, sowie bestimmte der Eigenart des Gebiets entsprechende
Anlagen und Einrichtungen zur Versorgung des Gebiets und für sportliche Zwe-
cke (§ 10 Abs. 2 Satz 2 BauNVO). § 10 BauNVO darf nicht dazu benutzt wer-
den, Mischgebiete besonderer Art festzusetzen (Urteil vom 18. Februar 1983
- BVerwG 4 C 18.81 - BVerwGE 67, 23 <25>). Die Vorschrift ist kein Auffang-
tatbestand für Fälle, in denen Differenzierungen im Nutzungsartenkatalog eines
Baugebiets gemäß § 1 Abs. 4 bis 9 BauNVO unzulässig wären, weil sie die all-
gemeine Zweckbestimmung eines Baugebiets sprengen würden.
Eine dauerhafte Wohnnutzung ist mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines
Sondergebiets für die Erholung nicht vereinbar. Prägendes Merkmal der in ei-
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nem Sondergebiet nach § 10 BauNVO zulässigen Unterbringungsmöglichkeiten
ist das gelegentliche Wohnen während der Freizeit. Sondergebiete nach § 10
BauNVO kommen daher grundsätzlich nicht für Unterbringungsmöglichkeiten in
Betracht, die dem dauernden Wohnen dienen; dies ist den Baugebieten nach
den §§ 2 ff. BauNVO vorbehalten (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautz-
berger, BauGB, Bd. VI, Stand Januar 2013, § 10 BauNVO Rn. 5). Die allgemei-
ne Wohnnutzung und die Wochenend- und Ferienhausnutzung wertet die Bau-
nutzungsverordnung als städtebaulich relevante eigenständige Nutzungsarten
(Beschluss vom 8. Mai 1989 - BVerwG 4 B 78.89 - BRS 49 Nr. 66), die sich
nicht ähneln, sondern „grundverschieden“ sind (so schon Fickert/Fieseler,
BauNVO, 1. Aufl. 1969, § 10 Tz. 120).
b) Auch § 11 BauNVO ist keine taugliche Rechtsgrundlage für die Verknüpfung
von Wochenendhausgebiet und ausnahmsweise zulässiger Wohnnutzung.
Nach § 11 Abs. 1 BauNVO sind als sonstige Sondergebiete solche Gebiete
darzustellen und festzusetzen, die sich von den Baugebieten nach den §§ 2
bis 10 wesentlich unterscheiden. Ein wesentlicher Unterschied zu den Gebieten
nach den §§ 2 bis 10 BauNVO besteht, wenn ein Festsetzungsgehalt gewollt
ist, der sich keinem der in den §§ 2 ff. BauNVO geregelten Gebietstypen zuord-
nen und sich deshalb sachgerecht auch mit einer auf sie gestützten Festset-
zung nicht erreichen lässt (Urteil vom 29. September 1978 - BVerwG 4 C
30.76 - BVerwGE 56, 283 <286>; Beschluss vom 18. Dezember 1990
- BVerwG 4 NB 19.90 - Buchholz 406.11 § 10 BauGB Nr. 25 S. 36). Das bedeu-
tet nicht, dass sich die Festsetzungsmöglichkeiten aus den Katalogen der Bau-
gebietsvorschriften beliebig kombinieren ließen. Auch für § 11 BauNVO gilt,
dass er nicht zur Festsetzung von Mischgebieten besonderer Art ermächtigt
(Urteil vom 18. Februar 1983 a.a.O.). Der Senat hält zwar einen „Nutzungsmix“
außerhalb der Möglichkeiten der §§ 2 bis 10 BauNVO für zulässig, wenn sich
die Verträglichkeit der Nutzungen aus den Regelungen der Baunutzungsver-
ordnung herleiten lässt (Urteil vom 28. Mai 2009 - BVerwG 4 CN 2.08 -
BVerwGE 134, 117 Rn. 15). Das ist bei einer Mischung aus Wochenendhaus-
gebiet und Wohngebiet aber nicht der Fall. Da sich die Gebietsverträglichkeit
nach der Zweckbestimmung der Baugebiete beurteilt (vgl. Urteil vom 21. März
2002 - BVerwG 4 C 1.02 - BVerwGE 116, 155 <157 f.>), widerspricht eine Mi-
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schung von Nutzungen jedenfalls dann den städtebaulichen Vorstellungen des
Verordnungsgebers, wenn die Nutzungen jeweils die allgemeine Zweckbestim-
mung eines Baugebiets charakterisieren und sich darin nicht decken oder über-
schneiden. So ist es im Verhältnis zwischen einem Wochenendhausgebiet und
einem Wohngebiet. Allgemeine Zweckbestimmung eines reinen (§ 3 Abs. 1
BauNVO) oder allgemeinen Wohngebiets (§ 4 Abs. 1 BauNVO) ist das dauer-
hafte Wohnen, weil der Begriff des Wohnens u.a. durch eine auf Dauer ange-
legte Häuslichkeit gekennzeichnet ist (Beschluss vom 25. März 1996 - BVerwG
4 B 302.95 - BRS 58 Nr. 56); es dient nicht dem zeitweiligen Wohnen zu Erho-
lungszwecken. Dafür sind Sondergebiete für die Erholung nach § 10 BauNVO
vorgesehen, in denen ihrerseits nicht dauerhaft gewohnt werden darf.
2. Das Normenkontrollurteil steht auch insoweit mit Bundesrecht im Einklang,
als es in die Feststellung der Unwirksamkeit des Bebauungsplans auch die
Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung in C.02.2 Satz 2 einbezogen hat.
Anknüpfend an die Beschränkung, dass im Sondergebiet SO 1 maximal ein
Vollgeschoss zulässig ist, lautet die Festsetzung, dass auf den Baugrundstü-
cken die maximale Geschossfläche unter Anrechnung aller Flächen in Nicht-
Vollgeschossen einschließlich aller Nebenanlagen wie Pergolen, Überdachun-
gen und sonstiger baulicher Anlagen wie z.B. Wasserbecken, Carports und
Gewächshäuser pro Baufenster 60 m² nicht überschreiten darf. Sie ist in mehr-
facher Hinsicht vom Bundesrecht nicht gedeckt. Die Anordnung der Anrech-
nung der Flächen von Wasserbecken (und anderen Anlagen ohne Überda-
chung) steht mit § 20 Abs. 3 Satz 1 BauNVO nicht im Einklang. Die Vorschrift
stellt den Grundsatz auf, dass die Geschossfläche nach den Außenmaßen der
Gebäude in allen Vollgeschossen zu ermitteln ist. Es handelt sich um ein Nut-
zungsmaß, das Gebäudeeigenschaft voraussetzt. Bauliche Anlagen, die nicht
die Eigenschaft von Gebäuden haben, dürfen nicht berücksichtigt werden. Das
Gebot, die Flächen sämtlicher Räume in Nicht-Vollgeschossen in Ansatz zu
bringen, ist mit § 20 Abs. 3 Satz 2 BauNVO nicht vereinbar, weil die Vorschrift
nur die Festsetzung erlaubt, dass die Flächen von Aufenthaltsräumen in Nicht-
Vollgeschossen ganz oder teilweise mitzurechnen sind. Der Satzungsbefehl,
die Flächen von Nebenanlagen in die Berechnung der Geschossfläche einzu-
beziehen, verstößt gegen § 20 Abs. 4 BauNVO. Danach bleiben bei der Ermitt-
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lung der Geschossfläche Nebenanlagen im Sinne des § 14, Balkone, Loggien,
Terrassen sowie bauliche Anlagen, die nach Landesrecht in den Abstandsflä-
chen zulässig sind oder zugelassen werden können, unberücksichtigt.
3. Bundesrechtswidrig ist dagegen die Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs, für
die Festsetzung einer ausnahmsweise zulässigen Dauerwohnnutzung in beiden
Wochenendhausgebieten nur anknüpfend an den vorhandenen Bestand sei
eine Rechtsgrundlage nicht gegeben. Sein Standpunkt, eine Festsetzung, mit
der ein baugebietsfremder vorhandener Baubestand gesichert wird, komme nur
für Baugebiete nach den §§ 2 bis 9 BauNVO, nicht aber für ein Sondergebiet
nach § 10 BauNVO in Betracht, ist unzutreffend.
a) Richtig ist allerdings, dass bestandssichernde Festsetzungen in Sonderge-
bieten nicht auf § 1 Abs. 10 BauNVO gestützt werden können. Gemäß § 1
Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 BauNVO findet u.a. § 1 Abs. 10 BauNVO bei der Fest-
setzung von Sondergebieten keine Anwendung. Damit stimmt überein, dass
nach § 1 Abs. 10 BauNVO im Bebauungsplan festgesetzt werden kann, dass
Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen vorhan-
dener Anlagen zulässig sind, die bei Festsetzung eines Baugebiets nach den
§§ 2 bis 9 BauNVO in überwiegend bebauten Gebieten unzulässig wären. Der
Wortlaut des § 1 Abs. 10 BauNVO ist eindeutig. Der Anwendungsbereich der
Vorschrift ist auf Baugebietsfestsetzungen nach den §§ 2 bis 9 BauNVO be-
schränkt (Urteil vom 27. Oktober 2011 - BVerwG 4 CN 7.10 - NVwZ 2012, 318
Rn. 15).
b) Der Verwaltungsgerichtshof hat sich aber über § 1 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2
BauNVO hinweggesetzt. Danach können besondere Festsetzungen über die
Art der Nutzung nach den §§ 10 und 11 BauNVO getroffen werden. Zu den
Festsetzungen, zu denen §§ 10 und 11 BauNVO (jeweils in Absatz 2 Satz 1) er-
mächtigt, gehören auch Festsetzungen nach dem Vorbild des § 1 Abs. 10
BauNVO (Urteil vom 3. April 2008 - BVerwG 4 CN 3.07 - BVerwGE 131, 86
Rn. 16). Der Verordnungsgeber will die Gestaltungsmöglichkeiten der Baunut-
zungsverordnung bei der Festsetzung von Sondergebieten gegenüber den Ge-
bietsarten nach den §§ 2 bis 9 BauNVO nicht beschränkt wissen (Beschluss
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vom 20. Mai 2003 - BVerwG 4 BN 57.02 - BRS 66 Nr. 221). Ausweislich der
Materialien soll § 1 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 BauNVO „in Übereinstimmung mit
dem geltenden Recht klarstellen, dass besondere Festsetzungen, wie sie für
die Baugebiete nach den §§ 2 bis 9 in § 1 Abs. 4 bis 10 gelten, in Sondergebie-
ten aufgrund der §§ 10 und 11 (insbesondere § 10 Abs. 2 Satz 1 und § 11
Abs. 2 Satz 1) erfolgen“ (BRDrucks 354/89 S. 40). Die Rechtsauffassung des
Senats im Beschluss vom 7. September 1984 - BVerwG 4 N 3.84 - (BRS 42
Nr. 55), dass den Gemeinden mit den Sondergebieten ein flexibel handhabba-
res Instrumentarium zur Verfügung steht und sie von den besonderen Anforde-
rungen der Differenzierungsmöglichkeiten des § 1 Abs. 4 ff. BauNVO freigestellt
sind, hat der Verordnungsgeber bestätigt (BRDrucks 354/89 S. 40 f.).
Das Urteil des Senats vom 27. Oktober 2011 (a.a.O.) rechtfertigt nicht die
Schlüsse, die der Verwaltungsgerichtshof und ihm folgend die Antragsteller aus
ihm ziehen. Mit dem seinerzeitigen Befund, dass die Beschränkung auf Bauge-
biete im Sinne der §§ 2 bis 9 BauNVO dem Willen des Verordnungsgebers ent-
spricht, hat der Senat eine analoge Anwendung des § 1 Abs. 10 BauNVO auf
ein Waldgebiet für unzulässig erklärt, das nach § 9 Abs. 1 Nr. 18 Buchst. b
BauGB festgesetzt worden war. Um eine analoge Anwendung des § 1 Abs. 10
BauNVO geht es vorliegend aber nicht, sondern darum, ob sich Festsetzungen,
die einen baugebietsfremden Bestand in einem Wochenendhausgebiet sichern
sollen, auf § 10 Abs. 2 Satz 1 BauNVO stützen lassen. Dazu verhält sich das
Urteil nicht.
Aus § 10 Abs. 3 BauNVO lässt sich nicht im Umkehrschluss herleiten, dass ei-
ne Bestandssicherung in einem Sondergebiet für die Erholung unzulässig ist.
§ 10 Abs. 3 BauNVO enthält in seinen Sätzen 1 und 2 Regelungen zur Bauwei-
se (§ 22 BauNVO) und in Satz 3 eine Bestimmung zum Maß der baulichen Nut-
zung (§ 16 BauNVO). Mit einer bestandssichernden Festsetzung wird eine
Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung getroffen. Zur Art der baulichen
Nutzung trifft § 10 Abs. 3 BauNVO aber keine Aussage und kann damit nicht als
Spezialregelung eine Sperrwirkung gegenüber § 10 Abs. 2 Satz 1 BauNVO ent-
falten.
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c) Auch wenn bestandssichernde Festsetzungen nicht an die tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 1 Abs. 10 BauNVO gebunden sind, sind ihrer Zulässig-
keit Grenzen gesetzt. Ist, wie hier, ein Plangebiet als Sondergebiet ausgewie-
sen, das der Erholung dient, dürfen vorhandene gebietsfremde Bauvorhaben
durch Festsetzungen nur gesichert werden, wenn sie quantitativ und qualitativ
so in den Hintergrund treten, dass die Bebauung zu Erholungszwecken das
Erscheinungsbild des Plangebiets prägt. Festsetzungen zum Bestandsschutz
dürfen nicht dazu führen, dass sich das Plangebiet als diffuses Mischgebiet
darstellt und damit ein Zustand eintritt, den § 10 BauNVO missbilligt. Ob die zu
sichernde Wohnbebauung im Geltungsbereich des umstrittenen Bebauungs-
plans dem Plangebiet das Gesicht eines aus Wochenend- und Wohnhäusern
zusammengesetzten Mischgebiets besonderer Art verleiht oder ihr Umfang und
Gewicht den Charakter des Plangebiets als Wochenendhausgebiet nicht in
Frage stellt, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen im vor-
instanzlichen Normenkontrollurteil nicht beurteilen. Das nötigt insoweit zur Zu-
rückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof (§ 144 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 VwGO).
Bei der von ihm vorzunehmenden Prüfung, ob das gesamte Plangebiet trotz der
bestandssichernden Festsetzungen zur Wohnnutzung sein Gepräge als Wo-
chenendhausgebiet wahrt, wird der Verwaltungsgerichtshof sowohl die Zahl von
Wochenendhäusern und Grundstücken, die einer Wochenendhausbebauung
zugänglich sind, zur Zahl der Gebäude ins Verhältnis setzen müssen, deren
Nutzung zu Wohnzwecken baurechtlich genehmigt oder mit schriftlicher Bestä-
tigung geduldet wird - die übrigen Wohnnutzungen sind für den Gebietscharak-
ter ohne Bedeutung, weil die Antragsgegnerin beabsichtigt, bauordnungsrecht-
lich gegen sie vorzugehen -, als auch sein Augenmerk auf die Größe der
Wohngebäude im Vergleich zu den Wochenendhäusern und ihre Verteilung im
Plangebiet zu richten haben. Je größer der Anteil an Wohngebäuden, je auffäl-
liger ihr Größenunterschied zu den Wochenendhäusern und je mehr das Plan-
gebiet mit ihnen durchsetzt ist, desto eher dürften die Wohngebäude den Cha-
rakter des Wochenendhausgebiets in Frage stellen. Umgekehrt gilt: Je geringer
der Anteil an Wohngebäuden ist, je mehr sie der Größe der Wochenendhäuser
angepasst sind und je kompakter sie sich - gleichsam Bebauungs„inseln“ bil-
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dend - auf engem Raum zusammenfinden, desto weniger dürften sie als
Fremdkörper in einem ansonsten homogenen Wochenendhausgebiet den Ton
angeben. Von Bedeutung könnte auch sein, ob sie verstärkt in zentralen Lagen
im Plangebiet oder eher in Randlagen stehen.
4. Der teilweisen Aufhebung des Normenkontrollurteils und Zurückverweisung
der Sache an den Verwaltungsgerichtshof bedürfte es nicht, wenn das Urteil im
Ergebnis richtig und die Revision deshalb in vollem Umfang zurückzuweisen
wäre (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Senat kann dem Verwaltungsgerichtshof je-
doch nicht bestätigen, den Bebauungsplan zu Recht für insgesamt unwirksam
erklärt zu haben.
a) Der Senat vermag sich nicht darauf festzulegen, dass die Unwirksamkeit der
Festsetzungen zur ausnahmsweise dauerhaften Wohnnutzung über den vor-
handenen Bestand hinaus im Sondergebiet SO 2 und zur Berechnung der zu-
lässigen Geschossfläche die Unwirksamkeit des Bebauungsplans insgesamt
zur Folge hat. Mängeln, die einzelnen Festsetzungen eines Bebauungsplans
anhaften, führen dann nicht zu dessen Gesamtunwirksamkeit, wenn - erstens -
die übrigen Regelungen, Maßnahmen oder Festsetzungen, für sich betrachtet,
noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1
BauGB bewirken können und - zweitens - mit Sicherheit anzunehmen ist, dass
die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen
Willen im Zweifel auch eine Satzung ohne den unwirksamen Teil beschlossen
hätte (Urteil vom 19. September 2002 - BVerwG 4 CN 1.02 - BVerwGE 117, 58
<61>). Dagegen ist die Gesamtunwirksamkeit festzustellen, wenn eine einzelne
unwirksame Festsetzung mit dem gesamten Bebauungsplan in einem untrenn-
baren Zusammenhang steht (Beschluss vom 20. August 1991 - BVerwG 4 NB
3.91 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 59).
Ob eine einzelne fehlerhafte Festsetzung zur Gesamt- oder Teilnichtigkeit eines
Bebauungsplans führt, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls (Urteil vom
19. September 2002 a.a.O. S. 61). Ihre Beantwortung hängt von einer tatrichter-
lichen Würdigung des konkreten Sachverhalts ab, die dem Senat verwehrt ist.
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b) Ebenso wenig ist dem Senat die Feststellung möglich, dass die Festsetzung
der ausnahmsweise zulässigen Wohnnutzung zur Sicherung des Bestandes
von Wohngebäuden wegen mangelnder inhaltlicher Bestimmtheit unwirksam
ist. Der Umstand, dass die geschützten Objekte im Bebauungsplan nicht indivi-
duell (mit Flurstücksbezeichnung und/oder postalischer Adresse) bezeichnet
sind, hat die Unwirksamkeit der Festsetzung nicht zur Folge. Nach der Recht-
sprechung des Senats muss der normative Inhalt eines Bebauungsplans nicht
allein aus sich heraus erkennbar sein (Beschluss vom 29. Juli 2010 - BVerwG
4 BN 21.10 - NVwZ 2010, 1567 Rn. 11). Wenn die Gemeinde - was zulässig
ist - auf planexterne Dokumente, Vorgänge oder Informationsquellen verweist,
muss sie allerdings sicherstellen, dass die Betroffenen von den in Bezug ge-
nommenen Informationen verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis erlan-
gen können (Beschluss vom 29. Juli 2010 a.a.O. Rn. 13). Ob die Antragsgegne-
rin dem nachgekommen ist, muss der Verwaltungsgerichtshof klären.
c) Schließlich kann der Senat nicht die Aussage treffen, dass die Festsetzungen
des Bebauungsplans zur Art der baulichen Nutzung dem Abwägungsgebot des
§ 1 Abs. 7 BauGB widersprechen. Die Kontrolle des Abwägungsvorgangs und
des Abwägungsergebnisses erfordert eine Sichtung und Auswertung der Vor-
gänge zur Aufstellung des Bebauungsplans, die dem Verwaltungsgerichtshof
vorbehalten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Soweit die Revision
ohne Erfolg bleibt, hat die Antragsgegnerin die Kosten des Revisionsverfahrens
zu tragen.
Prof. Dr. Rubel Dr. Gatz
Ri’inBVerwG Dr. Bumke
ist krankheitsbedingt
gehindert, ihre
Unterschrift beizufügen.
Prof. Dr. Rubel
Petz
Dr. Decker
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 40 000 €
festgesetzt.
Prof. Dr. Rubel Dr. Gatz
Ri’inBVerwG Dr. Bumke
ist krankheitsbedingt
gehindert, ihre
Unterschrift beizufügen.
Prof. Dr. Rubel
Petz
Dr. Decker