Urteil des BVerwG vom 07.05.2014

Bebauungsplan, Grundstück, Bekanntmachung, Reduktion

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 CN 5.13
OVG 2 E 14/11.N
Verkündet
am 7. Mai 2014
Jakob
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz, Petz, Dr. Decker und
Dr. Külpmann
für Recht erkannt:
Die Revision der Antragstellerin gegen das Urteil des
Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. April
2013 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Revisionsverfah-
rens.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit des Bebauungsplans L. 53 der An-
tragsgegnerin.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gweg … in Hamburg-E.
(Flurstück … der Gemarkung L.), auf dem sich straßenseitig ein Wohnhaus und
im straßenabgewandten Bereich ein Gewerbehof mit einzelnen oder miteinan-
der verbundenen gewerblich genutzten Gebäuden befinden. Das Grundstück
war durch den Bebauungsplan L. 3 aus dem Jahr 1963 als Geschäftsgebiet
„G 2 g“ nach § 10 Abs. 4 der Baupolizeiverordnung ausgewiesen und nahezu
vollständig von Grundstücken umgeben, für die dieselbe Art der Nutzung fest-
gesetzt war. Lediglich für das westlich gelegene Grundstück Llweg … war eine
Wohnnutzung „W 4 g“ vorgesehen.
Im Bebauungsplan L. 53 ist das Grundstück der Antragstellerin als Mischgebiet
festgesetzt. Ebenfalls als Mischgebiet ausgewiesen sind die nördlich gelegenen
Grundstücke Gweg … und Gweg … a - d sowie die sich süd-östlich an das
Grundstück der Antragstellerin anschließenden, sich aneinander reihenden
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Grundstücke Gweg … und Sallee … und ... Das süd-westlich gelegene, an das
Grundstück der Antragstellerin angrenzende Hinterliegergrundstück mit dem
Doppelhaus Sallee … und … ist ebenso wie die westlich benachbarten Grund-
stücke zum allgemeinen Wohngebiet umgeplant worden. Zur Verbreiterung des
Gwegs setzt der Plan auf dem Grundstück der Antragstellerin eine Straßenver-
kehrsfläche fest.
Die Antragsgegnerin hat den Bebauungsplan L. 53 mit dem Bedürfnis begrün-
det, die bestehende Geschäftsgebietsfestsetzung zu ändern, weil sie sich als
überholt erwiesen habe. Der Stadtteil L. sei ein beliebter Wohnstandort. Nach-
fragen und Anträge für den Wohnungsbau habe es bis in die Gegenwart hinein
auch für das Plangebiet gegeben. Im nördlichen und südlichen Bereich des Ge-
schäftsgebiets seien bereits drei- bis viergeschossige Wohngebäude errichtet
worden. Büronutzungen hätten sich im Plangebiet dagegen nicht nachhaltig
entwickelt, hier habe es Leerstand und Abriss gegeben. Klassisch gewerbliche
Nutzungen bestünden lediglich auf dem Grundstück der Antragstellerin. Ziel des
Bebauungsplans sei die Schaffung einer gemischten Nutzungsstruktur mit
einem Nebeneinander von Wohnen und wohnverträglichem Gewerbe sowie
zusätzlichen Wohnbauflächen.
Im Bekanntmachungstext der öffentlichen Auslegung des Planentwurfs heißt
es, dass zu Umweltthemen Stellungnahmen und Informationen vorlägen, unter
anderem zu Altlastenflächen und zu erhaltenden Bäumen. Während dieser Aus-
legung machte die Antragstellerin geltend, dass die Änderung der Gebietsaus-
weisung die Interessen der Gewerbetreibenden in ihrem Gewerbehof erheblich
beeinträchtige. Diese müssten wegen der gestiegenen Schutzbedürftigkeit der
umliegenden Wohnnutzung mit einschränkenden Auflagen rechnen. Die Be-
zirksversammlung stimmte dem Planentwurf mit Ausnahme der Festsetzung
der Baugrenzen für das Grundstück Llweg … zu, da das Baufenster nach einer
erneuten Auslegung des Entwurfs verkleinert werden sollte.
Der Bekanntmachungstext der erneuten öffentlichen Auslegung wiederholt,
dass zu Umweltthemen Stellungnahmen und Informationen vorlägen, unter an-
derem zu Altlastflächen und zu erhaltenden Bäumen. Des Weiteren bestimmt
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der Text, dass Stellungnahmen nur zu den geänderten Teilen des ausliegenden
Planentwurfs vorgebracht werden könnten. Die Antragstellerin erhob wiederum
Einwendungen.
Mit ihrem gegen den beschlossenen und verkündeten Bebauungsplan fristge-
recht eingeleiteten Normenkontrollverfahren hat die Antragstellerin neben ande-
rem gerügt, dass die Bekanntmachung der erneuten öffentlichen Auslegung
keinen vollständigen Hinweis auf die verfügbaren umweltbezogenen Informatio-
nen enthalte und der räumliche Geltungsbereich des Bebauungsplans nicht
wirksam festgesetzt sei, weil ein Flurstück, das in der textlichen Beschreibung
des Geltungsbereichs des Bebauungsplans genannt sei, nicht innerhalb der
Grenzen des zeichnerisch festgesetzten Plangebiets liege. Die Festsetzungen
zur Art der baulichen Nutzung seien mit Abwägungsfehlern behaftet. Zum einen
sei die Antragsgegnerin voreingenommen gewesen, da sie den Bebauungsplan
auf Initiative des früheren Eigentümers bzw. Investors des Grundstücks Gweg
… a - d aufgestellt habe, um ihm eine beabsichtigte Wohnbebauung zu ermög-
lichen. Zum anderen verstoße das Ergebnis der Abwägung wegen der unmittel-
baren Nachbarschaft des mit dem Gewerbehof bebauten Grundstücks zu einem
allgemeinen Wohngebiet gegen das Trennungsgebot des § 50 BImSchG und
das Gebot der Konfliktbewältigung. Auch die geplante Straßenverbreiterung sei
abwägungsfehlerhaft.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag abgelehnt. Gegen
sein Urteil richtet sich die Revision der Antragstellerin. Die Antragsgegnerin ver-
teidigt das Urteil.
II
Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil steht mit Bundesrecht im
Einklang.
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1. Die Rüge der Antragstellerin, die umweltbezogenen Informationen seien in
der Bekanntmachung der erneuten Auslegung des Planentwurfs nicht in der
von § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB geforderten Weise bezeichnet worden,
ist unbegründet. Die Bekanntmachung brauchte keine Angaben dazu zu enthal-
ten, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind. Deshalb
kommt es nicht darauf an, ob der Hinweis, es lägen Stellungnahmen und Infor-
mationen unter anderem zu Altlastenflächen und zu erhaltenden Bäumen vor,
den Anforderungen des § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB genügt (vgl. dazu
Urteil vom 18. Juli 2013 - BVerwG 4 CN 3.12 - BVerwGE 147, 206).
Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB sind Ort und Dauer der Auslegung der
Entwürfe von Bauleitplänen sowie Angaben dazu, welche Arten umweltbezoge-
ner Stellungnahmen verfügbar sind, mindestens eine Woche vor der Auslegung
ortsüblich bekannt zu machen. Gemäß § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB ist der Ent-
wurf eines Bebauungsplans erneut auszulegen, wenn er nach dem Verfahren
nach § 3 Abs. 2 BauGB geändert oder ergänzt wird. Nach § 4a Abs. 3 Satz 2
BauGB kann dabei - wie hier - bestimmt werden, dass Stellungnahmen nur zu
den geänderten oder ergänzten Teilen abgegeben werden können; hierauf ist in
der erneuten Bekanntmachung nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB hinzuweisen.
Ansonsten gilt § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB unbeschränkt und verlangt, in
der Bekanntmachung der erneuten Auslegung wiederum auf die Arten der ver-
fügbaren Umweltinformationen hinzuweisen (Berkemann, in: Berkemann/
Halama, Erstkommentierungen zum BauGB 2004, 2005, § 4a Rn. 23).
Der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB ist indes zu
weit, wenn im Fall der Änderung oder Ergänzung eines Planentwurfs die Be-
kanntmachung der erneuten Auslegung die Einschränkung enthält, dass Stel-
lungnahmen nur zu den geänderten oder ergänzten Teilen abgegeben werden
können. § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB steht in unmittelbarem systemati-
schen Zusammenhang mit den Regelungen zu den Stellungnahmen während
der Auslegungsfrist in § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 sowie in den Sätzen 4 bis 6
BauGB. Der Zusammenhang wäre aufgelöst, wenn die verfügbaren umweltbe-
zogenen Informationen nicht die geänderten oder ergänzten Teile zum Gegen-
stand haben, auf die die Stellungnahmen beschränkt sind. § 4a Abs. 3 Satz 1
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und § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB verlangen von der Gemeinde nicht, sich
widersprüchlich zu verhalten, indem sie mit den Angaben zu den verfügbaren
umweltbezogenen Informationen zu Stellungnahmen anstößt, die sie über die
Beschränkung des § 4a Abs. 3 Satz 2 BauGB ausschließen möchte. § 4a
Abs. 3 Satz 1 und § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB bedürfen daher der Ein-
schränkung, dass in der Bekanntmachung der erneuten Auslegung nur auf um-
weltbezogene Informationen hinzuweisen ist, die zu den geänderten oder er-
gänzten Teilen des Planentwurfs verfügbar sind. Gibt es - wie vorliegend - keine
Informationen, die sich auf die geänderten oder ergänzten Teile des Planent-
wurfs beziehen, darf es mit der Bekanntmachung von Ort und Dauer der erneu-
ten Auslegung sein Bewenden haben.
Ein erneuter Hinweis darauf, welche Arten umweltbezogener Informationen ver-
fügbar sind, ist in Fallgestaltungen wie der vorliegenden nicht deshalb geboten,
weil Stellungnahmen, die sich nicht auf den beschränkten Bereich beziehen,
entgegen der Annahme des Oberverwaltungsgerichts nicht unzulässig sind,
sondern lediglich die Folgen des § 3 Abs. 2 Satz 4 bis 6 BauGB nicht auslösen
und daher von der Gemeinde wie verspätete Stellungnahmen nach § 4a Abs. 6
BauGB zu behandeln sind. Zwar wird dem Ziel des § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1
BauGB, im öffentlichen Interesse Vollzugsdefiziten zu Lasten der Umwelt ent-
gegenzuwirken (vgl. Urteil vom 18. Juli 2013 a.a.O. Rn. 20), auch gedient, wenn
auf eine erneute Auslegung noch verspätete Hinweise zu Umweltbelangen ein-
gehen. Dies zwingt aber nicht zu der Schlussfolgerung, dass in der Bekanntma-
chung der erneuten Auslegung wiederum auf sämtliche Arten der verfügbaren
Umweltinformationen hinzuweisen ist. Schon die ursprüngliche Bekanntma-
chung muss den Hinweis nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB enthalten. Sie
kann auch nach Ablauf der (ersten) Stellungnahmefrist Anlass zu verspäteten
Einwendungen sein. Für den von den Änderungen oder Ergänzungen nicht be-
troffenen Teil des Plangebiets ist der Zweck des Offenlegungsverfahrens schon
mit der erstmaligen Auslegung erfüllt (so zu einem räumlich geteilten Bebau-
ungsplan Urteil vom 29. Januar 2009 - BVerwG 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98
Rn. 40); einer „Erinnerung“ der Öffentlichkeit an ein laufendes Planungsverfah-
ren bedarf es nicht.
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Wenn eine Vorschrift nach ihrem Wortsinn Sachverhalte erfasst, die sie nach
dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll, sind Gerichte
befugt, den Wortlaut der Vorschrift zu korrigieren, und ist eine überschießende
Regelung im Wege der teleologischen Reduktion auf den ihr nach Sinn und
Zweck zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen (Urteil vom 1. März
2012 - BVerwG 5 C 11.11 - BVerwGE 142, 107 Rn. 30). Die teleologische Re-
duktion gehört zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen (BVerfG, Be-
schluss vom 30. März 1993 - 1 BvR 1045/89 u.a. - BVerfGE 88, 145 <167>).
Sie kann dazu dienen, eine Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut einschränkend
auszulegen, wenn ihr Sinn und Zweck, ihre Entstehungsgeschichte und der
Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneinge-
schränkte Anwendung sprechen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. April 1997
- 1 BvL 11/96 - NJW 1997, 2230 <2231>). Sie ist nicht auf Fälle beschränkt, in
denen sie sich auf Ausführungen in den Gesetzesmaterialien stützen lässt,
sondern erfasst auch solche wie den vorliegenden, in welchen die Gesetzesbe-
gründung keinen Hinweis darauf enthält, dass sich der Gesetzgeber der in Re-
de stehenden besonderen Problematik bewusst gewesen ist.
Die Antragstellerin möchte aus den Gesetzesmaterialien herleiten, dass eine
erneute Auslegungsbekanntmachung stets den Hinweis auf sämtliche Arten
verfügbarer Umweltinformationen enthalten müsse. Sie verweist auf die sich
aus den Gesetzesmaterialien ergebende Absicht des Gesetzgebers zur Verein-
heitlichung und Stärkung der planungsrechtlichen Verfahrensschritte auf hohem
Umweltschutzniveau. Soweit sich diese Absicht aus dem Kapitel „Problem und
Ziel“ ergibt (BTDrucks 15/2250 S. 1), ist der Antragstellerin entgegenzuhalten,
dass das Kapitel einen allgemeinen Programmsatz enthält. Aus ihm kann für
einzelne Fragestellungen nichts Konkretes abgeleitet werden. Mit der beabsich-
tigten Vereinheitlichung des Verfahrens durch die Umweltprüfung (BTDrucks
15/2250 S. 29) geht es dem Gesetzgeber um die Wiedergabe der Arbeitsschrit-
te zur Zusammenstellung des umweltrelevanten Abwägungsmaterials für eine
sachgerechte Abwägung zur Herbeiführung einer materiell richtigen Entschei-
dung. Ermöglichen die Verfahrensvorschriften eine Beschränkung des Gegen-
stands der erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung, ist ein Hinweis auf die verfügba-
ren Arten umweltbezogener Informationen, die sich nicht auf die Änderungen
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oder Ergänzungen des Planentwurfs beziehen, nicht dazu angetan, Abwä-
gungsmängel bei den Änderungen oder Ergänzungen zu vermeiden.
Unionsrecht steht der teleologischen Reduktion von § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1
und § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht entgegen. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie
2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001
über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme
(ABl EG Nr. L 197 S. 30) - Plan-UP-RL -, auf den sich die Antragstellerin beruft,
ordnet an, dass die unter Absatz 2 fallenden Pläne, u.a. Pläne im Bereich der
Bodennutzung, sowie deren geringfügige Änderungen einer Umweltprüfung
bedürfen, wenn die Mitgliedstaaten bestimmen, dass sie voraussichtlich erheb-
liche Umweltauswirkungen haben. Die Vorschrift äußert sich zum Geltungsbe-
reich der Richtlinie, also dazu, welche Pläne und Programme einer Umweltprü-
fung zu unterziehen sind, nicht aber zu verfahrensrechtlichen Anforderungen an
Pläne und Programme, für die eine Umweltprüfung erforderlich ist. Einschlägig
ist vielmehr Art. 6 Plan-UP-RL, der in Absatz 1 bestimmt, dass der Entwurf
eines Plans und der Umweltbericht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen
sind, und in Absatz 2 vorschreibt, dass der Öffentlichkeit innerhalb ausreichend
bemessener Frist frühzeitig und effektiv Gelegenheit gegeben wird, vor der An-
nahme des Plans zum Entwurf des Plans sowie zum begleitenden Umweltbe-
richt Stellung zu nehmen. Diese Regelung wird durch die teleologische Reduk-
tion von § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 und § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht unter-
laufen. Die Plan-UP-Richtlinie fordert nicht, dass die Gelegenheit, zum Entwurf
eines Plans und dem Umweltbericht Stellung zu nehmen, mehrfach gegeben
wird.
Die Antragstellerin rügt in diesem Zusammenhang, dass die tatrichterliche
Feststellung, der angegriffene Bebauungsplan habe keinen wesentlichen Um-
weltbezug, gegen den Überzeugungsgrundsatz aus § 108 Abs. 1 VwGO ver-
stoße. Ihr Einwand führt indes nicht auf einen Verfahrensfehler, sondern betrifft
die Anwendung materiellen Rechts. Einen Verstoß gegen materielles Bundes-
recht zeigt die Antragstellerin aber nicht auf. Aus Sicht des Unionsrechts kommt
es nicht darauf an, ob der Bebauungsplan voraussichtlich einen wesentlichen
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Umweltbezug aufweist; denn die Anforderungen des Art. 6 Plan-UP-Richtlinie
sind erfüllt.
2. Dem Oberverwaltungsgericht ist auch darin zu folgen, dass der Bebauungs-
plan L. 53 nicht wegen mangelnder inhaltlicher Bestimmtheit oder eines Versto-
ßes gegen den Grundsatz der Normenklarheit unwirksam ist.
Nach § 9 Abs. 7 BauGB setzt der Bebauungsplan die Grenzen seines räumli-
chen Geltungsbereichs fest. Die Grenzen dürfen sowohl zeichnerisch darge-
stellt als auch textlich beschrieben werden (Gaentzsch, in: Berliner Kommentar
zum BauGB, Stand Mai 2014, § 9 Rn. 88). Besteht ein Widerspruch zwischen
der zeichnerischen Darstellung und der textlichen Beschreibung, ist er unbe-
achtlich, wenn er sich durch Auslegung auflösen lässt; denn Bebauungspläne
sind - wie andere Normen auch - einer ein Redaktionsversehen berichtigenden
Auslegung zugänglich (vgl. Beschlüsse vom 27. Januar 1998 - BVerwG 4 NB
3.97 - BRS 60 Nr. 26 S. 92 und vom 1. Februar 1994 - BVerwG 4 NB 44.93 -
juris Rn. 4). Vorliegend decken sich zeichnerische Darstellung und textliche Be-
schreibung deshalb nicht, weil das im Text bezeichnete Flurstück … der Ge-
markung L. außerhalb des in der Planurkunde zeichnerisch festgesetzten Plan-
gebiets liegt. Das Oberverwaltungsgericht hat die fehlerhafte Flurstücksbe-
zeichnung auf einen offensichtlichen Schreibfehler zurückgeführt, der im Wege
der Auslegung zu beseitigen sei; gemeint sei ohne Zweifel das Flurstück ...
Dem ist nichts hinzuzufügen.
3. Schließlich ist nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht den
Bebauungsplan L. 53 nicht wegen eines beachtlichen Abwägungsfehlers für un-
wirksam erklärt hat.
a) Einen Abwägungsausfall hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend verneint.
Die Antragstellerin wirft der Antragsgegnerin vor, ihr Bezirksamtsleiter habe sich
vorab auf die Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung festgelegt, um dem
Investor die Zulässigkeit der Wohnbebauung auf dem Grundstück G.weg
… a - d zu sichern. Der Investor habe in Kenntnis des Umstandes, dass ohne
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Änderung des Bebauungsplans L. 3 sein Vorhaben unzulässig sei, die Aufstel-
lung des Bebauungsplans L. 53 initiiert, den Inhaber eines früher im Gewerbe-
hof ansässigen Autolackierbetriebs durch Zahlung einer Entschädigung zu einer
Verlagerung der Betriebsstätte veranlasst, um mögliche Planungshindernisse
auszuräumen, und auf der Grundlage des § 33 BauGB eine Baugenehmigung
für zwei dreigeschossige Wohngebäude mit Staffelgeschoss und insgesamt
41 Wohneinheiten erhalten.
Das Oberverwaltungsgericht hat nicht feststellen können, dass dem Bezirks-
amtsleiter als Inhaber der Planungskompetenz die Zahlung des Investors an
den Inhaber der Autolackiererei und das Baugenehmigungsverfahren für das
Grundstück G.weg … a - d bekannt gewesen sei. Die Antragstellerin begegnet
dem mit einer Reihe von Verfahrensrügen. Ihnen braucht der Senat indes nicht
nachzugehen. Weder die (unterstellte) Kenntnis des Bezirksamtsleiters von
dem Baugenehmigungsverfahren noch die (unterstellte) Kenntnis der Umstän-
de, die zum Wegfall einer im Plangebiet ehemals ausgeübten Nutzung geführt
haben, rechtfertigt den Schluss auf einen im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2
BauGB offensichtlichen und das Abwägungsergebnis beeinflussenden Fehler
im Abwägungsvorgang. Das Oberverwaltungsgericht hat keinen Anhaltspunkt
dafür gefunden, dass der Bebauungsplan L. 53 vorrangig den Interessen des
Investors des Grundstücks Gweg … a - d zugute kommen solle. Sowohl die
Festsetzungen als auch die Begründung des Plans zeigten, dass die Antrags-
gegnerin einer Gesamtkonzeption zum Ausbau der Wohnnutzungen im Plange-
biet gefolgt sei, um dem gewachsenen Charakter des Gebiets und der großen
Nachfrage nach familiengerechtem Wohnraum zu entsprechen. Die Festset-
zung eines Mischgebiets für das Grundstück Gweg … a - d und nicht eines all-
gemeinen Wohngebiets spiegele wider, dass die Antragsgegnerin nicht allein
die Interessen der neuen Wohnnutzer auf dem Grundstück bedient habe, son-
dern um einen Ausgleich mit den Interessen der vorhandenen Gewerbetreiben-
den bemüht gewesen sei. Schließlich führe der Umstand, dass der Investor den
Inhaber eines früher auf dem Gewerbehof ansässigen Autolackierbetriebs zu
einer Verlagerung der Betriebsstätte bewegt habe, nicht zur Annahme eines
Abwägungsausfalls wegen Voreingenommenheit; denn die Abwanderung des
Betriebs sei nicht nur den Interessen des Investors entgegen gekommen, son-
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dern auch den zum Ausdruck gebrachten eigenen Interessen der Antragsgeg-
nerin, in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Flächennutzungsplans im
Plangebiet neue Wohnflächen zu schaffen. An diese Würdigung ist der Senat
nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden.
b) Mit Bundesrecht ist ferner vereinbar, dass das Oberverwaltungsgericht die
Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung nicht wegen eines Verstoßes
gegen das Gebot der Konfliktbewältigung als im Ergebnis abwägungsfehlerhaft
bewertet hat.
Das Gebot der Konfliktbewältigung besagt, dass grundsätzlich jeder Bebau-
ungsplan die von ihm geschaffenen oder ihm zurechenbaren Konflikte zu lösen
hat. Das schließt eine Verlagerung von Problemen in ein nachfolgendes Ver-
waltungsverfahren nicht zwingend aus. Von einer abschließenden Konfliktbe-
wältigung im Bebauungsplan darf die Gemeinde Abstand nehmen, wenn bei
vorausschauender Betrachtung die Durchführung der als notwendig erkannten
Konfliktlösungsmaßnahmen außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe
der Verwirklichung der Planung sichergestellt ist (Beschlüsse vom 14. Juli 1994
- BVerwG 4 NB 25.94 - NVwZ-RR 1995, 130 <131>, vom 8. November 2006
- BVerwG 4 BN 32.06 - juris Rn. 10, vom 15. Oktober 2009 - BVerwG 4 BN
53.09 - BRS 74 Nr. 17 und vom 16. März 2010 - BVerwG 4 BN 66.09 - Buch-
holz 406.25 § 50 BImSchG Nr. 7 Rn. 27). Die Grenzen zulässiger Konfliktverla-
gerung sind erst überschritten, wenn bereits im Planungsstadium absehbar ist,
dass sich der Interessenkonflikt auch in einem nachfolgenden Verfahren nicht
sachgerecht lösen lassen wird (Beschluss vom 26. März 2007 - BVerwG 4 BN
10.07 - juris Rn. 9). Eine Planung darf nicht dazu führen, dass Konflikte, die
durch sie hervorgerufen werden, zu Lasten Betroffener auf der Ebene der Vor-
habenzulassung letztlich ungelöst bleiben (Urteil vom 19. April 2012 - BVerwG
4 CN 3.11 - BVerwGE 143, 24 Rn. 19).
Der Bebauungsplan ist nicht deshalb mit dem Gebot der Konfliktbewältigung
unvereinbar, weil er keine Festsetzungen zum Schutz des Grundstücks Sallee
… enthält, das im Bebauungsplan L. 3 als Geschäftsgebiet ausgewiesen war
und im Bebauungsplan L. 53 als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen ist. Das
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Oberverwaltungsgericht hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Schutz-
würdigkeit der bereits vorhandenen Wohnnutzung auf dem Grundstück Sallee
… wegen der Randlage zum Mischgebiet und der zeitlichen Priorität des Ge-
werbehofs gemindert sei. Sein rechtlicher Ansatz, dass Immissionskonflikten an
der Grenze zwischen Mischgebiet und allgemeinem Wohngebiet durch Anwen-
dung von Nr. 6.7 der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm vom
26. August 1998 (GMBl S. 503) - TA Lärm - begegnet werden kann, trifft zu.
Nr. 6.7 der TA Lärm erlaubt für Gemengelagen eine Erhöhung der Immissions-
werte, die für die zum Wohnen dienenden Gebiete gelten, bis grundsätzlich zu
den Werten für Kern-, Dorf- und Mischgebiete und benennt die wesentlichen
Kriterien, anhand derer der Zwischenwert zu bilden ist.
Soweit das Oberverwaltungsgericht den Wohnnutzungen im Mischgebiet
mischgebietstypische Immissionen zumutet, ist das Gebot der Konfliktbewälti-
gung schon nicht tangiert. Mischgebiete dienen nach § 6 Abs. 1 BauNVO dem
Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht
wesentlich stören. Sie sind gekennzeichnet durch die quantitative und qualitati-
ve Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit von Wohnnutzung und das Wohnen
nicht wesentlich störendem Gewerbe. Das hat zur Folge, dass die Wohnnut-
zung weniger Schutz beanspruchen kann als in einem Wohngebiet. Auch den
bestehenden Gewerbebetrieben, die bei Inkrafttreten des Bebauungsplans im
Gewerbehof der Antragstellerin ansässig waren, drohen keine Einschränkungen
zum Schutz der Wohnbebauung im Mischgebiet. Da sie nach den Feststellun-
gen des Oberverwaltungsgerichts mischgebietsverträglich sind, brauchen sie
mit nachträglichen Auflagen zum Schutz der Umgebungsbebauung im Misch-
gebiet nicht zu rechnen. Durch die Planung wird kein neuer Immissionskonflikt
begründet.
c) Auch die Ausweisung einer 3 m breiten und 29,7 m langen Straßenverkehrs-
fläche auf dem Grundstück der Antragstellerin hat das Oberverwaltungsgericht
zutreffend als abwägungsfehlerfrei gebilligt. Das Gericht hat angenommen,
dass die Antragstellerin nur geringfügig betroffen sei. Der als Verkehrsfläche
ausgewiesene Grundstücksstreifen mache bezogen auf die gesamte Grund-
stücksfläche lediglich einen geringen Bruchteil aus. Hinzu komme, dass kein
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Baulandentzug stattgefunden habe, da der betreffende Grundstücksstreifen
auch nach dem Bebauungsplan L. 3 nicht bebaubar, also wirtschaftlich nicht
nutzbar gewesen sei.
Die Antragstellerin hält die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass die
Verwirklichung des Bebauungsplans nicht mit einem Baulandentzug verbunden
sei, für verfahrensfehlerhaft. Das Gericht habe gegen Denkgesetze verstoßen,
weil es übersehen habe, dass die Verschiebung der Straßenbegrenzungslinie
die Ausnutzbarkeit der Grundstücksfläche nach § 19 Abs. 3 Satz 1 BauNVO
reduziere und sich auf die auf dem Grundstück einzuhaltenden Abstandsflä-
chen auswirke. Ob die Kritik der Antragstellerin den Verfahrensablauf oder die
inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung betrifft (vgl. dazu Beschlüsse vom
8. Juli 1988 - BVerwG 4 B 100.88 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 34 S. 4 und
vom 6. Oktober 1997 - BVerwG 11 B 34.97 - juris Rn. 3), kann offen bleiben.
Denn das Oberverwaltungsgericht hat nicht einen Schluss gezogen, der
schlechterdings nicht gezogen werden kann, sondern versteht den Begriff des
Baulandentzugs anders als die Antragstellerin. Das Gericht meint erkennbar
den direkten Zugriff auf Bauland, nicht Einschränkungen der baulichen Nutz-
barkeit des Grundstücks. Das hält sich mindestens im Rahmen des Vertretba-
ren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
Dr. Decker
Dr. Külpmann
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 30 000 €
festgesetzt.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
Dr. Decker
Dr. Külpmann
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Bauplanungsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
BauGB
§ 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1, § 4a Abs. 3 Satz 1 und 2
§ 9 Abs. 7
Plan-UP-RL Art. 3, Art. 6
Stichworte:
Bebauungsplan; öffentliche Auslegung; ortsübliche Bekanntmachung; Arten
verfügbarer umweltbezogener Informationen; erneute Bekanntmachung; Be-
schränkung der Stellungnahmen; teleologische Reduktion; inhaltliche Be-
stimmtheit von Bebauungsplänen; Grundsatz der Normenklarheit; berichtigende
Auslegung; Abwägung; Gebot der Konfliktbewältigung.
Leitsatz:
Wird in der erneuten Bekanntmachung der erneuten Auslegung eines geänder-
ten oder ergänzten Entwurfs eines Bebauungsplans bestimmt, dass Stellung-
nahmen nur zu den geänderten oder ergänzten Teilen abgegeben werden kön-
nen, braucht in der Bekanntmachung nur auf die Arten umweltbezogener Infor-
mationen hingewiesen zu werden, die zu den geänderten oder ergänzten Teilen
des Planentwurfs verfügbar sind.
Urteil des 4. Senats vom 7. Mai 2014 - BVerwG 4 CN 5.13
OVG Hamburg vom 10.04.2013 - Az.: OVG 2 E 14/11.N -