Urteil des BVerwG vom 14.06.2012

Beginn der Frist, Berechnung der Frist, Bekanntmachung, Ablauf der Frist

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 CN 5.10
OVG 2 E 7/07.N
Verkündet
am 14. Juni 2012
von Förster, Hauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Dr. Bumke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz
für Recht erkannt:
Die Revision des Antragstellers gegen das Urteil des
Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. Juni
2010 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Revisionsverfah-
rens.
G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die Verordnung über den Bebauungsplan
Volksdorf 43 der Antragsgegnerin.
Der angegriffene Bebauungsplan umfasst ein mehr als 1,2 Mio. m² großes be-
bautes Gebiet in Hamburg, das zuvor durch einen Baustufenplan überplant war.
Er verfolgt das Ziel, die gewachsene städtebauliche Struktur des Ortsteils zu
erhalten und Fehlentwicklungen zu verhindern. In Anlehnung an den Bestand
setzt er zum ganz überwiegenden Teil ein- und zweigeschossige reine Wohn-
gebiete mit offener Bauweise und der Beschränkung auf Einzel- und Doppel-
häuser fest.
Das im Geltungsbereich des Bebauungsplans liegende ca. 3 000 m² große
Grundstück des Antragstellers ist in der nördlichen Hälfte mit einem einge-
schossigen Wohnhaus mit einer Grundfläche von etwa 200 m² bebaut. Die süd-
liche Hälfte ist unbebaut und liegt im Geltungsbereich einer Landschaftsschutz-
verordnung. Das Grundstück grenzt auf der der Straße abgewandten östlichen
Seite an einen überörtlichen Grünzug, durch den die Gussau-Niederung ver-
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läuft. Der angegriffene Bebauungsplan weist die nördliche Hälfte des Grund-
stücks als reines Wohngebiet mit eingeschossiger offener Bauweise aus, lässt
nur Einzelhäuser zu, beschränkt die Grundfläche je Baugrundstück auf 150 m²
und setzt eine vordere und eine hintere Baugrenze fest. Auf der rund 1 400 m²
großen südlichen Hälfte des Grundstücks setzt der Plan eine private Grünfläche
fest.
Die Verordnung wurde nach Beschlussfassung durch die Bezirksversammlung
und Genehmigung durch die zuständige Senatsbehörde vom Leiter des Be-
zirksamts Wandsbek am 5. September 2005 festgestellt und im Hamburgischen
Gesetz- und Verordnungsblatt vom 13. September 2005 bekannt gemacht. Die
Bekanntmachung enthält in § 1 Abs. 3 Nr. 3 den Hinweis, dass die dort im Ein-
zelnen bezeichneten Mängel „unbeachtlich sind, wenn sie nicht innerhalb von
zwei Jahren seit dem In-Kraft-Treten des Bebauungsplans schriftlich gegenüber
dem örtlich zuständigen Bezirksamt unter Darlegung des die Verletzung be-
gründenden Sachverhalts geltend gemacht worden sind“.
Den am 12. September 2007 gestellten Normenkontrollantrag, der der Antrags-
gegnerin am 17. September 2007 zugegangen ist, hat der Antragsteller im We-
sentlichen mit einer Verletzung des Abwägungsgebots begründet. Sein Interes-
se an einer intensiveren Bebauung seines Grundstücks sei nicht ausreichend
berücksichtigt worden. Die Festsetzung einer Grundfläche von 150 m² für das
3 000 m² große Grundstück sei angesichts der Bebauung auf den Nachbar-
grundstücken nicht nachvollziehbar. Auch die Ausweisung einer privaten Grün-
fläche auf seinem Grundstück sei nicht gerechtfertigt.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag abgewiesen (BauR
2010, 2064). Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Festsetzung der Größe
der Grundflächen je Baugrundstück beruhe auf § 16 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2
BauNVO, wonach die zulässige Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen
auf das jeweilige Baugrundstück bezogen werden dürfe. Entgegen der Auffas-
sung des Antragstellers habe eine Abwägung seiner privaten Interessen an ei-
ner weitergehenden baulichen Nutzung seines Grundstücks mit den öffentlichen
Interessen an der Beschränkung der Größe der Grundfläche und an der Aus-
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weisung einer privaten Grünfläche stattgefunden. Ob der Antragsgegnerin die
vom Antragsteller geltend gemachten Fehler bei der Ermittlung oder Bewertung
der von der Planung berührten Belange oder im Abwägungsvorgang unterlau-
fen seien, könne dahinstehen. Denn selbst wenn solche Fehler vorliegen sollten
und rechtlich erheblich wären, hätten sie nicht die Unwirksamkeit des Bebau-
ungsplans zur Folge, da sie nicht innerhalb von zwei Jahren seit Bekanntma-
chung der Satzung bzw. hier der Rechtsverordnung schriftlich gegenüber der
Gemeinde unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts
geltend gemacht worden seien. Der Umstand, dass der Heilungshinweis - bei
im Übrigen zutreffender Belehrung über die Dauer der Frist - auf das Inkrafttre-
ten des Plans abstelle, führe zu einer Abweichung von der Vorgabe des § 215
Abs. 1 BauGB, da sich der Beginn der Frist und damit auch ihr Ablauf um einen
Tag nach hinten verschiebe. Eine bundesgesetzliche Ermächtigung für diese
Abweichung, die nicht nur den vorliegenden Fall betreffe, sondern einer von der
Antragsgegnerin ständig geübten Praxis entspreche, sei nicht ersichtlich. Ein
fehlerhafter Hinweis auf die Rügevoraussetzungen des § 215 Abs. 1 BauGB
habe jedoch nicht schon dessen Unwirksamkeit zur Folge. Die hier in Rede ste-
hende Unrichtigkeit sei mit einer Fallgestaltung vergleichbar, die auch im An-
wendungsbereich des § 58 VwGO das Anlaufen einer Rechtsbehelfsfrist nicht
hindere. Werde fälschlicherweise eine zu lange Heilungsfrist angegeben, so
gelte anstelle der gesetzlich vorgegebenen die angegebene längere Frist. Diese
sei jedoch ebenfalls nicht eingehalten worden. Es lägen auch keine Mängel im
Abwägungsergebnis vor. Bei der Abwägung sei die objektive Gewichtigkeit der
betroffenen Belange nicht völlig verfehlt worden.
Der Antragsteller hat die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision
eingelegt. Zur Begründung führt er aus: Bei der Festsetzung der Größe der
Grundflächen der baulichen Anlagen handele es sich um eine ausschließlich
anlagenbezogene Festsetzungsmöglichkeit; eine Ausweisung „je Baugrund-
stück“ sei nicht zulässig. Der Hinweis in § 1 Abs. 3 Nr. 3 der Verordnung genü-
ge nicht den Anforderungen des § 215 Abs. 2 BauGB. Die Angabe, dass Rügen
bei dem „örtlich zuständigen Bezirksamt“ zu erheben seien, sei unzureichend.
Fehlerhaft sei ferner die Formulierung, dass die Rügefrist mit dem „Inkrafttreten“
des Bebauungsplans zu laufen beginne. Daher könnten beachtliche Mängel des
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Plans ohne zeitliche Beschränkung geltend gemacht werden. An derartigen
Mängeln leide der Plan.
II
Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht im
Einklang mit Bundesrecht. Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon
ausgegangen, dass die Festsetzung einer Grundfläche der baulichen Anlagen
„je Baugrundstück“ von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist (1.). Der Be-
bauungsplan ist auch nicht wegen eines Abwägungsmangels unwirksam (2.).
1. Ohne Verstoß gegen Bundesrecht geht das Oberverwaltungsgericht davon
aus, dass die Festsetzung einer Grundfläche der baulichen Anlagen „je Bau-
grundstück“ von der Ermächtigungsgrundlage in § 16 Abs. 2 BauNVO gedeckt
ist. Der entgegenstehenden Auffassung des Antragstellers, nur eine anlagen-
bezogene Festsetzung stehe mit der Baunutzungsverordnung im Einklang, ist
nicht zu folgen.
Nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO kann das Maß der baulichen Nutzung entwe-
der durch die Grundflächenzahl oder die Größe der Grundflächen der baulichen
Anlagen bestimmt werden. Die durch eine absolute Quadratmeterzahl bestimm-
te Größe der Grundflächen ist nicht ausschließlich anlagenbezogen zu verste-
hen. § 16 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO erlaubt auch eine grundstücksbezogene Fest-
setzung, die je Baugrundstück eine bestimmte Größe - hier 150 m² - der Grund-
flächen der baulichen Anlagen zulässt. Dies verdeutlicht § 16 Abs. 5 BauNVO,
der auf einzelne Grundstücke und Grundstücksteile Bezug nimmt. Auch Sinn
und Zweck des § 16 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO bestätigen, dass das Baugrundstück,
nicht seine Größe, einen zulässigen Bezugsrahmen darstellen kann. Mit der
Größe der Grundflächen wird ein absolutes Maß festgesetzt, das nicht von der
Größe des Baugrundstücks abhängig ist. Damit kann besser erreicht werden,
dass auch bei größeren Grundstücken nur kleinere Baukörper zulässig sind, als
dies etwa bei der Festsetzung der Grundflächenzahl der Fall wäre. Zielsetzung
ist, eine übermäßige Nutzung zugunsten des Bodenschutzes zu vermeiden (Ur-
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teil vom 21. Oktober 2004 - BVerwG 4 C 3.04 - BVerwGE 122, 117 <124>).
Folgerichtig begrenzt die Festsetzung einer Größe der Grundflächen der bauli-
chen Anlagen die Fläche auf einem Baugrundstück, die mit derartigen Anlagen
überbaut werden darf. Unter welchen Voraussetzungen auch eine Festsetzung
erfolgen kann, durch die die Größe der Grundflächen jeweils für mehrere bauli-
che Anlagen auf einem Baugrundstück unabhängig voneinander festgesetzt
wird, beispielsweise in Verbindung mit der Ausweisung mehrerer Baufenster,
bedarf in diesem Verfahren keiner Entscheidung.
Soweit der Antragsteller vorträgt, die Festsetzung der Grundfläche sei nicht ge-
eignet, das von der Antragsgegnerin angestrebte Ziel zu erreichen, stellt er das
Vorliegen einer Ermächtigungsgrundlage nicht in Frage. In der Sache rügt er
damit einen Fehler im Abwägungsvorgang, der indes unbeachtlich geworden ist
(unten 2.). Davon abgesehen stützt sich die Revisionsbegründung in diesem
Zusammenhang in weitem Umfang auf Sachverhalte, die das Normenkontroll-
gericht nicht festgestellt hat.
2. Der Bebauungsplan ist nicht wegen eines Abwägungsmangels unwirksam.
2.1 Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, es kön-
ne dahinstehen, ob der Antragsgegnerin die geltend gemachten Fehler bei der
Ermittlung oder Bewertung der von der Planung berührten Belange oder im
Abwägungsvorgang unterlaufen sind. Selbst wenn solche Fehler vorliegen soll-
ten und erheblich wären, hätten sie nicht die Unwirksamkeit des Bebauungs-
plans zur Folge. Denn mögliche Mängel sind unbeachtlich geworden, weil sie
nicht innerhalb von zwei Jahren seit Bekanntmachung des Bebauungsplans
schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind.
Nach § 215 Abs. 1 des hier noch anwendbaren BauGB 2004 (vgl. § 233 Abs. 2
Satz 3 BauGB) werden die nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB beachtlichen Ver-
fahrensfehler sowie Mängel des Abwägungsvorgangs unbeachtlich, wenn sie
nicht innerhalb von zwei Jahren seit Bekanntmachung der Satzung schriftlich
gegenüber der Gemeinde unter Darlegung des die Verletzung begründenden
Sachverhalts geltend gemacht worden sind. Voraussetzung für die Wirkung der
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zweijährigen (jetzt einjährigen) Rügefrist ist gemäß § 215 Abs. 2 BauGB, dass
bei Inkraftsetzung des Bebauungsplans auf die Voraussetzungen für die Gel-
tendmachung der Verletzung von Vorschriften sowie auf die Rechtsfolgen hin-
gewiesen worden ist (vgl. Beschluss vom 31. Oktober 1989 - BVerwG 4 NB
7.89 - Buchholz 406.11 § 2a BBauG Nr. 11 zu § 155a BBauG 1979).
Eine derartige Belehrung darf allerdings keinen irreführenden Zusatz haben und
darf insbesondere nicht geeignet sein, einen Betroffenen vom rechtzeitigen Gel-
tendmachen von Mängeln abzuhalten. Ein Hinweis, der geeignet ist, beim Be-
troffenen einen rechtserheblichen Irrtum hervorzurufen und ihn davon abzuhal-
ten, gegenüber der Gemeinde einen die Verletzung der in § 215 Abs. 1 BauGB
genannten Vorschriften begründenden Sachverhalt geltend zu machen, löst die
Unbeachtlichkeit nicht aus (vgl. Urteile vom 27. Oktober 2010 - BVerwG 4 CN
4.09 - BVerwGE 138, 84 zu § 47 Abs. 2a VwGO und vom 21. März 2002
- BVerwG 4 C 2.01 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 83 zum Vertretungszwang).
Solche Umstände liegen hier nicht vor.
2.1.1 Die im Hinweis verwendete Formulierung „Unbeachtlich sind …“ ist nicht
geeignet, einen Betroffenen davon abzuhalten, Mängel geltend zu machen.
Zwar wird damit ein Wortlaut verwendet, den der Gesetzgeber im Änderungs-
gesetz vom 18. August 1997 (BGBl I S. 2081) ersetzt hat; nunmehr ist in § 215
BauGB von „Unbeachtlich werden …“ die Rede. Mit der Novellierung sollte
klargestellt werden, dass die Unwirksamkeit erst nach Ablauf der Frist eintritt
und die Verwaltungsgerichte bis zum Ablauf der Rügefrist unabhängig vom Vor-
liegen einer Rüge zu prüfen haben, ob die in der Vorschrift genannten Fehler
vorliegen (vgl. den Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und
Städtebau vom 6. Mai 1997, BTDrucks 13/7589, S. 30 f.). Damit betrifft der Un-
terschied zwischen den Formulierungen lediglich die Rechtsfolge einer unter-
lassenen Rüge bis zum Ablauf der Rügefrist und ist nicht geeignet, einen Be-
troffenen von der Erhebung von Rügen abzuhalten. Darüber, dass er Mängel
gegenüber der Gemeinde innerhalb der Frist geltend machen muss, wird er
auch bei Verwendung der Formulierung „Unbeachtlich sind …“ nicht im Zweifel
gelassen. Dagegen ist es nicht Aufgabe einer derartigen Belehrung, die Betrof-
fenen darüber zu informieren, welche Rechtsfolgen eine unterlassene Rüge in
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jeder prozessualen Hinsicht hat (vgl. Urteil vom 27. Oktober 2010 a.a.O.
Rn. 16).
2.1.2 Ebenfalls zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht dargelegt, dass auch
die Formulierung, die Mängel seien „gegenüber dem örtlich zuständigen Be-
zirksamt“ geltend zu machen, die Wirksamkeit der Belehrung nicht in Frage
stellt. Denn der Veröffentlichung im Hamburger Gesetz- und Verordnungsblatt
ist deutlich zu entnehmen, dass der Bebauungsplan einen Geltungsbereich im
Bezirk Wandsbek betrifft (§ 1 Abs. 1); sie lässt ferner am Ende das Bezirksamt
Wandsbek als Normgeber erkennen. Das Gesetz geht ferner davon aus, dass
ein Betroffener bereits beim zuständigen Bezirksamt Stellungnahmen abgege-
ben hat (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB), wie es vorliegend auch der Antragsteller
getan hat. Die Stelle, bei der er Rügen zu erheben hat, ist ihm also vertraut. Mit
der Situation, in der der Betroffene sich an eine andere Stelle (Widerspruchs-
behörde, Gericht etc.) zu wenden hat, ist die Verfahrenslage nicht zu verglei-
chen. Die genaue postalische Anschrift ist nicht erforderlich; sie ist, soweit nicht
ohnehin bekannt, unschwer zu ermitteln.
2.1.3 Zu Recht geht das Oberverwaltungsgericht davon aus, dass der Hinweis
insoweit unrichtig ist, als er die Formulierung „… wenn sie nicht innerhalb von
zwei Jahren seit dem des Bebauungsplans schriftlich … geltend
gemacht worden sind“ verwendet, während § 215 BauGB nicht auf das Inkraft-
treten sondern die eines Bebauungsplans abstellt (1). Dies
ändert im Ergebnis jedoch nichts daran, dass vorliegend die Frist versäumt wor-
den ist (2).
(1) Die Anknüpfung an das Inkrafttreten der Satzung ist mit § 215 Abs. 1
BauGB nicht vereinbar. Die ständige Praxis der Antragsgegnerin bei der Abfas-
sung des Heilungshinweises ist nicht von § 246 Abs. 2 BauGB gedeckt und wi-
derspricht den Vorgaben des § 215 Abs. 1 BauGB.
Zwar darf die Freie und Hansestadt Hamburg, die die den Flächenstaaten eige-
ne Trennung von Gemeinden und Ländern nicht kennt, gemäß § 246 Abs. 2
Satz 1 BauGB eine von § 10 Abs. 1 BauGB abweichende Regelung zur Rechts-
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form des Bebauungsplans treffen und gemäß § 246 Abs. 2 Satz 3 BauGB ab-
weichend von § 10 Abs. 3 Satz 4 BauGB den Zeitpunkt des Inkrafttretens re-
geln. Von dieser Ermächtigung hat die Antragsgegnerin Gebrauch gemacht und
gemäß § 3 des Gesetzes über die Feststellung von Bauleitplänen und ihre Si-
cherung - Bauleitplanfeststellungsgesetz - festgelegt, dass Bebauungspläne als
Rechtsverordnung bzw. Gesetz erlassen werden und im Hamburgischen Ge-
setz- und Verordnungsblatt verkündet werden. Von § 246 Abs. 2 Satz 3 BauGB
gedeckt ist auch der Umstand, dass ein als Rechtsverordnung bzw. Gesetz er-
lassener Bebauungsplan in Hamburg abweichend von § 10 Abs. 3 Satz 4
BauGB nicht am Tage der Verkündung, sondern gemäß Art. 54 der Verfassung
der Freien und Hansestadt Hamburg mit dem auf die Ausgabe des Hamburgi-
schen Gesetz- und Verordnungsblattes folgenden Tage in Kraft tritt.
§ 246 Abs. 2 BauGB erlaubt aber keine Abweichung von den Vorgaben des
§ 215 Abs. 1 BauGB. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 246
BauGB, der § 215 BauGB nicht nennt. Auch der Umstand, dass nach der in
Hamburg geltenden Rechtslage die Bekanntmachung und das Inkrafttreten ei-
nes Bebauungsplans auseinanderfallen, berechtigt nicht zu einer Abweichung
von § 215 Abs. 1 BauGB. Die Antragsgegnerin ist nach § 246 Abs. 2 BauGB
nur in der Form der „Bekanntmachung“ ihrer Bebauungspläne frei. An die Vor-
gaben des § 215 Abs. 1 BauGB ist sie dagegen gebunden. Maßgeblich für den
Beginn der in § 215 Abs. 1 BauGB normierten Ereignisfrist ist der Akt der Veröf-
fentlichung des Bebauungsplans. Die (ortsübliche) Bekanntmachung nach § 10
Abs. 3 BauGB ist eine Form der Veröffentlichung. Das zeigt auch § 10 Abs. 3
Satz 5 BauGB, der bestimmt, dass die Bekanntmachung an die Stelle der sonst
für Satzungen vorgeschriebenen Veröffentlichung tritt. Das ist das entscheiden-
de Ereignis, an das der Beginn der Frist nach § 215 Abs. 1 BauGB anknüpft.
Dieser Anknüpfungspunkt gilt bundeseinheitlich ungeachtet der Rechtsnorm, in
der ein Bebauungsplan erlassen wird, und ist einer landesrechtlichen Modifika-
tion nicht zugänglich. Dementsprechend tritt in Hamburg die Verkündung als
vorgeschriebene Form der Veröffentlichung an die Stelle der (ortsüblichen) Be-
kanntmachung. Auf das Inkrafttreten eines Bebauungsplans kommt es im Rah-
men des § 215 Abs. 1 BauGB nicht an. Insofern wäre ein Hinweis, der statt ge-
mäß § 215 Abs. 2 i.V.m. § 10 Abs. 3 BauGB die Formulierung „Bekanntma-
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chung“ zu verwenden, im Hinblick auf das Hamburgische Recht auf die Verkün-
dung (im Hamburgischen Gesetz- und Verordnungsblatt) Bezug nimmt, unbe-
denklich, da es sich jeweils um den Vorgang der Veröffentlichung handelt.
(2) Die unrichtige Bezugnahme auf das Inkrafttreten des Bebauungsplans im
Hinweis nach § 215 Abs. 2 BauGB ändert im Ergebnis jedoch nichts daran,
dass vorliegend die Frist für das Geltendmachen von Mängeln des Abwägungs-
vorgangs versäumt worden ist. Der Fehler ist nicht geeignet, einen von den
Festsetzungen des Bebauungsplans Betroffenen davon abzuhalten, innerhalb
der im Hinweis angegebenen Frist von zwei Jahren Verstöße i.S.d. § 215
Abs. 1 BauGB zu rügen.
Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die Bezugnahme auf den Zeitpunkt des
Inkrafttretens als Beginn der Frist nicht zu einem anderen Fristende führt, als
dies bei dem richtigen Verweis auf die Bekanntmachung der Fall wäre. Denn
wenn - richtigerweise - auf die Bekanntmachung bzw. Verkündung am
13. September 2005 abgestellt wird, beginnt die Frist am 14. September 2005
und endet am 13. September 2007. Aber auch wenn das Inkrafttreten maßgeb-
lich wäre, würde die Frist am 14. September 2005 (0:00 Uhr) beginnen und am
13. September 2007 enden. Dies folgt aus § 31 Abs. 1 HmbVwVfG i.V.m.
§§ 187, 188 BGB. Gemäß § 187 Abs. 1 BGB wird bei der Berechnung der Frist,
wenn für den Anfang einer Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf eines Tages
fallender Zeitpunkt maßgebend ist, der Tag nicht mitgerechnet, in welchen das
Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Diese Vorschrift ist auf die Frist des § 215
Abs. 1 BauGB 2004 anwendbar, d.h. der Tag der Bekanntmachung zählt nicht
mit (ebenso Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand:
100. Lfg. 2011, § 215 Rn. 37). Die Frist endet dann gemäß § 188 Abs. 2
Halbs. 1 BGB am 13. September 2007, nämlich „mit dem Ablauf desjenigen
Tages (…), welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage ent-
spricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt.“
Wenn man demgegenüber entsprechend dem Hinweis der Antragsgegnerin auf
das Inkrafttreten des Bebauungsplans abstellt, ist § 187 Abs. 2 BGB einschlä-
gig. Danach wird, wenn der Beginn eines Tages der für den Anfang einer Frist
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maßgebende Zeitpunkt ist, dieser Tag bei der Berechnung der Frist mitgerech-
net. Wenn eine Verordnung am Tag nach ihrer Verkündung in Kraft tritt und die
Frist ab dem Inkrafttreten berechnet wird, ist der Beginn dieses Tages der für
den Anfang der Frist maßgebliche Zeitpunkt. Davon geht auch die Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts zur Berechnung der Jahresfrist gemäß
§ 93 Abs. 3 BVerfGG aus (Urteil vom 22. November 2000 - 1 BvR 2307/94 -
BVerfGE 102, 254 <295 f.>; Beschluss vom 10. April 2007 - 2 BvR 2228/05 -
juris). Da der Bebauungsplan mit dem Beginn des 14. September 2005 in Kraft
getreten ist, beginnt an diesem Tag die Frist. Sie endet gemäß § 188 Abs. 2
Halbs. 2 BGB mit Ablauf desjenigen Tages, welcher dem Tage vorhergeht, der
durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht.
Das ist somit - anders als es das Oberverwaltungsgericht angenommen hat -
ebenfalls der 13. September 2007.
Daraus folgt, dass der Antragsteller durch den im Gesetz- und Verordnungsblatt
veröffentlichten Hinweis nach § 215 Abs. 2 BauGB nicht in die Irre geführt wor-
den ist. Darüber, dass er Mängel des Abwägungsvorgangs innerhalb von zwei
Jahren schriftlich unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachver-
halts geltend zu machen hat, um die Folge ihrer Unbeachtlichkeit zu vermeiden,
konnte kein Zweifel aufkommen. Aber auch hinsichtlich der Frist, nach deren
Ablauf Rügen nicht mehr rechtzeitig sind, konnte kein Irrtum entstehen. Denn
wie dargestellt endet die Frist unabhängig davon, ob man auf die Bekanntma-
chung oder auf das Inkrafttreten abstellt, jeweils mit Ablauf desselben Tages,
nämlich dem 13. September 2007.
Der Antragsteller hat die Frist des § 215 Abs. 1 BauGB aber auch dann nicht
eingehalten, wenn zu seinen Gunsten angenommen wird, er sei durch den feh-
lerhaften Anknüpfungspunkt im Hinweis der Antragsgegnerin bei der Fristbe-
rechnung im Hinblick auf das Fristende in die Irre geführt worden. Denn in die-
sem Fall wäre lediglich davon auszugehen, dass sich die Frist um einen Tag
verlängert hätte. Damit wird der sich lediglich auf die Fristberechnung auswir-
kende Fehler in einem im Übrigen richtigen Hinweis angemessen ausgeglichen.
Die Auffassung des Antragstellers, der Hinweis sei insgesamt unwirksam, wür-
de den Fall eines auf die Folgefrage der Fristberechnung beschränkten Irrtums
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beim Leser mit dem Fall eines vollständig unterlassenen oder unbrauchbaren
Hinweises gleichstellen. Für eine derart überschießende Sanktion besteht keine
Veranlassung (vgl. auch Lemmel, in: Berliner Kommentar, § 215 BauGB Rn. 4;
für Rechtsmittelbelehrungen Urteil vom 10. November 1966 - BVerwG 2 C
99.64 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 8; Meissner, in: Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, § 58 VwGO Rn. 31; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, § 58 VwGO
Rn. 69).
Auch wenn man somit davon ausginge, dass die Rügefrist am 14. September
2007 endete, hat der Antragsteller sie nicht eingehalten. Zwar kann eine der-
artige Rüge auch im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens gegenüber der
Gemeinde geltend gemacht werden. Die Frist wird jedoch nur dann gewahrt,
wenn das Vorbringen rechtzeitig eingegangen ist. Dies ist
vorliegend nicht der Fall. Hierfür genügt der Eingang bei Gericht nicht (VGH
München, Urteil vom 19. Juni 2009 - 1 N 07.1552 - BRS 74 Nr. 41 Rn. 33; VGH
Mannheim, Urteil vom 15. Juli 2008 - 3 S 2772/06 - BRS 73 Nr. 36 = VBlBW
2009, 186). Denn Adressat der Einwendungen ist die Gemeinde, die Gelegen-
heit erhalten soll, in Kenntnis des die Verletzung begründenden Sachverhalts
zu überprüfen, ob eine Heilung des Fehlers erforderlich und geboten ist.
2.2 Zu Recht geht das Oberverwaltungsgericht ferner davon aus, dass der Be-
bauungsplan nicht an Mängeln im Abwägungsergebnis - die von der Unbeacht-
lichkeitsregelung in § 215 Abs. 1 BauGB nicht erfasst werden - leidet. Das Ab-
wägungsergebnis ist nach der Rechtsprechung des Senats nur dann zu bean-
standen, wenn eine fehlerfreie Nachholung der erforderlichen Abwägung
schlechterdings nicht zum selben Ergebnis führen könnte, weil anderenfalls der
Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in
einer Weise vorgenommen würde, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner
Belange außer Verhältnis steht (Urteil vom 22. September 2010 - BVerwG 4 CN
2.10 - BVerwGE 138, 13 Rn. 22). Dies ist hier nicht der Fall.
Hinsichtlich der im südlichen Teil des Grundstücks festgesetzten privaten Grün-
fläche ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass der betroffene Bereich nach den
das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts
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als Außenbereich einzustufen ist, in dem ein Wohngebäude auch ohne den Be-
bauungsplan unzulässig wäre, sowie im Landschaftsschutzgebiet liegt und sich
bei natürlicher Betrachtung als Ausläufer des überörtlichen Grünzugs der Gus-
sau-Niederung darstellt. Auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes im
Verhältnis zu einigen anderen im Landschaftsschutzgebiet liegenden Grundstü-
cken hat das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner tatsächlichen
Feststellungen ohne Verstoß gegen Bundesrecht verneint. Die Festsetzung ei-
nes Grünstreifens an der östlichen zur Gussau-Niederung weisenden Grenze
der Grundstücke östlich der Straße G… erweist sich ebenfalls als nicht unaus-
gewogenes Ergebnis, da sich nach den Feststellungen des Oberverwaltungsge-
richts eine Bebauung dort ihrer Lage nach nicht in die Eigenart der näheren
Umgebung eingefügt hätte und sich in tatsächlicher Hinsicht ohnehin nur eine
gärtnerische Nutzung anbietet.
Die Festsetzung einer Grundfläche von 150 m² je Baugrundstück ist ebenfalls
städtebaulich vertretbar. Die Festsetzung dient dem Zweck, die gewachsene
städtebauliche Struktur des überwiegend durch Einfamilienhäuser mit großzü-
gig begrünten Gärten und fließenden Übergängen zu angrenzenden Waldflä-
chen und Grünzügen geprägten Gebiets zu erhalten, vor dem Eindringen ge-
bietsuntypischer Bebauung, insbesondere in Gestalt von Mehrfamilienhäusern,
zu schützen und den Anteil nicht versiegelter Freiflächen in Anlehnung an die
vorhandene Grünstruktur zu sichern. Zu Recht verweist das Oberverwaltungs-
gericht auf die Möglichkeit, den im Bereich der Wohngebietsausweisung liegen-
den Teil des Grundstücks in zwei Baugrundstücke aufzuteilen, so dass eine
Bebauung mit einer Grundfläche von zusammen 300 m² verwirklicht werden
kann. Damit werden die Eigentümerbelange des Antragstellers nicht unange-
messen hintangestellt.
Die Antragsgegnerin hat ihr abgestuftes Grundflächenkonzept auch konsequent
umgesetzt. Lediglich an der Ostseite des Moorbekwegs hat der Plangeber sein
ursprüngliches Konzept in einem Teilabschnitt verlassen, indem er eine Grund-
fläche von 200 m² je Baugrundstück zugelassen hat. Die Situation dieser
Grundstücke ist nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsge-
richts jedoch durch Besonderheiten geprägt und mit den Grundstücken in der
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Straße G… nicht vergleichbar, so dass eine Verletzung des Gleichheitsgebots
nicht erkennbar ist. Insbesondere grenzen die Grundstücke östlich der Straße
G… mit ihrer Rückseite unmittelbar an den überörtlichen Grünzug, so dass eine
aufgelockerte Bebauung dort besonders wichtig erscheint. Demgegenüber ist
die Situation am Moorbekweg durch die vorhandene rückwärtige Bebauung ge-
prägt. Somit bestehen wesentliche Unterschiede, die, wie das Oberverwal-
tungsgericht zutreffend hervorhebt, eine Ungleichbehandlung rechtfertigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
Dr. Bumke
Petz
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 20 000 €
festgesetzt.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
Dr. Bumke
Petz
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Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Bauplanungsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
BauGB
§ 10, § 215, § 246
BGB
§ 187, § 188
Stichworte:
Bebauungsplan; Festsetzung der Grundfläche; Fehler im Abwägungsvorgang;
Hinweis auf die Unbeachtlichkeit; Irrtum; Fristberechnung; Fehler im Abwä-
gungsergebnis.
Leitsatz:
§ 16 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO erlaubt auch eine grundstücksbezogene Festset-
zung, die je Baugrundstück eine bestimmte Größe der Grundflächen der bauli-
chen Anlagen zulässt.
Ein Heilungshinweis, der als Zeitpunkt für den Lauf der Rügefrist statt der Be-
kanntmachung das Inkrafttreten des Bebauungsplans nennt, ist nicht von § 246
Abs. 2 BauGB gedeckt und widerspricht den Vorgaben des § 215 Abs. 1
BauGB.
Urteil des 4. Senats vom 14. Juni 2012 - BVerwG 4 CN 5.10
I. OVG Hamburg vom 17.06.2010 - Az.: OVG 2 E 7/07.N -