Urteil des BVerwG vom 25.06.2003

Bebauungsplan, Hauptsache, Landschaft, Ermessen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 CN 2.03
VGH 3 S 2486/99
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juni 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e to w und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Das Verfahren wird eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts-
hofs Baden-Württemberg vom 14. September 2000 ist unwirksam.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
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Der Streitwert wird bis zur Erledigung der Hauptsache für das Revisi-
onsverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt
erklärt haben, war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 i.V.m. den §§ 141, 125 Abs. 1
VwGO in entspr. Anwendung) und nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens
zu entscheiden. Vorliegend entspricht es billigem Ermessen, der Antragsgegnerin die Kos-
ten des Verfahrens aufzuerlegen. Denn der Verwaltungsgerichtshof ist in seinem Normen-
kontrollurteil davon ausgegangen, aufgrund des angegriffenen Bebauungsplans sei ein Ein-
griff in Natur und Landschaft aus Rechtsgründen nicht zu erwarten. Nach § 10 Abs. 1
NatSchG Baden-Württemberg kämen nur Vorhaben im Außenbereich als Eingriff in Betracht.
Mit dieser Rechtsauffassung hat der Verwaltungsgerichtshof gegen Bundesrecht verstoßen.
Der Senat hat in seinem (dem Verwaltungsgerichtshof bei Erlass seines Urteils noch nicht
bekannten) Urteil vom 31. August 2000 - BVerwG 4 CN 6.99 - (BVerwGE 112, 41) hierzu
ausgeführt:
Dieser Rechtsauffassung ist nicht zu folgen. Sie beruht auf einer bundesrechtswidrigen
Interpretation des § 10 Abs. 1 NatSchG BW, die seit dem In-Kraft-Treten des Bundes-
naturschutzgesetzes im Jahre 1976 nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Nach
§ 8 Abs. 1 BNatSchG sind Eingriffe in Natur und Landschaft Veränderungen der Ge-
stalt oder Nutzung von Grundflächen, die die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts
oder das Landschaftsbild erheblich oder nachhaltig beeinträchtigen können. Derartige
Veränderungen können auch durch bauliche Anlagen im Innenbereich bewirkt werden.
Dieser bundesrechtliche Eingriffsbegriff ist bei der Auslegung des zeitlich früheren § 10
Abs. 1 NatSchG BW zu beachten. Zwar gehört § 8 Abs. 1 BNatSchG nicht zu den
bundesrechtlichen Vorschriften, die gemäß § 4 Satz 3 BNatSchG unmittelbare Geltung
haben. Gleichwohl darf der landesrechtliche Begriff des Eingriffs nicht von dem des
Rahmengesetzes des Bundes abweichen; unbeschadet der Vorschrift des § 8 Abs. 8
BNatSchG steht der Eingriffsbegriff nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers.
Was als Eingriff in Natur und Landschaft zu gelten hat, kann nämlich im Interesse ei-
nes notwendigen Mindestmaßes an Rechtseinheit in der Bundesrepublik Deutschland
grundsätzlich nur übereinstimmend beantwortet werden.
Für die nunmehr in § 1 a BauGB normierte Eingriffsregelung gilt nichts anderes. Die Revi-
sion hätte den Antragstellern somit jedenfalls zu dem Erfolg verholfen, dass das Normen-
kontrollurteil in seiner tragenden Begründung nicht hätte aufrechterhalten bleiben können.
Die Antragsgegnerin wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Weise unterlegen gewesen,
dass der Bebauungsplan für unwirksam erklärt worden wäre und sie in einem ergänzenden
Verfahren die mit der Eingriffsregelung verbundenen Fragen hätte klären und möglicherwei-
se durch weitere Festsetzungen hätte berücksichtigen müssen. Dabei kann dahingestellt
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bleiben, ob eine derartige Entscheidung bereits im Revisionsverfahren oder nach weiterer
Sachaufklärung durch das Normenkontrollgericht getroffen worden wäre, da die Antrags-
gegnerin in jedem Fall mit den Kosten des Verfahrens belastet worden wäre. Bei der nach
billigem Ermessen zu treffenden Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist auch zu
berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin einer Anregung des Senats folgend ein ergän-
zendes Verfahren durchgeführt und über den Bebauungsplan erneut Beschluss gefasst hat.
Die Antragsgegnerin verweist demgegenüber darauf, vorliegend sei nach § 1 a Abs. 3 Satz 4
BauGB ein Ausgleich nicht erforderlich gewesen. Feststellungen hierzu sind vom
Normenkontrollgericht - auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung folgerichtig - jedoch
nicht getroffen worden. Weitere Nachforschungen zu dieser Frage sind im Verfahren nach
§ 161 Abs. 2 VwGO nicht veranlasst. Somit spricht auch hinsichtlich dieser Frage alles dafür,
dass es ohne die Erledigung in der Hauptsache zu einer gerichtlichen Entscheidung ge-
kommen wäre, nach der der Bebauungsplan für unwirksam erklärt wird, und es Sache der
Antragsgegnerin geblieben wäre, die von ihr zuvor nicht behandelte Problematik zu untersu-
chen und im Anschluss daran gegebenenfalls Planänderungen vorzunehmen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 GKG.
Paetow Rojahn Jannasch