Urteil des BVerwG vom 16.09.2010

Halle, Bestandteil, Parkplatz, Freifläche

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 C 7.10
OVG 1 LB 52/08
Verkündet
am 16. September 2010
Stowasser
Obersekretär
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 16. September 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Jannasch,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz
für Recht erkannt:
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsge-
richts vom 22. Juni 2009 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Niedersächsische Oberverwaltungsge-
richt zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer
Baugenehmigung.
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Die Klägerin betreibt auf dem Hafengelände von Norddeich eine Schiffswerft.
Mit Datum vom 20. Januar 2005 beantragte sie die Erteilung einer Baugeneh-
migung zur Nutzung ihrer Bootslagerhalle als Parkhaus für ca. 250 Kraftfahr-
zeuge in den Sommermonaten und zum Bau von schotterunterlegten Parkplät-
zen für ca. 750 Kraftfahrzeuge auf der ca. 110 m tiefen, zwischen der Bootsla-
gerhalle und dem östlichen Hafenschutzdamm gelegenen, Freifläche. Die ge-
planten Stellplätze sind für die Fahrzeuge von Gästen der Inseln Juist und Nor-
derney vorgesehen, die mit den im Hafen ablegenden Fährschiffen vom Fest-
land übersetzen wollen.
Die am 2. Juni 2005 erhobene Untätigkeitsklage hat das Verwaltungsgericht
abgewiesen, weil das einheitlich nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilende Vor-
haben die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten lasse und deshalb den
öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB beeinträchtige. § 35
BauGB sei maßgeblich, weil nur die Bootslagerhalle, nicht aber die Freifläche
zwischen ihr und dem östlichen Hafenschutzdamm im Innenbereich liege. Der
Damm habe trotz Anstiegs und erhöhter Lage keine topografische Bedeutung in
dem Sinne, dass der im Zusammenhang bebaute Ortsteil bis an ihn heran-
reichen würde.
Das Oberverwaltungsgericht hat die von ihm zugelassene Berufung zurückge-
wiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf
Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Dabei könne offen bleiben, ob der
Hafenschutzdeich geeignet sei, einen Innenbereich vom Außenbereich ab-
zugrenzen; denn das Vorhaben sei weder nach § 34 BauGB noch nach § 35
BauGB genehmigungsfähig.
Beurteile man das Vorhaben nach § 34 BauGB, könne sein Absatz 2 keine
Anwendung finden, weil das Gelände allenfalls als faktisches Hafengebiet ein-
zustufen wäre und sich damit als Sondergebiet im Sinne des § 11 BauNVO dar-
stellen würde. Ein Rückgriff auf § 11 BauNVO im Rahmen des § 34 Abs. 2
BauGB scheide aber aus, weil sich ein derartiges Baugebiet erst durch die
Festsetzungen eines Bebauungsplans näher definieren lasse. Der auf dem Au-
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ßengelände anzulegende Stellplatz sowie die Nutzung der vorhandenen Halle
als Stellplatz in der Sommersaison fügten sich nicht im Sinne des § 34 Abs. 1
BauGB in die Umgebung ein. Da vergleichbare Stellplätze im Hafengebiet nicht
vorhanden seien, überschritte das Vorhaben deutlich den vorhandenen Rah-
men. Zwar befänden sich westlich und nordwestlich des Grundstücks der Klä-
gerin einzeilige Autoabstellplätze/Parkplätze parallel zu den vorhandenen Stra-
ßen im Hafengelände; jedoch sei ein Abstellplatz für Autos in der von der Klä-
gerin geplanten Größe im eigentlichen Hafengebiet nicht vorhanden. Selbst
wenn es im eigentlichen Hafengebiet für das umstrittene Projekt Vorbilder gäbe,
löste es städtebauliche Spannungen aus, deren negative Folgewirkungen nicht
verlässlich auszuschließen seien. Das Vorhaben würde durch seine Vor-
bildwirkung dazu führen, dass für weitere nicht (mit Gebäuden) bebaute
Grundstücke der Wunsch nach einer Einrichtung von Stellplätzen für die Fahr-
zeuge der Feriengäste aufkäme. Zusätzlich werfe die Erschließung eines Stell-
platzes für annähernd 1 000 Fahrzeuge bewältigungsbedürftige Spannungen
auf. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob die Zufahrt zu dem geplanten Park-
platz den zu erwartenden Fahrzeugverkehr aufnehmen könne.
Das Vorhaben der Klägerin sei aber auch nicht genehmigungsfähig, wenn das
Grundstück dem Außenbereich zuzurechnen wäre. Die geplante Stellplatzanla-
ge sei nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert. Sie sei nicht standortge-
bunden, weil sie auch außerhalb des Hafengebiets angelegt werden könne. Das
Vorhaben beeinträchtige öffentliche Belange. Es sei geeignet, eine vorhandene
Splittersiedlung in zu missbilligender Weise zu verfestigen.
Die Nutzung allein der Bootslagerhalle zur Einstellung von Kraftfahrzeugen sei
ebenfalls aus planungsrechtlichen Gründen unzulässig. Wäre die Halle noch
dem Innenbereich zuzuordnen, sei die Nutzung als Stellplatz für nur 250 Kraft-
fahrzeuge nicht mit der vorhandenen Umgebung zu vereinbaren; denn auch
diese gegenüber der Nutzung des gesamten Areals verringerte Nutzung finde in
der Umgebung keine Entsprechung. Maßgeblich sei insoweit, ob die Neuer-
richtung der Halle mit diesem Nutzungszweck planungsrechtlich zulässig wäre.
Das sei sowohl hinsichtlich § 34 BauGB als auch bei Anwendung von § 35
BauGB zu verneinen.
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Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebe-
gehren weiter.
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Berufungsurteil ist mit Bundes-
recht nicht vereinbar. Da die tatrichterlichen Feststellungen nicht ausreichen,
um dem Senat eine abschließende Entscheidung zu ermöglichen, ist die Sache
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsge-
richt zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Die vom Berufungsgericht offen gelassene Frage, ob auf das Vorhaben § 34
oder § 35 BauGB Anwendung findet, kann auf Grund der im angefochtenen
Urteil enthaltenen Feststellungen im Revisionsverfahren nicht entschieden wer-
den.
§ 34 BauGB setzt nach seinem ersten Absatz für seine Anwendbarkeit voraus,
dass die Fläche, auf der ein Vorhaben errichtet werden soll, innerhalb der im
Zusammenhang bebauten Ortsteile liegt. Diese Voraussetzung bestimmt räum-
lich den Umfang des unbeplanten Innenbereichs und dient gleichzeitig dessen
Abgrenzung zum Außenbereich. Nach gesicherter Rechtsprechung reichen Be-
bauungszusammenhänge des unbeplanten Innenbereichs stets so weit, wie die
aufeinander folgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken nach der Ver-
kehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit
vermittelt (vgl. etwa Urteile vom 6. November 1968 - BVerwG 4 C 2.66 -
BVerwGE 31, 20 <21>, vom 1. Dezember 1972 - BVerwG 4 C 6.71 - BVerwGE
41, 227 <233 f.>, vom 19. September 1986 - BVerwG 4 C 15.84 - BVerwGE 75,
34 <36> und vom 22. Juni 1990 - BVerwG 4 C 6.87 - ZfBR 1990, 293; Be-
schluss vom 27. Mai 1988 - BVerwG 4 B 71.88 - Buchholz 406.11 § 34
BBauG/BauGB Nr. 127). Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein
muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach
geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern auf Grund einer umfassen-
den Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu
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entscheiden (Urteile vom 6. Dezember 1967 - BVerwG 4 C 94.66 - BVerwGE
28, 268 <272> und vom 12. Dezember 1990 - BVerwG 4 C 40.87 - BRS 50
Nr. 72 S. 164).
Die Klägerin nimmt für sich in Anspruch, dass § 34 BauGB auf ihr Vorhaben
Anwendung finde. Sie teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass ihre
Bootshalle am Bebauungszusammenhang teilnehme, meint aber, dass der Be-
bauungszusammenhang nicht an der Rück(Nord-Ost)-Seite der Halle ende,
sondern sich bis zum östlichen Hafenschutzdeich erstrecke. Nach dem Beru-
fungsurteil bleibt bereits offen, ob es zutrifft, dass die Bootslagerhalle noch Be-
standteil eines Bebauungszusammenhangs ist. Selbst wenn dies der Fall sein
sollte, könnte der Senat nicht beurteilen, ob dies auch für die sich daran an-
schließende Freifläche gilt, die für die Außenstellplätze vorgesehen ist. Zwar
endet der Bebauungszusammenhang in aller Regel am letzten Baukörper (Ur-
teile vom 22. März 1972 - BVerwG 4 C 121.68 - BRS 25 Nr. 38 und vom
12. Oktober 1973 - BVerwG 4 C 3.72 - BRS 27 Nr. 56; Beschluss vom 12. März
1999 - BVerwG 4 B 112.98 - NVwZ 1999, 763); örtliche Besonderheiten können
es aber rechtfertigen, dem Bebauungszusammenhang noch bis zu einem Ge-
ländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung,
Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut
sind (Urteil vom 12. Dezember 1990 a.a.O.; Beschlüsse vom 20. August 1998
- BVerwG 4 B 79.98 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 191 und vom 17. Janu-
ar 2005 - BVerwG 4 B 3.05 - juris Rn. 7). Um dies zu beurteilen, bedarf es einer
„echten Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts“ durch den Tat-
richter (Urteil vom 6. November 1968 a.a.O.).
2. Auf die ungeklärte Frage, ob das Vorhaben im Innen- oder im Außenbereich
ausgeführt werden soll, käme es für den Ausgang des Verfahrens nicht an,
wenn das Vorhaben entweder nach beiden Vorschriften zulässig oder aber
nach beiden Vorschriften unzulässig sein sollte. Dazu lässt sich jedoch derzeit
Abschließendes ebenfalls nicht sagen.
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a) Das Oberverwaltungsgericht hat für den Fall der Innenbereichslage verneint,
dass das Vorhaben der Klägerin nach § 34 BauGB zulässig ist. Die hierfür an-
gegebenen Gründe halten der revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht stand.
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten
Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen
Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in
die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.
Für den Fall, dass die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete
entspricht, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, ordnet § 34
Abs. 2 BauGB an, dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art
allein danach beurteilt, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet (allgemein
oder ausnahmsweise) zulässig wäre.
aa) Das Oberverwaltungsgericht hat es für möglich gehalten, dass das Bau-
grundstück in einem faktischen Hafengebiet und damit in einem Sondergebiet
im Sinne des § 11 BauNVO liegt, einen Rückgriff auf § 11 BauNVO im Rahmen
des § 34 Abs. 2 BauGB aber aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Dem ist bei-
zupflichten. Im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB „bezeichnet“ sind Baugebiete
nicht schon dann, wenn sie in der Baunutzungsverordnung namentlich genannt
sind. Da § 34 Abs. 2 BauGB auf der Rechtsfolgenseite „allein“ auf die nach der
Baunutzungsverordnung zulässigen Arten der baulichen Nutzung verweist,
können zu den bezeichneten Baugebieten im Sinne des Tatbestandes auch nur
diejenigen Baugebiete gehören, für die die Baunutzungsverordnung die zuläs-
sige Art der baulichen Nutzung selbst regelt. Sondergebiete nach § 11 BauNVO
gehören dazu nicht. Die Vorschrift trifft die Entscheidung, welche Anlagen all-
gemein zulässig, unzulässig oder ausnahmsweise zulassungsfähig sind, nicht
selbst, sondern verlangt sie nach ihrem Absatz 2 Satz 1 vom Planungsträger.
Dies gilt auch für die in Absatz 2 Satz 2 aufgelisteten Sondergebiete und na-
mentlich die Hafengebiete (Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 52.87 - BRS
49 Nr. 15 S. 32). Ob es rechtlich zulässig wäre, faktische Sondergebiete für
Einkaufszentren und den großflächigen Einzelhandel anzuerkennen (vgl. dazu
Urteil vom 11. Februar 1993 - BVerwG 4 C 15.92 - BRS 55 Nr. 174 S. 479 f.;
bejahend OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. März 2008 - OVG 2 S
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116.07 - BRS 73 Nr. 83 S. 420 ), bedarf hier keiner Ent-
scheidung.
bb) Die Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens nach der Art der baulichen
Nutzung hat das Oberverwaltungsgericht deshalb zu Recht nach § 34 Abs. 1
Satz 1 BauGB beurteilt. Es hat kumulativ begründet, dass sich das Vorhaben
nach der Art der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umge-
bung einfügt. Das Vorhaben sei - erstens - ohne Vorbild, weil die im „eigentli-
chen“ Hafengebiet bereits vorhandenen Parkplätze nach ihrer räumlichen Aus-
dehnung (einzeilig entlang den bestehenden Straßen) mit ihm nicht vergleichbar
seien. Es überschritte daher den aus der Umgebungsbebauung ableitbaren
Rahmen. Selbst wenn es - zweitens - im eigentlichen Hafengebiet Vorbilder
gäbe, das Vorhaben mithin den Rahmen einhielte, fügte es sich nicht ein, weil
es geeignet sei, städtebaulich relevante Spannungen auszulösen. Beide Be-
gründungselemente stehen mit der Rechtslage nicht im Einklang.
(1) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht angenom-
men, dass sich ein Vorhaben in der Regel in die Eigenart der näheren Umge-
bung einfügt, wenn es sich innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehen-
den Rahmens hält (Urteil vom 26. Mai 1978 - BVerwG 4 C 9.77 - BVerwGE 55,
369 <385>; stRspr). Als richtig unterstellt werden mag auch seine Ansicht, dass
die geplante Nutzungsart in der maßgeblichen Umgebung bereits verwirklicht
sein muss (vgl. dazu Urteil vom 3. April 1987 - BVerwG 4 C 41.84 - BRS 47
Nr. 63). Nicht berücksichtigt hat es jedoch, dass bei der Frage, ob ein Vorhaben
nach der Art der baulichen Nutzung den Rahmen der Umgebungsbebauung
einhält, von der Typisierung von Nutzungen in der Baunutzungsverordnung als
einer insoweit sachverständigen Konkretisierung allgemeiner städtebaulicher
Grundsätze auszugehen (Urteile vom 3. Februar 1984 - BVerwG 4 C 25.82 -
BVerwGE 68, 360 <368> und vom 19. September 1986 a.a.O. S. 42) und somit
auf die Vorschriften des ersten Abschnitts (§§ 1 bis 15) der Baunutzungsver-
ordnung als Auslegungs- oder Orientierungshilfe zurückzugreifen ist (so schon
Urteil vom 23. April 1969 - BVerwG 4 C 12.67 - BVerwGE 32, 31 <36>). Auf
diesem Versäumnis beruht sein Irrtum, dass das umstrittene Vorhaben mit den
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vorhandenen Stellplätzen im „eigentlichen“ Hafengebiet nach der Art der bauli-
chen Nutzung nicht vergleichbar ist.
Die Zulässigkeit von Stellplätzen und den ihnen gleich gestellten Garagen, zu
denen auch Parkhäuser zu zählen sind (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/
Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2010, § 12 BauNVO Rn. 33), regelt § 12
BauNVO.
Nach § 12 Abs. 1 BauNVO sind Stellplätze und Garagen in allen Baugebieten
zulässig, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 6 nichts anderes ergibt. Nach § 12
Abs. 6 BauNVO ist es zwar zulässig, Stellplätze und Garagen dem Umfang
nach zu beschränken. Dies ist allerdings nur durch eine entsprechende Fest-
setzung in einem Bebauungsplan möglich. Das vom Oberverwaltungsgericht
gewählte Differenzierungskriterium der unterschiedlichen räumlichen Ausdeh-
nung (Anordnung und Größe) von Stellplatzanlagen (UA S. 8 f.) ist ansonsten in
§ 12 BauNVO nicht angelegt und kann bei der Prüfung des § 34 Abs. 1 BauGB,
soweit es um die Art der Nutzung geht, nicht herangezogen werden. § 12
Abs. 2 BauNVO ordnet an, dass Stellplätze und Garagen in Kleinsied-
lungsgebieten, reinen Wohngebieten und allgemeinen Wohngebieten sowie
Sondergebieten, die der Erholung dienen, nur für den durch die zugelassene
Nutzung verursachten Bedarf zulässig sind. Stellplätze und Garagen für einen
darüber hinausgehenden, außerhalb des Baugebiets ausgelösten Bedarf sind
allein in den übrigen, nicht in § 12 Abs. 2 genannten Gebieten zulässig. In die-
sen Gebieten erlaubt § 12 Abs. 1 BauNVO nicht nur Einstellplätze, die als Ne-
benanlagen einer Hauptnutzung zugeordnet sind, wie beispielsweise Kunden-
parkplätze für einen Gewerbebetrieb, sondern auch solche, die keine funktiona-
le Zuordnung zu einer Hauptnutzung aufweisen. Darunter fallen gewerblich be-
triebene Einstellplätze, die - wie vorliegend geplant - außerhalb öffentlicher
Verkehrsflächen errichtet und Dritten gegen Entgelt zur Verfügung gestellt wer-
den sollen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 18. Mai 2000 - 7 A 1155/99 - BRS 63
Nr. 89; Stock, a.a.O. Rn. 35). Der Grundsatz des § 12 Abs. 1 BauNVO und die
Einschränkung des § 12 Abs. 2 BauNVO knüpfen an die unterschiedliche Stör-
empfindlichkeit und Schutzbedürftigkeit von Baugebieten, die vorwiegend dem
Wohnen und der Erholung dienen, und den übrigen Baugebieten an. Zur Be-
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wahrung des gebietstypischen Immissionsniveaus sollen in den Baugebieten,
die in § 12 Abs. 2 BauNVO genannt sind, die mit dem Kraftfahrzeugverkehr
unvermeidlich einhergehenden Störungen auf das Maß begrenzt werden, das
sich aus dem Bedarf der im Gebiet zugelassenen Nutzungen ergibt (Urteile vom
1. November 1974 - BVerwG 4 C 38.71 - BVerwGE 47, 144 <150> und vom
7. Dezember 2006 - BVerwG 4 C 11.05 - BVerwGE 127, 231 <233 f.>). Für
§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gibt die Systematik des § 12 Abs. 1 und 2 BauNVO
deshalb nichts her, wenn - wie vorliegend - in der maßgeblichen Umgebung
keine Nutzungen ausgeübt werden, die im Sinne des § 12 Abs. 2 BauNVO
schutzwürdig sind.
Ohne Bedeutung ist, dass für die vorhandenen einzeiligen Stellplätze § 12
BauNVO nicht gilt, wenn sie Bestandteil des öffentlichen Straßenraums sind.
Stellplätze auf öffentlichem Straßengrund stellen nicht eine andere Art der Nut-
zung dar als Stellplätze auf privaten Grundstücken.
(2) Der Prüfungsansatz des Oberverwaltungsgerichts, ein Vorhaben, das den
Rahmen einhält, sei unzulässig, wenn es geeignet sei, städtebauliche Span-
nungen auszulösen, ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Hält sich ein Vorhaben
- wie hier jedenfalls nach der Art der Nutzung - im vorgefundenen Rahmen, so
fügt es sich gleichwohl nicht ein, wenn es gegen das Gebot der Rücksichtnah-
me verstößt (Urteil vom 26. Mai 1978 a.a.O. S. 386). Auf die Eignung zur Aus-
lösung städtebaulicher (bodenrechtlicher) Spannungen kommt es demgegen-
über nur an, wenn es um die Beurteilung der Zulässigkeit eines Vorhabens
geht, das den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen überschreitet (Urteil vom
26. Mai 1978 a.a.O. S. 386).
Das Gebot der Rücksichtnahme ist mit dem Verbot der Begründung oder Erhö-
hung bodenrechtlich beachtlicher Spannungen nicht in jeder Beziehung iden-
tisch. Das Gebot der Rücksichtnahme dient dem Schutz der sonstigen, d.h. vor
allem: der in der unmittelbaren Nähe des Vorhabens vorhandenen, Bebauung
vor nicht hinnehmbaren Beeinträchtigungen (Urteile vom 18. Oktober 1974
- BVerwG 4 C 77.73 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 45 S. 118 und vom
26. Mai 1978 a.a.O. S. 386); es hebt auf die gegenseitige Verflechtung der bau-
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lichen Situation benachbarter Grundstücke ab und will einen angemessenen
Ausgleich schaffen, der dem einen das ermöglicht, was für ihn unabweisbar ist,
und den anderen vor unzumutbaren Belästigungen oder Benachteiligungen
schützt (Urteil vom 13. März 1981 - BVerwG 4 C 1.78 - BRS 38 Nr. 186 S. 412).
Bodenrechtlich beachtliche und bewältigungsbedürftige Spannungen sind dem-
gegenüber dadurch gekennzeichnet, dass das Vorhaben die vorhandene Situa-
tion in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet
und das Bedürfnis hervorruft, die Voraussetzungen für seine Zulassung unter
Einsatz der Mittel der Bauleitplanung zu schaffen (Urteil vom 26. Mai 1978
a.a.O. S. 386 f.; Beschluss vom 25. März 1999 - BVerwG 4 B 15.99 - BRS 62
Nr. 101). Zwar wird ein Vorhaben, das gegenüber der Nachbarschaft „rück-
sichtslos“ ist, auch städtebaulich relevante Spannungen hervorrufen. Umge-
kehrt ist aber nicht jedes Vorhaben, das bodenrechtlich beachtliche Spannun-
gen begründet oder erhöht und deshalb ein Planungsbedürfnis auslöst, gleich-
zeitig rücksichtslos.
Dass das Vorhaben der Klägerin gegen das Gebot der Rücksichtnahme ver-
stoßen könnte, ist nicht ersichtlich. Dem angefochtenen Urteil lässt sich nichts
dafür entnehmen, dass der mit dem Vorhaben verbundene Zu- und Abgangs-
verkehr unzumutbare Umgebungsbelastungen erzeugen würde.
(3) Auf die Auslösung städtebaulicher Spannungen hätte das Oberverwal-
tungsgericht zu Recht abgestellt, wenn das Vorhaben - wie von der Beklagten
in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht - nach dem
Maß der baulichen Nutzung den Umgebungsrahmen überschritte. Ob das der
Fall ist, kann der Senat indes nicht beurteilen. Der Rahmen wird nämlich nicht
nur, wie die Beklagte meint, durch die vorhandenen einzeiligen Kfz-Stellplätze,
sondern durch die gesamte Bebauung in der näheren Umgebung abgesteckt.
cc) Ob die Erschließung des klägerischen Vorhabens gesichert ist, kann der
Senat ebenfalls nicht beantworten. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar die
Frage aufgeworfen, ob die Straßen im Hafengebiet dem vorhabenbedingten Zu-
und Abgangsverkehr gewachsen sind, zu ihr jedoch keine Feststellungen
getroffen, sondern sich insoweit auf Vermutungen beschränkt. Sollte die Ge-
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nehmigungsfähigkeit des Vorhabens von der Sicherung der Erschließung ab-
hängen, wird das Oberverwaltungsgericht die erforderlichen Ermittlungen anzu-
stellen haben. Als rechtlicher Maßstab gilt: Nicht jede Zunahme der Verkehrs-
belastung mit der Folge von Wartezeiten gefährdet die Sicherung der Erschlie-
ßung des dafür ursächlichen Vorhabens. Die Erschließung wäre allerdings dann
nicht gesichert, wenn das Vorhaben zu einer solchen Belastung der Zuwegung
führen würde, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht nur in
Spitzenzeiten ohne zusätzliche Erschließungsmaßnahmen nicht mehr
gewährleistet wäre (Urteil vom 19. September 1986 a.a.O S. 44 f.). Im unbe-
planten Innenbereich sind nämlich nur solche Vorhaben zulässig, die sich mit
der vorhandenen Erschließung abfinden können.
b) Ob dem Oberverwaltungsgericht bei der Prüfung des § 35 BauGB ebenfalls
Rechtsfehler unterlaufen sind, kann dahingestellt bleiben. Da das Oberverwal-
tungsgericht die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 34 BauGB und des § 35
BauGB alternativ verneint hat, genügt es für den Erfolg der Revision, dass der
Begründungsteil des Urteils, der § 34 BauGB betrifft, gegen Bundesrecht ver-
stößt. Denn es ist nicht gesichert, dass der andere Begründungsteil das Urteil
trägt (vgl. Beschluss vom 26. Mai 1993 - BVerwG 4 NB 3.93 - BRS 55 Nr. 28
S. 73).
Gleichwohl und vorsorglich weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte sich das
Oberverwaltungsgericht der Ansicht des Verwaltungsgerichts anschließen, dass
die Bootslagerhalle dem Innenbereich, der Parkplatz im Freien aber dem Au-
ßenbereich zuzuordnen ist, wird es das Vorhaben, falls dieses tatsächlich nur
einheitlich beurteilt werden kann, insgesamt an § 35 BauGB zu messen und
dabei zu bedenken haben, dass sich der Außenstellplatz selbst nicht unter den
Begriff der Splittersiedlung subsumieren lässt; denn eine Siedlung setzt die
Existenz von Gebäuden voraus, die wenigstens zum gelegentlichen Aufenthalt
von Menschen bestimmt sind (Urteil vom 18. Februar 1983 - BVerwG 4 C
19.81 - BVerwGE 67, 33 <38>). Allerdings kann die Errichtung einer nicht zum
Aufenthalt von Menschen bestimmten baulichen Anlage, die die Ausweitung
einer in der Splittersiedlung ausgeübten oder auszuübenden Nutzung ermög-
licht, die Splittersiedlung verfestigen (Beschluss vom 7. September 1984
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- BVerwG 4 B 188.84 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 215). Als Bestandteil
eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils wäre die Bootshalle indes keine
Keimzelle einer Splittersiedlung, weil Splittersiedlung und im Zusammenhang
bebauter Ortsteil einen Gegensatz bilden (Roeser, in: Berliner Kommentar zum
Baugesetzbuch, Stand Oktober 2010, § 35 Rn. 84). Anliegen des § 35 Abs. 3
Satz 1 Nr. 7 BauGB ist es, eine zusammenhanglose oder sonst unorganische
Streubebauung im Außenbereich zu verhindern (Urteil vom 13. Februar 1976 -
BVerwG 4 C 72.74 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 123 S. 17). Wenn ein
Vorhaben, das für sich allein den Begriff der Splittersiedlung nicht erfüllt, nach
der Vorschrift missbilligt wird, liegt das daran, dass die Splittersiedlung, der es
funktional und räumlich zugeordnet ist und deren Verfestigung sie befürchten
lässt, ihrerseits missbilligt wird. Das kann aber nur der Fall sein, wenn die Split-
tersiedlung im Außenbereich liegt.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
Petz
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
1 012 500 € festgesetzt.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
Petz
Sachgebiet: BVerwGE:
nein
Bauplanungsrecht Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
BauGB
§ 34 Abs. 1, Abs. 2, § 35 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 7
BauNVO
§ 11 Abs. 2, § 12 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 6
Stichworte:
Stellplätze; Parkplatz; Großparkplatz; Garagen; Parkhaus; Außenbereich; In-
nenbereich; Sondergebiet; faktisches -; Hafengebiet; Nutzung; Art der baulichen
-; Bebauungszusammenhang; Einfügen; Rücksichtnahme; Gebot der -;
Spannungen; bodenrechtlich beachtliche -; Splittersiedlung; Erschließung; Si-
cherung der -.
Leitsätze:
1. Im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB in der Baunutzungsverordnung „bezeich-
net“ sind nur solche Baugebiete, für die die Baunutzungsverordnung die Art der
zulässigen Nutzung selbst regelt. Sondergebiete im Sinne des § 11 BauNVO
erfüllen diese Voraussetzung nicht, weil nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BauNVO die
Gemeinde die Art der zulässigen Nutzung festzusetzen hat.
2. Die Größe oder die Anordnung vorhandener Stellplätze ist kein geeignetes
Kriterium dafür, ob sich eine geplante Stellplatzanlage nach der Art der bauli-
chen Nutzung gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umge-
bung einfügt.
3. § 12 Abs. 1 BauNVO gilt nicht nur für Stellplätze, die als Nebenanlagen einer
Hauptnutzung zugeordnet sind, sondern auch für solche, die keine funktionale
Zuordnung zu einer Hauptnutzung aufweisen.
Urteil des 4. Senats vom 16. September 2010 - BVerwG 4 C 7.10
I. VG Oldenburg vom 15.03.2007 - Az.: VG 4 A 2268/05 -
II. OVG Lüneburg vom 22.06.2009 - Az.: OVG 1 LB 52/08 -