Urteil des BVerwG vom 01.04.2015

Projekt, Mitwirkungsrecht, Befreiung, Öffentlichkeit

BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Naturschutzrecht und Landschaftsschutzrecht
Rechtsquelle/n:
BNatSchG § 34 Abs. 1, 2, 3 bis 5, § 63 Abs. 2 Nr. 5, § 64 Abs. 1
UmwRG § 3
VwVfG § 9
AK Art. 6 Abs. 1 und 4, Art. 9 Abs. 3 und 4
FFH-RL Art. 6 Abs. 3 und 4
Stichworte:
Bundeswehr; Tiefflugübungen; Projekt; Vogelschutzgebiet; anerkannte
Naturschutzvereinigung; Mitwirkungsrecht; Verträglichkeitsprüfung;
Erhaltungsziele; Abweichungsentscheidung; "Befreiung"; habitatschutzrechtliche
Prüf- und Verfahrensschritte; sachlicher Bezug; "Verbote zum Schutz von Natura
2000-Gebieten"; "Erteilung"; Willensentschluss der Behörde; Zweck des
Mitwirkungsrechts; Verwaltungshelfer; "Sachverstandspartizipation";
naturschutzfachlicher Sachverstand; Vollzugsdefizite; enger sachlicher
Zusammenhang; "Abweichungsregime"; Prüfschritte; Einsicht in
Sachverständigengutachten; naturschutzfachliche Stellungnahmen; bindende
Vorentscheidungen; Unionsrecht; Umweltrecht der Union;
Öffentlichkeitsbeteiligung; effektiver gerichtlicher Rechtsschutz; erweiternde
Auslegung; Auslegung contra legem; "Entscheidung"; Rechtsbehelfe; fehlerhaft
unterbliebene Abweichungsentscheidung; Zugang zu Umweltinformationen;
Trägerverfahren; Überprüfungsverfahren; Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung;
Berücksichtigung; Vorabentscheidungsverfahren.
Leitsatz:
§ 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG räumt einer nach § 3 UmwRG anerkannten
Naturschutzvereinigung Mitwirkungsrechte ein, wenn ein Projekt im Wege einer
habitatschutzrechtlichen Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5
BNatSchG zugelassen oder durchgeführt werden soll, weil die gemäß § 34
Abs. 1 BNatSchG gebotene Verträglichkeitsprüfung ergeben hat, dass das
Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets führen kann. Unionsrecht
vermittelt der Naturschutzvereinigung keinen Anspruch, bereits im Rahmen der
Verträglichkeitsprüfung beteiligt zu werden.
Urteil des 4. Senats vom 1. April 2015 - BVerwG 4 C 6.14
I. OVG Magdeburg vom 26. September 2013
Az: OVG 2 L 95/13
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 C 6.14
OVG 2 L 95/13
Verkündet
am 1. April 2015
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 1. April 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz, Petz, Dr. Decker und
Dr. Külpmann
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das auf die mündliche
Verhandlung vom 26. September 2013 ergangene Urteil
des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt
wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um Mitwirkungsrechte des Klägers vor der Durchführung
von Tiefflugübungen der Bundeswehr über dem Gebiet der Colbitz-Letzlinger
Heide.
Der Kläger - ein vom Land Sachsen-Anhalt anerkannter Naturschutzverband -
begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Verträglichkeit
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der Tiefflüge mit den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebiets zu überprüfen
und ihm im Rahmen dieser Prüfung, hilfsweise vor einer gegebenenfalls erfor-
derlichen Abweichungsentscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme und zur
Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben.
Die Bundeswehr nutzte den Luftraum über der Colbitz-Letzlinger Heide bis April
2008 für militärische Übungsflüge. Das Gebiet beherbergt nach Ansicht des
Klägers während der Brutzeit (in den Monaten März bis Juli) zahlreiche Vogel-
arten, deren Bruterfolg durch die Tiefflüge gefährdet werde.
Der Antrag des Klägers auf gerichtlichen Eilrechtsschutz hatte Erfolg. Das
Oberverwaltungsgericht untersagte der Beklagten im Wege der einstweiligen
Anordnung, die Übungsflüge in Höhen unter 600 m fortzusetzen, bis der Kläger
Gelegenheit erhalten hat, seine Mitwirkungsrechte wahrzunehmen.
In der Hauptsache blieb die Klage in erster und zweiter Instanz zunächst erfolg-
los. Der Kläger habe - so das Oberverwaltungsgericht in seinem auf die mündli-
che Verhandlung vom 12. Mai 2011 ergangenen Urteil (2 L 30/10) - keinen An-
spruch, vor der Entscheidung der Beklagten über die Durchführung der geplan-
ten Tiefflüge beteiligt zu werden. Die Beklagte bedürfe für diese Maßnahmen
keiner "Befreiung" von den Verboten des § 34 BNatSchG bzw. des Art. 4 Abs. 4
Satz 1 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhal-
tung der wildlebenden Vogelarten (ABl. L 103 S. 1), neu kodifiziert durch die
Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
30. November 2009 über die Erhaltung wildlebender Vogelarten (ABl. L 20
S. 7 - V-RL -). Zwar sei die Colbitz-Letzlinger Heide ein gelistetes FFH-Gebiet.
Ob Übungsflüge unterhalb 600 m zu einer erheblichen Beeinträchtigung des
Gebiets führen könnten, lasse sich nicht abschließend beurteilen. Dies sei aber
auch nicht erforderlich, weil eine Mitwirkung des Klägers auch für den Fall einer
erheblichen Beeinträchtigung wegen § 30 Abs. 1 LuftVG ausgeschlossen sei.
Die Bundeswehr habe die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Natur-
schutzes in eigener Zuständigkeit zu prüfen. Ein wie auch immer geartetes Ver-
fahren, an dem Verbände beteiligt werden könnten, finde nicht statt.
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Der Senat hat das Berufungsurteil mit Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 -
(BVerwGE 146, 176) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Die Annahme
des Oberverwaltungsgerichts, der Kläger habe unabhängig davon, ob die ge-
planten Tiefflugübungen zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebiets
führen können, keinen Anspruch darauf, vor der Entscheidung der Beklagten
über die Durchführung der Tiefflugübungen beteiligt zu werden, verstoße gegen
Bundesrecht. Die nach § 34 BNatSchG durchzuführenden Verfahrensschritte
seien auch im Rahmen der luftverkehrsrechtlichen Befugnis der Bundeswehr,
gemäß § 30 Abs. 1 LuftVG von den im Luftverkehr einzuhaltenden Mindestflug-
höhen abzuweichen, geboten. Vor einer gegebenenfalls erforderlichen habitat-
schutzrechtlichen Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG sei
anerkannten Naturschutzvereinigungen gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG
Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachver-
ständigengutachten zu geben. Der Umstand, dass das luftverkehrsrechtliche
Trägerverfahren ein lediglich behördenintern wirkendes Entscheidungsverfah-
ren sei, das ohne Inanspruchnahme einer besonderen Form erfolgen könne,
stehe einer Mitwirkung nicht entgegen.
Mit seinem auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2013 ergange-
nen Urteil hat das Oberverwaltungsgericht - entsprechend dem Hilfsantrag des
Klägers - festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, vor Durchführung militä-
rischer Tiefflüge (unter der Flughöhe von 600 m) über dem Vogelschutzgebiet
Colbitz-Letzlinger Heide, soweit diese ein Projekt im Sinne des § 34 Abs. 1
BNatSchG darstellen, eine förmliche Verträglichkeitsprüfung durchzuführen,
und dass dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist, soweit die-
se Prüfung ergebe, dass die Tiefflüge zu erheblichen Beeinträchtigungen des
Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen
Bestandteilen führen können. Im Übrigen, d.h. soweit der Kläger - im Hauptan-
trag - die Feststellung begehrt, dass ihm Mitwirkungsrechte bereits im Rahmen
der Verträglichkeitsprüfung zustehen, hat es die Berufung zurückgewiesen.
Vorprüfung und Verträglichkeitsprüfung seien zwei gesonderte, naturschutz-
rechtlich obligatorische Verfahrensschritte. Gegenüber diesen beiden Verfah-
rensschritten sei die Abweichungsentscheidung im Sinne des § 34 Abs. 3
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BNatSchG ein dritter Verfahrensschritt, der nach der Systematik des § 34
Abs. 1 bis 3 BNatSchG erst dann eröffnet sei, wenn die Verträglichkeitsprüfung
zu einem negativen Ergebnis, d.h. zur Feststellung der Unzulässigkeit im Sinne
des § 34 Abs. 2 BNatSchG geführt habe. Die Formulierung "vor der Befreiung"
in § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG sei so zu verstehen, dass die Beteiligung erst
dann beansprucht werden könne, wenn die Behörde das Projekt im Wege einer
Abweichungsentscheidung zulassen wolle. Sie mache deutlich, dass das Stel-
lungnahme- und Einsichtsrecht nicht bereits in der Verträglichkeitsprüfung
selbst zum Tragen komme. Gegen diese Auslegung könne nicht mit Erfolg ein-
gewandt werden, dass die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 BNatSchG mit
denen des § 34 Abs. 1 und 2 BNatSchG in einem "untrennbaren Zusammen-
hang" stünden. Zwar möge es zutreffen, dass zum Teil ähnliche Fragen zu be-
antworten seien; identisch seien die Fragen aber nicht. Entgegen der Auffas-
sung des Klägers lasse sich ein Beteiligungsrecht im Rahmen der Verträglich-
keitsprüfung auch nicht unmittelbar aus Art. 6 Abs. 3 oder 4 der Richtlinie
92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebens-
räume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206 S. 7 - FFH-RL -)
ableiten. Auch nach Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens über den Zugang zu
Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und
den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (sog. Aarhus-Konvention,
BGBl. II 2006, 1252 - AK -) sei eine Beteiligung im Rahmen der Verträglich-
keitsprüfung nicht geboten; effektiver Rechtsschutz sei nicht erst dann gewährt,
wenn der Kläger über jedes Projekt, das einer Verträglichkeitsprüfung bedürfe,
informiert werde.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat die Revision
zugelassen. Der Kläger hat von dem zugelassenen Rechtsmittel Gebrauch ge-
macht.
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Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Berufungsurteil steht, soweit es
mit der Revision noch angegriffen wird, mit Bundesrecht im Einklang (§ 137
Abs. 1 VwGO).
Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dem Kläger stehe ein Mitwirkungs-
recht nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG nicht bereits im Rahmen der durchzu-
führenden Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 BNatSchG, sondern erst
dann zu, wenn diese Prüfung ergebe, dass die Tiefflüge zu erheblichen Beein-
trächtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutz-
zweck maßgeblichen Bestandteilen führen können und deshalb im Wege einer
Abweichungsentscheidung zugelassen werden sollen. Hiergegen wendet sich
die Revision ohne Erfolg. Tatsächliche Feststellungen dazu, ob es sich bei dem
Vogelschutzgebiet über der Colbitz-Letzlinger Heide um ein ausgewiesenes
Vogelschutzgebiet handelt, das dem Rechtsregime des § 34 BNatSchG unter-
liegt, oder ob vielmehr von einem faktischen Vogelschutzgebiet auszugehen ist
(vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 8. Januar 2014 - 9 A 4.13 - BVerwGE 149, 31
; zu dem insoweit einschlägigen Rechtsregime des Art. 4 Abs. 4
Satz 1 V-RL vgl. BVerwG, Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146,
176 Rn. 12), hat das Oberverwaltungsgericht nicht getroffen. Es hat aber zum
Ausdruck gebracht, dass seine rechtlichen Überlegungen nur gelten sollen,
"soweit" die Tiefflüge "ein Projekt im Sinne des § 34 Abs. 1 BNatSchG darstel-
len". Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der
Kläger nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG erst auf der Stufe einer gegebenen-
falls erforderlichen habitatschutzrechtlichen Abweichungsentscheidung gemäß
§ 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG zur Mitwirkung berechtigt ist (1.). Die vom Kläger
begehrte Mitwirkung auf der Stufe der Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1
BNatSchG ist auch unionsrechtlich weder gewährleistet noch geboten (2.).
1. § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG räumt dem Kläger Mitwirkungsrechte ein, wenn
die geplanten Tiefflüge im Wege einer habitatschutzrechtlichen Abweichungs-
entscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG zugelassen oder durchgeführt
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werden sollen, weil die gemäß § 34 Abs. 1 BNatSchG gebotene Prüfung der
Verträglichkeit des Projekts mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-
Gebiets (im Folgenden: Verträglichkeitsprüfung) ergeben hat, dass die Tiefflüge
zu erheblichen Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebiets führen können und
deshalb nach § 34 Abs. 2 BNatSchG ohne Abweichungsentscheidung unzuläs-
sig sind.
Gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG ist einer nach § 3 UmwRG von einem
Land anerkannten, landesweit tätigen Naturschutzvereinigung Gelegenheit zur
Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutach-
ten zu geben unter anderem "vor der Erteilung von Befreiungen von Geboten
und Verboten zum Schutz von ... Natura 2000-Gebieten ..., auch wenn diese
durch eine andere Entscheidung eingeschlossen oder ersetzt werden". In sei-
nem Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - (BVerwGE 146, 176 Rn. 22) hatte
sich der Senat bereits dahingehend festgelegt, dass die in § 34 Abs. 2
BNatSchG für den Fall einer erheblichen Beeinträchtigung eines Gebiets ange-
ordnete Unzulässigkeit des Projekts ein "Verbot" im Sinne des § 63 Abs. 2 Nr. 5
BNatSchG ist, und dass eine Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 bis 5
BNatSchG, mit der die Unzulässigkeit nach § 34 Abs. 2 BNatSchG überwunden
werden kann, unter den Begriff der "Befreiung" fällt.
Das Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - (BVerwGE 146, 176) enthält ferner
die Aussage, dass anerkannten Naturschutzvereinigungen gemäß § 63 Abs. 2
Nr. 5 BNatSchG "vor einer gegebenenfalls erforderlichen habitatschutzrechtli-
chen Abweichungsentscheidung" Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Ein-
sicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben ist. Der Kläger
meint, der Senat habe das Mitwirkungsrecht nicht davon abhängig machen wol-
len, dass das Projekt nur unter Inanspruchnahme der Abweichungsvorausset-
zungen gemäß § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG zugelassen oder durchgeführt
werden soll. Diese Interpretation geht fehl. Bezogen auf das in § 34 BNatSchG
geregelte System habitatschutzrechtlicher Prüf- und Verfahrensschritte (a)
kommt im Wortlaut des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG zum Ausdruck, dass aner-
kannten Naturschutzvereinigungen erst dann Gelegenheit zur Stellungnahme
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und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben ist,
wenn ein Projekt im Wege einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3
bis 5 BNatSchG zugelassen oder durchgeführt - im Sprachgebrauch des § 63
Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG also: eine Befreiung von einem "Verbot ... zum Schutz
von ... Natura 2000-Gebieten" erteilt - werden soll (b). Sinn und Zweck des § 63
Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG stehen dem nicht entgegen (c).
a) Das System habitatschutzrechtlicher Prüf- und Verfahrensschritte, das der
Bundesgesetzgeber in § 34 BNatSchG in Umsetzung der FFH-Richtlinie gere-
gelt hat, hat der Senat in seinem Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 -
(BVerwGE 146, 176 Rn. 10; vgl. auch Urteile vom 19.
Dezember
2013 - 4 C
14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 27 ff. und vom 18.
Dezember
2014 - 4 C 35.13 -
NVwZ 2015, 656 Rn. 33) zusammenfassend beschrieben:
Nach § 34 Abs. 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchfüh-
rung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Ge-
biets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen
Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen,
und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. Ob die Vorausset-
zungen einer Pflicht zur Prüfung der Verträglichkeit vorliegen, ist im Rahmen
einer Vorprüfung festzustellen. Vorprüfung und Verträglichkeitsprüfung sind ha-
bitatschutzrechtlich obligatorische Verfahrensschritte. Ergibt die - nach dem
Ergebnis der Vorprüfung erforderliche - Prüfung der Verträglichkeit, dass das
Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhal-
tungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist
es nach § 34 Abs. 2 BNatSchG unzulässig. Abweichend hiervon darf ein Projekt
gemäß § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG nur unter strikter Wahrung der dort be-
schriebenen, eng auszulegenden Voraussetzungen zugelassen werden. Die
Zulassung im Rahmen dieses "Abweichungsregimes" setzt ihrerseits voraus,
dass zuvor eine den Anforderungen des § 34 Abs. 1 BNatSchG genügende
Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde, da diese Informationen vermittelt,
derer es bedarf, um das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen festzustel-
len. Etwaige Mängel der Verträglichkeitsprüfung schlagen auf die Abwei-
chungsentscheidung durch.
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b) Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass die Formulie-
rung "vor der (Erteilung von) Befreiung(en)" in § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG im
Zusammenhang mit § 34 BNatSchG dahin zu verstehen ist, dass eine Natur-
schutzvereinigung ihre Beteiligung erst dann beanspruchen kann, wenn die zu-
ständige Behörde auf der Grundlage einer Verträglichkeitsprüfung zu dem Er-
gebnis gelangt ist, dass sie das Projekt nach § 34 Abs. 2 BNatSchG wegen der
festgestellten Möglichkeit erheblicher Beeinträchtigungen für unzulässig hält
und es deshalb im Wege einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3
BNatSchG zulassen will.
Der Einwand des Klägers, aus dem Gesetzeswortlaut ergebe sich (lediglich),
dass die Mitwirkung in einem zeitlichen Stadium vor der Entscheidung über die
Abweichung zu erfolgen habe, das Gesetz sich aber weder zum Zeitpunkt noch
zum Verfahrensstadium der Mitwirkung äußere, greift zu kurz. Dass die Mitwir-
kung anerkannter Naturschutzvereinigungen der Abweichungsentscheidung
zeitlich vorgelagert sein muss, weil eine nachträgliche Mitwirkung ihren Sinn
verfehlen würde, liegt auf der Hand und hätte einer Hervorhebung im Geset-
zeswortlaut nicht bedurft. Mit der Formulierung "vor der Erteilung von Befreiun-
gen" wollte der Gesetzgeber deshalb nicht lediglich die Zeiträume vor und nach
der Entscheidung über die Abweichung voneinander abgrenzen, sondern die
sachliche Bezogenheit des Mitwirkungsrechts auf den Verfahrensschritt der
Abweichungsentscheidung zum Ausdruck bringen. Hätte der Gesetzgeber das
Mitwirkungsrecht anerkannter Naturschutzvereinigungen bereits auf die Ver-
träglichkeitsprüfung beziehen wollen, hätte es nahegelegen, dies im Wortlaut
der Vorschrift zum Ausdruck zu bringen.
Dass anerkannte Naturschutzvereinigungen ihre Mitwirkung nicht bereits im
Rahmen der Verträglichkeitsprüfung beanspruchen können, ergibt sich auch
daraus, dass § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG tatbestandlich an Befreiungen von
"Verboten zum Schutz von ... Natura 2000-Gebieten" anknüpft. Die Unzulässig-
keit eines Projekts nach § 34 Abs. 2 BNatSchG ist - wie dargelegt - ein "Verbot"
in diesem Sinne. Die Rechtsfolge der Unzulässigkeit tritt nach § 34 Abs. 2
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BNatSchG ein, wenn die Prüfung der Verträglichkeit "ergibt", dass das Projekt
zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungszie-
le oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. Das Ergeb-
nis der Verträglichkeitsprüfung steht aber erst fest, wenn diese Prüfung abge-
schlossen ist. Folglich sind auch anerkannte Naturschutzvereinigungen erst
dann zur Mitwirkung nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG berechtigt, wenn die
zuständige Behörde das Projekt auf der Grundlage der Verträglichkeitsprüfung
nach § 34 Abs. 2 BNatSchG für unzulässig hält und es deshalb im Wege einer
Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG zulassen will. Die ge-
genteilige Auffassung des Klägers hätte zur Folge, dass sich das Mitwirkungs-
recht auch auf solche Projekte erstreckte, für die sich im Rahmen der Verträg-
lichkeitsprüfung herausstellt, dass sie nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen
des Gebiets führen können und deshalb auch ohne Abweichungsentscheidung
zulässig sind. Dem steht der klare Wortlaut des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG
entgegen.
Gegen die Auffassung des Klägers spricht schließlich auch, dass § 63 Abs. 2
Nr. 5 BNatSchG das Mitwirkungsrecht auf die "Erteilung" von Befreiungen be-
zieht. Es muss also eine behördliche Entscheidung in Rede stehen, wie sie bei
der Abweichung nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG getroffen wird, auch wenn
das fachrechtliche Zulassungsverfahren als Trägerverfahren nicht notwendi-
gerweise ein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 VwVfG, mithin eine nach
außen wirkende Tätigkeit der Behörde sein muss (BVerwG, Urteil vom 10. April
2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 23). Damit steht im Einklang, dass
auch die in § 64 BNatSchG geregelten Rechtsbehelfe von Naturschutzvereini-
gungen ausdrücklich nur gegen "Entscheidungen" nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 bis 4
und Abs. 2 Nr. 5 bis 7 BNatSchG statthaft sind. Tatbestandlicher Anknüpfungs-
punkt der durch Klagemöglichkeiten gesicherten Mitwirkungsrechte anerkannter
Naturschutzvereinigungen sind also Entscheidungen. Die Verträglichkeitsprü-
fung indes ist kein behördliches Entscheidungsverfahren, sondern ein natur-
schutzfachliches Überprüfungsverfahren (BVerwG, Urteil vom 17. Januar
2007 - 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 61 f.). Auch hinsichtlich der Rechtsfol-
ge, dass ein Projekt, das nach dem Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung zu
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erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets führen kann, nach § 34 Abs. 2
BNatSchG unzulässig ist, bedarf es keiner behördlichen Entscheidung; denn
diese Rechtsfolge ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Erst wenn die Be-
hörde diese Rechtsfolge überwinden und das Projekt trotz festgestellter oder
wegen verbleibender Zweifel jedenfalls nicht auszuschließender (siehe dazu
BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 a.a.O. Rn. 62) erheblicher Beeinträchti-
gungen im Wege des Abweichungsregimes nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG
zulassen oder durchführen will, bedarf es einer behördlichen Entscheidung, die
nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG nicht ergehen soll, ohne dass anerkannte
Naturschutzvereinigungen Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengut-
achten nehmen konnten und Gelegenheit erhalten haben, zu den Abwei-
chungsvoraussetzungen Stellung zu nehmen.
c) Der Zweck des Mitwirkungsrechts wird bei diesem nach Systematik und
Wortlaut klaren Auslegungsergebnis nicht verfehlt.
aa) Soweit der Kläger rügt, das Auslegungsergebnis des Oberverwaltungsge-
richts habe zur Folge, dass Naturschutzvereinigungen erst dann beteiligt wür-
den, wenn die Behörde bereits entschieden habe, dass die erforderliche Befrei-
ung erteilt werden soll, beruht diese Rüge auf einer Fehlinterpretation des Beru-
fungsurteils.
Der Kläger meint, nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts solle die Mit-
wirkung anerkannter Naturschutzvereinigungen vor der Entscheidung über die
Erteilung einer Befreiung erfolgen. Nach der Auslegung des Oberverwaltungs-
gerichts sei diese Entscheidung im Zeitpunkt der Beteiligung aber von der zu-
ständigen Behörde bereits getroffen worden. Denn danach solle ein Mitwir-
kungsrecht nur bestehen, wenn die Behörde das Projekt unter den Vorausset-
zungen des § 34 Abs. 3 BNatSchG zulassen oder durchführen wolle. Mit ande-
ren Worten: Die Entscheidung, das Projekt unter Erteilung einer Befreiung zu-
zulassen oder durchzuführen, müsse bereits gefallen sein, damit das Mitwir-
kungsrecht der Vereinigung aktiviert werde. Zwar schließe eine solche Abfolge
nicht aus, dass die Behörde ihre Entscheidung vor dem Hintergrund der Stel-
lungnahme der Vereinigung nochmals überdenke. Sie wäre dann aber gehal-
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ten, ihre bereits getroffene Entscheidung, das Projekt zuzulassen oder durch-
führen zu wollen, zu revidieren. Die Vereinigungen hätten damit kein Mitwir-
kungsrecht vor der Erteilung der Befreiung, sondern müssten im Rahmen ihrer
Mitwirkung eine Änderung der bereits vorab von der Behörde getroffenen Ent-
scheidung zu erreichen suchen. Damit hätte das Mitwirkungsrecht der Natur-
schutzvereinigungen im Habitatschutzrecht eine Sonderstellung gegenüber al-
len anderen Fallgruppen der Mitwirkungen, die der Vorbereitung behördlicher
Entscheidungen dienten.
Die Bedenken des Klägers greifen nicht durch. Die Gründe des angefochtenen
Urteils enthalten keinen Hinweis darauf, dass das Oberverwaltungsgericht der
Meinung gewesen sein könnte, die Entscheidung, das Projekt unter Erteilung
einer Befreiung zuzulassen oder durchzuführen, müsse bereits gefallen sein,
damit das Mitwirkungsrecht der Vereinigung aktiviert werde. Auch die Formulie-
rung, eine Naturschutzvereinigung könne ihre Beteiligung erst dann beanspru-
chen, wenn die zuständige Behörde als Ergebnis der von ihr durchzuführenden
Verträglichkeitsprüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, dass sie das Projekt im
Sinne des § 34 Abs. 2 BNatSchG für unzulässig halte und es deshalb im Wege
einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG zulassen bzw.
durchführen "will", deutet nicht in diese Richtung. Denn der Willensentschluss,
ein Abweichungsverfahren nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG einzuleiten, um
die dort beschriebenen Abweichungsvoraussetzungen unter Mitwirkung aner-
kannter Naturschutzvereinigungen zu prüfen und das Projekt im Falle eines po-
sitiven Ergebnisses dieser Prüfung im Wege einer Abweichungsentscheidung
zuzulassen, ist mit der am Ende dieses Verfahrens "gegebenenfalls" stehenden
Abweichungsentscheidung nicht identisch.
bb) Es trifft auch nicht zu, dass der Zweck des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG ver-
fehlt wird, wenn anerkannte Naturschutzvereinigungen erst bei der Prüfung der
Abweichungsvoraussetzungen nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG zur Mitwir-
kung aufgerufen sind.
Den Zweck der Mitwirkung anerkannter Naturschutzvereinigungen nach § 63
Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG hat der Kläger zutreffend beschrieben. Naturschutzver-
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einigungen bringen ihren naturschutzfachlichen Sachverstand quasi als Verwal-
tungshelfer in die Vorbereitung behördlicher Entscheidungen ein. Ihre Mitwir-
kung ist eine die Behörde bei ihrer Entscheidung unterstützende, auf die Ein-
bringung naturschutzfachlichen Sachverstandes zielende "Sachverstandsparti-
zipation" (BVerwG, Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176
Rn. 24), die Vollzugsdefiziten im Bereich des Naturschutzes und der Land-
schaftspflege entgegenwirken soll (BVerwG, Urteil vom 12. November
1997 - 11 A 49.96 - BVerwGE 105, 348 <350>).
Dem Kläger ist auch darin zuzustimmen, dass die Verträglichkeitsprüfung eine
originär naturschutzfachliche Prüfung ist. Nach § 34 Abs. 1 BNatSchG werden
Projekte auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Natura 2000-Ge-
biets überprüft. In der Verträglichkeitsprüfung wird untersucht, ob ein Projekt zu
erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele
oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. Die Erhal-
tungsziele und der Schutzzweck eines Gebiets sind am Natur- und Artenschutz-
recht ausgerichtet. Unter dem Gesichtspunkt der Sachverstandspartizipation
mag es deshalb nicht unsinnig erscheinen, die Mitwirkung anerkannter Natur-
schutzvereinigungen bereits auf dieser Verfahrensstufe vorzusehen und deren
naturschutzfachlichen Sachverstand bereits im Rahmen der Verträglichkeits-
prüfung zu nutzen.
Richtig ist ferner, dass die für eine Abweichungsentscheidung erforderlichen
Prüfschritte in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der Verträglich-
keitsprüfung stehen. Das hat der Senat in seinem Urteil vom 10. April 2013
- 4 C 3.12 - (BVerwGE 146, 176 Rn. 10 und 20) bestätigt mit der Aussage, die
Zulassung eines Projekts im Rahmen des "Abweichungsregimes" setze ihrer-
seits voraus, dass zuvor eine den Anforderungen des § 34 Abs. 1 BNatSchG
genügende Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde, weil diese die Informa-
tionen vermittele, derer es bedarf, um das Vorliegen der Ausnahmevorausset-
zungen festzustellen. Das entspricht auch der Rechtsprechung des Europäi-
schen Gerichtshofs (Urteil vom 16. Februar 2012 -C-182/10
[ECLI:EU:C:2012:82], Solvay - ABl. EU 2012, Nr. C 98, 5-6 Rn. 74 f.), der die
Kenntnis der Verträglichkeit als eine unerlässliche Voraussetzung für die An-
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wendung des Art. 6 Abs. 4 der FFH-RL bezeichnet hat, weil anderenfalls keine
der Anwendungsvoraussetzungen dieser Ausnahmeregelung geprüft werden
könne.
Der Zweck der Sachverstandspartizipation wird gleichwohl nicht verfehlt, wenn
anerkannte Naturschutzvereinigungen ihren naturschutzfachlichen Sachver-
stand erst im Rahmen eines gegebenenfalls durchzuführenden Abweichungs-
verfahrens einbringen können. Auch im Rahmen des Abweichungsverfahrens
sind naturschutzfachliche Einschätzungen maßgeblich, und zwar in allen Prüf-
schritten (siehe hierzu und zum Folgenden noch einmal EuGH, Urteil vom
16. Februar 2012 - C-182/10 - ABl. EU 2012, Nr. C 98, 5-6). Sowohl die Prü-
fung, ob die Zulassung oder Durchführung des Projekts im Sinne des § 34
Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 BNatSchG aus zwingenden Gründen des überwiegenden
öffentlichen Interesses notwendig ist, als auch die Alternativenprüfung nach
§ 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG erfordern eine naturschutzfachliche Bewertung und
Abwägung der projektbedingten Beeinträchtigungen des Gebiets. Darüber hin-
aus sind die möglichen Beeinträchtigungen genau zu bestimmen, um die nach
§ 34 Abs. 5 BNatSchG gegebenenfalls erforderlichen Kohärenzsicherungs-
maßnahmen vorsehen zu können. Es kann deshalb keine Rede davon sein,
dass die im Abweichungsverfahren zu prüfenden Voraussetzungen - wie der
Kläger meint - überwiegend nicht oder nur am Rande naturschutzfachlicher Art
sind.
Zu all diesen naturschutzfachlichen Fragen können Naturschutzvereinigungen
nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG durch die Abgabe von Stellungnahmen ihren
Sachverstand einbringen. Zur Vorbereitung ihrer Stellungnahmen können sie
Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten nehmen. Das eröffnet
ihnen auch die Möglichkeit, sich über die Verträglichkeitsprüfung und die ihr
zugrunde liegenden Gutachten und Unterlagen zu informieren. Soweit die darin
enthaltenen naturschutzfachlichen Bewertungen für das Vorliegen der Ausnah-
mevoraussetzungen nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG von Bedeutung sind,
können sie diese auch ihrer naturschutzfachlichen Kritik unterziehen, etwa in-
dem sie aus ihrer Sicht fehlende Aspekte ergänzen oder den Bewertungen der
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Verträglichkeitsprüfung ihre eigenen, hiervon abweichenden Bewertungen ge-
genüberstellen. Stützt die Behörde ihre Abweichungsentscheidung gleichwohl
auf die im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung vorgenommenen Bewertungen,
können die mitwirkenden Naturschutzvereinigungen, auch ohne in eigenen
Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe nach § 64 Abs. 1 BNatSchG einlegen
und geltend machen, dass die getroffene Entscheidung wegen unzureichender
oder unzutreffender naturschutzfachlicher Annahmen den Vorschriften des Na-
turschutzrechts widerspricht und deshalb aufzuheben ist.
Die auf den Wortlaut gestützte Auslegung bedarf deshalb nach Sinn und Zweck
des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG keiner Korrektur. Im Wortlaut der Vorschrift
bringt der Gesetzgeber klar und unmissverständlich zum Ausdruck, worum es
ihm geht: Wenn eine projektbedingte erhebliche Beeinträchtigung eines FFH-
oder Vogelschutzgebiets bereits feststeht oder im Rahmen der Verträglichkeits-
prüfung jedenfalls nicht ausgeschlossen werden konnte, sieht er den natur-
schutzfachlichen Sachverstand der Naturschutzvereinigungen in besonderer
Weise gefordert. Deshalb soll eine behördliche Abweichungsentscheidung, mit
der die Behörde das Projekt trotz seiner erheblich beeinträchtigenden Wirkung
zulassen und das gesetzliche Verbot nach § 34 Abs. 2 BNatSchG überwinden
kann, nicht ergehen, ohne dass anerkannte Naturschutzvereinigungen Gele-
genheit erhalten haben, ihren naturschutzfachlichen Sachverstand einzubringen
und auf diese Weise Vollzugsdefiziten in diesem für die Erhaltungsziele des
Gebiets besonders sensiblen Verfahrensschritt entgegenzuwirken. Effektive
Sachverstandspartizipation ist in diesem Verfahrensstadium möglich. Sie
kommt auch nicht zu spät, denn bindende Vorentscheidungen für das Abwei-
chungsverfahren werden in der Verträglichkeitsprüfung nicht getroffen.
Demgegenüber sieht das Gesetz eine Sachverstandspartizipation bereits auf
der Ebene der Verträglichkeitsprüfung von vornherein nicht vor. Deshalb ist der
Gesetzeszweck auch nicht berührt, wenn mit der Verträglichkeitsprüfung aus
der Sicht der Behörde der Nachweis geführt wurde, dass von dem Projekt keine
erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets ausgehen können. Dem Kläger ist
allerdings zuzugeben, dass anerkannte Naturschutzvereinigungen in diesen
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Fällen vor der Zulassung oder Durchführung des Projekts nicht zu Wort kom-
men. Eine Naturschutzvereinigung kann sich aber - wie auch im vorliegenden
Fall - nachträglich Gehör verschaffen, indem sie Rechtsschutz in Anspruch
nimmt und geltend macht, dass die Behörde das Projekt in rechtswidriger Wei-
se ohne Abweichungsentscheidung zugelassen und damit Mitwirkungsrechte
unterlaufen habe (BVerwG, Urteil vom 19.
Dezember
2013 - 4 C 14.12 -
BVerwGE 149, 17 Rn. 26).
2. Unionsrecht vermittelt dem Kläger ebenfalls keinen Anspruch, bereits im
Rahmen der Verträglichkeitsprüfung beteiligt zu werden.
a) Zu Unrecht macht der Kläger geltend, die vom Oberverwaltungsgericht vor-
genommene einschränkende Auslegung des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG sei
mit Art. 9 Abs. 3 und 4 AK in seiner Funktion als Auslegungsregel nicht verein-
bar. Art. 9 Abs. 3 und 4 AK gebietet nicht, § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG dahin
auszulegen, dass anerkannten Naturschutzvereinigungen im Interesse eines
effektiven Rechtsschutzes bereits im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung Ge-
legenheit zur Mitwirkung zu geben ist.
Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 8. März
2011 - C-240/09 [ECLI:EU:C:2002:296], - Slg. 2011,
I-1255) hat Art. 9 Abs. 3 AK im Unionsrecht keine unmittelbare Wirkung. Der
Europäische Gerichtshof gibt den Gerichten der Mitgliedstaaten jedoch auf,
Umweltverbänden nach Maßgabe interpretationsfähiger Vorschriften des natio-
nalen Rechts einen möglichst weiten Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen,
um so die Durchsetzung des Umweltrechts der Union zu gewährleisten
(BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312
Rn. 25). Die Gerichte der Mitgliedstaaten haben "das Verfahrensrecht in Bezug
auf die Voraussetzungen, die für die Einleitung eines verwaltungsbehördlichen
oder gerichtlichen Überprüfungsverfahrens vorliegen müssen, so weit wie mög-
lich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem
Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht
verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltschutzvereinigung ... zu
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ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens
ergangen ist, das möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Union
steht, vor einem Gericht anzufechten" (EuGH, Urteil vom 8. März 2011 a.a.O.;
vgl. hierzu Berkemann, DVBl 2013, 1137, <1147>).
Zu einer erweiternden Auslegung des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG zwingt Art. 9
Abs. 3 und 4 AK bereits deshalb nicht, weil die Vorschrift nicht im Sinne des
klägerischen Begehrens interpretationsfähig ist. Wie dargelegt, widerspräche
eine Auslegung, derzufolge anerkannte Naturschutzvereinigungen bereits im
Rahmen der Verträglichkeitsprüfung zur Mitwirkung berechtigt wären, dem im
Wortlaut des § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG klar und unmissverständlich zum
Ausdruck kommenden Willen des Bundesgesetzgebers. Mangels entsprechen-
der Interpretationsspielräume sind die nationalen Gerichte deshalb nach Art. 9
Abs. 3 und 4 AK weder gehalten noch berechtigt, das Mitwirkungsrecht nach
§ 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG auf die Verträglichkeitsprüfung vorzuverlagern,
selbst wenn anerkannte Naturschutzvereinigungen - wie vom Kläger behaup-
tet - hierdurch in noch effektiverer Weise mitwirken könnten. Denn eine Ausle-
gung contra legem fordert das Unionsrecht nicht (BVerwG, Urteil vom
5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 36).
Abgesehen davon ist effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 9 Abs. 3 und 4
AK auch auf der Grundlage der nach § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG bundesrecht-
lich eingeräumten Mitwirkungsrechte gewährleistet. Die vom Europäischen Ge-
richtshof (Urteil vom 8. März 2011 - C-240/09 - Slg. 2011, I-1255) konstatierte
Pflicht der Gerichte der Mitgliedstaaten, das Verfahrensrecht in Bezug auf die
Voraussetzungen, die für die Einleitung eines verwaltungsbehördlichen oder
gerichtlichen Überprüfungsverfahrens vorliegen müssen, so weit wie möglich im
Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 AK als auch mit dem Ziel ei-
nes effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht ver-
liehenen Rechte auszulegen, knüpft an eine "Entscheidung, die am Ende eines
Verwaltungsverfahrens ergangen ist", an. Eine Entscheidung in diesem Sinne
ist die in § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG normierte Abweichungsentscheidung, mit
der ein Projekt unter strikter Wahrung der dort geregelten, eng auszulegenden
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Voraussetzungen (EuGH, Urteil vom 20. September 2007 - C-304/05
[ECLI:EU:C:2007:532] - Slg. 2007, I-7495 Rn. 83 = NuR 2007, 679) abwei-
chend von § 34 Abs. 2 BNatSchG zugelassen werden kann. Effektiver Rechts-
schutz gegen diese Abweichungsentscheidung erfordert nicht, dass anerkannte
Naturschutzvereinigungen bereits an der Verträglichkeitsprüfung zu beteiligen
wären. Führt die zuständige Behörde ein Abweichungsverfahren durch, können
anerkannte Naturschutzvereinigungen, die sich im Rahmen des § 63 Abs. 2
Nr. 5 BNatSchG in der Sache geäußert haben oder denen keine Gelegenheit
zur Äußerung gegeben worden ist, gemäß § 64 Abs. 1 BNatSchG - wie darge-
legt - auch ohne eigene Rechtsverletzung gegen die Abweichungsentscheidung
Rechtsbehelfe einlegen und geltend machen, dass die Entscheidung Vorschrif-
ten des Naturschutzrechts widerspricht. Effektiver Rechtsschutz ist auch ge-
währleistet, wenn ein Projekt ohne Abweichungsentscheidung zugelassen oder
durchgeführt wird. Denn in diesem Fall kann eine Naturschutzvereinigung gel-
tend machen, dass das Projekt nur im Wege einer mitwirkungspflichtigen Ab-
weichungsentscheidung hätte zugelassen werden dürfen, sei es, weil eine Ver-
träglichkeitsprüfung zu Unrecht nicht durchgeführt wurde, sei es, weil eine
durchgeführte Prüfung zu Unrecht zum Ergebnis der Verträglichkeit des Pro-
jekts gelangt ist oder die Behörde trotz festgestellter Unverträglichkeit in
rechtswidriger Weise von der Durchführung eines Abweichungsverfahrens ab-
gesehen hat (siehe BVerwG, Urteil vom 19.
Dezember
2013 - 4 C 14.12 -
BVerwGE 149, 17 Rn. 26).
Soweit der Kläger geltend macht, ohne Kenntnis von Inhalt und Ergebnis der
Verträglichkeitsprüfung sowie gegebenenfalls von der Behörde verfügter scha-
densvermeidender oder -mindernder Maßnahmen seien Naturschutzvereini-
gungen zur Verhinderung von Beeinträchtigungen gehalten, Eilrechtsschutz
auch in denjenigen Fällen zu beantragen, in denen das Ergebnis der Verträg-
lichkeitsprüfung richtig sei, wegen des damit verbundenen finanziellen Risikos
sei ihnen dies aber in vielen Fällen nicht zumutbar, weist die Beklagte zu Recht
darauf hin, dass dieser Vortrag im Kern auf den Zugang zu Umweltinformatio-
nen zielt und nicht auf die Einräumung von - vorliegend streitigen - Mitwirkungs-
rechten. Im Übrigen wird das vom Kläger angesprochene Problem effektiven
Rechtsschutzes durch ausreichenden Informationszugang wohl nur in Ausnah-
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mefällen auftreten, etwa dann, wenn die Entscheidung über die Zulassung oder
Durchführung des Projekts - wie hier im Rahmen eines luftverkehrsrechtlichen
Trägerverfahrens - ohne ein Trägerverfahren mit zwingender Öffentlichkeitsbe-
teiligung behördenintern getroffen wird.
Letztlich ist die Verträglichkeitsprüfung für sich genommen auch kein möglicher
Gegenstand von Rechtsbehelfen. Sie ist keine auf Rechtsfolgen gerichtete
"Entscheidung" und erfüllt damit weder die tatbestandlichen Voraussetzungen
nach § 64 Abs. 1 BNatSchG noch diejenigen nach Art. 9 Abs. 3 AK. Sie ist - wie
dargelegt - zwar ein obligatorischer habitatschutzrechtlicher Verfahrensschritt
(BVerwG, Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 10),
aber - anders als die Abweichungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und
§ 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG - lediglich ein naturschutzfachliches Überprüfungs-
verfahren. Ergibt die Prüfung, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigun-
gen des Gebiets führen kann, ist es nach § 34 Abs. 2 BNatSchG - vorbehaltlich
der Möglichkeit, es nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG im Wege einer Abwei-
chungsentscheidung zuzulassen - unzulässig. Diese Rechtsfolge ergibt sich
- wie dargelegt - unmittelbar aus dem Gesetz, einer behördlichen Entscheidung
bedarf es hierfür nicht.
b) Einen Widerspruch zu Art. 6 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. Abs. 4 AK hat das Ober-
verwaltungsgericht ebenfalls zu Recht verneint.
Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 AK wendet jede Vertragspartei "diesen Arti-
kel" in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht auch auf Entschei-
dungen über nicht in Anhang 1 aufgeführte (sonstige) geplante Tätigkeiten an,
die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Nicht anders als
bei Art. 9 Abs. 3 und 4 AK betreffen die in Art. 6 AK enthaltenen Regeln über
die Öffentlichkeitsbeteiligung nur "Entscheidungen". Die Verträglichkeitsprü-
fung, an der der Kläger beteiligt werden möchte, erfüllt diese Vorausset-
zung - wie dargelegt - nicht. Zum anderen ist in Satz 2 der Vorschrift geregelt,
dass die Vertragsparteien zu diesem Zweck bestimmen, ob dieser Artikel An-
wendung auf eine derartige geplante Tätigkeit findet. Ein entsprechender inner-
staatlicher Rechtsanwendungsbefehl fehlt jedoch. Abgesehen davon bleibt § 63
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Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG auch inhaltlich nicht hinter Art. 6 Abs. 4 AK zurück, wo-
nach jede Vertragspartei für eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem
Zeitpunkt sorgt, zu dem alle Optionen noch offen sind und eine effektive Öffent-
lichkeitsbeteiligung stattfinden kann. Denn - wie dargelegt - stehen anerkannten
Naturschutzvereinigungen auch nach Abschluss der Verträglichkeitsprüfung
noch alle Möglichkeiten offen, auf das Ergebnis der Abweichungsentscheidung
durch Einbringung naturschutzfachlichen Sachverstandes Einfluss zu nehmen.
c) Ein Recht anerkannter Naturschutzvereinigungen auf Mitwirkung bereits wäh-
rend der Verträglichkeitsprüfung lässt sich schließlich auch nicht aus Art. 6
Abs. 3 FFH-RL herleiten.
Die Vorschrift bestimmt in ihrem Satz 1, dass Pläne oder Projekte, die ein FFH-
Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, eine Prüfung auf Verträglichkeit mit
den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen erfordern. "Unter Berück-
sichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung" und vorbehaltlich der
Möglichkeit einer Abweichungsentscheidung nach Absatz 4 stimmen die zu-
ständigen Behörden dem Plan bzw. Projekt nach Satz 2 der Vorschrift nur zu,
"wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt
wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben." Aus
dieser Formulierung folgt nicht, dass die Öffentlichkeit bereits während der Ver-
träglichkeitsprüfung angehört werden müsste. Zu Recht hat das Oberverwal-
tungsgericht daher angenommen, dass im Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 FFH-
RL - nicht anders als in § 34 Abs. 1 bis 3 BNatSchG - die Mehrstufigkeit der
habitatschutzrechtlichen Prüf- und Verfahrensschritte klar zum Ausdruck
kommt, und dass sich die in Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL erwähnte Anhörung
der Öffentlichkeit - ebenso wie in § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG - nicht bereits auf
die Verträglichkeitsprüfung, sondern erst auf die Zulassungsentscheidung be-
zieht. Mit dem Prüfschritt der Verträglichkeitsprüfung beschäftigt sich Satz 1 der
Vorschrift. Die Regelung in Satz 2 betrifft demgegenüber ausweislich der For-
mulierung "Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung"
insgesamt ein Verfahrensstadium, in dem die Ergebnisse der Verträglichkeits-
prüfung bereits vorliegen, diese Prüfung also abgeschlossen ist. Deshalb ist
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auch der in Satz 2 enthaltene Hinweis auf eine "gegebenenfalls" anzuhörende
Öffentlichkeit ersichtlich auf Zulassungsentscheidungen bezogen, die nach Ab-
schluss der Verträglichkeitsprüfung zu treffen sind.
Entgegen der Ansicht des Klägers hat dieses Auslegungsergebnis nicht zur
Folge, dass Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL "funktionslos" oder nicht anwendbar
wäre. Richtig ist zwar, dass Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL nur Fälle betrifft, in
denen die Verträglichkeitsprüfung ergeben hat, dass das Projekt nicht zu erheb-
lichen Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele des Gebiets führen kann, und
dass das Projekt deshalb einer Abweichungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 4
FFH-RL bzw. § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG nicht bedarf mit der weiteren Folge,
dass auch eine Mitwirkung anerkannter Naturschutzvereinigungen nach § 63
Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG ausscheidet. Dass die Öffentlichkeit in diesen Fällen
gleichwohl "gegebenenfalls" anzuhören sein kann, ergibt sich indes bereits dar-
aus, dass das jeweilige Zulassungsverfahren als Trägerverfahren der habitat-
schutzrechtlichen Prüf- und Verfahrensschritte eine Öffentlichkeitsbeteiligung
erfordern kann. Schon von daher kann der Kläger aus seiner Behauptung, die
Anhörung der Öffentlichkeit dürfe nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL jedenfalls
nicht generell ausgeschlossen werden, nichts für eine vorgezogene Mitwirkung
bereits im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung herleiten, desgleichen nicht aus
der besonderen Rolle, die das gemeinschaftliche Umweltrecht der Öffentlich-
keitsbeteiligung einräumt (dazu Epiney, in: Epiney/Gammenthaler , Das
Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 117, m.w.N.). Dieses
nach Systematik und Wortlaut des Unionsrechts klare Auslegungsergebnis wird
auch durch die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 59 Abs. 2 Nr. 3
BNatSchG 2002 (BT-Drs. 14/6378 S. 60 Spalte 2) - der Vorgängervorschrift des
§ 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG - ersichtlich nicht in Frage gestellt, wonach die
Einbeziehung ausgewiesener Schutzgebiete "auch der in Art. 6 Abs. 3 Satz 2
der FFH-RL angesprochenen Beteiligung der Öffentlichkeit" entspreche.
Eine vom Kläger angeregte Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs
gemäß Art. 267 AEUV war angesichts des auch unionsrechtlich klaren Ausle-
gungsergebnisses nicht veranlasst.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
VRiBVerwG Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
hat Urlaub und kann
deshalb nicht unterschreiben.
Dr. Gatz
Dr. Decker
Dr. Külpmann
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG).
VRiBVerwG Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
hat Urlaub und kann
deshalb nicht unterschreiben.
Dr. Gatz
Dr. Decker
Dr. Külpmann
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