Urteil des BVerwG vom 26.06.2014

Öffentliche Sicherheit, Umweltverträglichkeitsprüfung, Europäische Kommission, Gefahr

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 C 2.13
OVG 11 A 1.13
Verkündet
am 26. Juni 2014
Schmidt
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz, Petz, Dr. Decker und
Dr. Külpmann
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Januar
2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entschei-
dung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfah-
rens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
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G r ü n d e :
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Die Kläger wenden sich gegen die Festlegung von Abflugverfahren.
Gegenstand der Klagen sind die Abflugverfahren GERGA 1 A, TUVAK 1 A und
DEXUG 1 A, die das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) der Beklag-
ten in der 247. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Ordnung (Festle-
gung von Flugverfahren für An- und Abflüge nach Instrumentenflugregeln zum
und vom Flughafen Berlin Brandenburg) vom 10. Februar 2012 (BAnz S. 1086)
in der derzeit gültigen Fassung der 3. Änderungsverordnung vom 23. Oktober
2013 (BAnz AT 25.10.2013 V1) festgesetzt hat. Die Verfahren führen in ihrem
gemeinsamen Verlauf zwischen den Streckenpunkten DB 241 und DB 243 öst-
lich an dem Gelände des Helmholtz-Zentrums Berlin in Berlin Wannsee vorbei,
auf dem sich der Forschungsreaktor BER II (Berliner-Experimentier-Reaktor II),
eine Lagerhalle für Brennelemente sowie die Landessammelstelle für klein- und
mittelradioaktive Abfälle befinden. Der seitliche Abstand zwischen den Abflug-
strecken und dem Reaktorgebäude beträgt etwa 3 km. Über eine spezielle
Schutzhülle oder Betonabschirmung gegen den Absturz von Flugzeugen, Hub-
schraubern oder deren massiveren Teilen verfügen die Anlagen des Helmholtz-
Zentrums nicht.
Die Klägerinnen zu 3 und 4 sind (Mit-)Eigentümerinnen selbstgenutzter Haus-
grundstücke in den Gemeinden Kleinmachnow, der Klägerin zu 1, bzw. Stahns-
dorf, der Klägerin zu 2. Der Kläger zu 5 wohnt in der Gemeinde Stahnsdorf, die
Klägerin zu 7 im Ortsteil Ruhlsdorf der Stadt Teltow, der Klägerin zu 6, und der
Kläger zu 8 in Kleinmachnow. Der Abstand zwischen den Gemeindegebieten
bzw. Wohnsitzen der Kläger zu 1 bis 8 und dem Helmholtz-Zentrum beträgt bis
zu 9,7 km. Die Klägerin zu 9 ist im Helmholtz-Zentrum beschäftigt.
Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die 247. Durchführungsver-
ordnung zur Luftverkehrs-Ordnung in der damals gültigen Fassung der 2. Ände-
rungsverordnung rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt, so-
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weit bei der Benutzung der Startbahn 25 R Abflugverfahren über den Strecken-
punkt DB 243 für die Streckenführungen GERGA 1 A, TUVAK 1 A und
DEXUG 1 A festgelegt sind. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass die
Entscheidung des BAF abwägungsfehlerhaft sei. Die Behörde habe nicht dar-
gelegt, wie hoch sie das Risiko eingeschätzt habe, dass ein Flugzeug oder Tei-
le davon als Folge eines Unfalls das Reaktorgebäude oder störanfällige be-
nachbarte Flächen träfen. Aus dem Ermittlungsdefizit folge als Abwägungs-
mangel, dass die Störfallrisiken weder bemessen noch gewichtet worden seien.
Es fehle die Prüfung, ob durch den Verlauf der umstrittenen Flugrouten der Be-
reich des tolerablen Restrisikos verlassen und bereits eine Gefahrenlage einge-
treten sein könnte. Das BAF habe ferner nicht ermittelt, ob und inwieweit die
Flugrouten die Wahrscheinlichkeit von gezielten Angriffen auf den Forschungs-
reaktor BER II und die benachbarten Lagerhallen erhöhten. Es hätte aufklären
müssen, ob der vorgesehene seitliche Sicherheitsabstand ausreichend bemes-
sen sei, um im Falle eines terroristischen Angriffs aus der Luft eine bestmögli-
che Gefahrenabwehr und Risikovorsorge zu gewährleisten.
Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Be-
klagte die Abweisung der Klagen. Die Kläger verteidigen das angefochtene
Urteil.
II
Die Revision ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung an das Oberverwal-
tungsgericht begründet.
1. Das vorinstanzliche Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137
Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Im Ausgangspunkt zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteile vom 28. Juni 2000 - BVerwG 11 C
13.99 - BVerwGE 111, 276 <281>, vom 26. November 2003 - BVerwG 9 C
6.02 - BVerwGE 119, 245 <255 f.> und vom 24. Juni 2004 - BVerwG 4 C
11.03 - BVerwGE 121, 152 <157>; Beschluss vom 4. Mai 2005 - BVerwG 4 C
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6.04 - BVerwGE 123, 322 <330>) hat das Oberverwaltungsgericht angenom-
men, dass es sich bei der Festlegung von Flugverfahren in einer Verordnung
auf der Grundlage des § 27a Abs. 2 LuftVO um eine staatliche Planungsaufga-
be handelt, bei der die in der räumlichen Umgebung des Flughafens auftreten-
den Probleme und Interessenkonflikte bewältigt werden müssen, und das BAF
deshalb eine Abwägungsentscheidung zu treffen hat. In welchem Umfang die
Behörde einer Abwägungspflicht unterliegt, richtet sich nach den gesetzlichen
Vorgaben und im Übrigen nach dem rechtsstaatlich für jede Abwägung unab-
dingbar Gebotenen (Urteil vom 24. Juni 2004 a.a.O. S. 157 f.).
Äußere Grenzen können der Abwägung durch Entscheidungen gesetzt sein, die
die zuständige Behörde in der Planfeststellung oder der luftverkehrsrechtlichen
Genehmigung des Flughafens getroffen hat. Sie ergeben sich ferner aus § 29
Abs. 1 Satz 1 LuftVG.
a) In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass das BAF bei seiner Ab-
wägung die von der zuständigen Behörde in der Planfeststellung und der luft-
verkehrsrechtlichen Genehmigung des Flughafens getroffenen Entscheidungen
zu beachten hat (Beschluss vom 4. Mai 2005 a.a.O. S. 330 f.). Zwar kann die
Benutzung des Luftraums im Planfeststellungsverfahren nicht geregelt werden
(Urteil vom 13. Oktober 2011 - BVerwG 4 A 4001.10 - BVerwGE 141, 1
Rn. 147). Das Planfeststellungsverfahren für die Anlegung oder den Ausbau
eines Flughafens und das Verfahren zur Festlegung der Flugverfahren stehen
jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Ist nach dem planerischen Konzept
Grundlage für die Zulassung des Flughafens an dem gewählten Standort und
mit der festgelegten Bahnkonfiguration beispielsweise, dass bestimmte, beson-
ders schutzwürdige Gebiete von Verlärmung verschont bleiben, kann die Plan-
feststellungsbehörde dies mit bindender Wirkung für die spätere Festlegung von
Flugverfahren feststellen (Urteil vom 31. Juli 2012 - BVerwG 4 A 5000.10 u.a. -
BVerwGE 144, 1 Rn. 51). Auch der Schutz bestimmter Anlagen vor Flugzeug-
abstürzen kann zu den tragenden Erwägungen des Planfeststellungsbeschlus-
ses gehören, zu denen sich das BAF bei der nachfolgenden Anordnung von
Flugverfahren nicht in Widerspruch setzen darf.
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Der Senat geht nach dem Inhalt des erstinstanzlichen Urteils davon aus, dass
weder der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Flughafens Berlin
Brandenburg vom 13. August 2004 noch der Planergänzungsbeschluss vom
20. Oktober 2009 der Festlegung der strittigen Flugverfahren entgegensteht.
Denn nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist der For-
schungsreaktor BER II in der Studie „M 21 Flugsicherheitsgutachten für den
Ausbau des Flughafens Schönefeld“, die im Planfeststellungsverfahren einge-
holt worden ist, nicht in den Blick genommen worden (UA S. 18). In anderem
Zusammenhang hat auch der Senat angenommen, dass das Risiko einer Ge-
fährdung des Forschungsreaktors BER II bei der Planfeststellung nicht in die
Abwägung hätte einbezogen werden müssen, weil die Lage des Flughafens für
das Risiko eines Flugzeugabsturzes unabhängig von den Flugrouten keinen
Zwangspunkt bilde und zum Schutz des Reaktors - soweit erforderlich - Flugbe-
schränkungen vorgesehen werden könnten (Urteil vom 31. Juli 2012 a.a.O.
Rn. 90).
b) Eine Planungsschranke, die im Wege der Abwägung nicht überwindbar ist,
wird durch § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG errichtet. Danach ist die Abwehr von be-
triebsbedingten Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs sowie für die öf-
fentliche Sicherheit oder Ordnung durch die Luftfahrt Aufgabe der Luftfahrtbe-
hörden und der Flugsicherungsorganisation. Obwohl die Vorschrift die Voraus-
setzungen für luftfahrtbehördliche Einzelfallregelungen nach Art einer ordnungs-
rechtlichen Generalklausel bestimmt, hat sie auch Einfluss auf die Abwägung
bei der Festlegung von Flugverfahren (Urteil vom 24. Juni 2004 a.a.O. S. 159).
Eine Grenze, die nicht überschritten werden darf, setzt sie dem Abwägungs-
spielraum deshalb, weil es widersprüchlich wäre, wenn das BAF zur Festlegung
von Flugverfahren ermächtigt wäre, deren Befolgung Anlass zu aufsichtsbe-
hördlichem Einschreiten nach § 29 Abs. 1 Satz 2 LuftVG sein könnte. Sollte das
Oberverwaltungsgericht § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG demgegenüber als Vor-
schrift angesehen haben, die Bestandteil des Abwägungsprogramms ist, wäre
ihm ein Bundesrechtsverstoß unterlaufen.
Schutzgut des § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG ist, soweit es vorliegend darauf an-
kommt, die öffentliche Sicherheit. Sie umfasst die Unverletzlichkeit der Rechts-
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ordnung, die Unversehrtheit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Ein-
zelnen sowie Bestand und Funktionieren der Einrichtungen des Staates oder
sonstiger Träger der Hoheitsgewalt. Eine Gefahr liegt vor, wenn zu erwarten ist,
dass ein Zustand oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des Gesche-
hens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für das Schutzgut
führt. Betriebsbedingt ist eine Gefahr, wenn sie im Zusammenhang mit den be-
triebstechnischen Abläufen des Luftverkehrs steht.
aa) Hiernach steht fest, dass § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG die Festlegung von
Flugverfahren nicht verbietet, wenn ihre Nutzung mit Gefahren für die öffentli-
che Sicherheit durch terroristische Anschläge aus der Luft verbunden ist. Diese
Gefahren sind nicht betriebsbedingt. § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG bezweckt nicht
die Abwehr äußerer, durch Angriffe auf die Sicherheit des Luftverkehrs verur-
sachter Gefahren nach dem Luftsicherheitsgesetz (BTDrucks 15/2361 S. 23 zu
Nr. 7). Zu solchen Angriffen gehören insbesondere Flugzeugentführungen, Sa-
botageakte und terroristische Anschläge (vgl. § 1 LuftSiG). § 29 Abs. 1 Satz 1
LuftVG errichtet damit keine Planungsschranke gegenüber Gefahren, die nicht
betriebsbedingt sind. Gefahren durch terroristische Angriffe aus der Luft sind
aber - ebenso wie entsprechende Risiken - in der Abwägung beachtlich.
bb) Soweit es um die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch
unfallbedingte, auf technisches oder menschliches Versagen zurückzuführende
Abstürze von Flugzeugen geht, ist § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG wegen der Be-
triebsbezogenheit der Gefahren einschlägig.
Ein Absturz von Flugzeugen auf das Gelände des Helmholtz-Zentrums wäre mit
einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit verbunden, weil nach den
Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts durch die Freisetzung ionisieren-
der Strahlung mit besonders nachhaltigen Folgewirkungen für hochrangige
Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu rechnen ist (UA
S. 19). Nicht ermittelt hat das Oberverwaltungsgericht, ob die öffentliche Si-
cherheit durch die Festlegung der Flugverfahren gefährdet wird. Vielmehr hat
es dem BAF vorgehalten, nicht geprüft zu haben, „ob durch den Verlauf der an-
gegriffenen Flugroute in Bezug auf den Forschungsreaktor BER II und die be-
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nachbarten sensiblen Anlagen der Bereich des tolerablen Restrisikos verlassen
und bereits eine Gefahrenlage eingetreten sein könnte“ (UA S. 20). Jedenfalls
darin liegt ein Bundesrechtsverstoß. Bei der Befolgung von Regeln, die der Ab-
wägung nicht zugänglich sind, geht es nicht um Planung, sondern um schlichte
Rechtsanwendung durch Subsumtion eines Sachverhalts unter die vorgegebe-
nen Rechtsbegriffe (vgl. Erbguth, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl. 2009, S. 144
Rn. 115). Deshalb obliegt die Kontrolle, ob eine Abwägungsentscheidung mit
zwingendem Recht vereinbar ist, den Gerichten. Ob die festgelegten Flugver-
fahren die von § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG errichtete Planungsschranke über-
schreiten, kann der Senat mangels ausreichender tatrichterlicher Feststellungen
nicht beurteilen. Da das Urteil, wie noch darzulegen sein wird, auch nicht aus
anderen Gründen richtig ist, ist die Sache zur weiteren Klärung des Sachver-
halts an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 VwGO).
Das Oberverwaltungsgericht wird sich für die erneute Entscheidung von seinem
Standpunkt lösen müssen, dass eine Gefahrenlage besteht, wenn der Bereich
des tolerablen Restrisikos verlassen ist. Die Vorinstanz ist sich bewusst, dass
es neben den Kategorien der Gefahr und des Restrisikos die Kategorie des Ri-
sikos gibt; denn sie sieht das BAF im Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1
Satz 1 LuftVG zur „bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge“ ver-
pflichtet (UA S. 21). Zu Unrecht hat sie jedoch - oberhalb der Schwelle des
Restrisikos und unterhalb der Schwelle der Gefahr angesiedelte - Risiken in
den Gefahrenbegriff des § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG einbezogen. Gefahren und
Risiken unterscheiden sich strukturell und nicht lediglich graduell (entgegen
VGH Kassel, Urteil vom 24. Oktober 2006 - 12 A 2216/05 - NVwZ 2007, 597
<603>). Das Risiko ist als Vorstufe der Gefahr ein Aliud (Kahl, DVBl 2003, 1105
<1107 ff.>).
Die Gleichsetzung von Gefahren und Risiken ist nicht deshalb gerechtfertigt,
weil es vorliegend um den Grad der Wahrscheinlichkeit der Havarie nuklearer
Anlagen als Folge eines Flugzeugabsturzes und die Schwere eines möglichen
Schadens geht. Zwar legt das Atomgesetz die zuständigen Genehmigungsbe-
hörden normativ (z.B. in § 7 Abs. 2 AtG) auf den Grundsatz der bestmöglichen
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Gefahrenabwehr und Risikovorsorge fest (BVerfG, Beschluss vom 20. Dez-
ember 1979 - 1 BvR 385/77 - BVerfGE 53, 30 <58 f.>). Es nimmt aber nicht das
BAF in die Pflicht. § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG, den das BAF zu beachten hat,
beschränkt sich auf das Gebot zur Gefahrenabwehr im Sinne des allgemeinen
Polizeirechts (VGH Mannheim, Urteil vom 15. Juni 1982 - 10 S 428/80 - DVBl
1983, 41; Wöckel, Schriften zum öffentlichen Recht, Band 1249, Festlegung
von Flugverfahren, 2013, S. 103 f.). Es überschreitet den Rahmen der Norm,
wenn das Oberverwaltungsgericht sie unter Rückgriff auf das Atomrecht um das
Gebot zur Risikovorsorge anreichert.
2. Das vorinstanzliche Urteil stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig
dar. Die Revision ist deshalb nicht nach § 144 Abs. 4 VwGO zurückzuweisen.
a) Die Anordnung der Flugverfahren ist, auch wenn sie nicht gegen § 29 Abs. 1
Satz 1 LuftVG verstoßen sollte, rechtswidrig, wenn sie vom Oberverwaltungsge-
richt zu Recht wegen Abwägungsfehlern beanstandet worden ist. Eine dahin-
gehende Feststellung ist dem Senat jedoch nicht möglich.
aa) Dem Oberverwaltungsgericht ist allerdings darin beizupflichten, dass das
- vom Senat für den vorliegenden Fall unterstellte - Risiko für eine atomare An-
lage, im Einwirkungsbereich einer Abflugstrecke durch einen Flugzeugabsturz
beschädigt zu werden, in der Abwägung zu berücksichtigen ist. Das im Bundes-
recht verankerte rechtsstaatliche Abwägungsgebot, dem die Festlegung von
Flugverfahren mangels fachgesetzlicher Normierung unterliegt (Urteil vom
28. Juni 2000 - BVerwG 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <281>), verlangt vom
BAF jedenfalls, außergewöhnliche Verhältnisse am Boden in den Blick zu neh-
men, die sich als abwägungsrelevant aufdrängen müssen. Außergewöhnliche
Verhältnisse am Boden zeichnen sich entweder durch eine besondere Qualität
der Bodennutzung aus wie etwa in einer touristisch geprägten Region mit zahl-
reichen Kur- und Rehabilitationseinrichtungen (vgl. Beschluss vom 4. Mai 2005
- BVerwG 4 C 6.04 - BVerwGE 123, 322 <336>) oder quantitativ durch eine be-
sonders hohe Zahl von Betroffenen (vgl. Urteil vom 31. Juli 2012 - BVerwG 4 A
5000.10 u.a. - BVerwGE 144, 1 Rn. 51). Auf Einzelheiten kommt es hier nicht
an; denn es liegt auf der Hand, dass die Risiken, die von kerntechnischen Anla-
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gen ausgehen und sich durch unfallbedingte oder gezielt herbeigeführte Flug-
zeugabstürze verwirklichen können, wegen der besonderen Gefährlichkeit der
Kernenergie und den weit reichenden Schadensfolgen bei der Festlegung von
An- und Abflugstrecken zu bewerten und in die Abwägung einzustellen sind.
Das BAF wird damit nicht unzumutbar belastet. Dies zeigt sich schon daran,
dass es sich in seinem Abwägungsvermerk vom 26. Januar 2012 mit dem For-
schungsreaktor BER II befasst hat.
Aus § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG lässt sich nicht ableiten, dass Risiken für
Schutzgüter am Boden vom rechtsstaatlichen Abwägungsgebot nicht erfasst
werden sollen. Der Senat hat im Urteil vom 24. Juni 2004 - BVerwG 4 C 11.03 -
(BVerwGE 121, 152 <159>) das Nebeneinander der Abwehr von betriebsbe-
dingten Gefahren die Sicherheit des Luftverkehrs und für die öffentliche Si-
cherheit und Ordnung die Luftfahrt betont. Festlegung oder Änderung
eines Flugverfahrens setzen indes eine (polizeirechtliche) Gefahr in der Luft
nicht voraus (so auch Wöckel a.a.O. S. 104); vielmehr können Flugverfahren
schon dazu dienen, Risiken im Luftraum zu minimieren. Dann aber liegt es in
der Konsequenz des § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG, dass auch Risiken aus der Luft
im Abwägungsprozess zu berücksichtigen sind. Nicht der Abwägung unterlie-
gen lediglich Restrisiken, weil sie jenseits der Schwelle praktischer Vernunft
liegen und als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen sind (vgl.
zum Restrisiko: BVerfG, Beschluss vom 8. August 1978 - 2 BvL 8/77 - BVerfGE
49, 89 <137 f., 143>).
bb) Den bundesrechtlichen Maßstab hat das Oberverwaltungsgericht aber in-
soweit verfehlt, als es seine Entscheidung auf bloße Mängel im Abwägungsvor-
gang gestützt hat. Bei der richterlichen Kontrolle von (untergesetzlichen) Nor-
men kommt es im Grundsatz auf das Ergebnis des Rechtsetzungsverfahrens
an, also auf die erlassene Vorschrift in ihrer regelnden Wirkung, nicht aber auf
die die Rechtsnorm tragenden Motive desjenigen, der an ihrem Erlass mitwirkt
(Urteil vom 13. Dezember 1984 - BVerwG 7 C 3.83 u.a. - BVerwGE 70, 318
<335>). Der Weg zu einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung des Abwä-
gungsvorgangs ist bei untergesetzlichen Normen nur eröffnet, wenn der Norm-
geber - wie etwa im Bauplanungsrecht - einer besonders ausgestalteten Bin-
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dung an gesetzlich formulierte Abwägungsdirektiven unterliegt. Sind solche
- wie hier - nicht vorhanden, kann die Rechtswidrigkeit einer Norm mit Fehlern
im Abwägungsvorgang nicht begründet werden (Urteil vom 26. April 2006
- BVerwG 6 C 19.05 - BVerwGE 125, 384 Rn. 16). Entscheidend ist allein, ob
das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens den anzulegenden rechtlichen
Maßstäben entspricht. Diese Prüfung hat das Oberverwaltungsgericht nicht
vorgenommen. Sie kann vom Senat nicht nachgeholt werden, weil das Ober-
verwaltungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - die dazu erforderlichen Tat-
sachen nicht festgestellt hat.
cc) Der Senat kann die Festlegung der Flugverfahren auch nicht als rechtswid-
rig bestätigen, weil das BAF, wie die Kläger geltend gemacht haben, mit der
Festlegung der Flugverfahren ihr Interesse am Schutz vor unzumutbaren Lärm-
beeinträchtigungen willkürlich unberücksichtigt gelassen hat. Das Oberverwal-
tungsgericht hat offengelassen, ob die Rüge berechtigt ist (UA S. 22). Es hat
deshalb keine Feststellungen getroffen, die dem Senat den Befund ermögli-
chen, dass das BAF die Lärmschutzbelange fehlerhaft abgewogen hat. Dies gilt
auch im Hinblick auf die ruhigen Gebiete nach § 47d Abs. 2 Satz 2 BImSchG,
die die Klägerinnen zu 1 und 2 in ihrem Gemeindegebiet - unterstellt - ausge-
wiesen haben.
b) Die Festlegung der Flugverfahren ist ferner nicht deshalb rechtswidrig, weil
die Kläger nicht angehört worden sind. Weder das Luftverkehrsgesetz noch die
Luftverkehrs-Ordnung schreibt eine Verfahrensbeteiligung betroffener Gemein-
den oder Privatpersonen vor dem Erlass von Flugverfahrensverordnungen vor.
Mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ist das vereinbar. Das Rechts-
staatsprinzip enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbo-
te für die Ausgestaltung von Normsetzungsverfahren. Es bedarf vielmehr der
Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten durch die zuständigen
Organe. Dabei müssen (lediglich) fundamentale Elemente des Rechtsstaats
und der Rechtsstaatlichkeit im Ganzen gewahrt bleiben, mithin ein rechtsstaat-
lich gebotener Mindeststandard (Beschluss vom 8. April 1999 - BVerwG 7 BN
1.09 - juris Rn. 9). Dazu gehört eine Öffentlichkeitsbeteiligung nicht.
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Gemeinden steht ein unmittelbar auf Art. 28 Abs. 2 GG beruhendes Anhörungs-
recht nicht zu (Urteil vom 26. November 2003 - BVerwG 9 C 6.02 -
BVerwGE
119, 245 <
251>). Auch Privatpersonen haben kein verfassungsrechtlich verbürg-
tes Anhörungsrecht. Dabei kann offenbleiben, ob sich dies auf die Erwägung
stützen lässt, die Festlegung von Flugverfahren greife nicht unmittelbar in den
Schutzbereich von Grundrechten (etwa Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein. Gegen ein
Anhörungsrecht lässt sich jedenfalls ins Feld führen, dass es dem BAF möglich
sein muss, die Anordnung von Flugverfahren, wenn für die Sicherheit des Luft-
verkehrs nötig, schnell und ohne großen Verfahrensaufwand zu korrigieren oder
zu revidieren (Urteil vom 26. November 2003 a.a.O. S. 253). Flugverfahren sind
Verkehrsregeln, die in erster Linie der sicheren, geordneten und flüssigen Ab-
wicklung des Luftverkehrs dienen (Urteil vom 24. Juni 2004 a.a.O. S. 158), für
den der Luftraum über der Bundesrepublik Deutschland im Übrigen kraft Geset-
zes (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 LuftVG) freigegeben ist. Anders als dies vielfach bei
der Umsetzung von Genehmigungen und Planfeststellungsbeschlüssen der Fall
ist, werden keine „vollendeten Tatsachen“ geschaffen. Verfassungsrechtlich
ausreichender Rechtsschutz wird dadurch gewährt, dass Betroffene befugt
sind, gerichtlich prüfen zu lassen, ob das BAF bei der Ausweisung von Flugrou-
ten ihre rechtlich geschützten Interessen im Ergebnis fehlerfrei abgewogen hat
(vgl. Urteil vom 26. November 2003 a.a.O. S. 253).
c) Die Festlegung der Flugverfahren ist schließlich nicht mangels vorheriger
Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung rechtswidrig. Der Senat hat
im Urteil vom 19. Dezember 2013 - BVerwG 4 C 14.12 - (NuR 2014, 280, zur
Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen) dargelegt, dass die Festlegung von
Flugrouten nicht zu den Entscheidungen gehört, für die nach dem Gesetz über
die Umweltprüfung - UVPG - eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträg-
lichkeitsprüfung bestehen kann. Zur Begründung heißt es:
„Eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglich-
keitsprüfung folgt nicht aus § 3b Abs. 1 Satz 1 UVPG. Die
Festlegung eines Flugverfahrens ist keine Entscheidung
über den Bau eines Flugplatzes im Sinne der Begriffsbe-
stimmungen des Abkommens von Chicago von 1944 zur
Errichtung der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation
(Anhang 14) (Anlage 1 Nummer 14.12 zum UVPG).
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Die Festlegung eines Flugverfahrens ist auch keine Ände-
rung eines Vorhabens, für das als solches eine UVP-
Pflicht besteht, die nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG zur
Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung des Einzel-
falls verpflichtet.
Bezugspunkt und Maßstab für das Vorliegen einer Ände-
rung ist der bisherige Gestattungszustand. Ob ein Ände-
rungsvorhaben vorliegt, hängt also nicht davon ab, welche
Umweltauswirkungen entstehen, ob etwa - wie der Kläger
hier geltend macht - das geplante Flugverfahren bisher in
der Umweltverträglichkeitsprüfung nicht beschriebene
Umweltauswirkungen hat, sondern muss abhängig vom
Inhalt bestandskräftiger Zulassungsentscheidungen be-
antwortet werden (Urteil vom 7. Dezember 2006 - BVerwG
4 C 16.04 - BVerwGE 127, 208 Rn. 31 ff.). Diese Sicht-
weise teilt das Unionsrecht (Urteil vom 7. Dezember 2006
a.a.O. Rn. 34). Da die Festlegung von Flugverfahren we-
der Gegenstand der Planfeststellung nach § 8 Abs. 1
LuftVG noch der Betriebsgenehmigung nach § 6 Abs. 1
Satz 1 LuftVG ist, kann die Festlegung von Flugverfahren
auch keine Änderung im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2
UVPG sein.
Dass nach innerstaatlichem Recht die Festlegung von
Flugverfahren nicht der Pflicht zur Durchführung einer
Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt oder unterliegen
kann, ist unionsrechtlich unbedenklich. Nach Art. 4 Abs. 1
und 2 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni
1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimm-
ten öffentlichen und privaten Projekten (ABl EG Nr. L 175
S. 40), neu kodifiziert durch die Richtlinie 2011/92/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dez-
ember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei
bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl EU
Nr. L 26 S. 1 - UVP-RL), werden Projekte des Anhangs I
grundsätzlich einer Umweltverträglichkeitsprüfung unter-
zogen, bei Projekten des Anhangs II bestimmen die Mit-
gliedstaaten anhand einer Einzelfalluntersuchung oder
von ihnen festgelegter Schwellenwerte bzw. Kriterien, ob
das Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzo-
gen werden muss. Der Begriff des Projekts wird in Art. 1
Abs. 2 Buchst. a UVP-RL definiert als die Errichtung von
baulichen oder sonstigen Anlagen und sonstige Eingriffe
in Natur und Landschaft. Durch Anhang I Nr. 7a und An-
hang II Nr. 10 der UVP-RL erfährt er eine Beschränkung
auf die Errichtung baulicher Anlagen, weil lediglich der
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Bau eines Flughafens der Pflicht zur Durchführung einer
Umweltverträglichkeitsprüfung unterworfen ist oder sein
kann. Diesem Projektbegriff entspricht eine Tätigkeit nur,
wenn sie mit Arbeiten oder Eingriffen zur Anlegung oder
Änderung des materiellen Zustands des Flughafens ein-
hergeht (EuGH, Urteil vom 17. März 2011 - Rs. C-275/09 -
Slg. 2011, I-1753 Rn. 24 und 30). Flugkorridore und ihre
Zuordnung zu bestehenden Start- und Landebahnen sind
nicht erfasst (vgl. die Antwort der Kommission vom 2. Au-
gust 2002 auf die schriftlichen Anfragen E-2022/02 und
E-2023/02 - ABl EU Nr. C 52 E S. 122).
Der Europäische Gerichtshof hat allerdings wiederholt
festgestellt, dass die Richtlinie 85/337/EWG einen ausge-
dehnten Anwendungsbereich sowie einen sehr weit rei-
chenden Zweck hat (EuGH, Urteile vom 24. Oktober 1996
- Rs. C-72/95 - Slg. 1996, I-5403 Rn. 31, vom 16. Sep-
tember 1999 - Rs. C-435/97 - Slg. 1999, I-5613 Rn. 40
und vom 28. Februar 2008 - Rs. C-2/07 - Slg. 2008, I-1197
Rn. 32) und an eine Gesamtbewertung der Auswirkungen
von Projekten oder deren Änderung auf die Umwelt an-
knüpft. Es stellte eine Vereinfachung dar und liefe diesem
Ansatz zuwider, wenn im Rahmen der Umweltverträglich-
keitsprüfung eines Projekts oder seiner Änderung nur die
unmittelbaren Wirkungen der geplanten Arbeiten selbst
berücksichtigt würden, nicht aber die Auswirkungen auf
die Umwelt, die durch die Benutzung und den Betrieb der
aus diesen Arbeiten hervorgegangenen Anlagen hervor-
gerufen werden können (EuGH, Urteil vom 28. Februar
2008 a.a.O. Rn. 43). Die Pflicht, bei der Planung eines
Flughafens die mit der Benutzung und dem Betrieb ver-
bundenen Umweltauswirkungen in den Blick zu nehmen,
erstreckt sich indes nicht auf alle realistischerweise in Be-
tracht kommenden An- und Abflugverfahren. Art. 2 Abs. 1
UVP-RL verlangt, dass ein Projekt „vor Erteilung der Ge-
nehmigung“ einer Prüfung unterzogen werden muss. Die
Festlegung von Flugverfahren gehört nach innerstaatli-
chem Recht nicht zur Genehmigung des Projekts „Bau
von Flugplätzen“. Sie ist auch nicht Teil eines gestuften
Genehmigungsverfahrens in dem Sinne, dass zunächst
eine Grundsatzentscheidung (über den Bau des Flugha-
fens) und dann eine oder mehrere Durchführungsent-
scheidungen getroffen werden, und in dem die Auswir-
kungen, die ein Projekt möglicherweise auf die Umwelt
hat, im Verfahren des Erlasses der Grundsatzentschei-
dung zu ermitteln und zu prüfen sind (vgl. zur Umweltver-
träglichkeitsprüfung in einem gestuften Genehmigungsver-
fahren EuGH, Urteil vom 4. Mai 2006 - Rs. C-508/03 -
Slg. 2006, I-3969 Rn. 104). An- und Abflugverfahren sind
nicht Bestandteil der Zulassungsentscheidung, sondern
- 15 -
Verkehrsregeln zur sicheren Abwicklung des Flugverkehrs
von und zu einem Flughafen.
Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass die Europäi-
sche Kommission im Mai 2013 ein Vertragsverletzungs-
verfahren nach Art. 258 Abs. 1 AEUV eingeleitet hat, weil
die bundesdeutsche Rechtslage, nach der die Festlegung
von Flugverfahren keiner vorherigen Umweltverträglich-
keitsprüfung bedarf, mit der Richtlinie 85/337/85 nicht ver-
einbar sei, und der Bundesrepublik Deutschland Gelegen-
heit zur Äußerung gegeben hat. Welchen Verlauf das Ver-
fahren nehmen wird, ist offen. In der Sache ist die inner-
staatliche Rechtslage unionsrechtskonform. Das ergibt
sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom
17. März 2011 (a.a.O.). Einer Vorlage an den Europäi-
schen Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 1 AEUV bedarf es
deshalb nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982
- Rs. C-283/81 - Slg. 1982, I-3415 Rn. 14).“
Daran hält der Senat fest.
3. Das Oberverwaltungsgericht wird zu prüfen haben, ob die Nutzung der fest-
gelegten Abflugstrecken mit einer Gefahr für die kerntechnischen Anlagen auf
dem Gelände des Helmholtz-Zentrums Berlin durch unfallbedingte Flugzeugab-
stürze verbunden ist. Ist das der Fall, ist die angegriffene Verordnung wegen
eines Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG rechtswidrig.
Steht § 29 Abs. 1 Satz 1 LuftVG der Festlegung der Flugverfahren nicht ent-
gegen, wird sich das Oberverwaltungsgericht der Frage zu widmen haben, ob
die Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung des Forschungsreaktors BER II
durch einen unfallbedingten Flugzeugabsturz dem Bereich des Risikos oder des
Restrisikos zuzuordnen ist. Im letzteren Fall wäre sie für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit der Flugverfahren irrelevant.
Das Risiko einer Havarie des Reaktors durch einen unfallbedingten Flugzeug-
absturz ist abwägungserheblich. Abwägungserheblich ist auch das Risiko einer
Havarie durch gezielt herbeigeführte Flugzeugabstürze, weil es nach der Auf-
fassung des Oberverwaltungsgerichts, gegen die revisionsgerichtlich nichts ein-
zuwenden ist, nicht lediglich ein Restrisiko darstellt (UA S. 20).
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- 16 -
Bei der auf das Abwägungsergebnis beschränkten Kontrolle wird das Oberver-
waltungsgericht von dem Ansatz auszugehen haben, dass die Kläger nicht oh-
ne rechtfertigenden Grund mit rechtlich relevanten Risiken belastet werden dür-
fen. An einem rechtfertigenden Grund fehlt es, wenn sich die Risiken ohne Wei-
teres dadurch vermeiden lassen, dass das BAF ohne Vernachlässigung der für
den Flugverkehr unabdingbaren Sicherheitserfordernisse andere, sich als ein-
deutig vorzugswürdig aufdrängende Flugverfahren festlegt (vgl. Urteil vom
24. Juni 2004 - BVerwG 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <164>). Alternativrou-
ten sind allerdings nicht schon dann vorzuziehen, wenn ihre Benutzung mit ge-
ringeren Risiken für die Anlagen des Helmholtz-Zentrums Berlin verbunden ist.
Bei ihrer Betrachtung und dem Vergleich mit den umstrittenen Flugverfahren
spielen auch alle anderen abwägungsbeachtlichen Belange, z.B. die Größen-
ordnungen von Lärmbelastungen, eine Rolle.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
Dr. Decker
Dr. Külpmann
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
150 000 € festgesetzt.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
Dr. Decker
Dr. Külpmann
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