Urteil des BVerwG vom 21.10.2004

Windenergie, Gemeinde, Ausschluss, Bebauungsplan

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 C 2.04
Verkündet
OVG 9 LB 10/02
am 21. Oktober 2004
Jakob
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n , G a t z und
Dr. J a n n a s c h sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P h i l i p p
für Recht erkannt:
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts
vom 28. Januar 2004 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurück-
verwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentschei-
dung vorbehalten.
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin erstrebt die Erteilung eines Bauvorbescheids für zwei Windenergieanla-
gen mit einer Nennleistung von jeweils 1 MW im Außenbereich westlich der Ortslage
von P. im Süden der beigeladenen Samtgemeinde. Der Beklagte lehnte die Bauvo-
ranfrage nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB unter Hinweis auf Darstellungen im Flä-
chennutzungsplan der beigeladenen Samtgemeinde in der Fassung der 22. Än-
derung vom 10. Dezember 1998 ab. Danach ist für ihr Gebiet nur eine Konzentrati-
onsfläche bei T. im Norden der Samtgemeinde dargestellt. Das Verwaltungsgericht
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hat den Beklagten verpflichtet, den Bauvorbescheid zu erteilen, und zur Begründung
ausgeführt, die Flächennutzungsplanung leide an beachtlichen Abwägungsfehlern.
Auf die Berufung der beigeladenen Samtgemeinde hat das Niedersächsische Ober-
verwaltungsgericht mit Urteil vom 28. Januar 2004 (NdsVBl 2004, 234) das Urteil des
Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es
ausgeführt, zwar sei die 22. Änderung des Flächennutzungsplans abwägungsfehler-
haft, da für das gesamte Samtgemeindegebiet lediglich eine einzige, mit 8,4 ha zu-
dem noch sehr kleine Fläche für Windenergie dargestellt worden sei. Dieser Abwä-
gungsfehler führe jedoch nur zur Teilunwirksamkeit der 22. Änderung dahingehend,
dass es einerseits bei dem Ausschluss von Windenergieanlagen in den Ausschluss-
gebieten verbleibe, dagegen in den 15 kartierten Potenzialflächen die Zulässigkeit
von Windenergieanlagen nunmehr insgesamt eröffnet werde. Da die beantragten
Windenergieanlagen innerhalb der Ausschlussflächen errichtet werden sollten, stün-
den ihnen öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB entgegen.
Die Klägerin hat die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt.
Während des Revisionsverfahrens hat die beigeladene Samtgemeinde den Flä-
chennutzungsplan erneut geändert (27. Änderung vom 22. April 2004) und im Nor-
den ihres Gebiets zwei weitere Konzentrationsflächen für Anlagen der Windenergie
dargestellt.
Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, die 22. und die 27. Änderung
des Flächennutzungsplans verstießen bereits gegen § 1 Abs. 3 BauGB, seien aber
zumindest abwägungsfehlerhaft. Dies gelte sowohl für den ersten Schritt, mit dem die
beigeladene Samtgemeinde Ausschlussgebiete einschließlich der (in Wahrheit
überdimensionierten) Abstandsflächen erarbeitet habe, als auch für die Entschei-
dung, aus den verbleibenden 15 so genannten Potenzialflächen nur eine (22. Ände-
rung) bzw. nunmehr drei (27. Änderung) Flächen als Flächen für die Windenergie
darzustellen. Dies könne entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts
nicht lediglich zu einer Teilnichtigkeit führen. Die Ermittlung von Potenzialflächen
stelle keinen Teil des Flächennutzungsplans dar, sondern sei nur ein Zwischenschritt
bei der Erarbeitung des Planinhalts. Im Übrigen bewirke die Teilunwirksamkeit hin-
sichtlich der Mehrzahl der Potenzialflächen "weiße Bereiche", für die keine Konzen-
trationsfläche im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB dargestellt sei. Ein derartiges
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Ergebnis könne die Ausschlusswirkung nach dieser Vorschrift nicht auslösen. Die
27. Änderung des Flächennutzungsplans könne zwar im Revisionsverfahren berück-
sichtigt werden. Auch in der geänderten Fassung sei der Flächennutzungsplan je-
doch aus einer Reihe von Gründen abwägungsfehlerhaft. Der Regionale Raumord-
nungsplan für den Landkreis könne dem Vorhaben schon deswegen nicht entgegen-
gehalten werden, weil dieses unstreitig nicht raumbedeutsam sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. Januar
2004 aufzuheben und die Berufung der beigeladenen Samtgemeinde gegen
das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 10. März 2001 zurückzu-
weisen,
hilfsweise,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. Januar
2004 aufzuheben und festzustellen, dass der Ablehnungsbescheid des Be-
klagten vom 20. August 1999 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksre-
gierung Lüneburg vom 21. März 2000 rechtswidrig gewesen sind.
Der Beklagte und die beigeladene Samtgemeinde beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die beigeladene Samtgemeinde verweist auf die inzwischen erfolgte 27. Änderung
des Flächennutzungsplans, die als Änderung der Rechtslage im Revisionsverfahren
zu berücksichtigen sei. Jedenfalls nunmehr werde den Anforderungen an das Abwä-
gungsgebot Rechnung getragen. Davon abgesehen sei nicht nachvollziehbar und zu
beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht die Darstellung einer Fläche für
Windenergie in der 22. Änderung als zu klein und damit unzureichend gewertet habe.
Hierfür genüge ein Hinweis auf die Größenverhältnisse und das Fehlen besonderer
örtlicher Gegebenheiten nicht. Das Oberverwaltungsgericht sei allerdings zu Recht
jedenfalls nur zu einer Teilunwirksamkeit der 22. Änderung gelangt. Denn diese
Änderung stelle sich als einheitlicher Vorgang dar, durch den nicht nur eine Fläche
für die Windenergie dargestellt, sondern zugleich die planerische Entscheidung
zugunsten der Ausschlusswirkung getroffen worden sei.
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Der Beklagte verweist ergänzend auf den Regionalen Raumordnungsplan, der auch
bei nicht raumbedeutsamen Vorhaben zu beachten und dem Oberverwaltungsgericht
aus anderen Verfahren bekannt gewesen sei. Auch dieser sehe nur das Gebiet bei T.
als Fläche für die Windenergie vor.
II.
Die Revision hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass die Sache zur anderweitigen Ver-
handlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist.
Das Berufungsgericht verletzt Bundesrecht mit seiner Annahme, der Flächennut-
zungsplan in der Fassung seiner 22. Änderung sei lediglich teilweise unwirksam und
dem Vorhaben der Klägerin stünden daher nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB öffentli-
che Belange entgegen. Die während des Revisionsverfahrens erfolgte 27. Änderung
des Flächennutzungsplans ist als Rechtsänderung im Revisionsverfahren zu berück-
sichtigen. Sie gebietet die Zurückverweisung.
1. Der Beklagte stützt die Ablehnung der Bauvoranfrage für die Errichtung zweier
Windenergieanlagen auf die in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB normierte Ausschlusswir-
kung. Danach stehen einem Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB öffentli-
che Belange in der Regel auch dann entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im
Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Zweifel am
Vorliegen eines Regelfalls werden vorliegend nicht geltend gemacht. § 35 Abs. 3
Satz 3 BauGB stellt die Errichtung von Windenergieanlagen (sowie anderer Vorha-
ben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB) im gemeindlichen Außenbereich unter ei-
nen Planungsvorbehalt, der sich an die Gemeinden als Träger der Flächennut-
zungsplanung und an die Träger der Raumordnungsplanung, insbesondere der Re-
gionalplanung, richtet. Der Planungsvorbehalt setzt gebietsbezogene Festlegungen
des Plangebers über die Konzentration von Windenergieanlagen an bestimmten
Standorten voraus, durch die zugleich ein Ausschluss der Anlagen an anderer Stelle
im Plangebiet angestrebt und festgeschrieben wird. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ver-
leiht derartigen Festlegungen rechtliche Ausschlusswirkung gegenüber dem Bauan-
tragsteller mit der Folge, dass Vorhaben außerhalb der Konzentrationszonen in der
Regel unzulässig sind. In diesem Sinne bedingen die negative und die positive Kom-
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ponente der festgelegten Konzentrationszonen einander. Der Ausschluss der Anla-
gen auf Teilen des Plangebiets lässt sich nach der Wertung des Gesetzgebers nur
rechtfertigen, wenn der Plan sicherstellt, dass sich die betroffenen Vorhaben an an-
derer Stelle gegenüber konkurrierenden Nutzungen durchsetzen. Dem Plan muss
daher ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept zugrunde liegen, das den
allgemeinen Anforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots gerecht
wird. Dagegen ist es einer Gemeinde verwehrt, den Flächennutzungsplan als Mittel
zu benutzen, das ihr dazu dient, unter dem Deckmantel der Steuerung Windkraftan-
lagen in Wahrheit zu verhindern. Mit einer bloßen "Feigenblatt"-Planung, die auf eine
verkappte Verhinderungsplanung hinausläuft, darf sie es nicht bewenden lassen.
Vielmehr muss sie der Privilegierungsentscheidung des Gesetzgebers Rechnung
tragen und für die Windenergienutzung in substanzieller Weise Raum schaffen (vgl.
Senatsurteile vom 17. Dezember 2002 - BVerwG 4 C 15.01 - BVerwGE 117, 287
<295> und vom 13. März 2003 - BVerwG 4 C 4.02 - BVerwGE 118, 33).
1.1 Das Oberverwaltungsgericht legt diese Rechtslage zugrunde. Ohne Verstoß ge-
gen Bundesrecht gelangt es zu dem Ergebnis, die beigeladene Samtgemeinde habe
der Nutzung der Windenergie im Plangebiet nicht in substanzieller Weise Raum ge-
schaffen. Die hiergegen von der beigeladenen Samtgemeinde erhobenen Einwen-
dungen greifen nicht durch.
Es begegnet keinen Bedenken, dass das Oberverwaltungsgericht die
der Samtgemeinde als nicht abwägungsfehlerhaft angesehen und
dennoch im Ergebnis einen Verstoß gegen das Abwägungsgebot bejaht hat. Entge-
gen der Auffassung der Beigeladenen zu 1 liegt darin kein Widerspruch. Eine Vor-
gehensweise, bei der zunächst alle Flächen kartiert werden, auf denen nach der
Einschätzung der planenden Gemeinde aus Gründen des Naturschutzes, des Im-
missionsschutzes und aus Sicherheitsgründen die Errichtung von Windenergieanla-
gen von vornherein ausgeschlossen werden soll, unterliegt keinen methodischen
Bedenken. Auch das Bilden von Schutzabständen zu diesen Flächen ist im Grund-
satz nicht zu beanstanden. Die Beteiligten streiten über die Berechtigung, diese
Schutzabstände in bestimmten (je nach Gebieten unterschiedlichen) Breiten vorzu-
sehen. Für das Oberverwaltungsgericht war diese Frage letztlich nicht ausschlagge-
bend. In jedem Fall hinderte sein Zwischenergebnis, die Kartierung von Ausschluss-
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gebieten sei rechtlich nicht zu beanstanden, das Gericht nicht daran, die Auswahl
von nur einer der 15 damit verbleibenden Potenzialflächen als unzureichend anzu-
sehen.
Auch im Übrigen ist die Schlussfolgerung des Oberverwaltungsgerichts revisionsge-
richtlich nicht zu beanstanden. Es fasst seine Bewertung dahingehend zusammen,
ein Vorranggebiet von nur 8,4 ha sei im Verhältnis zur Größe des überplanten Samt-
gemeindegebiets angesichts fehlender "besonderer" örtlicher Gegebenheiten so
klein, dass der Windenergie nicht in substanzieller Weise Raum geschaffen werde.
Dabei ist unstreitig den vorliegenden Plänen und Unterlagen zu entnehmen, dass
das Gebiet der beigeladenen Samtgemeinde insgesamt 148 km² = 14 800 ha um-
fasst und die 15 Potenzialflächen zusammen eine Größe von 437,75 ha aufweisen.
Daraus ergibt sich, dass die eine im Flächennutzungsplan dargestellte Fläche bei T.
mit 8,4 ha ½ Promille der Gesamtfläche der beigeladenen Samtgemeinde und 1,9 %
der Potenzialflächen entspricht. Nach den weiteren Feststellungen des Oberverwal-
tungsgerichts reicht diese Fläche - knapp - zur Errichtung von drei Windenergieanla-
gen aus. Mit seinem Hinweis auf das Fehlen "besonderer" örtlicher Gegebenheiten
will das Oberverwaltungsgericht ersichtlich auch dem Hinweis auf das Erholungsge-
biet Lüneburger Heide begegnen; denn die Samtgemeinde liegt allenfalls an dessen
Rand. Im Übrigen sieht sich das Oberverwaltungsgericht in seiner Einschätzung, die
bereits das Verwaltungsgericht hatte und die auch das Berufungsgericht in einer frü-
heren mündlichen Verhandlung im Juli 2003 zum Ausdruck gebracht hatte, erkenn-
bar dadurch bestätigt (vgl. Urteilsabdruck S. 11), dass die beigeladene Samtgemein-
de selbst noch während des Berufungsverfahrens eine Planung begonnen hat, mit
der die Zahl der Konzentrationsflächen erhöht worden ist (27. Änderung).
1.2 Die Schlussfolgerung des Oberverwaltungsgerichts, der Flächennutzungsplan sei
nur teilweise nichtig, verstößt jedoch gegen Bundesrecht.
Mängel die einzelnen Festsetzungen eines Bebauungsplanes anhaften, führen zu
dessen Gesamtnichtigkeit, wenn die übrigen Regelungen oder Festsetzungen eine in
jeder Hinsicht den gesetzlichen Anforderungen gerecht werdende, sinnvolle städte-
bauliche Ordnung nicht bewirken können (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September
2002 - BVerwG 4 CN 1.02 - BVerwGE 117, 58 <61> m.w.N.). Die Konzentrationspla-
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nung von Windenergieanlagen in einem Flächennutzungsplan ist deshalb insgesamt
nichtig, wenn dem Plan mangels ausreichender ("substanzieller") Darstellung von
Positivflächen für die Errichtung von Windenergieanlagen kein schlüssiges gesamt-
räumliches Planungskonzept zugrunde liegt. Stehen die positiv festgelegten und die
ausgeschlossenen Standorte - wie hier - nicht in einem gesamträumlich ausgewoge-
nen Verhältnis zueinander, kann die in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB angeordnete Aus-
schlusswirkung auf den Flächen, welche die Gemeinde von Windenergieanlagen
freihalten will, nicht einsetzen. Die negative Komponente der Konzentrationsplanung
setzt die hinreichende Darstellung einer oder mehrerer Positivflächen voraus. Der
Planvorbehalt in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ermöglicht es der Gemeinde, eine positi-
ve Darstellung mit einer Ausschlusswirkung für den übrigen Planungsraum zu kom-
binieren. Er erlaubt es der Gemeinde aber nicht, die Ausschlusswirkung ohne eine
ausreichende Darstellung von Positivflächen herbeizuführen (vgl. auch BVerwG, Ur-
teil vom 17. Dezember 2002 - BVerwG 4 C 15.01 - a.a.O., S. 294 - zur funktionalen
Verbindung der positiven und negativen Komponenten einer Konzentrationsplanung).
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ändert der Umstand, dass die Beigela-
dene zu 1 neben der einen Konzentrationsfläche weitere 14 Potenzialflächen identi-
fiziert hat, an diesem Ergebnis nichts: Diese Flächen sind nach den Ausführungen
der Vorinstanz keine Konzentrationszonen (Positivflächen), sondern verbleiben der
Beigeladenen zu 1 als "Manövriermasse" und kommen lediglich als Eignungsflächen
in Betracht. Der Vertreter der Beigeladenen zu 1 hat diese Flächen in der mündlichen
Verhandlung vor dem erkennenden Senat als "weiße Flächen" bezeichnet. Sie
scheiden daher als positive Darstellung von Konzentrationsflächen für Windenergie-
anlagen aus und können nicht als Gegengewicht zu den Ausschlussflächen auf die
Waagschale gelegt werden. Dies kann entgegen der Vorinstanz auch nicht über-
gangsweise geschehen, um einer aus der Sicht der Gemeinde "unerträglichen
Rechtsunsicherheit in Zeiten der Auseinandersetzung um einen rechtswirksamen
Flächennutzungsplan" entgegenzuwirken.
Dieses Ergebnis wird durch die eher pragmatischen Überlegungen des Oberverwal-
tungsgerichts, mit denen es seinen Ansatz begründet, nicht in Frage gestellt. Der Ge-
setzgeber stellt auch in den Fällen, in denen eine Konzentrationsplanung nach § 35
Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht erfolgt oder unwirksam ist, ein Lösungsmodell bereit.
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Danach ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine Anlage der Windenergie mit öffentlichen
Belangen, beispielsweise des Naturschutzes oder des Immissionsschutzes vereinbar
ist, oder nicht. Im Rahmen der Aufstellung eines nicht oder noch nicht wirksamen
Flächennutzungsplans gewonnene tatsächliche Erkenntnisse über die
Schutzbedürftigkeit der betroffenen Gebiete können im Baugenehmigungsverfahren
berücksichtigt werden. Im Übrigen bleibt es der Gemeinde unbenommen, den Flä-
chennutzungsplan zu ändern, wie dies auch vorliegend erfolgt ist. Ihr Planungser-
messen, auf das das Oberverwaltungsgericht besonders hinweist, bleibt gewahrt.
2.1 Während des Revisionsverfahrens ist am 22. April 2004 die 27. Änderung des
Flächennutzungsplans wirksam geworden. Diese Änderung ist auch im Revisionsver-
fahren zu beachten, da sie als Rechtsänderung anzusehen ist.
Das Revisionsgericht hat Rechtsänderungen, die während des Revisionsverfahrens
eintreten, im gleichen Umfang zu beachten, wie sie die Vorinstanz berücksichtigen
müsste, wenn sie jetzt entschiede (BVerwG, Urteile vom 13. März 2003 - BVerwG
4 C 3.02 - BauR 2003, 1172 = Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 356 und vom
26. November 2003 - BVerwG 9 C 6.02 - DVBl 2004, 382 = Buchholz 442.42 § 27a
LuftVO Nr. 2). Die Klägerin erstrebt die Erteilung eines Bauvorbescheids. Für die
Frage, ob ihr ein Recht auf einen Bauvorbescheid zusteht, stellt die 27. Änderung
des Flächennutzungsplans eine Rechtsänderung dar. Denn nach § 35 Abs. 3 Satz 3
BauGB stehen einem Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB öffentliche Be-
lange in der Regel auch dann entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flä-
chennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Derartige Auswei-
sungen enthalten sowohl die vom Oberverwaltungsgericht herangezogene 22. als
auch die während des Revisionsverfahrens beschlossene 27. Änderung des Flä-
chennutzungsplans. Die Darstellungen in der 22. Änderung sind indes nicht wirksam.
Somit kommt es nunmehr auf die Wirksamkeit der Darstellungen in der 27. Änderung
des Flächennutzungsplans an.
Diese stellt auch eine änderung dar. Zwar ist der Flächennutzungsplan vom
Gesetzgeber im Unterschied zum Bebauungsplan, der verbindliche Festsetzungen
enthält, ursprünglich lediglich als ein vorbereitender Plan konzipiert worden (vgl. § 1
Abs. 2 BauGB), dessen unmittelbare rechtliche Wirkungen sich auf den innerge-
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meindlichen Bereich beschränken und inhaltlich im Anpassungsgebot des § 8 Abs. 2
BauGB erschöpfen. Indessen trifft diese Charakterisierung, so allgemein formuliert,
heute nicht mehr einschränkungslos zu. Der Gesetzgeber hat mit § 35 Abs. 3 Satz 3
BauGB eine Regelung geschaffen, die zur Folge hat, dass die Darstellungen des
Flächennutzungsplans unter den dort genannten Voraussetzungen unmittelbar auf
die Vorhabenzulassung durchschlagen (vgl. Senatsurteil vom 20. November 2003
- BVerwG 4 CN 6.03 - BVerwGE 119, 217 <224> zu den Zielen der Raumordnung).
Der Flächennutzungsplan dient in diesen Fällen somit nicht mehr lediglich der vorbe-
reitenden Darstellung, aus der der Bebauungsplan als nachfolgender Schritt mit ei-
genem planerischen Spielraum zu entwickeln ist (§ 8 Abs. 2 BauGB). Vielmehr füh-
ren die Darstellungen im Flächennutzungsplan eine unmittelbar wirksame Beach-
tenspflicht herbei. Die Beachtenspflicht kommt darin zum Ausdruck, dass der öffent-
liche Belang der Freihaltung des Außenbereichs von den privilegierten Vorhaben in
den Ausschlusszonen bei der nachvollziehenden Abwägung grundsätzlich Vorrang
vor der in § 35 Abs. 1 BauGB angeordneten Privilegierung genießt (vgl. BVerwG,
Urteil vom 17. Dezember 2002 - BVerwG 4 C 15.01 - a.a.O., S. 302), und somit von
vornherein ein deutlich stärkeres Gewicht besitzt als sonst Darstellungen des Flä-
chennutzungsplans gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB (vgl. BVerwG, Urteil vom
19. September 2002 - BVerwG 4 C 10.01 - BVerwGE 117, 44 <48>; Urteil vom
20. Januar 1984 - BVerwG 4 C 43.81 - BVerwGE 68, 311). Der generelle Vorrang
entfällt nur in Ausnahmefällen, die die der Planung zugrunde liegende Konzeption
nicht in Frage stellen. Die Möglichkeit von Ausnahmen unterscheidet aber die Vor-
schrift des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht von anderen in Gesetzen enthaltenen
Regelungen, die sich ebenfalls nur Geltung für den Regelfall beimessen und deren
unmittelbare normative Wirkung damit nicht in Frage gestellt wird. Im Anwendungs-
bereich von § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erfüllt der Flächennutzungsplan mithin eine
dem Bebauungsplan vergleichbare Funktion und regelt Inhalt und Schranken des
Eigentums (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - BVerwG 4 C
15.01 - a.a.O., S. 303).
2.2 Die Klägerin wendet gegen die 27. Änderung des Flächennutzungsplans ein,
auch mit den jetzt vorgesehenen drei Konzentrationszonen sei der Windenergie
immer noch nicht in ausreichendem Umfang substanziell Raum geschaffen worden.
Überdies hätte mit der Neufassung inzwischen eingetretenen Umständen, beispiels-
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weise dem Wegfall einer Richtfunktrasse, Rechnung getragen werden müssen. Der
damit notwendig einhergehende, gegenüber dem Berufungsverfahren neue Tatsa-
chenvortrag ist auch im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, denn er steht im un-
mittelbaren Zusammenhang mit der beachtlichen Rechtsänderung und soll dieser
Rechnung tragen (vgl. Senatsurteil vom 23. Januar 1981 - BVerwG 4 C 82.77 -
BVerwGE 61, 285 = Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 176).
Es ist jedoch nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, die rechtliche Wirksamkeit der
Darstellungen in der 27. Änderung des Flächennutzungsplans zu überprüfen. Dies
setzt vielmehr zunächst Sachverhaltsermittlungen und sodann eine Würdigung des
Planes vor dem Hintergrund des ermittelten Sachverhalts voraus. Es obliegt nicht
dem Revisionsgericht, der Frage nachzugehen, ob in einem derartigen Einzelfall
Darstellungen für die Windenergie an anderer Stelle in einem Flächennutzungsplan
als Ergebnis der dem Träger der Bauleitplanung obliegenden Abwägung rechtlich
fehlerhaft sind oder nicht. Die Sache war somit nach § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zu-
rückzuverweisen.
3. Der Hinweis des Beklagten, die Ablehnung eines Bauvorbescheids könne auch auf
das Regionale Raumordnungsprogramm für den Landkreis gestützt werden, so dass
das Berufungsurteil sich aus anderen Gründen als richtig darstelle, greift nicht durch.
Die Ausschlusswirkung, die § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB an bestimmte Ziele der
Raumordnung knüpft, gilt nur für raumbedeutsame Vorhaben. Das ergibt sich nicht
nur aus dem gesetzessystematischen Zusammenhang mit der vorangehenden Re-
gelung in Satz 2, sondern auch aus der Eigenart raumordnerischer Ziele, die nach
der Definition in § 3 Nr. 2 ROG (1998) verbindliche Vorgaben "zur Entwicklung, Ord-
nung und Sicherung des Raums" sind (vgl. Senatsurteil vom 13. März 2003
- BVerwG 4 C 4.02 - a.a.O., S. 35).
Dr. Paetow
Prof. Dr. Rojahn
Gatz
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 204 516,75 €
(400 000 DM) festgesetzt. Dieser vom Oberverwaltungsgericht nach der Leistungs-
fähigkeit der Anlagen (200 DM bzw. 100 € je 1 kw) berechnete Wert entspricht nach
den Ermittlungen des Oberverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 30. April 2003,
BauR 2003, 1546) bei Anlagen, deren Gesamthöhe 100 m nicht überschreitet, in
etwa einem Zehntel der Rohbaukosten (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Dezember
2001 - BVerwG 4 C 3.01 - Buchholz 360 § 13 GKG Nr. 112).
Dr. Paetow
Prof. Dr. Rojahn
Gatz
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Bauplanungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 3
Stichworte:
Revisionsverfahren; Rechtsänderung; Flächennutzungsplan; Teilnichtigkeit; Teilun-
wirksamkeit; Ausschlusswirkung; Planungskonzept; Windenergieanlagen.
Leitsätze:
Die Konzentrationsplanung von Windenergieanlagen in einem Flächennutzungsplan
ist insgesamt unwirksam, wenn dem Plan mangels ausreichender Darstellung von
Positivflächen kein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept zugrunde liegt.
Die Änderung eines Flächennutzungsplans, mit dem Ausweisungen an anderer Stel-
le vorgenommen werden und der damit die Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3
Satz 3 BauGB herbeiführen soll, stellt eine im Revisionsverfahren beachtliche
Rechtsänderung dar.
Urteil des 4. Senats vom 21. Oktober 2004 - BVerwG 4 C 2.04
I. VG Lüneburg vom 20.03.2001 - Az.: VG 2 A 98/00 -
II. OVG Lüneburg vom 28.01.2004 - Az.: OVG 9 LB 10/02 -