Urteil des BVerwG vom 24.11.2005

Laden, Toto, Einheit, Belastung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 C 14.04
Verkündet
OVG 3 A 471/01
am 24. November 2005
Renner
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 24. November 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a , Prof. Dr. R o j a h n ,
Dr. J a n n a s c h und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. P h i l i p p
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberver-
waltungsgerichts für das Land Brandenburg vom 8. November
2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Aus-
nahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die
diese selbst trägt.
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin erstrebt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Um-
wandlung einer Getränkelagerfläche in Verkaufsfläche.
Die Klägerin war Eigentümerin eines Grundstücks in Finsterwalde, auf
dem ein Selbstbedienungs-Lebensmittelmarkt betrieben wird. Ein Bebauungsplan
besteht nicht. Auf den Antrag der Klägerin wurde ihr am 14. Juni 1996 die Bauge-
nehmigung erteilt. Nach den genehmigten Bauvorlagen umfasste der Betrieb u.a.
einen Verkaufsraum (582,83 m²), das Getränkelager (149,78 m²), die Kassenzone
(27,69 m²), eine Pack- und Entsorgungszone (23,99 m²), einen in den Markt integ-
rierten Thekenbereich (33,55 m²), einen Backshop (25,82 m²), einen Laden für To-
to/Lotto, Zeitschriften und Schreibwaren (66,76 m²) sowie einen gemeinsamen Wind-
fang (16,84 m²). Bei einer Ortsbesichtigung am 5. März 1997 stellten Mitarbeiter des
Beklagten fest, dass das Getränkelager als Verkaufsfläche genutzt wurde. Daraufhin
erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin eine entsprechende Nutzungsuntersa-
gungsverfügung. Die Klägerin beantragte bei dem Beklagten die Erteilung einer
Baugenehmigung für die Nutzungsänderung des Getränkelagers zu einem Verkaufs-
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raum. Diesen Antrag lehnte der Beklagte ab; die beigeladene Gemeinde hatte zuvor
ihr Einvernehmen versagt. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Im Beru-
fungsverfahren wurde der Rechtsstreit hinsichtlich der Nutzungsuntersagungsverfü-
gung für erledigt erklärt.
Mit Urteil vom 8. November 2004 - 3 A 471/01 - (ZfBR 2005, 292 ;
juris) hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg die Berufung zu-
rückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Zulässigkeit des streitigen
Vorhabens könne sich allein nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB richten, da das Vorha-
ben nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, aber innerhalb eines im Zu-
sammenhang bebauten Ortsteils liege und die Eigenart der näheren Umgebung nicht
einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspreche. § 34 Abs. 1 Satz 1
BauGB sei jedoch gemäß § 246 Abs. 7 BauGB in Verbindung mit § 3 des Branden-
burgischen Gesetzes zur Durchführung des Baugesetzbuches (BbgBauGBDG) vom
10. Juni 1998 nicht für Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe und
sonstige großflächige Handelsbetriebe im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO anzuwen-
den. Das Vorhaben der Klägerin sei ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb. Bei der
Bestimmung der Großflächigkeit sei von der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts im Urteil vom 22. Mai 1987 - BVerwG 4 C 19.85 - (NVwZ 1987, 1076 =
BRS 47 Nr. 56) und im Beschluss vom 22. Juli 2004 - BVerwG 4 B 29.04 - (ZfBR
2004, 699 = Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 28) auszugehen. Zur Verkaufsfläche
sei grundsätzlich all das zu zählen, was nicht Lager, sondern dazu bestimmt sei,
Kunden sich dort mit dem Ziel aufhalten zu lassen, Verkaufsabschlüsse zu fördern.
Einzubeziehen seien auch Bereiche, in die die Kunden aus Sicherheitsgründen
(Kassen) oder solchen der Hygiene (Verkaufsstände für Fleisch, Fisch, Geflügel,
Wurst) nicht eintreten dürften. Unter bestimmten Voraussetzungen seien die Ver-
kaufsflächen benachbarter, bautechnisch selbstständiger Einzelhandelsbetriebe zu-
sammenzurechnen. Stünden mehrere Einzelhandelsbetriebe in einem so engen
räumlichen und funktionellen Zusammenhang, dass eine Umgehung des § 11 Abs. 3
BauNVO offensichtlich sei, erscheine es gerechtfertigt, diese Betriebe in ihrer Ge-
samtheit wie einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb zu beurteilen. Die vom Ver-
ordnungsgeber mit § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BauNVO vorausgesetzte Ab-
grenzung zwischen Einkaufszentren und großflächigen Einzelhandelsbetrieben wer-
de dadurch nicht ausgehöhlt. Für die Frage, wann von einer Funktionseinheit auszu-
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gehen sei, bedürfe es einer differenzierenden Bewertung unter Berücksichtigung
verschiedener baulicher und betrieblicher Gesichtspunkte. Erforderlich sei eine für
den Kunden erkennbare wechselseitige Nutzung betrieblicher Kapazitäten. Daneben
sei ein gemeinsames Nutzungskonzept zu verlangen, aufgrund dessen die Betriebe
wechselseitig voneinander profitierten und das die Betriebe als gemeinschaftlich
verbundene Teilnehmer am Wettbewerb erscheinen lasse. Für eine Funktionseinheit
spreche es, wenn die Sortimente auf eine konkrete identische Zielgruppe hin orien-
tiert seien und sich derart ergänzten, dass der Synergieeffekt eines gemeinsamen
Standortes genutzt werden könne. Bei der gebotenen Einbeziehung des Backshops
und des Ladens für Toto/Lotto, Zeitschriften und Schreibwaren werde die Grenze zur
Großflächigkeit überschritten. Die baulichen Gegebenheiten sprächen insoweit ein-
deutig für eine Funktionseinheit. Die Betriebe befänden sich nicht nur auf einem ein-
heitlichen Grundstück, sondern innerhalb desselben Gebäudes. Zufahrt und Stell-
plätze würden gemeinsam genutzt. Das Merkmal eines gemeinsamen Nutzungskon-
zepts sei ebenfalls erfüllt. Die Sortimente seien auf eine identische Zielgruppe hin
orientiert und optimal aufeinander abgestimmt, da es sich jeweils um Waren des täg-
lichen Bedarfs handele. Aus der maßgeblichen Sicht der Kunden bestehe nicht nur
eine beziehungslose Aneinanderreihung selbstständiger Läden, sondern Backshop
und der Laden für Toto/Lotto, Zeitschriften und Schreibwaren erschienen als dem
Lebensmittelmarkt funktionell zugeordnet.
Auch das Außer-Kraft-Treten des § 3 BbgBauGBDG zum 31. Dezember
2004 führe zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Die Voraussetzungen einer
Zulassung des Vorhabens nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB lägen nicht vor. Die Ver-
größerung der Verkaufsfläche um ca. 20 % führe nach der Lebenserfahrung zu einer
weiteren Verstärkung des Zu- und Abgangsverkehrs und damit zu einer höheren Be-
lastung der umliegenden Wohnbebauung. Dies rechtfertige die Annahme, dass das
den Rahmen der Umgebungsbebauung ohnehin schon überschreitende Vorhaben
der Klägerin sich nicht harmonisch in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge.
Darüber hinaus würden bodenrechtlich beachtliche, bewältigungsbedürftige Span-
nungen ausgelöst, weil im Hinblick auf eine damit verbundene Vorbildwirkung die
städtebauliche Situation negativ in Bewegung gebracht werde.
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Die Klägerin hat die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision
eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, bei dem Vorhaben handele es sich nicht um
einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO. Bei der
Bestimmung der Verkaufsfläche seien solche Bereiche nicht zu berücksichtigen, die
die Kunden nicht betreten dürften. Eine Zusammenrechnung von Verkaufsflächen
mehrerer Betriebe entspreche nicht dem Willen des Verordnungsgebers. Eine
bauliche und organisatorische Funktionseinheit genüge nicht, um eine solche Zu-
sammenrechnung zu rechtfertigen. Eine gemeinsame Zufahrt und die Nutzung ge-
meinsamer Stellplätze seien für jede größere Ansammlung von Einzelhandelsbetrie-
ben bezeichnend. Dasselbe gelte hinsichtlich des Merkmals eines gemeinsamen
Nutzungskonzepts. Auch das Abstellen auf ein "abgestimmtes Vorgehen verschie-
dener Betreiber" verwische die Grenze zur "normalen Ladenzeile". Ebenso wenig
könne der vom Berufungsgericht angenommene Synergieeffekt sich ergänzender
Sortimente ein Indiz für die Großflächigkeit mehrerer selbstständiger Einzelhandels-
betriebe sein. Der Backshop und der Laden für Toto/Lotto, Zeitschriften und
Schreibwaren seien eigenständig lebensfähig. Das Vorhaben sei ferner nicht geeig-
net, bodenrechtlich beachtliche, bewältigungsbedürftige Spannungen zu begründen
oder zu erhöhen. Die Belastung durch den Verkehrslärm werde sich nicht erhöhen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Brandenburg vom 8. November 2004 und des Verwaltungs-
gerichts Cottbus vom 20. April 2001 aufzuheben und den Be-
klagten unter Aufhebung seiner Bescheide vom 16. August
1999 und 27. März 2000 zu verpflichten, ihr eine Baugenehmi-
gung für die Nutzungsänderung des Getränkelagers in einen
Verkaufsraum zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
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II.
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Berufungsurteil verstößt
nicht gegen Bundesrecht. Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis
gelangt, dass mit der Einbeziehung des Getränkelagers in die Verkaufsfläche ein
großflächiger Einzelhandelsbetrieb entsteht. Ein solcher war zum Zeitpunkt der Ent-
scheidung des Berufungsgerichts nach § 246 Abs. 7 BauGB in Verbindung mit § 3
des Brandenburgischen Gesetzes zur Durchführung des Baugesetzbuches
(BbgBauGBDG) im unbeplanten Innenbereich gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB
nicht zulässig (1.). Eine Genehmigung kommt nach den Feststellungen des Ober-
verwaltungsgerichts auch für die seit dem 1. Januar 2005 geltende Rechtslage nicht
in Betracht (2.).
1.1 Nach § 246 Abs. 7 BauGB konnten die Länder bestimmen, dass §
34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bis zum 31. Dezember 2004 nicht für Einkaufszentren,
großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe im
Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO anzuwenden ist. Von dieser Möglichkeit hat das
Land Brandenburg in § 3 des Brandenburgischen Gesetzes zur Durchführung des
Baugesetzbuches (BbgBauGBDG) vom 10. Juni 1998 (GVBl I S. 126) Gebrauch
gemacht. Diese Regelungen standen der angestrebten Baugenehmigung zu dem für
das Oberverwaltungsgericht maßgeblichen Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung
entgegen. Da das Vorhaben nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans (§ 30
Abs. 1 BauGB), aber innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt
(§ 34 Abs. 1 BauGB) und die Eigenart der näheren Umgebung nicht einem der
Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht (§ 34 Abs. 2 BauGB), hätte es
bauplanungsrechtlich nur gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zulässig sein können.
1.2 Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt,
dass mit der Einbeziehung des Getränkelagers in die Verkaufsfläche ein großflächi-
ger Einzelhandelsbetrieb im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO entsteht.
Einzelhandelsbetriebe sind großflächig im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 BauNVO, wenn sie eine Verkaufsfläche von 800 m² überschreiten. Dies hat der
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Senat in seinem Urteil vom 24. November 2005 - BVerwG 4 C 10.04 - (zur Veröffent-
lichung in BVerwGE vorgesehen) näher dargelegt.
1.3 Mit der Umwandlung der als Getränkelager genehmigten Fläche in
Verkaufsfläche ist diese in die Berechnung der Verkaufsfläche einzubeziehen. Dies
stellt auch die Klägerin nicht in Frage. In die Verkaufsfläche einzubeziehen sind auch
die "Kassenzone", also der Bereich, in dem sich die Kassen und die Durchgänge
befinden, und die Fläche, die vorliegend mit "Pack- und Entsorgungszone" bezeich-
net wird und von den Kunden vor dem Betreten des abgetrennten Verkaufsbereichs
sowie nach Verlassen der Kasse durchlaufen wird. Denn auch sie prägen in städte-
baulicher Hinsicht die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs. Dies wird
deutlich, wenn man die Verkaufsform der Selbstbedienung und die der Bedienung
durch Personal (sowie die hierzu bestehenden Mischformen) vergleichend betrach-
tet. Denn insbesondere der räumliche Bereich vor der Zugangsschranke und hinter
den Kassen erscheint beim System der Selbstbedienung nur wegen der Besonder-
heiten dieser Verkaufsform als abtrennbar. Der Kunde geht durch eine Schranke, um
den Selbstbedienungsbereich betreten zu können. Nachdem er bezahlt und den
Kassenbereich durchschritten hat, betritt er eine Fläche, in der er die Waren einpa-
cken, Verpackungsmittel entsorgen und sich zum Ausgang begeben kann. In einem
Laden, in dem er herkömmlich bedient wird, besteht eine derartige räumliche Ab-
trennung nicht. Auf die Frage, an welcher Stelle der Kauf im Sinne des Zivilrechts
abgeschlossen ist, kommt es aus städtebaulicher Sicht nicht an. Zur Verkaufsfläche
sind auch diejenigen Bereiche innerhalb eines Selbstbedienungsladens zu zählen,
die vom Kunden zwar aus betrieblichen und hygienischen Gründen nicht betreten
werden dürfen, in denen aber die Ware für ihn sichtbar ausliegt (Käse-, Fleisch- und
Wursttheke etc.) und in dem das Personal die Ware zerkleinert, abwiegt und abpackt.
Insoweit handelt es sich um einen Bereich, der bei einem reinen Bedienungsladen
herkömmlicher Art ebenfalls der Verkaufsfläche zuzurechnen wäre. Davon zu
unterscheiden sind diejenigen Flächen, auf denen für den Kunden nicht sichtbar die
handwerkliche und sonstige Vorbereitung (Portionierung etc.) erfolgt, sowie die (rei-
nen) Lagerflächen.
Bereits nach diesen Grundsätzen ist hier ein großflächiger Einzelhan-
delsbetrieb anzunehmen. Denn mit dem ursprünglich genehmigten Verkaufsraum
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(582,83 m²), dem einzubeziehenden früheren Getränkelager (149,78 m²), der Theke
(33,55 m²), der Kassenzone (27,69 m²) sowie dem Bereich für Verpackung und Ent-
sorgung (23,99 m²) wird die maßgebliche Schwelle von 800 m² um 17,84 m² über-
schritten.
1.4 Im Ergebnis zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht auch die
Flächen für den Backshop (25,82 m²), den Laden für Toto/Lotto, Zeitschriften und
Schreibwaren (66,76 m²) sowie den von allen drei Bereichen gemeinsam genutzten
Windfang (16,84 m²) einbezogen. Denn der Backshop sowie der Laden für To-
to/Lotto, Zeitschriften und Schreibwaren bilden mit dem Lebensmitteleinzelhandels-
betrieb eine betriebliche Einheit und sind daher mit ihm zusammen als ein großflä-
chiger Einzelhandelsbetrieb im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO anzusehen.
Der Senat ist bereits in seinem Urteil vom 22. Mai 1987 - BVerwG 4 C
77.84 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 5 = ZfBR 1987, 251
77, 317 nicht abgedruckt> davon ausgegangen, dass ein Vorhaben die Errichtung
eines als Einheit zu betrachtenden Betriebs zum Gegenstand haben kann. Er hat
erwogen, dass das seinerzeit umstrittene Vorhaben "in Wahrheit nur einen Betrieb
darstellen“ könne, weil es zwar zwei räumlich getrennte Baukörper umfasste, aber
aufgrund eines Bauantrages eines Grundstückseigentümers auf einem Grundstück
gleichzeitig und mit aufeinander abgestimmten Sortimenten in den beiden Märkten
verwirklicht werden sollte. Er hat andererseits im Urteil vom 4. Mai 1988 - BVerwG
4 C 34.86 - (BVerwGE 79, 309 <315>) hervorgehoben, dass ein räumlicher Zusam-
menhang allein noch nicht zu einer "summierenden" Betrachtungsweise berechtigt.
Der Senat hat in diesem Zusammenhang auch den Begriff der "Funktionseinheit"
verwendet, für eine solche im zu behandelnden Fall indes keine Anhaltspunkte ge-
sehen.
§ 11 Abs. 3 BauNVO liegt die Wertung zugrunde, dass die in dieser
Vorschrift bezeichneten Betriebe typischerweise ein Beeinträchtigungspotential auf-
weisen, das es rechtfertigt, sie einem Sonderregime zu unterwerfen. Den Typus der
in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO genannten Einkaufszentren schränkt der Ver-
ordnungsgeber nicht mit weiteren Merkmalen ein. Demgegenüber grenzt er in § 11
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO die nur in Kerngebieten und Sondergebieten zulässigen
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Einzelhandelsbetriebe mit zwei eigenständigen Merkmalen ein, nämlich mit dem
Merkmal der Großflächigkeit und mit der Bezeichnung bestimmter städtebaulich er-
heblicher Auswirkungen. Der Begriff der Großflächigkeit dient ihm dazu, in typisie-
render Weise unabhängig von regionalen oder lokalen Besonderheiten bundesweit
den Betriebstyp festzuschreiben, der von den in den §§ 2 bis 9 BauNVO bezeichne-
ten Baugebieten ferngehalten werden soll. Wird die Schwelle zur Großflächigkeit
überschritten, hat eine eigenständige, eingehende Prüfung einzusetzen, für die der
Verordnungsgeber in den Sätzen 3 und 4 des § 11 Abs. 3 BauNVO eine Reihe von
Kriterien benennt (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 24. November 2005
- BVerwG 4 C 10.04 -).
Der Begriff des großflächigen Einzelhandelsbetriebs ist vorrangig nach
dieser Zielsetzung des § 11 Abs. 3 BauNVO auszulegen. Umschreibungen des Beg-
riffs Betrieb oder Einzelhandelsbetrieb, die in anderen Fachgebieten oder anderen
rechtlichen Zusammenhängen verwendet werden, können daher nur eingeschränkt
nutzbar gemacht werden (vgl. auch das Senatsurteil vom 18. Juni 2003 - BVerwG
4 C 5.02 - ZfBR 2004, 62 zum Begriff des Verbrauchermarkts in der BauNVO 1968).
§ 11 Abs. 3 BauNVO verhält sich gegenüber den sich dynamisch entwickelnden un-
terschiedlichen Strukturen des Einzelhandels neutral und regelt lediglich die städte-
baulichen Auswirkungen. Dass Einzelhandelsbetriebe heute vielfältige, zum Teil sich
überschneidende Erscheinungs- und Gestaltungsformen aufweisen, ändert freilich
nichts daran, dass Regelungsgegenstand der Vorschrift allein "der einzelne Betrieb"
ist.
Ob es sich in diesem Sinne um einen einzigen oder um mehrere Be-
triebe handelt, bestimmt sich nach baulichen und betrieblich-funktionellen Gesichts-
punkten. Für die räumliche Abgrenzung eines Einzelhandelsbetriebs ist auf die nach
außen erkennbaren baulichen Gegebenheiten abzustellen. Eine Verkaufsstätte kann
ein selbstständiger Einzelhandelsbetrieb im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO nur sein,
wenn sie selbstständig, d.h. unabhängig von anderen Einzelhandelsbetrieben ge-
nutzt werden kann und deshalb baurechtlich auch als eigenständiges Vorhaben ge-
nehmigungsfähig wäre. Hierfür muss die Verkaufsstätte jedenfalls einen eigenen
Eingang, eine eigene Anlieferung und eigene Personalräume haben; sie muss unab-
hängig von anderen Betrieben geöffnet und geschlossen werden können. Ohne Be-
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deutung ist hingegen, wer rechtlich oder wirtschaftlich jeweils Betreiber ist. Die Frage
der bauplanungsrechtlichen Selbstständigkeit ist auch unabhängig davon zu beurtei-
len, ob Selbstbedienung, Bedienung durch Personal oder eine Mischform erfolgt und
wie die dem entsprechenden Bereiche innerhalb der Betriebsfläche voneinander ab-
gegrenzt sind.
Die Verkaufsflächen baulich und funktionell eigenständiger Betriebe
können grundsätzlich nicht zusammengerechnet werden. Für die Prüfung einer
"Funktionseinheit" unter den Gesichtspunkten eines gemeinsamen Nutzungskon-
zepts, der Ergänzung der Sortimente, der Nutzung von Synergieeffekten u.ä. ist in
diesen Fällen kein Raum. Das gilt indes nicht uneingeschränkt. Ist innerhalb eines
Gebäudes die Betriebsfläche baulich in mehrere selbstständig nutzbare betriebliche
Einheiten unterteilt, bilden diese Einheiten gleichwohl einen Einzelhandelsbetrieb im
Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO, wenn die Gesamtfläche durch einen Einzelhandels-
betrieb als "Hauptbetrieb" geprägt wird und auf den baulich abgetrennten Flächen zu
dessen Warenangebot als "Nebenleistung" ein Warenangebot hinzutritt, das in einem
inneren Zusammenhang mit der "Hauptleistung" steht, diese jedoch nur abrundet und
von untergeordneter Bedeutung bleibt (vgl. Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 4 C
3.03 - BVerwGE 121, 205 <209> zu den einem Postdienstleistungsbetrieb
zuzuordnenden Nebenleistungen). Dann ist es im Hinblick auf die bauplanungs-
rechtliche Zielsetzung geboten, die Verkaufsflächen für die Ermittlung der Schwelle
der Großflächigkeit im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO zusammenzurechnen. Unter
welchen Voraussetzungen eine derartige Unterordnung anzunehmen ist, bestimmt
sich nach den Umständen des Einzelfalls. Für eine betriebliche Einheit wird im all-
gemeinen sprechen, dass die für die "Nebenbetriebe" in Anspruch genommenen
Flächen deutlich hinter denjenigen des Hauptbetriebs zurückbleiben. Schließlich
kann berücksichtigt werden, dass nach der Verkehrsanschauung aus der Sicht des
Verbrauchers ein Randangebot als zum Hauptbetrieb zugehörig angesehen wird (vgl.
auch das Urteil des Senats vom 30. Juni 2004 a.a.O.). Baulich gesondert nutzbare
Betriebsflächen bilden somit dann eine betriebliche Einheit mit einem Hauptbetrieb,
wenn auf ihnen lediglich ein diesen ergänzendes Angebot erbracht wird. Dies ist ins-
besondere der Fall, wenn nach der Verkehrsanschauung der kleinere Bereich
ebenso in die Verkaufsfläche des größeren Betriebs einbezogen sein könnte. Ob und
gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen baulich selbstständig nutzbare
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Verkaufsstätten einen Einzelhandelsbetrieb im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO bilden
können, wenn sie nicht in einem Gebäude untergebracht sind, bedarf aus Anlass des
vorliegenden Falles keiner Entscheidung.
1.5 Das Oberverwaltungsgericht ist vorliegend ersichtlich davon ausge-
gangen, dass der Lebensmitteleinzelhandelsbetrieb, der Backshop und der Laden für
Toto/Lotto, Zeitschriften und Schreibwaren bautechnisch selbstständig nutzbar sind.
Es geht dabei wohl davon aus, dass sie von dem gemeinsamen Windfang aus über
separate Zugänge verfügen (Urteilsabdruck S. 19). Jedenfalls haben der Backshop
und der Laden für Toto/Lotto, Zeitschriften und Schreibwaren jeweils eigenständige
Personalräume und Toiletten. Aus den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts
ergibt sich jedoch, dass diese Betriebsbereiche nur dem Lebensmittelmarkt
zuzurechnende "Nebenleistungen" erbringen. Die für sie in Anspruch genommenen
Flächen sind im Vergleich zur Fläche des Hauptbetriebs untergeordnet. Ferner bietet
der Backshop ebenso wie der Laden für Toto/Lotto, Zeitschriften und Schreibwaren
ein gleichsam ausgelagertes untergeordnetes Ergänzungsangebot. Beide Sortimente
könnten ohne weiteres in dem Lebensmitteleinzelhandelsbetrieb angeboten werden,
wie dies bei anderen Betrieben dieser Art häufig der Fall ist. Das
Oberverwaltungsgericht hebt hierzu hervor, die Sortimente seien auf eine identische
Zielgruppe hin orientiert und optimal aufeinander abgestimmt, da es sich jeweils um
Waren des täglichen Bedarfs handele. Daher handelt es sich vorliegend um einen
der Fälle, in denen eine Zusammenrechnung unter dem Gesichtspunkt der betriebli-
chen Einheit geboten ist. Somit erreicht der Betrieb insgesamt eine Verkaufsfläche
von 927,26 m² und überschreitet damit bei weitem die Schwelle der Großflächigkeit.
2. Auch nach Außerkrafttreten der Regelung in § 246 Abs. 7 BauGB ist
das Vorhaben der Klägerin nicht genehmigungsfähig.
Das Revisionsgericht hat Rechtsänderungen, die während des Revisi-
onsverfahrens eintreten, im gleichen Umfang zu beachten, wie sie die Vorinstanz
berücksichtigen müsste, wenn sie jetzt entschiede (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Urteil
vom 24. Juni 2004 - BVerwG 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152). Das Berufungsgericht
ist auf die seit dem Ablauf des 31. Dezember 2004 geltende Rechtslage bereits ein-
gegangen. Sein Ausgangspunkt, wonach mit der Umwandlung der Lagerfläche in
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Verkaufsfläche ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb entsteht, ist wie ausgeführt
zutreffend. Mit dem Überschreiten der Schwelle der Großflächigkeit hat die materiell-
rechtliche Prüfung nunmehr daran anzuknüpfen. Dabei ist der Einzelhandelsbetrieb
in seiner Gesamtheit und nicht etwa nur hinsichtlich der beantragten Vergrößerung
zu würdigen (vgl. Senatsurteil vom 24. November 2005 - BVerwG 4 C 10.04 -). Nach
den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts befindet sich in der Umgebung kein
weiterer derartiger Betrieb, so dass der umstrittene Einzelhandelsbetrieb sich nicht
nach § 34 Abs. 1 BauGB einfügt. Dabei bietet der Fall keine Veranlassung, der Frage
nachzugehen, ob bereits das Bestehen eines einzelnen großflächigen Einzelhan-
delsbetriebs als Anknüpfungspunkt für § 34 Abs. 1 BauGB ausreicht oder ob ein sol-
cher Betrieb nicht eher als Fremdkörper anzusehen sein wird. Weiterhin gelangt das
Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf die zunehmende Verkehrsbelastung sowie
die Vorbildwirkung zu dem Ergebnis, dass der Betrieb bodenrechtlich beachtliche
Spannungen hervorruft. Bereits die Vergrößerung der Verkaufsfläche werde zu einer
Verstärkung des bisherigen Zu- und Abgangverkehrs und damit zu einer höheren
Belastung der umliegenden Wohnbebauung führen. Dies rechtfertigt nach der Ein-
schätzung des Oberverwaltungsgerichts die Annahme, dass das den Rahmen der
Umgebungsbebauung ohnehin schon überschreitende Vorhaben der Klägerin sich
nicht harmonisch in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
Die Klägerin stellt in Frage, ob lediglich die Vergrößerung der Verkaufs-
fläche zu einer höheren Belastung der Umgebung führen werde, ohne allerdings zu-
lässige Verfahrensrügen zu erheben. Dies mag indes auf sich beruhen. Denn es
kommt bei der jetzt aus Anlass des Entstehens eines großflächigen Einzelhandels-
betriebs vorzunehmenden Prüfung darauf an, wie hoch die von diesem Betrieb ins-
gesamt ausgehenden Belastungen sind. Diese sind in jedem Fall nicht nur geringfü-
gig. Somit ist die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts zutreffend, es handele sich
nicht um einen der Fälle, in denen ein Vorhaben sich trotz der Überschreitung des
durch die Umgebungsbebauung gesetzten Rahmens einfüge, weil es keine be-
wältigungsbedürftigen Spannungen erzeuge oder verstärke. Davon abgesehen hat
das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung überdies darauf gestützt, dass vom
Vorhaben aus einem weiteren Grund bewältigungsbedürftige Spannungen ausgehen.
Denn es gelangt zu dem Ergebnis, dass die städtebauliche Situation auch im Hinblick
auf die mit dem Vorhaben verbundene Vorbildwirkung negativ in Bewegung gebracht
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wird. In der näheren Umgebung des Vorhabens befinden sich mehrere Grundstücke,
die sich für eine weitere Ansiedlung vergleichbarer Betriebe anbieten. Somit kommt
eine Genehmigung bereits nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht in Betracht, so dass mit
dem Oberverwaltungsgericht dahinstehen kann, ob einer Zulassung des Vorhabens
überdies die Regelung in § 34 Abs. 3 BauGB 2004 entgegensteht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3
VwGO.
Dr. Paetow
Halama
Prof. Dr. Rojahn
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 18 000 € festgesetzt.
Dr. Paetow
Halama
Prof. Dr. Rojahn
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Bauplanungsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
BauGB
§ 34 Abs. 1
BauNVO
§ 11 Abs. 3
Stichworte:
großflächiger Einzelhandelsbetrieb; Großflächigkeit; Verkaufsfläche; selbstständiger
Betrieb; mehrere Betriebe.
Leitsätze:
Einzelhandelsbetriebe sind großflächig im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
BauNVO, wenn sie eine Verkaufsfläche von 800 m² überschreiten (wie Urteil vom
24. November 2005 - BVerwG 4 C 10.04 -).
Ob es sich um einen einzigen oder um mehrere Betriebe handelt, bestimmt sich nach
baulichen und betrieblich-funktionellen Gesichtspunkten. Ein Einzelhandelsbetrieb ist
nur dann als selbstständig anzusehen, wenn er unabhängig von anderen Betrieben
genutzt werden kann und deshalb als eigenständiges Vorhaben genehmigungsfähig
wäre.
Ist innerhalb eines Gebäudes die Betriebsfläche baulich in mehrere selbstständig
nutzbare betriebliche Einheiten unterteilt, bilden diese Einheiten gleichwohl einen
Einzelhandelsbetrieb im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO wenn die Gesamtfläche
durch einen Einzelhandelsbetrieb als Hauptbetrieb geprägt wird und auf den baulich
abgetrennten Flächen zu dessen Warenangebot als Nebenleistung ein Warenange-
bot hinzutritt, das in einem inneren Zusammenhang mit der Hauptleistung steht, die-
se jedoch nur abrundet und von untergeordneter Bedeutung bleibt (hier Backshop
und Laden für Toto/Lotto, Zeitschriften und Schreibwaren).
Urteil des 4. Senats vom 24. November 2005 - BVerwG 4 C 14.04
I. VG Cottbus vom 20.04.2001 - Az.: VG 3 K 1211/98 -
I. OVG Frankfurt (Oder) vom 08.11.2004 - Az.: OVG 3 A 471/01 -