Urteil des BVerwG vom 12.10.2006

Aufschiebende Wirkung, Start, Rechtswidrigkeit, Flughafen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 4 C 12.04
am 12. Oktober 2006
OVG 4 LB 31, 32, 33/03
Hänig
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und Dr. Jannasch,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp, den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Buchberger
für Recht erkannt:
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Die Revision des Klägers gegen die Urteile des
Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts
vom 26. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind
nicht erstattungsfähig.
G r ü n d e :
I
Der Kläger erstrebt die Feststellung der Rechtswidrigkeit luftverkehrsrechtlicher
Erlaubnisse.
Der Kläger ist seit 1991 Eigentümer eines Wohngrundstücks in unmittelbarer
Nähe des Flughafens Lübeck-Blankensee. Der Flughafen verfügt über eine
Start- und Landebahn, die am 1. März 1975 mit einer Länge von 1 802 m ge-
nehmigt worden ist. In deren Verlängerung nach Westen schließt sich der
300 m lange Rollweg R an. Nachdem dieser zwischen November 1996 und
März 1997 als Startabbruchstrecke für Starts in Richtung Westen ertüchtigt
worden war, beantragten die beigeladenen Fluggesellschaften beim Beklagten
wiederholt, letztmalig, soweit ersichtlich, am 27. Januar 2004, ihnen durch Er-
laubnisse nach § 25 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 LuftVG die Benutzung des Rollweges
für Starts in Richtung Osten zu gestatten. Der Beklagte gab den Anträgen je-
weils statt. Die erteilten Erlaubnisse (sog. unechte Außenstarterlaubnisse) wa-
ren in der Regel auf ein Jahr befristet und durch die Auflage beschränkt, dass
die Benutzung des Rollweges R für Starts nur zulässig war, wenn die Startstre-
ckenberechnung zu dem Ergebnis führte, dass eine Startlauflänge von 1 802 m
eingehalten werden konnte. Der Beklagte rechtfertigte die Verschiebung des
Startpunkts nach Westen - erstens - damit, dass die Flugzeugführer für den Fall
einer Störung beim Startvorgang in Richtung Osten einen längeren Zeitraum für
die Entscheidung über einen Startabbruch und mehr Ausrollfläche zur Verfü-
gung haben sollten, und - zweitens - mit einer verbesserten Lärmsituation auf
dem Gebiet der östlich des Flughafens gelegenen Gemeinde Groß Grönau, die
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sich daraus ergab, dass die in Richtung Osten startenden Flugzeuge aufgrund
der Vorverlegung des Abhebepunkts über der Gemeinde schon eine größere
Überflughöhe erreicht hatten.
Der Gewinn an Verkehrssicherheit und die Lärmentlastung für die Ortschaft
Groß Grönau hat nach Darstellung des Klägers zu einem Mehr an Lärm- und
Geruchsbelastung an der westlich des Flughafens gelegenen Splittersiedlung
geführt, in der sein Wohngrundstück liegt. Seine Widersprüche gegen die Er-
laubnisse blieben freilich erfolglos. Eine Aufhebung der Erlaubnisse sei nur
möglich, so der Beklagte in seinen Widerspruchsbescheiden, wenn eine uner-
trägliche und unzumutbare Eigentums- oder Gesundheitsbeeinträchtigung in
der Person des Klägers vorliege. Das sei hier nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klagen abgewiesen, das Oberverwaltungsge-
richt die Berufungen zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Oberverwal-
tungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Soweit der Kläger geltend mache, die
Ausnutzung der Außenstarterlaubnisse habe eine erhöhte Immissionsbelastung
seines Grundstückes (Lärm, Geruchsbelastung) mit sich gebracht, sei die Klage
unzulässig. § 25 LuftVG komme drittschützende Wirkung nur unter der hier
nicht gegebenen Voraussetzung zu, dass der Flugplatznachbar unerträglichen
und unzumutbaren Eigentums- und Gesundheitsbeeinträchtigungen ausgesetzt
sei. Soweit der Kläger beanstande, dass der Beklagte das Instrument der Au-
ßenstarterlaubnisse missbraucht habe, um ein an sich erforderliches Planfest-
stellungsverfahren mit den damit verbundenen Verfahrensrechten zu umgehen,
sei die Klage zulässig, aber unbegründet. Die Verschiebung der Startlaufstre-
cke nach Westen bei unveränderter Länge sei keine planfeststellungsbedürftige
Änderung des Flugplatzes, weil sie diesem kein „anderes Gesicht“ verleihe.
Nach Zulassung der Revision durch den Senat und nahezu zeitgleich mit dem
Ablauf der Geltungsdauer der letzten Außenstarterlaubnis erließ der Beklagte
einen Planfeststellungsbeschluss, der u.a. den Rollweg R einschließlich seiner
Rollwegschultern mit seiner gesamten Länge in die Start- und Landebahn in-
tegriert. Auf der Grundlage dieses Beschlusses änderte der Beklagte mit Be-
scheid vom 25. Januar 2005 die Betriebsgenehmigung vom 1. März 1975 da-
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hingehend, dass der Bereich des Rollweges R mit den dazugehörigen Schultern
nunmehr in die Start- und Landebahn einbezogen ist. Der Kläger hat gegen den
Planfeststellungsbeschluss Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Sein Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, blieb ohne
Erfolg. Einem Eilantrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland
(BUND) gegen den Planfeststellungsbeschluss hat das Oberverwaltungsgericht
stattgegeben (Beschluss vom 18. Juli 2005 - 4 MR 1/05 - NuR 2006, 63). Der
Rollweg R wird seither weiter für Starts in Richtung Osten genutzt. Über einen
beim Beklagten kürzlich gestellten Antrag des BUND auf Untersagung dieser
Nutzung ist noch nicht entschieden.
Der Kläger möchte die Rechtswidrigkeit der den Beigeladenen unter dem
9. November 2001, 3. Dezember 2001, 12. Dezember 2001, 5. Februar 2002,
1. Juli 2002 und 22. Oktober 2002 erteilten Außenstarterlaubnisse festgestellt
wissen, weil er befürchtet, dass die Beigeladenen solche Erlaubnisse erneut
beantragen und erhalten werden, wenn der Beklagte, wozu er verpflichtet sei,
dem Begehren des BUND nachkomme und die Nutzung des Rollwegs R für
Starts in Richtung Osten unterbinde.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet; denn seine Klage, die als Fortset-
zungsfeststellungsklage statthaft ist, ist nach Wegfall des Fortsetzungsfeststel-
lungsinteresses unzulässig geworden.
Ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwal-
tungsaktes (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) setzt unter dem hier geltend gemach-
ten Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr die hinreichend bestimmte Gefahr
voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtli-
chen Umständen erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird
(BVerwG, Beschluss vom 16. Oktober 1989 - BVerwG 7 B 108.89 - Buchholz
310 § 113 VwGO Nr. 211, S. 41). Ist dagegen ungewiss, ob in Zukunft noch
einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt des
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Erlasses des erledigten Verwaltungsaktes, kann das Fortsetzungsfeststellungs-
interesse nicht aus einer Wiederholungsgefahr hergeleitet werden (BVerwG,
Urteil vom 25. November 1986 - BVerwG 1 C 10.86 - Buchholz 310 § 113
VwGO Nr. 162). Hieran gemessen muss ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse
des Klägers verneint werden.
Gegenüber den Zeitpunkten der Entscheidung des Beklagten über die Anträge
der Beigeladenen auf Erteilung von Außenstarterlaubnissen hat sich die Sach-
lage insoweit geändert, als dem Beklagten zurzeit keine Anträge vorliegen. Die-
se Änderung ist entscheidungserheblich, weil die Erteilung von Außenstarter-
laubnissen antragsabhängig ist. Dem Kläger stünde ein Fortsetzungsfeststel-
lungsinteresse daher nur dann zur Seite, wenn hinreichend sicher abzusehen
wäre, dass in Zukunft wiederum Außenstarterlaubnisse beantragt und erteilt
würden. Eine solche Prognose lässt sich nicht treffen.
Außenstarterlaubnisse sind nach § 25 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 LuftVG erforderlich,
wenn Luftfahrzeuge auf Flugplätzen außerhalb der in der Flugplatzgenehmi-
gung festgelegten Startbahn gestartet werden sollen. Der Beklagte sieht für
erneute Anträge und die Erteilung von Außenstarterlaubnissen keinen Raum,
weil die Betriebsgenehmigung vom 1. März 1975 in der Fassung der Ände-
rungsgenehmigung vom 25. Januar 2005, die die Nutzung des Rollweges R für
Starts in Richtung Osten gestattet, nicht angefochten worden ist und daher voll-
ziehbar sein soll. Ob seine Auffassung zutrifft, ist zumindest zweifelhaft. Denn
die Genehmigung für die Nutzung des Rollwegs R als Startstrecke beruht auf
dem vorangegangenen Planfeststellungsbeschluss, in dem dieser Rollweg R in
die Start- und Landebahn integriert worden ist (Nr. 1.6. des PFB vom
20. Januar 2005). Vor diesem Hintergrund spricht Überwiegendes dafür, dass
sich die Aussetzung des Sofortvollzuges des Planfeststellungsbeschlusses
durch das Oberverwaltungsgericht auch auf die nach § 6 Abs. 4 Satz 1 LuftVG
akzessorische Betriebsgenehmigung in der Fassung vom 25. Januar 2005 er-
streckt. Allerdings ist völlig offen, wie der Beklagte auf die Nichtvollziehbarkeit
der Genehmigung reagieren wird. Denkbar ist zwar, dass er nach Ablauf der
der Flughafen Lübeck GmbH gesetzten und noch nicht verstrichenen Anhö-
rungsfrist erwägen wird, dem Antrag des BUND stattzugeben und dem Flugha-
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fenbetreiber zu untersagen, von der Genehmigung einstweilen Gebrauch zu
machen. In diesem Fall wäre damit zu rechnen, dass jedenfalls die Beigeladene
zu 4, die den Flughafen Lübeck-Blankensee nach wie vor mit Flugzeugen des
Typs Boeing 737 bedient, mangels Änderung ihrer Interessenlage wieder um
Außenstarterlaubnisse nachsucht. Möglich ist aber auch, dass der Beklagte der
Anregung gegenüber dem Oberverwaltungsgericht den Vorzug gibt, den
Beschluss vom 18. Juli 2005 nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO insoweit zu än-
dern, als darin der Planfeststellungsbeschluss vom 20. Januar 2005 auch im
Hinblick auf die Einbeziehung des Rollwegs R in die Start- und Landebahn au-
ßer Vollzug gesetzt worden ist. Der Beklagte hat bereits im Schriftsatz vom
11. Oktober 2005 seine Absicht bekundet, sich mit einer solchen Anregung an
das Oberverwaltungsgericht wenden zu wollen, und diese Absicht erkennbar
nur deshalb bislang nicht verwirklicht, weil er gemeint hat, dass die dem Flug-
hafenbetreiber erteilte Änderungsgenehmigung bestandskräftig sei. Es liegt
auch nicht fern, dass das Oberverwaltungsgericht den Beschluss der Anregung
entsprechend ändern würde; denn Belange des Naturschutzes sind, wie sich
aus den Gründen des Beschlusses vom 18. Juli 2005 ergibt und zwischen den
Beteiligten unstreitig ist, durch die Integration des Rollwegs R in die Start- und
Landebahn nicht berührt. Nach einer Änderung des Beschlusses wäre die Be-
triebsgenehmigung wieder vollziehbar und der Anwendungsbereich des § 25
Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 LuftVG verschlossen. In diesem Stadium der Ungewissheit,
von der auch die Einschätzung geprägt ist, ob der Planfeststellungsbeschluss
vom 20. Januar 2005 einer Prüfung in einem Hauptsacheverfahren standhalten
wird, kann der Kläger nicht verlangen, dass der Senat zu seinem Fortsetzungs-
feststellungsantrag sachlich Stellung nimmt. Die Abweisung der Klage als in-
zwischen unzulässig berührt freilich nicht das Recht des Klägers, künftige Au-
ßenstarterlaubnisse erneut vor dem Verwaltungsgericht anzufechten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Gatz Dr. Jannasch Dr. Philipp
Domgörgen Buchberger
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 15 000 €
festgesetzt.
Gatz Dr. Jannasch Dr. Philipp
Domgörgen Buchberger