Urteil des BVerwG vom 26.03.2015

Aussetzung, Gemeinde, Vorbescheid, Zustellung

BVerwGE: nein
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Bau- und Bodenrecht, einschließlich der
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für
Windkraftanlagen, sofern der Schwerpunkt der Sache im Bau-
und Bodenrecht liegt
Rechtsquelle/n:
BauGB § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3; § 36 Abs. 1 Satz 1 und 2,
Abs. 2 Satz 2
Stichworte:
Windenergieanlage; Baugesuch; immissionsschutzrechtlicher Vorbescheid;
Zurückstellung; Einvernehmen; gemeindliches -; Einvernehmensfiktion; Wirkung
der Zurückstellung auf die -; Planungshoheit; gemeindliche -;
Flächennutzungsplanung; Konzentrationsflächenplanung.
Leitsatz:
Die Zurückstellung eines Baugesuchs während der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2
Halbs. 1 BauGB hat zur Folge, dass die Frist mit der Zustellung des
Zurückstellungsbescheids an den Bauherrn aufhört und nach Ablauf des
Zurückstellungszeitraums ohne Anrechnung des bereits verstrichenen Teils von
neuem beginnt.
Urteil des 4. Senats vom 26. März 2015 - BVerwG 4 C 1.14
I. VG Hannover vom 22. September 2011
Az: VG 12 A 3846/10
II. OVG Lüneburg vom 11. November 2013
Az: OVG 12 LC 271/11
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 C 1.14
OVG 12 LC 271/11
Verkündet
am 26. März 2015
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz, Petz, Dr. Decker und
Dr. Külpmann
für Recht erkannt:
Die Revision der Beigeladenen gegen das Urteil des Nieder-
sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. November 2013
wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beklagten, die
dieser selbst trägt.
G r ü n d e :
I
Gegenstand des Rechtsstreits ist ein immissionsschutzrechtlicher Vorbescheid.
Die Beigeladene beantragte beim Beklagten die Erteilung eines immissions-
schutzrechtlichen Vorbescheids zur planungsrechtlichen Zulässigkeit einer
Windenergieanlage im Außenbereich des Gemeindegebiets der Klägerin. Am
18. Februar 2009 erhielt die Klägerin vom Beklagten eine Ausfertigung des An-
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trags zur Stellungnahme einschließlich einer Äußerung zum Einvernehmen ge-
mäß § 36 BauGB.
Unter dem 27. März 2009 beantragte die Klägerin beim Beklagten, zur Siche-
rung ihrer Planung die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens für
ein Jahr auszusetzen. Zur Begründung gab sie an, sie wolle ihren Flächennut-
zungsplan so ändern, dass die rechtlichen Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3
BauGB erreicht würden. Derzeit könne nicht abschließend beurteilt werden, ob
der Standort des Vorhabens künftig in einer Konzentrationsfläche für die Wind-
energienutzung oder in einer Ausschlussfläche liege. Sollte letzteres der Fall
sein, sei das Vorhaben planungsrechtlich unzulässig.
Mit Bescheid vom 6. April 2009 setzte der Beklagte unter Anordnung der sofor-
tigen Vollziehung die Entscheidung über das Baugesuch der Beigeladenen bis
zum 6. April 2010 aus. Am 22. April 2010 erteilte er der Beigeladenen den be-
antragten Vorbescheid. Am 23. April 2010 trat der geänderte Flächennutzungs-
plan in Kraft. Am selben Tag versagte die Klägerin ihr Einvernehmen zu dem
Vorhaben der Beigeladenen mit der Begründung, dass der Standort des Vorha-
bens außerhalb der Konzentrationsfläche liege.
Der nach erfolglos durchgeführtem Vorverfahren erhobenen Klage hat das
Verwaltungsgericht stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung
der Beigeladenen zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht habe den Vorbe-
scheid zu Recht aufgehoben, da er ohne das nach § 36 Abs. 1 Satz 1 und 2
BauGB erforderliche Einvernehmen der Klägerin erteilt worden sei. Die Fiktion
des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB, wonach das Einvernehmen als erteilt gelte,
wenn es nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Geneh-
migungsbehörde verweigert werde, sei nicht eingetreten. Bei Erteilung des Vor-
bescheids am 22. April 2010 sei die Zweimonatsfrist noch nicht verstrichen ge-
wesen, weil ihr Lauf mit der Zurückstellung des Baugesuchs der Beigeladenen
geendet und mit Beendigung der Zurückstellung von neuem begonnen habe.
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Die Beigeladene hat gegen das berufungsgerichtliche Urteil die vom Oberver-
waltungsgericht zugelassene Revision eingelegt, mit der sie die Abweisung der
Klage erstrebt. Die Klägerin verteidigt das Urteil.
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Die Revision ist unbegründet, weil das Berufungsurteil mit Bundesrecht im Ein-
klang steht. Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil zu
Recht bestätigt. Der angefochtene Vorbescheid ist rechtswidrig und verletzt die
Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Vorbescheid ist rechtswidrig.
Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB wird über die Zulässigkeit von Vorhaben u.a.
nach § 35 BauGB im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungs-
behörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Einvernehmen be-
deutet, dass die Genehmigungsbehörde die Genehmigung nicht gegen den Wil-
len der zur Mitwirkung berufenen Gemeinde erteilen darf (BVerwG, Urteil vom
7. Februar 1986 - 4 C 43.83 - Buchholz 406.11 § 36 BBauG Nr. 35 S. 10). Das
Einvernehmen ist gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BauGB auch erforderlich,
wenn in einem anderen (hier: einem immissionsschutzrechtlichen) Verfahren
entschieden wird. Nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB gilt das Einverneh-
men als erteilt, wenn es nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersu-
chens der Genehmigungsbehörde verweigert wird.
Bei Bekanntgabe des Vorbescheids an die Beigeladene am 22. April 2010 galt
das Einvernehmen der Klägerin nicht als erteilt. Das Oberverwaltungsgericht
hat sich zutreffend auf den Standpunkt gestellt, dass eine Aussetzung der Ent-
scheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben gemäß § 15 BauGB während
der Zweimonatsfrist des § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB zur Folge hat, dass
der Lauf der Frist unterbrochen wird und mit Beendigung der Aussetzung ohne
Anrechnung des bereits verstrichenen Teils von neuem beginnt. Die vorliegend
maßgebliche Frist lief am 19. Februar 2009 an (§ 1 NVwVfG i.V.m. § 31 Abs. 1
VwVfG, § 187 Abs. 1 BGB), ihr Lauf hat spätestens mit der Zustellung des für
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sofort vollziehbar erklärten Bescheids vom 6. April 2009 an die Beigeladene am
11. April 2009 aufgehört und am 7. April 2010 erneut begonnen. Sie war damit
am 22. April 2010 noch nicht abgelaufen.
Der Senat folgt dem Oberverwaltungsgericht zunächst darin, dass sich die Aus-
setzung der Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben, die in § 15
BauGB geregelt ist, auf die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB aus-
wirkt. Sowohl § 15 BauGB als auch § 36 BauGB dienen der Sicherung der ge-
meindlichen Planungshoheit. Nach der hier einschlägigen Bestimmung des § 15
Abs. 3 Satz 1 BauGB hat die Genehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde
die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis
6 BauGB für einen Zeitraum bis zu längstens einem Jahr nach Zustellung der
Zurückstellung des Baugesuchs auszusetzen, wenn die Gemeinde beschlossen
hat, einen Flächennutzungsplan aufzustellen, zu ändern oder zu ergänzen, mit
dem die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erreicht werden sollen
und zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben
unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Die in § 36
Abs. 1 Satz 1 BauGB vorgesehene Mitwirkung der Gemeinde ist ebenfalls auf
die Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit ausgerichtet (BVerwG, Urteil
vom 16. September 2004 - 4 C 7.03 - BVerwGE 122, 13 <17>). Die Gemeinde
soll dort, wo sie noch nicht geplant hat, oder dann, wenn ein Bauvorhaben von
ihrer Planung abweicht, im Genehmigungsverfahren an der Beurteilung der
bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Bauvorhabens mitentscheidend betei-
ligt werden. Darüber hinaus soll sie in den Fällen, in denen ein nach den §§ 31,
33 bis 35 BauGB zulässiges Vorhaben ihren planerischen Vorstellungen nicht
entspricht, von ihrer planungsrechtlichen Möglichkeit Gebrauch machen kön-
nen, durch Aufstellung eines Bauleitplans die planungsrechtlichen Grundlagen
für die Zulässigkeit eines Vorhabens zu ändern und zur Sicherung der Planung
das Mittel der Veränderungssperre zu ergreifen oder das Baugesuch zurück-
stellen zu lassen (BVerwG, Urteile vom 7. Februar 1986 - 4 C 43.83 - Buchholz
406.11 § 36 BBauG Nr. 35 S. 10 und vom 16. September 2004 a.a.O. S. 17;
stRspr).
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Die Entscheidung nach § 15 BauGB hat zur Folge, dass die Genehmigungsbe-
hörde während der Geltungsdauer der Aussetzung das Baugesuch nicht zu be-
arbeiten braucht (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - 4 C 10.10 - Buchholz
406.11 § 15 BauGB Nr. 7 Rn. 9). Die Auffassung der Beigeladenen, das Ge-
nehmigungsverfahren sei fortzusetzen und nur mit der Erteilung des Genehmi-
gungsbescheides sei bis zum Ende der Aussetzung zu warten, trifft nicht zu.
Zwar benennt § 15 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 BauGB als Gegenstand der
Aussetzung die "Entscheidung" über die Zulässigkeit von Vorhaben. Mit der
Aussetzung der Entscheidung ist aber die Aussetzung des Verwaltungsverfah-
rens gemeint. Dies ergibt sich nicht nur aus der amtlichen Überschrift "Zurück-
stellung von Baugesuchen" des § 15 BauGB, sondern auch aus § 15 Abs. 3
Satz 1 BauGB, der den Zeitraum der Aussetzung an die Zustellung der "Zu-
rückstellung des Baugesuchs" knüpft. Die Aussetzung des Genehmigungsver-
fahrens ist auch sachgerecht. Es gibt keinen rechtfertigenden Grund dafür, dass
die Genehmigungsbehörde im Zeitraum der Zurückstellung eines Baugesuchs,
in dem die beantragte Genehmigung nicht erteilt werden darf (BVerwG, Urteil
vom 10. Dezember 1971 - 4 C 32.69 - Buchholz 406.11 § 15 BBauG Nr. 1 S. 3),
die Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens prüfen muss, obwohl nicht fest-
steht, an welchen planungsrechtlichen Voraussetzungen sich das Vorhaben
nach Ablauf der Zurückstellung messen lassen muss. Es kann nicht angenom-
men werden, dass der Gesetzgeber von der Genehmigungsbehörde ein Tätig-
werden verlangt, dass sich im Nachhinein als nutzlos erweisen kann.
Was für die Genehmigungsbehörde gilt, gilt auch für die Gemeinde. Es besteht
kein Anlass, ihr innerhalb der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB eine
Erklärung zu der Vereinbarkeit eines Vorhabens mit den in § 36 Abs. 1 Satz 1
BauGB genannten Vorschriften abzuverlangen, wenn das Baugesuch zurück-
gestellt ist, weil die Gemeinde die planungsrechtlichen Voraussetzungen für das
Vorhaben ändern will. Mit der Zurückstellung verliert die Frist des § 36 Abs. 2
Satz 2 Halbs. 1 BauGB ihren Sinn. Die Norm ist in das Baugesetzbuch einge-
fügt worden, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen (BVerwG, Urteil
vom 12. Dezember 1996 - 4 C 24.95 - Buchholz 406.11 § 36 BauGB Nr. 51
S. 3; BT-Drs. 8/2541 S. 24). Ihr Anliegen kann - für alle Beteiligten erkennbar -
nicht mehr gefördert werden, wenn die Entscheidung über das Baugesuch aus-
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gesetzt ist. Das Vertrauen des Bauherrn darauf, dass über das gemeindliche
Einvernehmen als einer Teilfrage des Genehmigungsverfahrens innerhalb der
Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB Klarheit geschaffen wird (BVerwG,
Urteil vom 12. Dezember 1996 a.a.O. S. 4), ist in dieser Situation nicht schutz-
würdig.
Aus § 15 Abs. 3 Satz 3 BauGB ergibt sich nicht, dass die Zurückstellung eines
Baugesuchs den Lauf der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB unbe-
rührt lässt. Zwar kann die Gemeinde die Zurückstellung des Baugesuchs inner-
halb von sechs Monaten beantragen, nachdem sie von dem Vorhaben in einem
Verwaltungsverfahren förmlich Kenntnis erhalten hat, und ist deshalb der Fall
möglich, dass die Gemeinde die Zurückstellung erst nach Eintritt der Genehmi-
gungsfiktion beantragt. Aus § 15 Abs. 3 Satz 3 BauGB ergibt sich aber nur das
vom Senat im Urteil vom 19. Februar 2004 - 4 CN 16.03 - (BVerwGE 120, 138
<143>) bestätigte Recht der Gemeinde, trotz erteilten oder als erteilt geltenden
Einvernehmens ihre bauleitplanerischen Vorstellungen zu ändern und die ge-
setzlichen Sicherungsmittel zu ergreifen; zu den Rechtsfolgen einer Zurückstel-
lung vor Ablauf der Fiktionsfrist enthält die Vorschrift keine Aussage.
Der Senat pflichtet dem Oberverwaltungsgericht ferner darin bei, dass mit der
Aussetzung eines Genehmigungsverfahrens der Lauf der Frist des § 36 Abs. 2
Satz 2 Halbs. 1 BauGB unterbrochen wird und mit dem Ende der Aussetzung
ohne Anrechnung des bereits verstrichenen Teils von neuem beginnt. Zu Recht
hat sich das Oberverwaltungsgericht an § 249 Abs. 1 ZPO orientiert, der als
Rechtsfolge einer Aussetzung anordnet, dass der Lauf einer jeden Frist aufhört
und nach Beendigung der Aussetzung die volle Frist von neuem zu laufen be-
ginnt. Zwar ist § 249 Abs. 1 ZPO eine Vorschrift des Prozessrechts. Es ist aber
zulässig, die Wirkung, die der Gesetzgeber an den prozessrechtlichen Begriff
der Aussetzung knüpft, auf den identischen Begriff in § 15 BauGB als Vorschrift
des formellen Baurechts zu übertragen. Nach dem Ende der Aussetzung eines
Verfahrens kann sich eine neue Sach- und Rechtslage ergeben, auf die sich die
Beteiligten einstellen müssen. Der Gesetzgeber hält es in § 249 Abs. 1 ZPO für
angemessen, den Beteiligten für ihre Prüfungen und Überlegungen dieselben
Fristen wie vor der Aussetzung des Verfahrens einzuräumen. Auch im Falle der
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behördlichen Aussetzung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungs-
verfahrens ist es sachgerecht, wenn nach Beendigung der Aussetzung maß-
gebliche Fristen von vorn beginnen, und nicht, wie es dem Beklagten und der
Beigeladenen vorschwebt, nach dem Rechtsgedanken des § 209 BGB nur der
Zeitraum der Aussetzung unberücksichtigt bleibt. Für die Genehmigungsbehör-
de, die nach § 10 Abs. 6a BImSchG über einen Genehmigungsantrag nach sie-
ben Monaten und im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach drei Monaten
zu entscheiden hat, liegt das auf der Hand, weil ein alter Genehmigungsantrag,
wenn er auf einer neuen planungsrechtlichen Grundlage zu beurteilen ist, ei-
nem neuen Genehmigungsantrag gleich steht. Aber auch die Gemeinde benö-
tigt nach Ablauf der Geltungsdauer der Aussetzung noch eine Frist, um die pla-
nungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens nach der gegebenenfalls neuen
Rechtslage zu prüfen und sich zum Einvernehmen zu erklären. Die Dauer die-
ser Frist deswegen, weil sich die Gemeinde parallel zum Fortgang des Bauleit-
planverfahrens ihre Meinung zu dem Vorhaben bilden kann, zu Gunsten des
Bauherrn davon abhängig zu machen, wie viel von der gesamten Frist des § 36
Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB bereits bis zur Zurückstellung verstrichen ist,
verbietet sich bereits im Interesse der Rechtssicherheit.
Die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB beginnt mit dem Ende des
Zurückstellungszeitraums von neuem, ohne dass es eines erneuten Ersuchens
der Genehmigungsbehörde bedarf. Die Rechtslage stellt sich nicht anders dar
als bei gerichtlichen Fristen. So läuft beispielsweise die durch den Tod des Wi-
derspruchsführers unterbrochene Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO ab
dem Ende der Unterbrechung; eine nochmalige Zustellung des Widerspruchs-
bescheids als erneut fristauslösendes Ereignis ist nicht notwendig (BVerwG,
Beschluss vom 14. November 2000 - 8 B 187.00 - Buchholz 310 § 74 VwGO
Nr. 14 S. 10).
2. Der rechtswidrige Vorbescheid verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Nach
der Rechtsprechung des Senats führt allein die Missachtung des gesetzlich ge-
währleisteten, dem Schutz der Planungshoheit dienenden Rechts der Gemein-
de auf Einvernehmen zur Aufhebung der Baugenehmigung; eine materiell-
rechtliche Überprüfung der Rechtslage findet nicht statt. Der Gesetzgeber hat in
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dem Konflikt zwischen Planungshoheit und Baufreiheit eine eindeutige Rege-
lung getroffen, der zufolge gegen den Willen der Gemeinde in den Fällen des
§ 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB bis zu einer gerichtlichen Klärung der Genehmi-
gungsfähigkeit eines Vorhabens auf die Verpflichtungsklage des Bauwerbers
hin keine Baugenehmigung erteilt werden darf (BVerwG, Urteile vom 7. Februar
1986 - 4 C 43.83 - Buchholz 406.11 § 36 BBauG Nr. 35 S. 12 und vom
10. August 1988 - 4 C 20.84 - Buchholz 406.11 § 36 BBauG/BauGB Nr. 40
S. 5). Im Anfechtungsprozess, in dem sich die Gemeinde gegen ein missachte-
tes Einvernehmenserfordernis wehrt, prüft das Gericht daher nicht, ob der Bau-
herr einen materiellen Anspruch auf die beantragte Genehmigung besitzt
(BVerwG, Beschluss vom 11. August 2008 - 4 B 25.08 - Buchholz 406.11 § 36
BauGB Nr. 59 Rn. 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene
mit ihrer Revision erfolglos bleibt, hat sie die Kosten des Revisionsverfahrens
zu tragen. Klarzustellen ist, dass die Beigeladene die Kosten des Beklagten
nicht tragen muss. Die Kostenerstattung folgt dem Unterliegensprinzip. Erstat-
tungsberechtigt ist, wer obsiegt, erstattungsverpflichtet, wer unterliegt (Rennert,
in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Vor § 154 Rn. 4). Weil im Revisionsver-
fahren nur die Klägerin obsiegt, ist der Beklagte nicht erstattungsberechtigt.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
Dr. Decker
Dr. Külpmann
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 60 000 €
festgesetzt.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
Dr. Decker
Dr. Külpmann