Urteil des BVerwG vom 18.03.2015

Bebauungsplan, Bindungswirkung, Umdeutung, Normenkontrolle

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 7.15
VGH 3 C 1990/13.N
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Külpmann
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 15. Dezember 2014 wird zurück-
gewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen einen im April 2008 öffentlich bekannt ge-
machten Bebauungsplan sowie einen im November 2009 bekannt gemachten
Änderungsbebauungsplan.
Er erhob am 6. Mai 2013 beim Verwaltungsgericht Klage gegen einen Wider-
spruchsbescheid betreffend eine Bauvoranfrage "sowie den diesem zugrunde
liegenden Bebauungsplan" Nr. 314/1 und den "vorhergehenden Bebauungs-
plan" Nr. 314 der Antragsgegnerin. Er beantrage - unter anderem -, die Nichtig-
keit dieser Bebauungspläne festzustellen. Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2013
beantragte er hilfsweise, "den Bebauungsplan Fstraße/Schstraße - 1. Änderung
zur Normenkontrolle an das Oberverwaltungsgericht zu verweisen". Am 31. Juli
2013 trennte das Verwaltungsgericht das Verfahren ab, soweit es die Feststel-
lung der Nichtigkeit beider Bebauungspläne betraf. Nach Anhörung der Beteilig-
ten erklärte sich das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. September 2013
für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an den Verwaltungsgerichtshof.
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Auf Nachfrage der dortigen Berichterstatterin lehnte es der Berichterstatter des
Verwaltungsgerichts ab, den Abtrennungs- oder den Verweisungsbeschluss zu
ändern. Die Berichterstatterin des Verwaltungsgerichtshofs wies die Beteiligten
mit Schreiben vom 26. November 2013 darauf hin, dass ein Normenkontrollan-
trag nicht - wie die ursprüngliche Klage - gegen die Baugenehmigungsbehörde,
sondern nur gegen die Gemeinde gerichtet werden könne. Der Antragsteller
teilte unter dem 6. Dezember 2013 mit, er sei daran interessiert, das Normen-
kontrollverfahren gegen die Antragsgegnerin fortzuführen. In der mündlichen
Verhandlung beantragte er die Vorlage einer Frage an den Europäischen Ge-
richtshof und hierzu hilfsweise, beide Bebauungspläne der Antragsgegnerin für
unwirksam zu erklären. Der Verwaltungsgerichtshof legte dem Europäischen
Gerichtshof keine Frage vor und lehnte den Normenkontrollantrag ab. Weder
die Klageerhebung noch die Verweisung wahrten die Jahresfrist des § 47
Abs. 2 Satz 1 VwGO.
II
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde
bleibt erfolglos.
1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO zuzulassen.
a) Die Beschwerde meint, der Verwaltungsgerichtshof habe § 47 Abs. 2 VwGO
vorliegend nicht anwenden dürfen.
Die Bindungswirkung des § 83 Satz 1 VwGO, § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG sei ent-
fallen, weil das Verwaltungsgericht bei der Verweisung in schwerwiegender
Weise gegen §§ 86, 88 VwGO verstoßen habe. Der Verwaltungsgerichtshof
habe daher den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zurückverweisen müs-
sen.
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Dieser Vorwurf geht fehl. Der Antragsteller hat das Verfahren beim Verwal-
tungsgerichtshof als Normenkontrollverfahren geführt und damit die - jedenfalls
vertretbare - prozessuale Sicht des Verwaltungsgerichts bestätigt. Hieran muss
er sich festhalten lassen. Für die Normenkontrollanträge war der Verwaltungs-
gerichtshof zuständig (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), der die Sachentscheidungs-
voraussetzung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu prüfen hatte. Der Fall einer zu
Unrecht erfolgten Verweisung, zu dem sich die angeführten Urteile des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 6. Juni 1967 (4 C 216.65 - BVerwGE 27, 170
<173>) und vom 24. April 1975 (8 A 1.73 - Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 15
S. 6) verhalten, lag nicht vor.
b) Der Antragsteller beanstandet zu Unrecht die Feststellung als aktenwidrig, er
habe hilfsweise die Verweisung der Normenkontrollanträge beantragt. Er hat
einen solchen Antrag mit Schriftsatz vom 3. Juli 2013 in einem handschriftlich
angebrachten Zusatz gestellt (Bl. 56 der Gerichtsakte). Dass dieser nur den
Änderungsbebauungsplan zum Gegenstand hatte, ist in diesem Zusammen-
hang ohne Bedeutung. Denn der Antragsteller hat das Verfahren auch in der
Folge gegen beide Bebauungspläne geführt.
c) Der Antragsteller sieht das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101
Abs. 1 Satz 2 GG als verletzt an, weil der Verwaltungsgerichtshof dem Europäi-
schen Gerichtshof eine bestimmte Frage zur Auslegung des Unionsrechts nicht
vorgelegt habe. Dies führt nicht auf einen Verfahrensfehler. Zur Anrufung des
Europäischen Gerichtshofs ist ein Gericht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nur ver-
pflichtet, wenn seine Entscheidung mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen
Rechts nicht mehr angefochten werden kann. Dies ist hier nicht der Fall, weil
die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision statthaft ist (BVerwG,
Beschlüsse vom 22. Dezember 2004 - 10 B 21.04 - Buchholz 401.65 Hunde-
steuer Nr. 8 S. 21 und vom 12. Oktober 2010 - 7 B 22.10 - juris Rn. 9). Warum
hier ferner das Gebot rechtlichen Gehörs berührt sein soll, führt die Beschwerde
nicht aus und vermag der Senat nicht zu erkennen.
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2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
zuzulassen.
Das angegriffene Urteil weicht nicht von dem Urteil des Bundesverwaltungsge-
richts vom 24. April 1975 (8 A 1.73 - Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 15 S. 6)
ab. Danach hat ein Gericht, das wegen der Bindungswirkung eines zu Unrecht
ergangenen Verweisungsbeschlusses zu entscheiden hat, so zu entscheiden,
wie das an sich zuständige Gericht ohne die Verweisung zu entscheiden hätte.
Hiervon weicht der Verwaltungsgerichtshof schon deswegen nicht ab, weil er für
die Normenkontrollanträge zuständig (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und die Verwei-
sung damit nicht zu Unrecht erfolgt war.
3. Die Revision ist schließlich nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
a) Der Antragsteller misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei,
ob die Fristenregelungen in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO und
§ 215 Abs. 1 BauGB mit den Bestimmungen des Rechts
der Europäischen Union, insbesondere mit Art. 3 der
Richtlinie 2001/42/EG (Plan-UP-Richtlinie) vereinbar sind.
Dies führt nicht zur Zulassung der Revision. Eine Klärung durch eine höchst-
richterliche Entscheidung in einem Revisionsverfahren ist nicht erforderlich,
wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen
Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesin-
terpretation ohne weiteres beantworten lässt (BVerwG, Beschlüsse vom
24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> und vom
16. November 2004 - 4 B 71.04 - NVwZ 2005, 449 <450>).
Der Antragsteller macht unter Berufung auf das Urteil des Europäischen Ge-
richtshofs vom 18. April 2013 (C-463/11 - Rn. 43 f.) geltend, dass § 47 Abs. 2
Satz 1 VwGO außer Anwendung bleiben müsse, wenn anderenfalls Bestim-
mungen des Unionsrechts, hier: Art. 3 der Richtlinie 2001/42/EG des Europäi-
schen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Um-
weltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197 S. 30 - Plan-
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UP-RL) verletzt würden. Diese Rechtsauffassung trifft nicht zu. Nach der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es bei Fehlen unionsrechtli-
cher Vorschriften Aufgabe der innerstaatlichen Rechtsordnung, die Verfah-
rensmodalitäten der Rechtsbehelfe zu regeln, die den Schutz der dem Bürger
aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Moda-
litäten dürfen nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die entsprechenden
innerstaatlichen Rechtsbehelfe (Äquivalenzgrundsatz) und sie dürfen die Aus-
übung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch
unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (stRspr,
vgl. etwa EuGH, Urteil vom 12. Mai 2011 - C 115/09 [ECLI:EU:C:2011:289]
- Rn. 43; im Übrigen etwa Dörr, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, EVR
Rn. 241; Gärditz, JuS 2009, 385 <391>). Weder legt die Beschwerde dar noch
ist sonst ersichtlich, warum die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO diese
Anforderungen verfehlen könnte, zumal sie die Möglichkeit einer inzidenten
Prüfung nicht berührt.
Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 18. April 2013 (C-463/11)
folgt nichts Anderes. Die Befristung eines Rechtsbehelfs wie der Normenkon-
trolle ist nicht mit einer Regelung vergleichbar, die - wie § 214 Abs. 2a BauGB -
bestimmte Rechtsverstöße für unbeachtlich erklärt. Welchen Klärungsbedarf die
Beschwerde zu dem im angegriffenen Urteil nicht angesprochenen § 215 Abs. 1
BauGB sieht, legt sie nicht dar.
b) Ferner führt auch die Frage,
ob die Umdeutung einer vor dem Verwaltungsgericht er-
hobenen Klage gegen die Ablehnung eines Bauvorbe-
scheides (oder einer Baugenehmigung) in einen Normen-
kontrollantrag zum Zwecke der Verweisung an das Nor-
menkontrollgericht überhaupt zulässig ist,
nicht zur Zulassung der Revision. Sie wäre in einem Revisionsverfahren nicht
klärungsfähig. Der Verweisungsbeschluss und das ihm zugrunde liegende Ver-
ständnis des klägerischen Antrags ist nach § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbar
und könnte daher nicht Gegenstand revisionsgerichtlicher Überprüfung sein.
Hiervon unabhängig wird die Frage einer Umdeutung nicht aufgerufen, weil der
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Antragsteller das Verfahren als Normenkontrollverfahren geführt hat und wei-
terhin führt. Hieran muss er sich festhalten lassen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Bumke
Dr. Külpmann
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