Urteil des BVerwG vom 05.11.2003

Mangel, Nichtigkeit, Einfluss, Defizit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 68.03
VGH 4 N 1559/01
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. November 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. L e m m e l und
Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
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Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 17. Juli 2003 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfah-
ren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die von den Antragstellern erhobene Gehörsrüge (§ 108 Abs. 2 VwGO i.V.m.
Art. 103 Abs. 1 GG) könnte, wie auch die Beschwerde nicht verkennt, nur dann zur
Zulassung der Revision führen, wenn das Normenkontrollgericht bei Vermeidung des
behaupteten Verfahrensfehlers den angegriffenen Bebauungsplan nicht nur für un-
wirksam, sondern für nichtig hätte erklären müssen (vgl. dazu BVerwG, Beschluss
vom 11. Dezember 2002 - BVerwG 4 BN 16.02 - BVerwGE 117, 239). Das ist indes-
sen nicht der Fall. Selbst wenn das Normenkontrollgericht den Antragstellern das
rechtliche Gehör gewährt hätte, das nach Ansicht der Beschwerde fehlerhaft versagt
worden ist, hätte sich an dem Ausspruch der (bloßen) Unwirksamkeit nichts geän-
dert.
Die Gehörsrüge knüpft an folgende Ausführungen im Berufungsurteil (UA S. 17 f.)
an: Der Umstand, dass die Antragsgegnerin kein prognostisches Sachverständigen-
gutachten zu der voraussichtlichen zusätzlichen Verkehrsbelastung eingeholt, son-
dern sich mit der durchgeführten "Verkehrsabschätzung" begnügt habe, sei mögli-
cherweise als Fehler bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials zu werten.
Unterstelle man dies, handele es sich aber nicht um einen erheblichen Mangel im
Abwägungsvorgang im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB, weil das (unterstellte)
Defizit weder offensichtlich noch auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen
sei. Die Beschwerde wirft dem Normenkontrollgericht vor, es habe sich bei dieser
rechtlichen Würdigung um eine Überraschungsentscheidung gehandelt, mit der die
Antragsteller nach dem Verlauf des Verfahrens und der mündlichen Verhandlung
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nicht hätten rechnen müssen. Hätten die Antragsteller zu diesen Fragen vortragen
können, wäre das Normenkontrollgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich um
einen erheblichen Mangel im Abwägungsvorgang im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2
BauGB gehandelt habe. Ein solcher durchgreifender Abwägungsmangel hätte zur
Feststellung der Nichtigkeit des Bebauungsplanes führen müssen, weil der Abwä-
gungsmangel nicht in einem ergänzenden Verfahren (§ 215 a BauGB) zu beheben
sei.
Der beschließende Senat braucht dem Vorwurf der Beschwerde, es habe sich um
eine Überraschungsentscheidung gehandelt, nicht weiter nachzugehen. Selbst wenn
man dies zugunsten der Beschwerde annehmen und weiter davon ausgehen würde,
dass das Normenkontrollgericht bei Gewährung rechtlichen Gehörs einen erhebli-
chen Mangel im Abwägungsvorgang im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB an-
genommen hätte, würde daraus nicht die Nichtigkeit des Bebauungsplanes folgen.
Das Normenkontrollgericht hat mit Blick auf das unterbliebene Sachverständigengut-
achten einen "Fehler bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials" unter-
stellt. Ein derartiger Fehler ließe sich ohne weiteres in einem ergänzenden Verfahren
beheben, nämlich dadurch, dass das unterbliebene Sachverständigengutachten er-
hoben, in das Verfahren eingeführt und bei der Abwägung berücksichtigt wird. Es
verhält sich hier somit nicht anders als bei anderen Fehlern im Abwägungsvorgang,
die in aller Regel in einem ergänzenden Verfahren behoben werden und damit nicht
die Nichtigkeitsfolge nach sich ziehen können. Welche Folgerungen für das Abwä-
gungsergebnis sich aus der etwaigen Erhebung eines Sachverständigengutachtens
ergeben würden, ist für die Frage, ob ein Mangel im Abwägungsvorgang im Sinne
von § 215 a Abs. 1 BauGB behebbar ist, ohne Bedeutung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streit-
werts auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Paetow Lemmel Jannasch