Urteil des BVerwG vom 13.08.2010

Vorprüfung, Befreiung, Bebauungsplan, Kontrolle

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 6.10
OVG 1 KN 22/05
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. August 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Schleswig-
Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. Juli 2009
wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Bei-
geladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde des Antragstel-
lers hat keinen Erfolg.
1. Als Divergenzrüge i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, die hilfsweise als
Grundsatzrüge erhoben wird, macht die Beschwerde geltend, das Normenkon-
trollgericht sei in Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts zu Art. 6 FFH-RL davon ausgegangen, dass an die Ermittlungs-
tiefe bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung im Rahmen der Bauleitplanung gerin-
gere Anforderungen zu stellen seien als an die Verträglichkeitsprüfung für Pro-
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jekte. Das Normenkontrollgericht weiche auch insofern ab, als es die gerichtli-
che Kontrolle (auch) bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung bei in Bezug genom-
menen Einschätzungen von Fachbehörden auf eine bloße „Vertretbarkeit“ hin
reduziere.
1.1 Die behauptete Divergenzrüge genügt nicht den Darlegungsanforderungen
gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Zwar leitet die Beschwerde mehrere
Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil ab, die sie der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 -
BVerwGE 128, 1) gegenüberstellt. Die von der Beschwerde aufgestellten
Rechtssätze lassen sich dem Urteil jedoch nicht entnehmen; sie verfehlen den
rechtlichen Ansatz des Normenkontrollgerichts.
Das Normenkontrollgericht hat zu § 34 Abs. 2 BNatSchG, der Art. 6 Abs. 3
FFH-RL umsetzt und gemäß § 1 a Abs. 4 BauGB auf die Bauleitplanung anzu-
wenden ist, ausgeführt, dass im Planaufstellungsverfahren der Schutz von FFH-
Gebieten bzw. streng geschützten Arten umfassend geprüft worden sei (UA
S. 4, 24) und nach einer Bewertung des Landesamtes für Natur und Umwelt
(LANU) davon ausgegangen werden könne, dass die Planung für das direkt an
das Plangebiet angrenzende FFH-Gebiet „Obere Schwentine“ keine negativen
Auswirkungen haben werde. Die im angegriffenen Bebauungsplan zugelasse-
nen Nutzungen führten zu keiner erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungs-
ziele oder Schutzzwecke des benachbarten FFH-Gebiets (UA S. 24 - 26, 48).
Mit diesen Ausführungen fasst das Normenkontrollgericht das Ergebnis der
Vorprüfung zusammen, die der eigentlichen Verträglichkeitsprüfung vorgeschal-
tet ist, und attestiert der Antragsgegnerin damit, dass sie keinen Anlass hatte,
eine FFH-Verträglichkeitsuntersuchung durchzuführen. Sind erhebliche Beein-
trächtigungen des Schutzgebietes schon nach einer Vorprüfung „offensichtlich“
ausgeschlossen, erübrigt sich nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL eine Verträg-
lichkeitsprüfung. Die FFH-Vorprüfung beschränkt sich auf die Frage, ob „nach
Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis nachteiliger Auswirkungen“ besteht (Be-
schluss vom 26. November 2007 - BVerwG 4 BN 46.07 - Buchholz 451.91
Europ UmweltR Nr. 29 S. 91; Urteil vom 17. Januar 2007 a.a.O. Rn. 60).
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Rechtssätze zur Ermittlungstiefe bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung hat das
Normenkontrollgericht nicht aufgestellt.
1.2 Auch soweit die Beschwerde hilfsweise als Grundsatzrüge sinngemäß da-
nach fragt, ob bei der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung in der Bauleitplanung
der gleiche Maßstab anzulegen sei wie an die Planfeststellung, unterscheidet
sie nicht hinreichend zwischen der FFH-Vorprüfung und der eigentlichen
FFH-Verträglichkeitsprüfung und überträgt die rechtlichen Anforderungen, die
das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2007 an die
FFH-Verträglichkeitsprüfung stellt (a.a.O. Rn. 61 f. - „beste einschlägige wis-
senschaftliche Erkenntnisse“), auf die Vorprüfung. Abgesehen davon hat das
Normenkontrollgericht bei der Prüfung des naturschutzrechtlichen Habitatschut-
zes in der Bauleitplanung keinen abweichenden Maßstab gegenüber der Prü-
fung im Rahmen einer Planfeststellung angewandt.
2. Die Frage, ob nach dem Satzungsbeschluss gewonnene, zusätzliche bzw.
neuere Erkenntnisse zur FFH-Verträglichkeit in der gerichtlichen Prüfung be-
rücksichtigt werden dürfen, hält die Beschwerde für klärungsbedürftig, weil das
Normenkontrollgericht die naturschutzrechtliche Prüfung „im Ergebnis“ als zu-
treffend erachtet und dabei mehrfach auf neuere Untersuchungen zurückgegrif-
fen habe (Beschwerdebegründung S. 18). Die Beschwerde geht jedoch auch
mit dieser Frage an den Feststellungen des Normenkontrollgerichts vorbei.
Unabhängig davon, dass es nach dem Ergebnis der Vorprüfung keiner FFH-
Verträglichkeitsuntersuchung bedurfte, ist das Normenkontrollgericht nicht da-
von ausgegangen, dass es Ermittlungs- und Bewertungsdefizite - bei der Vor-
prüfung - gegeben habe, die durch nachträgliche Untersuchungen im Sinne der
von der Beschwerde zitierten Rechtsprechung (Beschwerdebegründung S. 19)
„aufgefangen“ worden seien. Schon aus diesem Grund erweist sich die aufge-
worfene Frage als nicht entscheidungserheblich. Der von der Beschwerde zi-
tierte Rechtssatz des Normenkontrollgerichts auf Seite 23 bezieht sich (nur)
darauf, dass „ohne ‚Zeitschranke’ … die Frage von artenschutzrechtlichen Voll-
zugshindernissen (s.o.) weiter ‚unter Kontrolle’ gehalten werden musste“ (UA
S. 38). Hierzu verhält sich die Beschwerde nicht.
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Abgesehen davon stellt das Normenkontrollgericht ausdrücklich fest, dass die
bis zum Satzungsbeschluss zusammengestellten Abwägungsgrundlagen für
eine ordnungsgemäße Abwägung der natur-, habitat- und artenschutzrechtli-
chen Fragen ausreichend waren (UA S. 37). In diesem Zusammenhang nimmt
es nachträgliche Untersuchungen nur zum Anlass, um zu prüfen, ob die Abwä-
gungsgrundlagen defizitär sein könnten (UA S. 35, 36). Das gilt auch für die von
der Beschwerde in Bezug genommen Ausführungen auf Seite 27, die die Frage
betreffen, ob das Plangebiet selbst ein potentielles FFH-Gebiet darstellen könn-
te und eine Gebietsmeldung aus fachfremden Erwägungen unterblieben sei.
3. Auch die zwei Grundsatzrügen zum Artenschutzrecht führen nicht zur Zulas-
sung der Revision.
3.1 Die als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage nach der Anwendbarkeit der
den Verbotstatbestand des § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG 2002 geändert durch
Gesetz vom 12. Dezember 2007 (BGBl I S. 2873) einschränkenden Vorschrif-
ten des § 42 Abs. 5 Satz 2 und 3 BNatSchG 2002 und deren Vereinbarkeit mit
Art. 12 Abs. 1 Buchst. d FFH-RL, ist nicht entscheidungserheblich.
Das Normenkontrollgericht hat zwar - insoweit missverständlich - der arten-
schutzrechtlichen Prüfung den Obersatz vorangestellt, der Verbotstatbestand
nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG 2002 stehe der Vollzugsfähigkeit des ange-
griffenen Bebauungsplans nicht entgegen, weil die Voraussetzungen einer Be-
freiung gemäß § 62 BNatSchG 2002 oder des § 42 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG
2002 vorlägen (UA S. 31). Es prüft dann aber nicht, ob bereits die Verwirkli-
chung des Verbotstatbestands gemäß § 42 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG ausge-
schlossen sein könnte, sondern hebt darauf ab, dass der Antragsgegnerin von
der Oberen Naturschutzbehörde (LANU) eine Befreiung in Aussicht gestellt
worden ist, die dem Beigeladenen auch tatsächlich bereits erteilt worden sei.
Maßgeblich ist nach Auffassung des Normenkontrollgerichts nur, ob überhaupt
eine Befreiung erteilt worden ist (UA S. 31 f.). Im Anschluss daran prüft das Ge-
richt, ob gleichwohl („wäre allenfalls“) ein „absolutes Planungshindernis“ vorlie-
gen könnte (UA S. 32). Diese Prüfung zielt erkennbar auf die Frage, ob die ge-
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schützten Fledermäuse in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Be-
freiung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen
können (§ 62 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG 2002 i.V.m. Art. 16 Abs. 1 FFH-RL).
Dass der Verbotstabestand gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG 2002 erfüllt ist,
stellt das Normenkontrollgericht auch an dieser Stelle nicht in Frage. Es zieht
lediglich - wie der Hinweis „vgl.“ deutlich macht - den Grundgedanken des § 42
Abs. 5 Satz 2 BNatSchG 2002 heran, um deutlich zu machen, dass es zur Be-
urteilung, ob die Art in ihrem Bestand, d.h. als lebensfähiges Element in einem
günstigen Erhaltungszustand erhalten bleibt, nicht genügt, auf die Möglichkeit
zu verweisen, dass die betroffenen Arten auf andere Landschaftsteile auswei-
chen oder dass Ausgleichshabitate geschaffen werden können, wenn die be-
troffene Art gerade auf diese Stätte „speziell“ angewiesen ist (UA S. 32). Vor
diesem Hintergrund stellt sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage der
Gemeinschaftskonformität des § 42 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG 2002 nicht. Unab-
hängig davon beruht die Beschwerde auf der Annahme, dass sich der vorlie-
gende Fall von den der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
zugrunde liegenden Fallkonstellationen unterscheide, weil es nicht lediglich um
wechselnde Ruhestätten, sondern um die in Schleswig-Holstein bedeutendsten
Wochenstuben der Fledermäuse handele (Beschwerdebegründung S. 28). Eine
solche Feststellung hat das Normenkontrollgericht indes nicht getroffen.
3.2 Die Frage,
ob sich die Verbotsvorschriften des besonderen Arten-
schutzrechts bauplanungsrechtlich nur und erst dann als
Planungshindernis auswirken, wenn eine geschützte und
betroffene Art in ihrem Bestand oder in ihrer Entwicklung
auf ein bestimmtes Gebiet - speziell - angewiesen ist,
stellt sich in dieser Allgemeinheit nicht und beruht zudem wiederum auf Prämis-
sen, die das Normenkontrollgericht seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt
hat.
Das Normenkontrollgericht ist nicht davon ausgegangen, dass ein Planungs-
hindernis „nur und erst dann“ unter den in der Frage umschriebenen Vorausset-
zungen anzunehmen ist. Es stellt nicht in Abrede, dass die Verbotsvorschriften
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des besonderen Artenschutzrechts grundsätzlich ein Planungshindernis im
Rahmen der Bauleitplanung darstellen können, sondern geht nur davon aus,
dass im vorliegenden Fall kein Planungshindernis vorliegt, weil eine Befreiung
gemäß § 62 BNatSchG 2002 erteilt worden ist.
4. Mit der Frage,
ob die zuständige Behörde eine immissionsschutzrechtli-
che Genehmigung nach den §§ 5, 6 BImSchG mit Aufla-
gen zum Lärmschutz versehen darf, die über die Anforde-
rungen der TA-Lärm hinausgehen, wenn die entsprechen-
den Beschränkungen nicht in den Festsetzungen des Be-
bauungsplans vorgegeben, sondern als Betriebsszenarien
lediglich der Begründung des Bebauungsplans zugrunde
gelegt worden sind,
macht die Beschwerde geltend, die Voraussetzungen für einen zulässigen Kon-
flikttransfer seien nicht gegeben, weil im Bebauungsplan Festsetzungen von
Betriebsbeschränkungen fehlten und die Antragsgegnerin aufgrund defizitärer
Ermächtigungsgrundlagen des Immissionsschutzrechts auch nicht habe davon
ausgehen können, dass auf der Ebene der immissionsschutzrechtlichen Ge-
nehmigung eine mit ihren Abwägungsgrundlagen im Einklang stehende Ent-
scheidung erfolgen würde.
Das Normenkontrollgericht ist indes nicht davon ausgegangen, dass die immis-
sionsschutzrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen defizitär seien, sondern ist
der Auffassung, der Rechtmäßigkeit der Abwägung stehe nicht entgegen, dass
nicht alle Abwägungsgrundlagen „kongruent“ in planerische Festsetzungen ein-
gemündet seien (UA S. 49). Dass die Gemeinde von einer abschließenden
Konfliktbewältigung im Bebauungsplan Abstand nehmen darf, wenn bei voraus-
schauender Betrachtung die Durchführung der als notwendig erkannten Kon-
fliktlösungsmaßnahmen außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe der
Verwirklichung der Planung sichergestellt ist, ist in der Rechtsprechung des Se-
nats geklärt (vgl. nur Beschluss vom 15. Oktober 2009 - BVerwG 4 BN 53.09 -
juris Rn. 5 m.w.N.). Die Frage, unter welchen Umständen der Schluss auf eine
hinreichend verfestigte Planung gerechtfertigt erscheint, beurteilt sich nach den
Gegebenheiten des Einzelfalles und entzieht sich einer abstrakten Klärung (Be-
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schluss vom 14. Juli 1994 - BVerwG 4 NB 25.94 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB
Nr. 75, S. 12). Die Beschwerde beschränkt sich der Sache nach auf einen An-
griff auf die Auffassung des Normenkontrollgerichts, das davon ausgeht, dass
eine Regelung der Details zum Lärmschutz im Genehmigungsverfahren - wie
auch die zwischenzeitlich erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung
belegt - gewährleistet sei. Dass es - wie die Beschwerde offensichtlich meint -
zur Bewältigung der Lärmschutzproblematik die Anforderungen der TA-Lärm
übersteigender Lärmschutzmaßnahmen bedarf (Beschwerdebegründung
S. 34), hat das Normenkontrollgericht nicht angenommen. Auf die von der Be-
schwerde bemühte Auslegung des § 6 Abs. 1 BImSchG kommt es auch aus
diesem Grund nicht an.
5. Da die Beschwerde aus den dargelegten Gründen zurückzuweisen war, be-
darf es keiner Prüfung mehr, ob - wie der Verfahrensbevollmächtigte der An-
tragsgegnerin und des Beigeladenen vorträgt - die von Amts wegen zu prüfen-
den Zulässigkeitsvoraussetzungen des Normenkontrollantrags entgegen der
Auffassung des Oberverwaltungsgerichts zu verneinen wären; denn selbst
wenn dies zuträfe, bliebe die Beschwerde erfolglos, weil die angefochtene Ent-
scheidung in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO jedenfalls im
Ergebnis richtig wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Bumke
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