Urteil des BVerwG vom 12.11.2003

Bebauungsplan, Öffentliche Parkanlage, Normenkontrolle, Rechtsschutzinteresse

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 59.03
VGH 3 N 453/02
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. November 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und
Prof. Dr. R o j a h n
beschlossen:
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Die Beschwerde der Antragstellerin zu 3 gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 12. Juni 2003 wird verworfen. Die Beschwer-
den der Antragsteller zu 1, 2 und 4 werden zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
zu je einem Viertel.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 100 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Antragstellerinnen zu 1 und 3 sind Eigentümerinnen, die Antragsteller zu 2 und 4
Pächter landwirtschaftlich genutzter Grundstücke im Geltungsbereich der am
22. April 1997 von der Antragsgegnerin zur Deckung eines erhöhten Bedarfs an Ar-
beitsstätten beschlossenen Satzung über die förmliche Festlegung des städtebauli-
chen Entwicklungsbereichs "Am Martinszehnten", die den Gegenstand erfolglos ge-
bliebener Normenkontrollanträge bildete. Die Hofstelle der Antragstellerin zu 1 liegt
innerhalb, die Hofstelle der Antragstellerin zu 3 außerhalb des Entwicklungsbereichs.
Die Antragsteller wenden sich im Wege der Normenkontrolle gegen den am 8. Juni
2000 als Satzung beschlossenen Bebauungsplan "Am Martinszehnten", in dem der
mit dem Entwicklungsbereich deckungsgleiche Planbereich in ein Gewerbegebiet,
ein Industriegebiet und eine öffentliche Parkanlage eingeteilt wird. Die Antragsteller
machen u.a. geltend: Das Plangebiet sei überdimensioniert. Es bestehe ein Bedarf
an Büroraum, nicht an Gewerbe- und Industrieflächen. Die Planung sei unwirtschaft-
lich. Sie lasse außer Acht, dass landwirtschaftliche Flächen nur ausnahmsweise für
andere Zwecke in Anspruch genommen werden sollten. Durch die vorgesehene We-
geerschließung entstünden ungelöste Lärmkonflikte.
Auf den Antrag der Antragstellerin zu 3 hin hat das Normenkontrollgericht den Be-
bauungsplan mit Urteil vom 12. Juni 2003 für unwirksam erklärt, weil die naturschutz-
rechtliche Kompensation Defizite aufweise. Die Anträge der Antragsteller zu 1, 2
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und 4 hat es abgelehnt: Den Antragstellern fehle zum Teil bereits die Antragsbefug-
nis. Auch ein Rechtsschutzbedürfnis sei nicht gegeben. Die Aufgabe der landwirt-
schaftlichen Grundstücksnutzung werde nicht erst durch den angegriffenen Bebau-
ungsplan herbeigeführt, sondern stehe bereits aufgrund der rechtswirksamen Ent-
wicklungssatzung fest. Der drohende Verlust der Landwirtschaft könne nicht ein
zweites Mal im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens aufgerufen und zur gericht-
lichen Überprüfung gestellt werden. Durch die Entwicklungsmaßnahme sei insoweit
eine Entwehrung der als verletzt gerügten Rechtspositionen eingetreten. Soweit die
Antragsteller Lärmschutzvorkehrungen begehrten, seien sie objektiv nicht schutz-
würdig, da die von ihnen zu Wohn- und zu betrieblichen Zwecken ausgeübte Nut-
zung rechtlich und tatsächlich erwartbar auf Dauer keinen Bestand haben könne und
solle.
Die Antragsteller haben mit dem Ziel der Revisionszulassung Beschwerde eingelegt.
II.
1. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde der Antragstellerin zu 3
ist unzulässig. Dahinstehen kann, ob die gerügten Verfahrensfehler vorliegen. Das
Beschwerdevorbringen gibt nichts dafür her, dass die angefochtene Entscheidung
auf den geltend gemachten Mängeln beruhen kann. Das Normenkontrollgericht hat
den angegriffenen Bebauungsplan auf den Antrag der Antragstellerin zu 3 hin für
unwirksam erklärt. Dass es bei Vermeidung der im Schriftsatz vom 1. September
2003 angeführten Verfahrensfehler den Plan für nichtig erklärt hätte, zeigt die An-
tragstellerin zu 3 nicht auf und ist auch sonst aus den Umständen nicht ersichtlich. Zu
entsprechenden Darlegungen bestand Anlass, denn gegen eine Normenkontroll-
entscheidung, durch die ein Bebauungsplan für unwirksam erklärt worden ist, ist ein
Rechtsmittel des Antragstellers nur dann statthaft, wenn mit ihm die Nichtigerklärung
begehrt wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. Juni 2001 - BVerwG 4 BN 21.01 -
Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 148 und vom 11. Dezember 2002 - BVerwG 4 BN
16.02 - BVerwGE 117, 239).
2. Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde der Antragsteller
zu 1, 2 und 4 ist unbegründet.
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a) Die Divergenzrügen greifen nicht durch.
Eine Abweichung von Rechtssätzen, die der Senat in den Urteilen vom 3. Juli 1998
- BVerwG 4 CN 5.97 - (ZfBR 1999, 100) und vom 12. Dezember 2002 - BVerwG
4 CN 7.01 - (BVerwGE 117, 248) und im Beschluss vom 5. August 2002 - BVerwG
4 BN 32.02 - (ZfBR 2003, 45) sowie das Bundesverfassungsgericht im Beschluss
vom 4. Juli 2002 - 1 BvR 390/01 - (DVBl 2002, 1467) aufgestellt haben, kommt schon
deshalb nicht in Betracht, weil in diesen Entscheidungen Fragen der Antragsbefugnis
oder des Rechtsschutzbedürfnisses keine Rolle spielten und den Prüfungsgegens-
tand jeweils Entwicklungssatzungen im Sinne des § 165 Abs. 6 Satz 1 BauGB bilde-
ten, während es in dem anhängigen Rechtsstreit um die Gültigkeit eines in
Anwendung des § 166 Abs. 1 Satz 2 BauGB zur Durchführung von Entwicklungs-
maßnahmen beschlossenen Bebauungsplans geht. Ob eine Entwicklungssatzung
den rechtlichen Anforderungen genügt, beurteilt sich nach den §§ 165 ff. BauGB. Als
Prüfungsmaßstab für die Bebauungspläne, die für den städtebaulichen Entwick-
lungsbereich aufzustellen sind, dienen die §§ 1 ff. BauGB.
Auch die geltend gemachte Abweichung von dem Senatsbeschluss vom 31. März
1998 - BVerwG 4 BN 5.98 - (ZfBR 1998, 251) liegt nicht vor. In dieser Entscheidung
wird herausgearbeitet, dass mit dem Bebauungsplan und der Entwicklungssatzung
unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Der Bebauungsplan enthält die rechtsverbind-
lichen Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung in der Gemeinde (§ 8 Abs. 1
Satz 1 BauGB). Als Regelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gestaltet er die
Art und Weise der Bodennutzung, löst aber als Angebotsplanung für den Eigentümer
im Plangebiet keine die negative Baufreiheit überwindende Realisierungsverpflich-
tung aus. Demgegenüber ist die städtebauliche Entwicklungssatzung Ausdruck einer
auf Durchführung angelegten Gesamtmaßnahme (vgl. § 165 Abs. 1 und § 166 Abs. 1
Satz 1 BauGB), deren Instrumentarium u.a. die Aufstellung von Bebauungsplänen
umfasst. Zu Einzelfragen des Verhältnisses von Entwicklungssatzung und Bebau-
ungsplan nimmt der Senat im Beschluss vom 31. März 1998 nicht Stellung. Insbe-
sondere äußert er sich nicht zu der vom Normenkontrollgericht thematisierten Frage,
unter welchen Voraussetzungen ein für einen Entwicklungsbereich beschlossener
Bebauungsplan im Wege der Normenkontrolle angegriffen werden kann.
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b) Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde
beilegt.
Die Frage, ob einem Eigentümer oder einem Pächter, der im Geltungsbereich einer
Entwicklungssatzung ein Grundstück besitzt oder nutzt, unter Hinweis auf die fehlen-
de Schutzwürdigkeit die Antragsbefugnis und unter Berufung auf die entwicklungs-
rechtliche "Entwehrung" seiner Rechtsposition ein Rechtsschutzbedürfnis abgespro-
chen werden kann, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision auf der Grundlage
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Der Senat hat sich wiederholt mit den Anforderungen an die Antragsbefugnis im Sin-
ne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auseinander gesetzt. Er hat betont, dass es zur
Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach dieser Vorschrift ausreicht, wenn der
Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Be-
handlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen. Voraus-
setzung hierfür ist allerdings, dass er einen eigenen Belang als verletzt benennt, der
für die Abwägungsentscheidung beachtlich war (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Sep-
tember 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 und vom 5. März 1999
- BVerwG 4 CN 18.98 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 132; Beschluss vom 6. De-
zember 2000 - BVerwG 4 BN 59.00 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 144). Daran fehlt
es nach ständiger Rechtsprechung, wenn durch die Planung private Interessen be-
einträchtigt werden, die geringwertig oder mit einem Makel behaftet sind oder auf
deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht (vgl. BVerwG, Urteile vom
21. Oktober 1999 - BVerwG 4 CN 1.98 - und vom 5. November 1999 - BVerwG 4 CN
3.99 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nrn. 136 und 137).
Auch zum Rechtsschutzbedürfnis hat der Senat bereits mehrfach Stellung genom-
men. Dabei hat er betont, dass einem Antragsteller im Normenkontrollverfahren nur
ganz ausnahmsweise ein fehlendes Rechtsschutzinteresse entgegengehalten wer-
den kann. Im Beschluss vom 18. Juli 1989 - BVerwG 4 N 3.87 - (BVerwGE 82, 225)
hat er darauf abgehoben, ob sich die Inanspruchnahme des Gerichts als nutzlos er-
weist, weil der Antragsteller seine Rechtsstellung mit der begehrten Normenkontroll-
entscheidung nicht verbessern kann. Im Beschluss vom 25. Mai 1993 - BVerwG
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4 NB 50.92 - (NVwZ 1994, 268) hat er ausgeführt, dass ein Normenkontrollantrag
erst dann mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig ist, wenn die Feststellung der
Nichtigkeit nichts dazu beizutragen vermag, das Rechtsschutzziel zu erreichen. Im
Beschluss vom 26. Mai 1993 - BVerwG 4 NB 3.93 - (UPR 1993, 307) hat er diesen
Standpunkt bekräftigt und dargelegt, dass von einem fehlenden Rechtschutzbedürf-
nis nur dann auszugehen ist, wenn feststeht, dass der Antragsteller dem mit seinem
Normenkontrollantrag verfolgten Ziel selbst dann auf unabsehbare Zeit nicht näher
kommen kann, wenn die von ihm angegriffene Rechtsvorschrift für nichtig erklärt
wird. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist dem Zulässigkeitserfordernis des
Rechtsschutzbedürfnisses genügt, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass die ge-
richtliche Entscheidung für den Rechtsschutzsuchenden gegebenenfalls von Nutzen
sein kann. Unnütz wird das Normenkontrollgericht nur dann in Anspruch genommen,
wenn der Antragsteller unabhängig vom Ausgang des Normenkontrollverfahrens kei-
ne reale Chance hat, den von ihm geltend gemachten Nachteil abzuwenden (vgl.
BVerwG, Urteil vom 23. April 2002 - BVerwG 4 CN 3.01 - Buchholz 310 § 47 VwGO
Nr. 156; Beschluss vom 7. März 2002 - BVerwG 4 BN 60.01 - Buchholz 406.13 § 5
ROG Nr. 3).
Die Antragsteller zu 1, 2 und 4 zeigen nicht auf, in welcher Richtung der Senat seine
bisherige Rechtsprechung im anhängigen Rechtsstreit sollte weiter präzisieren oder
fortentwickeln können. Sie entnehmen der angefochtenen Entscheidung offenbar die
Aussage, dass es den Eigentümern oder Pächtern von Grundstücken in einem förm-
lich festgelegten städtebaulichen Entwicklungsbereich mangels Antragsbefugnis bzw.
Rechtsschutzbedürfnis generell verwehrt ist, einen Bebauungsplan, der auf der
Grundlage des § 166 Abs. 1 Satz 2 BauGB zur Durchführung einer Entwicklungssat-
zung beschlossen worden ist, im Wege der Normenkontrolle anzugreifen. Läge dem
Normenkontrollurteil eine solche Rechtsauffassung zugrunde, so wäre ihr freilich mit
Entschiedenheit zu widersprechen. Es versteht sich von selbst, dass auch Bebau-
ungspläne, die sich im Rahmen der Verwirklichung von Entwicklungsmaßnahmen als
erforderlich erweisen, zum Gegenstand einer Normenkontrolle gemacht werden kön-
nen, ohne dass dem Antragsteller von vornherein die Antragsbefugnis oder das
Rechtsschutzinteresse abzusprechen wäre. Das Gemeinwohlerfordernis des § 165
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB, das der partiell auf den Zeitpunkt des Erlasses der Ent-
wicklungssatzung vorverlagerten Prüfung der Enteignungsvoraussetzungen dient
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(vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Juli 2002 - 1 BvR 390/01 - a.a.O.; BVerwG, Urteil
vom 3. Juli 1998 - BVerwG 4 CN 5.97 - a.a.O.), hat nicht zur Folge, dass die Absät-
ze 3 und 6 des § 1 BauGB oder die sonstigen Vorschriften des Rechts der Bauleit-
planung als Prüfungsmaßstäbe für nachfolgende Bebauungspläne verdrängt werden.
Den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ist indes zu entnehmen, dass
die Verneinung der Antragsbefugnis bzw. des Rechtsschutzbedürfnisses auf einzel-
fallbezogenen Erwägungen beruht. Schon der Umstand, dass das Normenkontroll-
gericht auf den Antrag der Antragstellerin zu 3 hin den Bebauungsplan für unwirksam
erklärt hat, deutet darauf hin, dass seinen Ausführungen nicht das weite Verständnis
zugrunde liegt, das die Beschwerde aus ihnen herausliest. Das Normenkon-
trollgericht leitet das fehlende Rechtsschutzinteresse daraus her, dass die An-
tragsteller zu 1, 2 und 4 das Normenkontrollverfahren lediglich als ein Mittel benut-
zen, das es ihnen ermöglicht, "ein zweites Mal" Rechtspositionen "auf(zu)rufen und
zur gerichtlichen Überprüfung (zu) stellen", deren "Entwehrung" bereits durch die
Satzung über die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme eingetreten ist. Unter
Lärmschutzgesichtspunkten fehlt es nach seiner Einschätzung an der Schutzwürdig-
keit, weil durch die Planung Wohn- und Arbeitsverhältnisse betroffen werden, "die
rechtlich und tatsächlich erwartbar auf Dauer keinen Bestand haben" sollen. Dahin-
stehen kann, ob die Vorinstanz mit dieser Argumentation dem Vorbringen der An-
tragsteller zu 1, 2 und 4 in vollem Umfang gerecht geworden ist, etwa dem Umstand
ausreichend Rechnung getragen hat, dass die Antragstellerin zu 1 gegen den Be-
bauungsplan nicht nur die Gründe ins Feld führt, die sie gegen die Entwicklungssat-
zung vorgebracht hat, sondern sich auch dagegen wehrt, dass ihr Betriebsgrund-
stück als öffentliche Grünfläche in Anspruch genommen wird. Dem weiter nachzuge-
hen, bestünde in dem erstrebten Revisionsverfahren kein Anlass, denn insoweit er-
hebt die Beschwerde keine Verfahrensrügen. Auch im Übrigen zeigen die Antragstel-
ler keinen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Ob die konkrete Planungssitua-
tion die Folgerungen rechtfertigt, die das Normenkontrollgericht gezogen hat, ist eine
Frage der Einzelfallwürdigung, deren Problemgehalt nicht über den anhängigen
Rechtsstreit hinausreicht.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO i.V.m.
§ 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1
Satz 1 GKG.
Dr. Paetow
Halama
Prof. Dr. Rojahn