Urteil des BVerwG vom 03.06.2010

Bekanntmachung, Bebauungsplan, Aktenwidrige Feststellung, Gemeinde

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 55.09
OVG 1 KN 13/08
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Juni 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-
Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. Juli 2009
wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Beschwer-
deverfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese
selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde rügt als Verfahrensfehler eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs sowie eine aktenwidrige Feststellung des Sachverhalts. Beide Rügen
beziehen sich auf folgende Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts (UA
S. 18):
Gemäß § 10 Abs. 3 S. 4 BauGB ist der Bebauungsplan
mit seiner Bekanntmachung am 5. Juni 2008 in Kraft ge-
treten. Falls die Antragsgegnerin den Bebauungsplan
nicht zu jedermanns Einsicht bereit hält, so liegt darin ein
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Verstoß gegen § 10 Abs. 3 S. 2 BauGB. Der Bebauungs-
plan wird dadurch jedoch nicht unwirksam (...).
Die Antragstellerinnen sind der Auffassung, mit diesen Ausführungen habe das
Gericht ihren Vortrag nicht ausreichend zur Kenntnis genommen und gewürdigt.
Dem ist jedoch nicht zu folgen; die Rüge bleibt daher ohne Erfolg.
Zum einen haben die Antragstellerinnen vorgetragen, an einem bestimmten
näher bezeichneten Datum habe der Bebauungsplan nicht im Bauamt der An-
tragsgegnerin zur Einsicht ausgelegen; vielmehr habe er sich im Amtsraum des
Bürgermeisters befunden, so dass ein namentlich benannter Rechtsanwalt an
diesem Tag keine Einsicht habe nehmen können. Diesen Sachvortrag hat das
Oberverwaltungsgericht offensichtlich zur Kenntnis genommen und gewürdigt;
dass es nicht die rechtlichen Schlüsse daraus zieht, die die Antragstellerinnen
anstreben, begründet keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Die Antragstellerinnen haben ferner vorgetragen, der Bebauungsplan habe
nicht nur für eine kurze Zeit nicht für eine Einsichtnahme zur Verfügung ge-
standen, sondern werde dauerhaft und systematisch vorenthalten. Daraus zie-
hen die Antragstellerinnen die rechtliche Schlussfolgerung, dass die Bekannt-
machung des Bebauungsplans nicht wirksam erfolgt sei.
Auch dieses tatsächliche und rechtliche Vorbringen hat das Oberverwaltungs-
gericht ersichtlich zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Es ist zu dem Er-
gebnis gelangt, der Bebauungsplan sei wirksam in Kraft getreten. Ein Verstoß
gegen die Pflicht, den Bebauungsplan zur Einsicht bereit zu halten, führe nicht
zur Unwirksamkeit der Bekanntmachung und des Bebauungsplans.
Im Übrigen lässt sich dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts keine Feststel-
lung dahingehend entnehmen, der Bebauungsplan werde dauerhaft und sys-
tematisch der Öffentlichkeit vorenthalten und habe zu keinem Zeitpunkt an dem
in der Bekanntmachung genannten Ort (Bauamt) zur Verfügung gestanden. Auf
diesen Tatsachenvortrag brauchte das Gericht auf der Grundlage seiner recht-
lichen und tatsächlichen Würdigung nicht näher einzugehen; ein Gericht ist
nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen aus-
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drücklich zu befassen. Damit ist dieser Vortrag jedoch entgegen der Beschwer-
debegründung (S. 4) nicht unstrittig geworden. Der Vortrag der Antragsgegnerin
in einem früheren Schriftsatz bezieht sich auf einen anderen Sachverhalt.
Aus den genannten Gründen bleibt auch die Rüge, die Feststellungen des
Oberverwaltungsgerichts seien aktenwidrig, ohne Erfolg. Diese Verfahrensrüge
bedingt die schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegrif-
fenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit
unumstrittenen Akteninhalt bestehe ein Widerspruch. Nach der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts muss dieser Widerspruch offensichtlich sein,
so dass es keiner weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen
Sachverhalts bedarf; der Widerspruch muss also „zweifelsfrei“ sein (stRspr; vgl.
Beschlüsse vom 2. November 1999 - BVerwG 4 BN 41.99 - UPR 2000, 226 und
vom 4. Juli 2001 - BVerwG 4 B 51.01). Vorliegend besteht allenfalls ein Wi-
derspruch zwischen den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts und dem
Vortrag der Antragstellerinnen.
Die in diesem Zusammenhang hilfsweise erhobene Aufklärungsrüge genügt
nicht den Darlegungsanforderungen; insbesondere legt die Beschwerde nicht
dar, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht
eine weitere Sachaufklärung beantragt hätte.
2. Das Beschwerdevorbringen ergibt auch nicht, dass die Revision wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre.
Die Antragstellerinnen werfen die Frage auf,
welche Rechtsfolgen daraus resultieren, dass der Bebau-
ungsplan nach der Bekanntmachung nicht zur Einsicht be-
reit gehalten wird.
Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung. Sie lässt sich vielmehr auf der Grundlage der vorhandenen
Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesin-
terpretation ohne Weiteres beantworten.
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Der Bebauungsplan tritt mit der Bekanntmachung in Kraft (§ 10 Abs. 3 Satz 4
BauGB). Wird eine Rechtsnorm selbst nicht veröffentlicht, so ist dem Verkün-
dungserfordernis, das für die Entstehung förmlich gesetzter Rechtsnormen un-
erlässlich ist, nur dann Genüge getan, wenn sich die Betroffenen auf andere
Weise verlässlich Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen können (BVerfG, Be-
schluss vom 22. November 1983 - 2 BvL 25/81 - BVerfGE 65, 283 <291>). Die
Bekanntmachung eines Bebauungsplans im Wege der Ersatzverkündung um-
fasst bei genehmigungsbedürftigen Bebauungsplänen i.S.d. § 10 Abs. 2 Satz 1
BauGB die Bekanntmachung der Erteilung der Genehmigung, bei genehmi-
gungsfreien Bebauungsplänen die Bekanntmachung des Beschlusses des Be-
bauungsplans (§ 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Die Bekanntmachung muss einen
Hinweis zur Identifikation des ausliegenden Bebauungsplans enthalten. Der
Hinweis muss nur geeignet sein, das Inkrafttreten neuen Bebauungsrechts in
einem näheren Bereich des Gemeindegebiets dem Normadressaten gegenüber
bewusst zu machen und denjenigen, der sich über den genauen räumlichen
und gegenständlichen Regelungsgehalt des Bebauungsplans informieren will,
zu dem richtigen - bei der Gemeinde ausliegenden - Plan zu führen (Urteil vom
6. Juli 1984 - BVerwG 4 C 22.80 - BVerwGE 69, 344 <350>; Beschlüsse vom
6. Juli 1984 - BVerwG 4 C 28.83 - Buchholz 406.11 § 12 BBauG Nr. 11 - juris
Rn. 11 und vom 16. Mai 1991 - BVerwG 4 NB 26.90 - BVerwGE 88, 204 <207
f.> - juris Rn. 16). In der Bekanntmachung ist daher auch darauf hinzuweisen,
wo der Bebauungsplan eingesehen werden kann (§ 10 Abs. 3 Satz 3 BauGB).
Das Bereithalten des beschlossenen und genehmigten Bebauungsplans zu
jedermanns Einsicht bei der in der Bekanntmachung angegebenen Dienststelle
ist Teil des sich auf die Rechtsetzung beziehenden - zweistufigen -
Verkündungsverfahrens (Urteil vom 5. Dezember 1986 - BVerwG 4 C 29.86 -
BVerwGE 75, 271 <272>): Mit der Bekanntmachung und dem Bereithalten des
Plans zu jedermanns Einsicht wird der Abschluss eines Rechtsetzungsverfah-
rens förmlich dokumentiert (Urteil vom 5. Dezember 1986, a.a.O. S. 274). Fehlt
es an der Angabe des Orts der Einsichtnahme, liegt ein beachtlicher Bekannt-
machungsfehler vor, weil der mit der Bekanntmachung verfolgte Hinweiszweck
nicht erreicht wird (§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB). Ob die Einsicht an dem in
der Bekanntmachung genannten Ort oder an einem anderen Ort erfolgt, betrifft
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nicht die Wirksamkeit der Bekanntmachung. Der Bebauungsplan tritt unbe-
schadet des Erfordernisses, dass er in der Folgezeit zu jedermanns Einsicht
bereitgehalten wird, mit der Bekanntmachung in Kraft (Beschluss vom 9. Mai
1996 - BVerwG 4 B 60.96 - Buchholz 406.11 § 12 BauGB Nr. 21 - juris Rn. 3).
Die Kenntnisnahme muss aber tatsächlich möglich sein. Das Oberverwaltungs-
gericht hebt daher zutreffend hervor, falls eine Gemeinde den Bebauungsplan
nicht zu jedermanns Einsicht bereit halte, liege darin ein Verstoß gegen § 10
Abs. 3 Satz 2 BauGB. Ebenfalls zu folgen ist seiner weiteren rechtlichen
Schlussfolgerung, dadurch werde der Bebauungsplan jedoch nicht unwirksam.
Mit der Bekanntmachung ist der Bebauungsplan als Satzung (§ 10 Abs. 1
BauGB) eine gültige Rechtsnorm und damit Teil der Rechtsordnung. Eine
Rechtsnorm wird aber nicht allein dadurch ungültig, dass die Möglichkeit der
Einsicht in das Originaldokument für kürzere oder längere Zeit erschwert ist.
Auch das mit der Regelung in § 10 Abs. 3 Satz 2 BauGB verfolgte Ziel, den
Betroffenen und Interessenten einen Einblick in den vollständigen Inhalt des
Bebauungsplans zu ermöglichen, rechtfertigt es nicht, den Bebauungsplan un-
wirksam werden zu lassen, wenn die Gemeinde ihrer entsprechenden Pflicht
nicht ausreichend genügt. Vielmehr ist dem gesetzlichen Gebot dadurch Rech-
nung zu tragen, dass die Einsicht tatsächlich ermöglicht wird. Selbst der Verlust
oder Teilverlust des Bebauungsplandokuments führt - wie der Senat bereits
entschieden hat (vgl. Beschluss vom 1. April 1997 - BVerwG 4 B 206.96 - BRS
59 Nr. 34 m.w.N.) - nicht schon für sich gesehen zur Ungültigkeit der Norm.
3. Die Divergenzrüge bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
Eine die Revision eröffnende Abweichung, also ein Widerspruch im abstrakten
Rechtssatz, läge nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben
Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechts-
satz von einem in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz
abgewichen wäre (stRspr).
Die Beschwerde benennt als vom Bundesverfassungsgericht in seinem Be-
schluss vom 22. November 1983 - 2 BvL 25/81 - (BVerfGE 65, 283) aufgestell-
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ten Rechtssatz, dass die Verkündung einen integrierenden Teil der förmlichen
Rechtsetzung darstelle, also Geltungsbedingung sei. Die Verkündung bedeute
regelmäßig, dass die Rechtsnormen der Öffentlichkeit in einer Weise förmlich
zugänglich gemacht werden, dass die Betroffenen sich verlässlich Kenntnis von
ihrem Inhalt verschaffen könnten (vgl. a.a.O. S. 291). Diesem Rechtssatz hat
das Oberverwaltungsgericht jedoch keinen abweichenden Rechtssatz entge-
gengesetzt.
Das Oberverwaltungsgericht hat insbesondere keinen Rechtssatz des Inhalts
aufgestellt, dass es für die Wirksamkeit eines Bebauungsplans nicht auf die
Bekanntmachung ankomme. Hierzu bestand auch kein Anlass, da das Gericht
von der Wirksamkeit der Bekanntmachung ausgegangen ist. Auch die Pflicht
der Gemeinde, den Bebauungsplan zur Einsicht bereit zu halten, stellt es nicht
in Frage.
Aus denselben Gründen scheidet auch die geltend gemachte Abweichung vom
Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 1986 - BVerwG
4 N 2.86 - (BRS 46 Nr. 15) und vom Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. Ok-
tober 1986 - III ZR 56/85 - (UPR 1987, 182) aus; die Beschwerde bezieht sich
insoweit auf dieselben Rechtssätze wie im genannten Beschluss des Bundes-
verfassungsgerichts.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO und § 162
Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52
Abs. 1 GKG.
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