Urteil des BVerwG vom 11.11.2002

Bebauungsplan, Abrede, Eigentum, Satzung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 52.02
VGH 3 S 2016/01
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. November 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w sowie die Richter am Bundesverwaltungs-
gericht H a l a m a und G a t z
beschlossen:
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Die Beschwerde des Antragstellers gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom
8. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Be-
schwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VWGO gestützte Beschwerde ist unbe-
gründet. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeu-
tung, die ihr der Antragsteller beimisst. Die aufgeworfenen
Fragen lassen sich anhand des Gesetzeswortlauts und nach dem
Sinn und Zweck der einschlägigen Regelungen unter
Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts unschwer beantworten, ohne dass es
eigens der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Die Frage, "ob und ggf. wann ein Einwender in einem Bebauungs-
planverfahren einen Anspruch auf Mitteilung über die Entschei-
dung des Gemeinderats über die von ihm erhobenen Einwendungen
hat und welche Bedeutung einem Verstoß zukommt", rechtfertigt
nicht die Zulassung der Revision. Der Antragsteller stellt
nicht in Abrede, dass ihm die Entscheidung des Gemeinderats
über seine im Aufstellungsverfahren gegen die Planung
erhobenen Einwendungen mitgeteilt worden ist. Die Frage, wie
es rechtlich zu beurteilen ist, wenn eine solche Mitteilung
gänzlich unterbleibt, würde sich mithin in dem erstrebten
Revisionsverfahren nicht stellen. Für bedenklich hält der
Antragsteller die Ansicht des Normenkontrollgerichts, dass es
ausreicht, wenn das Ergebnis der vom Gemeinderat vorgenommenen
Prüfung, wie hier, dem Bürger, der Einwendungen erhoben hat,
erst nach dem Beschluss über den Bebauungsplan als Satzung
nach § 10 Abs. 1 BauGB mitgeteilt wird. Dass die Auffassung
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der Vorinstanz zutrifft, bedarf indes keiner Bestätigung in
einem Revisionsverfahren.
Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB sind die Entwürfe der
Bauleitpläne mit dem Erläuterungsbericht oder der Begründung
auf die Dauer eines Monats öffentlich auszulegen. Nach Satz 2
dieser Vorschrift sind Ort und Dauer dieser Auslegung
mindestens eine Woche vorher ortsüblich bekannt zu machen mit
dem Hinweis darauf, dass Anregungen während der
Auslegungsfrist vorgebracht werden können. Satz 4 bestimmt,
dass die fristgemäß vorgebrachten Anregungen zu prüfen sind
und das Ergebnis mitzuteilen ist.
Die genannten Vorschriften stehen in einem engen sachlichen
Zusammenhang mit dem in § 1 Abs. 6 BauGB normierten
Abwägungsgebot. Danach sind die öffentlichen und privaten
Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Zum
notwendigen Abwägungsmaterial gehören alle durch die Planung
mehr als geringfügig beeinträchtigten schutzwürdigen Belange.
Das in § 3 Abs. 2 BauGB geregelte Beteiligungsverfahren ist
geeignet, einen wesentlichen Beitrag zur Ermittlung und zur
Aufbereitung der hierfür benötigten Daten und Informationen zu
leisten. Es trägt dem Umstand Rechnung, dass die Gemeinde bei
der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials in nicht geringem
Umfang auf die Mitwirkung der Betroffenen angewiesen ist. Denn
es eröffnet die Möglichkeit, in die planerischen Erwägungen
auch Belange einzubeziehen, die dem Planungsträger nicht
bekannt waren und sich ihm auch nicht aufdrängen mussten.
Adressat der Anregungen ist im Verfahren zur Aufstellung eines
Bebauungsplans das zum Satzungserlass befugte Gemeindeorgan.
Die in § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB vorgeschriebene Prüfung ist ge-
boten, da die vorgebrachten Anregungen ggf. Abwägungsmaterial
enthalten, das bei der abschließenden Beschlussfassung von Be-
deutung ist. Sie gehört zu den Aufgaben des zur Beschlussfas-
sung berufenen Gemeindeorgans, denn sie steht in einem
untrennbaren Zusammenhang mit der Abwägungsentscheidung. Das
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zuständige Gemeindeorgan darf den Bebauungsplan nicht als
Satzung beschließen, ohne sich ein Urteil über die
Abwägungsrelevanz der Anregungen gebildet zu haben.
Andernfalls sind Abwägungsdefizite vorprogrammiert. Das Gesetz
sagt über den Zeitpunkt der Prüfung nichts aus. Aus dem Zweck
der Regelung ergibt sich lediglich, dass die Prüfung der
Beschlussfassung nicht nachfolgen darf. Das Ergebnis muss im
Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung vorliegen, um in sie
eingehen zu können. Das bedeutet aber nicht, dass es eines
eigenständigen vorherigen Beschlusses über die Anregungen
bedarf (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1999
- BVerwG 4 CN 12.98 - BVerwGE 110, 118 <125>). Die Gemeinde
braucht nicht vorab über einen Teil des Abwägungsmaterials zu
entscheiden. Für die Abwägung ist nach § 214 Abs. 3 Satz 1
BauGB die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Be-
schlussfassung über den Bebauungsplan maßgebend. Folglich ge-
nügt es, wenn die Entscheidung über die Anregungen spätestens
zusammen mit dem Satzungsbeschluss getroffen wird.
Daraus ergeben sich Konsequenzen für den Zeitraum der in § 3
Abs. 2 Satz 4 BauGB vorgesehenen Mitteilung über das Ergebnis
der Prüfung. Das Gesetz enthält sich insoweit näherer zeitli-
cher Vorgaben. Lässt sich von Rechts wegen nichts dagegen ein-
wenden, die abschließende Entscheidung über Anregungen dem
Satzungsbeschluss vorzubehalten, so versteht sich von selbst,
dass die Mitteilung noch zu einem späteren Zeitpunkt möglich
sein muss. § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB erfüllt insoweit eine
ähnliche Funktion wie § 9 Abs. 8 BauGB. In der Begründung, die
dem Bebauungsplan beizufügen ist, sind die Ziele, Zwecke und
wesentlichen Auswirkungen des Bebauungsplans darzulegen. § 3
Abs. 2 Satz 4 BauGB ergänzt diese Regelung dahin, dass
Beteiligte, die Anregungen vorgebracht haben, darüber
unterrichtet werden, ob und wie sich die Gemeinde mit ihrem
Vorbringen auseinander gesetzt hat. Dagegen ist es nicht der
Sinn der Vorschrift, den planerischen Entscheidungsprozess
offen zu halten und über § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauGB hinaus
weitere Mitwirkungsmöglichkeiten zu eröffnen. Das Ergebnis der
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Prüfung kann auch noch nach In-Kraft-Treten des Bebauungsplans
mitgeteilt werden. Das anhängige Verfahren würde dem Senat
keine Gelegenheit bieten, zur Frage Stellung zu nehmen, ob der
Gemeinde hierbei äußerste zeitliche Grenzen gesetzt sind. Denn
nach den Feststellungen des Normenkontrollgerichts wurde der
Antragsteller über das Ergebnis der Prüfung seiner
Einwendungen innerhalb weniger Wochen nach dem Satzungs-
beschluss informiert.
Der Senat hätte auch keinen Anlass, im Rahmen des erstrebten
Revisionsverfahrens auf die Frage einzugehen, unter welchen
Voraussetzungen die Gemeinde von der Möglichkeit Gebrauch ma-
chen darf, im Sinne des § 1 a Abs. 3 Satz 3 BauGB sonstige ge-
eignete Maßnahmen zum Ausgleich auf von ihr bereitgestellten
Flächen zu treffen. Der Antragsteller stellt nicht in Abrede,
dass im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses Klarheit darüber be-
stand, durch welche Maßnahmen im Einzelnen die mit der Planung
verbundenen Eingriffe in Natur und Landschaft ausgeglichen
werden sollen. Er räumt auch ein, dass der Ort der
Kompensation feststeht und das hierfür vorgesehene Grundstück
Eigentum der Antragsgegnerin ist. Für klärungsbedürftig hält
er, ob es in einer solchen Konstellation ausreicht, wenn ein
Vertrag, den die Gemeinde zusätzlich zur Sicherung der
naturschutzrechtlichen Kompensation mit der unteren
Naturschutzbehörde abzuschließen beabsichtigt, im Zeitpunkt
der Beschlussfassung erst in Entwurfsform vorliegt.
Der Senat hat sich bereits im Urteil vom 19. September 2002
- BVerwG 4 CN 1.02 - mit der vom Antragsteller angesprochenen
Tatbestandsalternative des § 1 a Abs. 3 Satz 3 BauGB auseinan-
dergesetzt und dabei Folgendes herausgearbeitet: § 1 a Abs. 3
Satz 3 BauGB stellt nunmehr klar, dass die Gemeinde bei der
Bewältigung der Kompensationsproblematik nicht auf die Mittel
der Bauleitplanung und der Vereinbarung beschränkt ist. Der
Gesetzgeber stellt sonstige geeignete Maßnahmen, sofern die
Gemeinde hierfür Flächen bereitstellt, als gleichwertige
dritte Alternative neben die beiden anderen Regelungstypen.
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Schon aus diesem Nebeneinander ergibt sich, dass eine
Gemeinde, die dieses Mittel einsetzt, sich nicht
notwendigerweise durch vertragliche Vereinbarungen binden
muss. Auf der anderen Seite lässt die gesetzliche Regelung
erkennen, dass auch bei Anwendung der dritten Alternative des
§ 1 Abs. 3 Satz 3 BauGB ein Mindestmaß an rechtlicher Bindung
unabdingbar ist. Der Senat hat offen gelassen, ob es insoweit
ausreicht, wenn die Flächen, auf denen die Maßnahmen
durchgeführt werden sollen, im Eigentum der Gemeinde stehen.
Die Anwendungsvoraussetzungen des Gesetzes sind nach seiner
Ansicht aber jedenfalls dann erfüllt, wenn sich aus sonstigen
Umständen ergibt, dass der Ausgleich sichergestellt ist.
Auf der Grundlage dieser Senatsentscheidung besteht in dem vom
Antragsteller erstrebten Revisionsverfahren kein weiterer Klä-
rungsbedarf. Das Normenkontrollgericht sieht es als
ausreichend an, "wenn die Ausgleichsmaßnahmen auf von der
Gemeinde bereitgestellten Flächen entweder schon tatsächlich
ausgeführt worden sind oder ihre Umsetzung aufgrund der
Gesamtumstände jedenfalls gesichert erscheint" (Urteilsabdruck
S. 23). Dies entspricht dem rechtlichen Ansatz des Senats. Das
Normenkontrollgericht geht davon aus, dass "der Gemeinderat
der Antragsgegnerin mit der ausdrücklichen Aufnahme der
durchzuführenden Maßnahmen in den Bebauungsplan und seiner
Zustimmung zum Abschluss eines damit korrespondierenden
Vertrages mit der Unteren Naturschutzbehörde zu erkennen
gegeben (hat), dass die Gemeinde bereit ist, diese Maßnahmen
tatsächlich auszuführen ..." (Urteilsabdruck S. 24). Ob die
hierfür angeführten Tatsachen diese Annahme rechtfertigen, ist
eine Frage der Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse, die
sich einer revisionsgerichtlichen Klärung entzieht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die
Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 3 und § 13
Abs. 1 Satz 1 GKG.
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Paetow Halama
Gatz
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Bauplanungsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
BauGB
§ 3 Abs. 2 Satz 4; § 1 a Abs. 3 Satz 3
Stichworte:
Bebauungsplan; Normenkontrolle; Prüfung von Anregungen;
Mitteilung des Ergebnisses; Satzungsbeschluss.
Leitsatz:
§ 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB verlangt nicht, dass das Ergebnis der
Prüfung der fristgemäß eingegangenen Anregungen zum Entwurf
eines Bebauungsplans den Einwendern vor dem Satzungsbeschluss
mitgeteilt wird (Ergänzung zu BVerwGE 110, 118 <125>).
Beschluss des 4. Senats vom 11. November 2002
- BVerwG 4 BN 52.02 -
I. VGH Mannheim vom 08.07.2002 - Az.: VGH 3 S 2016/01 -