Urteil des BVerwG vom 11.07.2011

Beschwerdeschrift, Überschreitung, Erstellung, Form

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 5.11
OVG 2 A 15.09
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juli 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerden des Antragsgegners und der Beigela-
denen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Ur-
teil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom
19. Oktober 2010 werden zurückgewiesen.
Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Kosten
des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte mit Ausnahme ih-
rer eigenen außergerichtlichen Kosten, die sie jeweils
selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 40 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Das Oberverwaltungsgericht hat den durch Rechtsverordnung des Bezirksamts
Charlottenburg-Wilmersdorf vom 16. Dezember 2008 festgesetzten Bebau-
ungsplan IX - 46-2 (Württembergische Straße 41-44 und 45-48) für unwirksam
erklärt und zur Begründung ausgeführt: Ein Abwägungsfehler sei darin zu se-
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hen, dass die der Abwägung zugrunde liegende Geschossflächenzahl von ma-
ximal 3,1 auf einer unzutreffenden Berechnung beruhe, weil die weder über-
noch unterbaubare Grundstücksfläche K im westlichen Teil des Plangebiets
nicht in die Berechnung hätte einbezogen werden dürfen. Ein weiterer Abwä-
gungsfehler ergebe sich - unabhängig von der fehlerhaften Berechnung der
Geschossflächenzahl - daraus, dass der Plangeber unzutreffend vom Vorliegen
der Voraussetzungen für eine Überschreitung der in § 17 Abs. 1 BauNVO fest-
gelegten Obergrenze des Maßes der baulichen Nutzung ausgegangen sei.
II
Die Beschwerden bleiben ohne Erfolg.
1. Die vom Antragsgegner geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
(Verfahrensmangel) liegen nicht vor.
a) Der vom Antragsgegner gerügte Verfahrensfehler (Beschwerdeschrift S. 2 ff.)
ist schon nicht ordnungsgemäß dargelegt. Für die Geltendmachung eines Ver-
stoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) bedarf es der
substantiierten Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklä-
rungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen
Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tat-
sächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachver-
haltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entwe-
der dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht,
insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachver-
haltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist
oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein sol-
ches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26; stRspr). Die Ausführungen des Antragsgegners gehen nicht auf diese
Voraussetzungen ein, sondern beschränken sich in der Sache auf eine Kritik an
der Auslegung des angefochtenen Bebauungsplans durch das Oberverwal-
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tungsgericht, die die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels
nicht begründen kann. Soweit der Antragsgegner mit seinem Vorbringen, die
Vorinstanz habe „einen Sachverhalt unterstellt, der sich aus dem Tatbestand
auch nicht indirekt ergibt, vielmehr im Widerspruch zu den dortigen Feststellun-
gen steht“, darüber hinaus die Rüge der „Aktenwidrigkeit“ erheben will, genügt
auch sie nicht den nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts hierfür geltenden Darlegungsanforderungen (vgl. nur Beschluss vom
16. November 2010 - BVerwG 4 B 28.10 - BauR 2011, 657 Rn. 11 m.w.N.).
b) Für grundsätzlich klärungsbedürftig hält der Antragsgegner die Frage,
ob durch den Ausschluss der Bebaubarkeit von Grund-
stücksteilflächen, die als Baufläche ausgewiesen sind,
durch eine Kombination der Festsetzungen nach § 9
Abs. 1 Nr. 21 und 25 BauGB sowie § 9 Abs. 4 BauGB
i.V.m. dem Landesnaturschutzrecht funktional die Zweck-
bestimmung der Bauflächenausweisung aufgehoben wird
und sie deshalb nicht mehr für die Nutzungsmaßermittlung
herangezogen werden darf (Beschwerdeschrift S. 6).
Diese Frage rechtfertigt es nicht, die Revision zuzulassen, weil sie sich in einem
Revisionsverfahren nicht stellen würde. Mit seiner Frage unterstellt der An-
tragsgegner, das Oberverwaltungsgericht habe seine Auffassung, dass es sich
bei der Fläche K um eine Fläche handele, die ihrem Zweck nach nicht für eine
Bebauung vorgesehen sei (UA S. 31) und die aus diesem Grund nicht in die
Berechnung der Geschossflächenzahl einbezogen werden dürfe (UA S. 28 f.),
ausschließlich damit begründet, dass diese Fläche (zumindest teilweise) Ge-
genstand von Festsetzungen gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 21 (Gehrecht zugunsten der
Allgemeinheit) und Nr. 25 BauGB (Pflanz- und Erhaltungsgebot) sei. Diese
Festsetzungen sind jedoch nur der Ausgangspunkt der Argumentation des
Oberverwaltungsgerichts. Zusätzlich und ausschlaggebend hat es auf das sich
aus der Begründung des angefochtenen Bebauungsplans ergebende städte-
bauliche Ziel der Festsetzungen und damit auf die Umstände des Einzelfalls
abgestellt (UA S. 30).
Soweit der Antragsgegner der Ansicht ist, der vorliegende Fall biete darüber
hinaus Anlass zur Klärung, in welchem Umfang (auch) im Allgemeininteresse
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liegende weitere Festsetzungen zu einer Baugebietsausweisung hinzugefügt
werden dürfen, ohne die Bauflächenausweisung in Frage zu stellen (Beschwer-
deschrift S. 6 f.), verkennt der Antragsgegner, dass sich die Grundsatzrüge auf
entscheidungserhebliche Fragen des konkreten Falls zu beziehen hat und nicht
dazu dient, in abstrakter Form mögliche rechtlich zulässige Handlungsalternati-
ven abzufragen; das Revisionsverfahren dient nicht der Erstellung abstrakter
Rechtsgutachten.
c) Die weitere als klärungsbedürftig aufgeworfene und zu ergän-
zende Frage,
ob die der Überschreitung der Obergren-
zen des § 17 Abs. 1 BauNVO unter Vernachlässigung der
offenkundigen Besonderheiten des städtebaulichen Ent-
wurfs gemäß Bebauungsplaninhalt ausschließlich aus
dem Umgebungszusammenhang laut Begründung abge-
leitet werden darf (Beschwerdeschrift S. 6),
rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Ist eine Entscheidung
- wie hier - auf mehrere jeweils selbständig tragende Begründungen gestützt,
kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann Erfolg haben, wenn ein Zulas-
sungsgrund für jede dieser Begründungen zulässig vorgetragen und gegeben
ist (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - a.a.O.; stRspr). In
Bezug auf die erste tragende Begründung des Oberverwaltungsgerichts (feh-
lerhafte Berechnung der Geschossflächenzahl) hat der Antragsgegner eine Ver-
fahrensrüge (oben a) und eine Grundsatzrüge (oben b) erhoben. Da sie nicht
durchgreifen, kann die weitere Grundsatzrüge, die sich auf die zweite tragende
Begründung des Oberverwaltungsgerichts (Fehlen der Voraussetzungen für
eine Überschreitung der Obergrenzen des Maßes der baulichen Nutzung) be-
zieht, schon aus diesem Grund keinen Erfolg haben.
2. Die Beschwerde der Beigeladenen rechtfertigt es ebenfalls nicht, die Revisi-
on zuzulassen.
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a) Die Frage,
ob die Festsetzung eines Gehrechts für die Allgemeinheit
gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 21 BauGB auf einem privaten Bau-
grundstück die Berücksichtigung dieser Flächen als Bau-
land i.S.d. § 19 Abs. 3 BauNVO ausschließt, wenn für die-
se Flächen gleichzeitig Pflanzbindungen gemäß § 9
Abs. 1 Nr. 25 BauGB festgesetzt werden, die übrigen Nut-
zen, Lasten und Pflichten des Grundstücks aber beim Ei-
gentümer verbleiben (Beschwerdeschrift S. 1 f.),
führt aus dem oben unter 1 b) ausgeführten Grund nicht zur Zulassung der Re-
vision.
b) Die drei weiteren von der Beigeladenen als grundsätzlich klärungsbedürftig
aufgeworfenen Fragen (Beschwerdeschrift S. 4, 5 und 8) sowie ihre beiden Di-
vergenzrügen (Beschwerdeschrift S. 10 ff.) betreffen die zweite tragende Be-
gründung des Oberverwaltungsgerichts (Fehlen der Voraussetzungen für eine
Überschreitung der Obergrenzen des Maßes der baulichen Nutzung). Da be-
züglich der ersten tragenden Begründung (fehlerhafte Berechnung der Ge-
schossflächenzahl) der von der Beigeladenen geltend gemachte Zulassungs-
grund nicht gegeben ist (oben a), bleibt den gegen die zweite tragende Begrün-
dung gerichteten Rügen schon aus diesem Grund der Erfolg versagt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO, die Streitwert-
festsetzung auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Philipp
Dr. Bumke
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