Urteil des BVerwG vom 08.03.2010

Öffentlichkeit, Gemeinde, Gutachter, Rüge

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 48.09
OVG 3 K 21/08
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. März 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigela-
denen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Ur-
teil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vor-
pommern vom 27. Mai 2009 werden zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kos-
ten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 50 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO und im Fall der Beigeladenen auch auf einen Verfahrens-
fehler i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützten Beschwerden gegen die Nicht-
zulassung der Revision bleiben ohne Erfolg.
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1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die An-
tragsgegnerin und die Beigeladene beimessen.
Die Antragsgegnerin wirft als grundsätzlich klärungsbedürftig die Fragen auf,
- ob auch für das ergänzende Verfahren § 4a Abs. 3
BauGB anzuwenden ist,
- ob eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung im ergänzen-
den Verfahren auch dann erforderlich ist, wenn der be-
schlossene Plan lediglich Änderungen enthält, mit denen
auf der Grundlage bereits ausgelegter Unterlagen gerech-
net werden musste,
- ob es ausreicht, dass bei der Festsetzung flächenbezo-
gener Schallleistungspegel das Berechnungsverfahren in
dem den Festsetzungen zugrunde liegenden Gutachten
enthalten ist oder ob das Berechnungsverfahren in einer
Festsetzung oder zumindest in der Begründung des Be-
bauungsplans enthalten sein muss.
Die Beigeladene hält für grundsätzlich klärungsbedürftig die Fragen,
- ob § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB über seinen Wortlaut hin-
aus auch auf bereits erlassene Bebauungspläne anwend-
bar ist,
- ob auf die in § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB vorgesehene er-
neute Öffentlichkeitsbeteiligung zu einer beabsichtigten
Änderung von Festsetzungen eines Bebauungsplans dann
verzichtet werden kann, wenn die Grundzüge der Planung
durch die Änderung der Festsetzung nicht berührt werden
und es der planungsbetroffenen Öffentlichkeit bereits in
der vorangegangenen öffentlichen Auslegung möglich
war, zu der späteren Änderung einer Festsetzung Stellung
zu nehmen, weil diese bereits zu jenem Zeitpunkt
erkennbar war.
Soweit die Fragen auf Annahmen beruhen, die sich nicht mit den Feststellun-
gen des Oberverwaltungsgerichts decken, würden sie sich in einem Revisions-
verfahren nicht stellen. Soweit die Fragen - ungeachtet der allgemein gehalte-
nen Formulierung - revisionsgerichtlicher Klärung zugänglich sind, bedarf es
nicht erst der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um sie im Sinne der
vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung zu beantworten.
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1.1 Das Oberverwaltungsgericht ist entgegen der Auffassung der Antragsgeg-
nerin nicht davon ausgegangen, dass bei jeder Änderung der Festsetzungen ei-
nes ausgelegten Plans eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung notwendig sei.
Eine Öffentlichkeitsbeteiligung unter Beachtung des § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB
verlangt das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Fall, weil es sich bei den
Änderungen um materiell-rechtliche Änderungen handele, die nachteilige Aus-
wirkungen haben könnten. Dass die in der Sitzung am 11. Mai 2009 im ergän-
zenden Verfahren beschlossene Festsetzung der Berechnungsmethode bei
jeder Betrachtungsweise auf Beteiligte nachteilige Auswirkungen haben könne,
begründet das Oberverwaltungsgericht damit, dass die unterschiedlichen Be-
rechnungsmethoden bei der Anwendung der flächenbezogenen immissions-
wirksamen Schallleistungspegel zu unterschiedlichen Ergebnissen führten, die
sich im Bereich von 3 dB(A) bewegten (UA S. 19). Fehle eine Festsetzung der
Berechnungsmethode oder lasse sie sich der Begründung nicht entnehmen, sei
es dem jeweiligen Gutachter überlassen, welche Methode und damit welches
Ergebnis er wähle (UA S. 21). Hinsichtlich der Aufhebung der Festsetzung zu
den öffentlichen Verkehrsflächen bejaht das Oberverwaltungsgericht nachteilige
Auswirkungen, weil es dadurch zu einer Verstärkung der Immissionen auf das
Grundstück des Antragstellers (und die der Antragsteller in den Parallelver-
fahren) kommen könne (UA S. 19 f.). Der - zur zweiten Frage erhobene - Ein-
wand der Antragsgegnerin, mit der Übernahme eines bereits im Lärmschutz-
gutachten enthaltenen Berechnungsverfahrens in die Festsetzungen und Be-
gründung des Bebauungsplans werde der Planinhalt in der Sache nicht geän-
dert, sondern lediglich klarstellend konkretisiert, geht an den Feststellungen des
Oberverwaltungsgericht vorbei und erschöpft sich ebenso wie der Einwand,
durch Streichung der Festsetzung „verkehrsberuhigter Bereich“ würden keine
anderen oder neuen Betroffenheiten ausgelöst (Beschwerdebegründung S. 7),
in schlichter Urteilskritik.
1.1.1 Es bedarf nicht erst der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um fest-
zustellen, dass im ergänzenden Verfahren vorgenommene materiell-rechtliche
Änderungen von Festsetzungen, die nicht lediglich klarstellende Bedeutung,
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sondern auf Beteiligte nachteilige Auswirkungen haben, die Pflicht zur erneuten
Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB auslösen.
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Durchführung eines er-
gänzenden Verfahrens (§ 214 Abs. 4 BauGB) nicht voraussetzt, dass ein Ge-
richt den fraglichen Fehler mit der Folge der Unwirksamkeit festgestellt hat. Die
Gemeinde darf auch von ihr selbst festgestellte oder angenommene Mängel in
diesem Verfahren beheben. War der ursprüngliche Satzungsbeschluss wirk-
sam, besteht zwar kein Anlass für ein ergänzendes Verfahren. Die Gemeinde
darf ein ergänzendes Verfahren gleichwohl durchführen (Beschluss vom
20. August 2009 - BVerwG 4 BN 11.09 - BauR 2009, 1870 - juris Rn. 3; Urteil
vom 29. Januar 2009 - BVerwG 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 31). Verfährt
die Gemeinde nach § 214 Abs. 4 BauGB, so führt sie kein rechtlich eigenstän-
diges Verfahren durch. Vielmehr setzt sie das von ihr ursprünglich eingeleitete,
nur scheinbar abgeschlossene Bauleitplanverfahren an der Stelle fort, an der ihr
der Fehler unterlaufen ist (vgl. Beschluss vom 25. Februar 1997 - BVerwG 4 NB
40.96 - Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 9 - juris Rn. 14 - zu § 215 Abs. 3
Satz 1 BauGB 1987). Nicht die dem Fehler vorangegangenen (korrekten)
Verfahrensschritte, sondern nur die nachfolgenden Schritte müssen wiederholt
werden. Der letzte korrekte Verfahrensschritt war die (verkürzte) öffentliche
Auslegung im Januar 2008. Da von den im ergänzenden Verfahren vor-
genommenen inhaltlichen Änderungen nachteilige Auswirkungen ausgehen,
handelt es sich um abwägungsbeachtliche Änderungen des Bebauungsplans,
die der Kritik in einem erneuten Auslegungsverfahren zugänglich bleiben müs-
sen (vgl. Beschluss vom 31. Oktober 1989 - BVerwG 4 NB 7.89 - Buchholz
406.11 § 2a BBauG Nr. 11 - juris Rn. 21). Das ergänzende Verfahren versetzt
den Plangeber in diesem Fall zurück in das Stadium des Bebauungsplanent-
wurfs. Das Verfahren zur Änderung des ursprünglichen Bebauungsplans richtet
sich nach § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB. Insoweit gelten für das ergänzende Ver-
fahren dieselben Anforderungen wie für die Änderung des Entwurfs eines Be-
bauungsplans, der noch keine Verbindlichkeit erlangt hat (vgl. auch Kalb, in:
Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2009, § 214
Rn. 261). Das Verfahren der öffentlichen Auslegung ist im Übrigen nicht nur zu
wiederholen, wenn der Entwurf des Bebauungsplans nach einer bereits durch-
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geführten öffentlichen Auslegung in einer die Grundzüge der Planung berüh-
renden Weise geändert oder ergänzt wird, sondern auch bei weniger grundle-
genden Änderungen und Ergänzungen, sofern die Änderung nicht lediglich
klarstellende Bedeutung hat (Beschluss vom 18. Dezember 1987 - BVerwG
4 NB 2.87 - NVwZ 1988, 822 <823>).
1.1.2 Auch die Frage, ob es einer erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung i.S.d. § 4a
Abs. 3 Satz 1 BauGB auch dann bedarf, wenn auf der Grundlage bereits aus-
gelegter Unterlagen mit der im ergänzenden Verfahren vorgenommenen inhalt-
lichen Änderung gerechnet werden müsse, lässt sich ohne Weiteres auf der
Grundlage des Gesetzes mit dem Oberverwaltungsgericht bejahen.
Dabei ist von Folgendem auszugehen: Das Oberverwaltungsgericht ist in Aus-
legung irrevisiblen Ortsrechts davon ausgegangen, dass der ursprüngliche Ent-
wurf des Bebauungsplans keine Festsetzung der Berechnungsmethode zur
Ermittlung der flächenbezogenen immissionswirksamen Schallleistungspegel
enthielt und sich auch im Entwurf der Begründung keine Erläuterungen zur
Messmethode finden. Die Schalltechnische Untersuchung vom 26. Februar
2007, deren „behauptete“ Auslegung das Oberverwaltungsgericht unterstellt hat
(UA S. 20), ist nicht Teil des Entwurfs der Begründung. Wie der Hinweis auf
§ 2a Satz 1 und § 9 Abs. 8 BauGB erhellt (UA S. 20), versteht das Oberverwal-
tungsgericht unter Entwurf i.S.d. § 4a Abs. 3 BauGB den Planentwurf und den
Entwurf der Begründung. Das deckt sich im Übrigen mit den Ausführungen des
Oberverwaltungsgerichts zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans in der Fas-
sung vom 11. Juni 2008. Diesbezüglich weist das Oberverwaltungsgericht aus-
drücklich darauf hin, dass es dann, wenn die Festsetzung der Messmethode
fehle oder sie sich der Begründung nicht entnehmen lasse, dem jeweiligen
Gutachter überlassen sei, welche Methode und damit welches Ergebnis er
wähle (UA S. 21). Insofern ist das Oberverwaltungsgericht - entgegen der An-
nahme der Antragsgegnerin - nicht davon ausgegangen, dass Aussagen zum
Berechnungsverfahren in der Begründung nicht ausreichend seien. Im Übrigen
erkennt die Antragsgegnerin wohl selbst - ungeachtet der Ausführungen an an-
derer Stelle - mit ihrem Einwand, das „reine Überwechseln“ eines Berech-
nungsverfahrens von einem offen gelegten Lärmschutzgutachten … in die
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Festsetzungen und die Begründung löse ein erneutes Beteiligungsverfahren
nicht aus, dass sich weder im Planentwurf noch in der beigefügten Begründung
Aussagen zur Berechnungsmethode finden.
In der Rechtsprechung des Senats ist anerkannt, dass das Beteiligungsverfah-
ren nicht um seiner selbst willen zu betreiben ist. Deshalb besteht kein Anlass
zu einer erneuten Beteiligung, wenn eine nochmalige Gelegenheit zur Stellung-
nahme eine bloße Förmlichkeit wäre, die für den mit dem Beteiligungsverfahren
verfolgten Zweck nichts erbringen könnte (Urteil vom 29. Januar 2009
- BVerwG 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 40 mit Hinweis auf den vom Ober-
verwaltungsgericht in Bezug genommenen Beschluss vom 18. Dezember 1987
a.a.O. S. 823).
Dass auch solche inhaltlichen Änderungen des ursprünglichen Bebauungs-
plans, die auf der Grundlage bereits ausgelegter, dem Bebauungsplanentwurf
lediglich beigefügter Unterlagen vorgenommen werden, eine Pflicht zur erneu-
ten Auslegung auslösen, ergibt sich schon aus dem Wortlaut des in § 4a Abs. 3
Satz 1 BauGB in Bezug genommenen § 3 Abs. 2 BauGB sowie aus Sinn und
Zweck der förmlichen Öffentlichkeitsbeteiligung. Maßgeblich für die Öffentlich-
keitsbeteiligung ist der „Entwurf“. Das förmliche Beteiligungsverfahren nach § 3
Abs. 2 BauGB verlangt die Auslegung des Entwurfs eines Bebauungsplans, zu
dem nach § 2a Satz 1 und § 9 Abs. 8 BauGB der Entwurf der Begründung ge-
hört. Der Entwurf bildet die Grundlage für die Abwägung gemäß § 1 Abs. 7
BauGB. Mit dessen Auslegung wird die Öffentlichkeit nach Durchführung der
vorgezogenen („frühzeitigen“) Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß § 3 Abs. 1
BauGB nunmehr über das konkrete Planungskonzept informiert, das der Plan-
geber nach derzeitiger Erkenntnislage der abwägungsbeachtlichen Belange zu
beschließen beabsichtigt. Ändert der Plangeber den Entwurf in inhaltlicher Hin-
sicht, muss er ihn erneut auslegen. Dass neben dem Entwurf auch Unterlagen
(Gutachten) ausgelegt werden, aus denen sich ergibt, nach welcher (mög-
lichen) Methode sich der als Mittel des Lärmschutzes festgesetzte immissions-
wirksame flächenbezogene Schallleistungspegel berechnen lässt, genügt dem
Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht. Denn die Öffentlichkeit kann nicht
erkennen, ob sich der Plangeber dieser Messmethode auch bedienen wird. Erst
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durch eine Aussage im Entwurf des Bebauungsplans erfährt der Bürger, für
welche Methode sich der Plangeber entscheiden will, und kann auf dieser
Grundlage die mit der Anwendung der Berechnungsmethode verbundenen
Auswirkungen einschätzen. Das Gesetz garantiert, dass die Bürger einmal Ge-
legenheit erhalten, zu dem Planentwurf in seiner letzten Fassung Stellung zu
nehmen (Urteil vom 29. Januar 2009 a.a.O. Rn. 40; Beschluss vom 31. Oktober
1989 - BVerwG 4 NB 7.89 - BRS 49 Nr. 31 - juris Rn. 20).
2. Die von der Beigeladenen erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig. Die Rüge
beruht auf der Annahme, der Hilfsantrag sei nur für den Fall gestellt worden,
dass der Hauptantrag keinen Erfolg habe (Beschwerdebegründung S. 24-26).
Das Oberverwaltungsgericht ist indes zu dem Ergebnis gekommen, dass der
Bebauungsplan in der Fassung vom 11. Mai 2009 unwirksam ist und war daher
nach dem Antrag des Antragstellers gehalten, auch die Wirksamkeit des Be-
bauungsplans in der Fassung vom 11. Juni 2008 zu prüfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO, die Streitwert-
festsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Bumke
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