Urteil des BVerwG vom 07.11.2007

Landschaft, Eingriff, Bebauungsplan, Gemeinde

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 45.07
OVG 7 D 43/06.NE
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. November 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Gatz
beschlossen:
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Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Juli 2007
wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.
Der Revisionszulassungsgrund der Divergenz liegt vor, wenn die Vorinstanz in
Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden
Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts
widerspricht (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 -
NVwZ-RR 1996, 712; stRspr). Die Beschwerde behauptet eine Divergenz zwi-
schen dem Normenkontrollurteil (OVG Münster, Urteil vom 10. Juli 2007 - 7 D
43/06.NE - juris) und dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni
2004 - BVerwG 9 A 11.03 - (BVerwGE 121, 72 <80>). Das Bundesverwal-
tungsgericht habe den Rechtssatz aufgestellt, dass Eingriffe in Natur und Land-
schaft vollständig kompensiert werden müssten. Damit sei nicht vereinbar, dass
das Oberverwaltungsgericht die Hinnahme eines Ausgleichsdefizits im einstelli-
gen Prozentbereich billige. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Forderung
nach vollständiger Kompensation eines Eingriffs zwar in Bezug auf Planfeststel-
lungsbeschlüsse erhoben. Da diese Forderung aus § 8 BNatSchG a.F. und den
diese Vorschrift umsetzenden landesrechtlichen Regelungen begründet worden
sei, beziehe sie sich jedoch auch auf die Aufstellung von Bebauungsplänen, bei
der die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung gemäß § 1a Abs. 3 Satz 1
BauGB anzuwenden sei.
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Die Divergenzrüge greift nicht durch, weil sich die divergierenden Rechtssätze
im Normenkontrollurteil und im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
9. Juni 2004 (a.a.O.) nicht auf dieselbe Rechtsvorschrift beziehen. Der Maß-
stab, an dem das Bundesverwaltungsgericht das Ausgleichskonzept eines
straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses gemessen hat, waren landes-
rechtliche Vorschriften des Naturschutzrechts, die in Ausfüllung des § 8 Abs. 2
BNatSchG a.F. ergangen waren. Naturschutzrecht ist hier nur insoweit maß-
geblich, als es um die Feststellung geht, dass der Vollzug des umstrittenen Be-
bauungsplans mit einem Eingriff in Natur und Landschaft verbunden ist. Die
Frage, ob der Eingriff vollständig ausgeglichen werden muss oder ob ein Aus-
gleichsdefizit hingenommen werden kann, beantwortet sich dagegen nach den
Vorschriften des Baugesetzbuchs (§ 21 Abs. 1 BNatSchG). Zu Recht hat des-
halb das Oberverwaltungsgericht die Frage, ob die planbedingten Folgen des
Eingriffs in Natur und Landschaft zutreffend bewältigt sind, anhand des § 1a
Abs. 3 Satz 1 BauGB geprüft und seinen Rechtssatz, dass es gerechtfertigt
sein könne, Ausgleichsdefizite hinzunehmen, zu dieser Vorschrift formuliert.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die
Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde
beimisst. Auf die Frage, ob bei der Aufstellung eines Bebauungsplans ein na-
turschutzrechtliches Ausgleichsdefizit von weniger als zehn Prozent wegen der
Schwächen des von der Gemeinde angewandten mathematisierten Bewer-
tungsverfahrens abwägend hingenommen werden darf, lässt sich antworten,
ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Nach § 1a Abs. 3 Satz 1 BauGB sind die Vermeidung und der Ausgleich vor-
aussichtlich erheblicher Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes sowie der
Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts in seinen in § 1 Abs. 6
Nr. 7 Buchst. a BauGB bezeichneten Bestandteilen in der Abwägung nach § 1
Abs. 7 BauGB zu berücksichtigen. Mangels gesetzlicher Vorgaben hat die pla-
nende Gemeinde die Aufgabe, die zu erwartenden Eingriffe zu bewerten und
über Vermeidung, Ausgleich und Ersatzmaßnahmen abwägend zu entscheiden,
in eigener Verantwortung zu erfüllen (vgl. Beschluss vom 23. April 1997
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- BVerwG 4 NB 13.97 - BRS 59 Nr. 10). Dies lässt - freilich nur unterhalb der
Schwelle der planerischen Beliebigkeit (vgl. Beschluss vom 31. Januar 1997
- BVerwG 4 NB 27.96 - BVerwGE 104, 68 <75>) - Raum für die Hinnahme von
Ausgleichsdefiziten wegen der Unzulänglichkeiten jedes rechnerischen Verfah-
rens zur Bewertung von Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft und de-
ren Ausgleich. Wo die Grenzen des Entscheidungsspielraums liegen, lässt sich
nicht fallübergreifend klären. Das Oberverwaltungsgericht hat den Verzicht der
Antragsgegnerin auf einen vollständigen Ausgleich für den planbedingten Ein-
griff in Natur und Landschaft mit der Erwägung gerechtfertigt, die Hinnahme
eines Ausgleichsdefizits von deutlich weniger als zehn Prozent wegen Schwä-
chen mathematisierter Bewertungsverfahren lägen deshalb noch im Rahmen
des Abwägungsspielraums, weil für die Planung gewichtige öffentliche Belange
sprächen. Ob diese Würdigung zutrifft, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Prof. Dr. Rojahn Gatz
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Bauplanungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BauGB
§ 1 Abs. 6 und 7; § 1a Abs. 3
Stichworte:
Bebauungsplan; Eingriffe in Natur und Landschaft; Ausgleichsdefizit; Abwä-
gungsgebot.
Leitsatz:
Ist ein Bebauungsplan mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden, kann
die Hinnahme eines Ausgleichsdefizits abwägungsfehlerfrei sein, wenn dies mit
der Unzulänglichkeit rechnerischer Verfahren zur Bewertung von Beeinträchti-
gungen von Natur und Landschaft und deren Ausgleich begründet wird.
Beschluss des 4. Senats vom 7. November 2007 - BVerwG 4 BN 45.07
I. OVG Münster vom 10.07.2007 - Az.: OVG 7 D 43/06.NE -