Urteil des BVerwG vom 30.10.2002

Bebauungsplan, Gemeinde, Befund, Baurecht

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BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 45.02
OVG 8 C 10506/02
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Oktober 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. L e m m e l und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom
3. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Be-
schwerdeverfahrens jeweils zu einem Viertel.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Antragsteller wenden sich in einem (zweiten) Normenkon-
trollverfahren gegen einen Bebauungsplan, den die Antragsgeg-
nerin nach Durchführung des ergänzenden Verfahrens (§ 215 a
BauGB) erneut bekannt gemacht hat.
Mit Urteil vom 9. Januar 2002 (8 C 10659/01.OVG) hatte das
Normenkontrollgericht den am 11. Januar 2001 als Satzung be-
schlossenen Bebauungsplan "Am Bahnhof" der Antragsgegnerin auf
Antrag der Antragsteller wegen eines Abwägungsfehlers für un-
wirksam erklärt und den weitergehenden, auf Feststellung der
Nichtigkeit gerichteten Antrag, mit dem die Antragsteller auch
andere formelle und materielle Mängel gerügt hatten, abge-
lehnt. Am 14. März 2002 beschloss die Antragsgegnerin den Be-
bauungsplan erneut als Satzung. Den neuerlichen Normenkon-
trollantrag, mit dem die Antragsteller beantragt haben, den
Bebauungsplan für unwirksam zu erklären, hat das Normenkon-
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trollgericht mit Urteil vom 3. Juni 2002 abgelehnt, weil der
umstrittene Bebauungsplan nunmehr in formeller und materieller
Hinsicht der Überprüfung standhalte. Gegen die Nichtzulassung
der Revision in dieser Entscheidung wenden sich die Antrag-
steller.
II.
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO ge-
stützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus dem Beschwerdevor-
bringen ergibt sich nicht, dass die Revision wegen grundsätz-
licher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO),
wegen einer Divergenz zu einer anderen gerichtlichen Entschei-
dung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder wegen eines Verfahrensfeh-
lers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen ist. Dabei geht der
Senat davon aus, dass das Normenkontrollgericht die Ausführun-
gen in seiner ersten Normenkontrollentscheidung, mit denen es
die weiteren Angriffe der Antragsteller gegen die Gültigkeit
des Bebauungsplans zurückgewiesen hat, durch stillschweigende
Bezugnahme wiederholt hat, und unterstellt, dass sich die An-
tragsteller mit der vorliegenden Beschwerde gegen diese Aus-
führungen noch zur Wehr setzen können, obwohl sie die teilwei-
se Ablehnung ihres (ersten) Normenkontrollantrags nicht mit
Rechtsmitteln angegriffen haben.
1. a) Die von der Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürf-
tig gehaltene Frage, ob nur dann eine Pflicht zur Auslegung
eines im Bebauungsplanverfahren eingeholten Sachverständigen-
gutachtens besteht, sofern bestimmte Einwendungsberechtigte
ihre Betroffenheit durch die Planungsabsicht anders nicht hin-
reichend erkennen können, führt nicht zur Zulassung der Revi-
sion. Es ist schon sehr zweifelhaft, ob die Beschwerde hin-
sichtlich dieser Frage ihrer Darlegungslast aus § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO genügt; denn sie führt nicht aus, weshalb nach ih-
rer Rechtsauffassung eine Pflicht zur Auslegung des eingehol-
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ten Sachverständigengutachtens bestehen könnte. Die Frage ist
aber jedenfalls nicht klärungsbedürftig. Nach dem klaren Wort-
laut des § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB sind der Planentwurf und die
Begründung hierzu auszulegen. Ob darüber hinaus ausnahmsweise
weitere Unterlagen wie beispielsweise ein eingeholtes Gutach-
ten auszulegen sind, wenn bestimmte Bürger anders ihre Betrof-
fenheit durch die Planungsabsicht der Gemeinde nicht hinrei-
chend erkennen können, wie das Normenkontrollgericht im An-
schluss an das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 27. November 2000 - 10a D 129/97.NE -
(BRS 63 Nr. 29) meint, kann offen bleiben. Denn ein derartiger
Fall ist nach der für das Beschwerdegericht maßgebenden tat-
richterlichen Würdigung der Vorinstanz eindeutig nicht gege-
ben. Für eine Auslegung weiterer Unterlagen in anderen Fällen
ist eine Notwendigkeit - auch nach dem Vortrag der Beschwer-
de - nicht erkennbar. Soweit der ausgelegte Planentwurf und
die ausgelegte Begründung über Inhalt und Zweck der beabsich-
tigten Planung nicht hinreichend informieren, kann der betrof-
fene Bürger weitere Auskunft von der Gemeinde, nicht aber die
öffentliche Auslegung weiterer Unterlagen verlangen (vgl. dazu
auch § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, letzter Halbsatz, und Satz 2
BauGB).
b) Die Frage, ob sich eine umfassende Flächenarrondierung und
somit günstige Neuordnung der Eigentumsverhältnisse innerhalb
eines im Bebauungsplan als Gewerbegebiet ausgewiesenen Be-
reichs aller Voraussicht nach nicht verwirklichen lässt, so-
fern dies dem Grundsatz entgegensteht, dass bei der Verteilung
der Flächen (nur) in gleicher oder gleichwertiger Lage Grund-
stücke abzufinden sind, hat keine grundsätzliche Bedeutung.
Mit ihr will die Beschwerde erreichen, dass in einem Revisi-
onsverfahren die Wechselwirkung zwischen Bauleitplanung und
Umlegung konkretisiert wird. Dies wäre jedoch in einem künfti-
gen Revisionsverfahren nicht möglich. Denn nach den Ausführun-
gen des Normenkontrollgerichts lässt sich das von den An-
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tragstellern gewünschte Ziel einer für sie günstigen Neuord-
nung der Eigentumsverhältnisse innerhalb des als Gewerbegebiet
ausgewiesenen Bereichs aller Voraussicht nach wegen der beson-
deren Situation und Qualität der betroffenen Grundflächen und
damit aus städtebaulichen Gründen nicht verwirklichen.
c) Die Fragen,
- ob § 1 Abs. 6 BauGB es gebietet, einen bestimmten Ausgleich
für wegfallende Lagerflächen eines Gewerbebetriebes rechts-
verbindlich zu sichern, sofern dies betrieblich erforderlich
ist,
- ob ein Anspruch auf Erweiterung des Bebauungsplangebiets auf
die einem Gewerbebetrieb gehörende, von diesem dringend be-
nötigte Lagerflächen besteht, und
- ob es abwägungsfehlerhaft ist, die Lagerfläche von dem Ge-
werbebetrieb zu trennen,
rechtfertigen die Zulassung der Revision gleichfalls nicht,
weil ihre Beantwortung in erster Linie von den besonderen Um-
ständen des jeweiligen Falles abhängt. Im Übrigen lassen sie
sich mit der Entscheidung des Senats vom 24. September 1998
- BVerwG 4 CN 2.98 - (BVerwGE 107, 215 <219>) unschwer im Sin-
ne des vorinstanzlichen Urteils beantworten: Nicht abwägungs-
erheblich und erst recht nicht anspruchsbegründend sind Inte-
ressen, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen
besteht. So liegt es hier, da der Lagerplatz nach dem vorin-
stanzlichen Befund in formeller und materieller Hinsicht dem
Baurecht widerspricht. Dieser Befund lässt sich nicht mit der
als grundsätzlich bedeutsam bezeichneten Frage erschüttern, ob
eine formell und materiell rechtswidrige bauliche Nutzung vor-
liegt, wenn ein ehemals im Eigentum der Bundesbahn stehender
Güterbahnhof nebst Umschlagplatz von einem eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb als Umschlagplatz, Lagerfläche sowie
Anfahrts- und Wartebereich für Transportfahrzeuge fortgenutzt
wird. Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB, die nicht mehr dem
Fachplanungsvorbehalt des § 38 BauGB unterfallen - wie entwid-
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mete Bahnanlagen -, unterliegen dem allgemeinen Baurecht
(BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1988 - BVerwG 4 C 48.86 -
BVerwGE 81, 111 <119>; Roeser in: Berliner Kommentar zum
BauGB, hrsg. von Otto Schlichter und Rudolf Stich, 2. Aufl.,
§ 38 Rn. 16). Sie sind formell illegal, wenn die nach Landes-
recht notwendige Baugenehmigung fehlt, und materiell illegal,
wenn sie nicht genehmigungsfähig sind. All dies ist juristi-
sches Allgemeingut und braucht nicht einer erneuten Prüfung in
einem Revisionsverfahren unterzogen zu werden. Die Feststel-
lungen des Normenkontrollgerichts, dass den Antragstellern ei-
ne Baugenehmigung für den Lagerplatz niemals erteilt worden
ist und auch nicht hätte erteilt werden dürfen, weil die La-
gerfläche wegen ihrer exponierten Lage das - wenn auch vorbe-
lastete - Landschaftsbild verunstaltet sowie eine unerwünschte
Erweiterung der schon vorhandenen Splittersiedlung befürchten
lässt und daher öffentliche Belange beeinträchtigt (§ 35
Abs. 2 und 3 BauGB), sind das Ergebnis einer einzelfallbezoge-
nen tatrichterlichen Würdigung.
d) Die von der Beschwerde ferner aufgeworfene Frage, ob eine
Gemeinde von einer abschließenden Konfliktbewältigung im Be-
bauungsplan Abstand nehmen und die Konfliktlösung dem Bauge-
nehmigungsverfahren überlassen darf, bedarf keiner grundsätz-
lichen Klärung mehr, weil sie der Senat in ständiger Recht-
sprechung (vgl. nur Beschluss vom 21. Februar 2000 - BVerwG 4
BN 43.99 - BRS 63 Nr. 224) unter der Voraussetzung bejaht,
dass die Durchführung der als notwendig erkannten Konfliktlö-
sungsmaßnahmen außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe
der Verwirklichung der Planung sichergestellt oder zu erwarten
ist. Das Normenkontrollgericht hat diese Voraussetzung als er-
füllt angesehen, weil die Immissionsbelastung von Wohnhäusern
in dem als Mischgebiet ausgewiesenen Bereich erforderlichen-
falls im Wege - den Bauherrn wegen der Vorbelastung durch die
Existenz des Landhandelsbetriebs der Antragsteller zumutba-
rer - architektonischer Selbsthilfe (Ausrichtung der Aufent-
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haltsräume zu der vom Gewerbebetrieb abgewandten Seite hin)
reduziert werden könne. Fragen von grundsätzlicher Bedeutung
stellen sich insoweit nicht. Es liegt auf der Hand und bedarf
keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass das Maß der
Schutzbedürftigkeit außer von der Vorbelastung (vgl. etwa
BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - BVerwG 4 C 80.74 -
BVerwGE 51, 15 ff.) auch davon abhängen kann, ob der Nachbar
ohne größeren Aufwand im Rahmen des Ortsüblichen und Sozial-
adäquaten zumutbare Abschirmmaßnahmen ergreifen kann (BVerwG,
Beschluss vom 17. März 1999 - BVerwG 4 B 14.99 - BRS 62
Nr. 87). Ob und in welchem Umfang Abschirmmaßnahmen möglich
und im Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn zumutbar sind,
ist Teil der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall.
e) Schließlich vermag die sich den Antragstellern offenbar
erst im Beschwerdeverfahren als problematisch erkannte Frage,
ob eine öffentliche Verkehrsfläche in die Grundstücke eines
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs hineingeplant
werden darf, auch wenn hierdurch die betrieblichen Belange er-
heblich gestört werden, die Zulassung der Revision nicht aus-
zulösen. Feststellungen dahingehend, dass der Wendehammer das
Betriebsgelände der Antragsteller durchschneidet, hat das Nor-
menkontrollgericht nicht getroffen. Deshalb kann nicht gesagt
werden, ob sich die von der Beschwerde angesprochene Rechts-
frage in dem angestrebten Revisionsverfahren stellen wird. Ei-
ne Rechtssache hat aber grundsätzliche Bedeutung nur, wenn zu
e r w a r t e n ist, dass die Entscheidung im künftigen Re-
visionsverfahren dazu dienen kann, die Rechtseinheit in ihrem
Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu
fördern (BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 1992 - BVerwG 5 B
99.92 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 309). Diese Voraussetzung
ist nach dem Sachverhalt, den das Normenkontrollgericht seiner
Entscheidung zugrunde gelegt hat, offen.
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2. Die Rüge, die angefochtene Entscheidung weiche von den Ur-
teilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juli 1974
- BVerwG 4 C 50.72 - (BVerwGE 45, 309) und 1. November 1974
- BVerwG 4 C 38.71 - (BVerwGE 47, 144) sowie der Entscheidung
des VGH Baden-Württemberg vom 8. November 2001 - 5 S 1218/99 -
BauR 2002, 1209 ab, ist unzulässig, weil sie den Darlegungsan-
forderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt. Der Re-
visionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die
Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem
ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz zu einem ebensolchen
Rechtssatz eines anderen Gerichts in Widerspruch tritt (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 -
NVwZ-RR 1996, 712). Der Tatbestand der Divergenz muss in der
Beschwerdebegründung nicht nur durch Angabe der Entscheidung
des Gerichts, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch
Darlegung der miteinander unvereinbaren Rechtssätze bezeichnet
werden. Hieran lässt es die Beschwerde fehlen. Sie arbeitet
keinen Rechtssatz aus dem vorinstanzlichen Urteil heraus, der
von einem Rechtssatz aus den genannten Entscheidungen des Bun-
desverwaltungsgerichts abweicht. Soweit die Beschwerde auch
eine Divergenz zu dem genannten Urteil des VGH Baden-Württem-
berg geltend macht, übersieht sie, dass eine Abweichung von
einer Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichts keinen Zulas-
sungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO darstellt.
3. Die Verfahrensrüge der Beschwerde, das Normenkontrollge-
richt hätte durch ein Sachverständigengutachten klären lassen
müssen, ob die durch den Bebauungsplan zugelassene Wohnbebau-
ung unzumutbaren Immissionen durch den Betrieb der Antragstel-
ler ausgesetzt werde, greift nicht durch. Diese Frage war für
das Normenkontrollgericht nicht entscheidungserheblich, weil
nach seiner Auffassung die von der Beschwerde befürchteten
Konflikte auf der Stufe der Planverwirklichung, d.h. im Bauge-
nehmigungsverfahren, gelöst werden können. Die verfahrens-
rechtliche Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) gebietet dem Tat-
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richter nur, solche Umstände aufzuklären, auf die es nach sei-
ner eigenen inhaltlichen Rechtsauffassung, die er seinem Ur-
teil zugrunde legt, ankommt; ob diese Auffassung zutrifft, ist
keine Frage der Aufklärungspflicht, sondern des anzuwendenden
inhaltlichen Rechts (ständige Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts; u.a. Urteil vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C
11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; Beschluss vom 2. Juli 1998
- BVerwG 11 B 30.97 - Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 2).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1
VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO und die Streitwertentscheidung auf § 14
Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Paetow Lemmel Gatz