Urteil des BVerwG vom 03.02.2004

Satzung, Sanierung, Voruntersuchung, Abgrenzung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 43.03
OVG 1 KN 2938/01
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Februar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. L e m m e l und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 29. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Dem
Beschwerdevorbringen sind Gründe für die Zulassung der Revision nicht zu entneh-
men.
1. Die Sache hat nicht die behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO).
Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Sache in der Frage, "welche
Anforderungen an eine Sanierungssatzung gestellt werden und wie das sanierungs-
rechtliche Abwägungsgebot gemäß § 136 Abs. 4 Satz 3 BauGB bei sozialer Funkti-
onsschwächesanierung zu definieren ist". Sie konkretisiert diese Frage wie folgt:
Welche Anforderungen sind an die Gebietsabgrenzung zu stellen, insbesondere
wenn diese aus zwei unmittelbar aneinander grenzenden Teilbereichen besteht; was
ist unter "funktionaler Beziehung" bei einer Sanierungssatzung mit zwei Teilberei-
chen zu verstehen; was bedeutet Zweckmäßigkeit der Abgrenzung des Sanierungs-
gebietes gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 BauGB; wie verhält es sich mit der Ausstrah-
lungswirkung von Sanierungsmaßnahmen bei einer sozialen Funktionsschwächesa-
nierung?
Auch mit diesen Konkretisierungen bezeichnet die Beschwerde keine Rechtsfragen
von allgemeiner Bedeutung, die in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig und
klärungsfähig wären. Das Normenkontrollgericht hält die Zusammenfassung des
Gebietes Grone-Süd und Grone-Nord in einer Sanierungssatzung für rechtsfehler-
haft, weil dies nicht in ausreichendem Umfang und in nachvollziehbarer Weise die
Ergebnisse der Voruntersuchung (§ 141 BauGB) berücksichtige. Damit werde gegen
die Vorschrift des § 142 Abs. 1 Satz 2 BauGB verstoßen, nach der das Sanierungs-
gebiet so zu begrenzen sei, dass sich die Sanierung zweckmäßig durchführen lasse.
Die Zusammenfassung der beiden räumlich getrennten, durch die Kasseler Land-
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straße deutlich voneinander geschiedenen Teilflächen sei mangels funktionaler Be-
ziehungen untereinander abwägungsfehlerhaft. Zwar gälten die von der Voruntersu-
chung herausgestellten Sanierungsziele und Maßnahmen für beide Gebiete, sie
stellten aber keine einheitlichen Ziele und Lösungsvorschläge für ein einheitliches
Gebiet dar. Funktionale Bezüge untereinander fehlten z.B. mit Blick auf die Auflösung
möglicher Immissionskonflikte zwischen gewerblichen Nutzungen und angrenzender
Wohnbebauung, hinsichtlich einer Stärkung der mit der Wohnnutzung verträglichen
lokalen Wirtschaft, hinsichtlich der Entwicklung von örtlichen Arbeitsplätzen und der
Qualifizierung von Arbeitssuchenden in Wohnortnähe, hinsichtlich der Aufwertung
des Wohnumfeldes, der Nutzbarkeit von Freiflächen, des Aufbaus von
Kinderspielplätzen und der Beseitigung von so genannten "Angsträumen" im öffentli-
chen Raum. Auch die Sanierungsziele, die die soziale und kulturelle Infrastruktur
betreffen, seien nur quartierbezogen. Alles in allem handele es sich bei dem von der
Satzung erfassten Gesamtbereich lediglich um eine Addition von städtebaulichen
Problemgebieten, die schon wegen der räumlich isolierten Lage nördlich und südlich
der Kasseler Landstraße keine funktionale Einheit darstellten und deshalb abwä-
gungsfehlerhaft zu einem einzigen Sanierungsgebiet zusammengefasst worden sei-
en.
Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen, die mit der Beschwerde nicht in revisi-
onsrechtlich beachtlicher Weise angegriffen worden sind, ist nicht zu erwarten, dass
in dem erstrebten Revisionsverfahren über die bisherige sanierungsrechtliche Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinaus grundsätzlich bedeutsame Aus-
sagen getroffen werden könnten. Nach der - auch vom Normenkontrollgericht
zugrunde gelegten - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Festle-
gung eines Gebiets als Sanierungsgebiet eine planerische Entscheidung, die sowohl
hinsichtlich der Ziele und Zwecke der Sanierung als auch hinsichtlich der Abgren-
zung des Sanierungsgebietes nach Maßgabe des Abwägungsgebotes (§ 136 Abs. 4
Satz 3 BauGB) zu treffen ist (vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2003 - BVerwG
4 CN 2.02 - Buchholz 406.11 § 136 BauGB Nr. 6 m.w.N.). Von diesen Maßstäben hat
sich das Normenkontrollgericht leiten lassen und in Würdigung der örtlichen Ge-
gebenheiten unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Voruntersuchung die beiden
Teilgebiete als so unterschiedlich angesehen, dass deren Zusammenfassung zu ei-
nem einzigen Sanierungsgebiet mit den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Ab-
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wägung nicht mehr vereinbar sei. Was die Beschwerde hiergegen vorbringt, erweist
sich als eine vom angegriffenen Urteil abweichende tatsächliche und rechtliche Wür-
digung der entscheidungserheblichen Umstände. Ob diese Urteilskritik in der Sache
berechtigt ist, ist für das vorliegende Beschwerdeverfahren unerheblich. Auf eine
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, etwa im Hinblick auf die Auslegung be-
stimmter Vorschriften des Sanierungsrechts (§§ 136 ff. BauGB) führen dieser Vortrag
jedenfalls nicht.
2. Das Normenkontrollurteil leidet nicht an den geltend gemachten Verfahrensfehlern
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Zu Unrecht sieht die Beschwerde einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 88 VwGO
darin, dass das Normenkontrollgericht die Sanierungssatzung vom 8. Dezember
2000 insgesamt für nichtig erklärt hat. Richtig ist zwar, dass die Antragstellerin
lediglich beantragt hat, die Satzung für nichtig zu erklären, soweit sie sich auf ihr
Grundstück erstreckt. Das Normenkontrollgericht ist diesem eingeschränkten Antrag
mit der Begründung nicht gefolgt, der festgestellte Abwägungsfehler lasse sich nicht
auf einzelne Grundstücke begrenzen, sondern erfasse das gesamte Sa-
nierungsgebiet und damit die Satzung insgesamt. Eine Begrenzung der Fehlerfolge
im Sinne einer bloßen Teilnichtigkeit scheide bei dieser Sachlage aus (Urteilsabdruck
S. 13). Dieses prozessuale Vorgehen ist nicht zu beanstanden. Nach der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat das Normenkontrollgericht im Falle
eines eingeschränkt gestellten Antrages über diesen Antrag hinauszugehen, wenn
der antragsgemäß für nichtig zu erklärende Teil mit anderen, nicht angegriffenen
Teilen des Bebauungsplanes in einem untrennbaren Zusammenhang steht (vgl.
zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 20. August 1991 - BVerwG 4 NB 3.91 -
BRS 52 Nr. 36 m.w.N.). Dass es bei dem vom Normenkontrollgericht angenomme-
nen Fehler einer abwägungsfehlerhaften Zusammenfassung von zwei Teilgebieten
zu einem einzigen Sanierungsgebiet an der Teilbarkeit der Satzung in einen nichti-
gen und einen weiterhin gültigen Satzungsbereich fehlt und deshalb der Ausspruch
einer bloßen Teilnichtigkeit hinsichtlich des Grundstücks der Antragstellerin nicht in
Betracht kommt, liegt auf der Hand.
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Ohne Erfolg hält die Beschwerde schließlich dem Normenkontrollgericht vor, es habe
den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt (§ 86 Abs. 1 VwGO). Nach Ansicht
der Beschwerde hat das Gericht fehlerhaft den Umstand nicht berücksichtigt, dass
die Sanierung im Rahmen des Bund-Länder-Programms "Die Soziale Stadt" habe
erfolgen sollen. Was die Beschwerde in diesem Zusammenhang vorbringt, bezeich-
net indes nicht einen Mangel in der Aufklärung von tatsächlichen Umständen. Dem-
entsprechend trägt die Beschwerde auch nicht vor, welche konkreten Aufklärungs-
maßnahmen das Normenkontrollgericht unterlassen hat und welches Ergebnis die
Durchführung der vermissten Aufklärungsmaßnahmen voraussichtlich ergeben hätte.
Vielmehr wendet sich die Beschwerde mit der Rüge, das Normenkontrollgericht habe
einen bestimmten Gesichtspunkt nicht beachtet, der Sache nach gegen das Ergebnis
der rechtlichen Würdigung im Normenkontrollurteil. Damit wird ein sachlicher Mangel
bezeichnet, der in einer Berufungsbegründung seine Berechtigung hätte, aber nicht
geeignet ist, einen Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darzule-
gen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streit-
werts auf § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Dr. Paetow
Dr. Lemmel
Dr. Jannasch