Urteil des BVerwG vom 17.07.2003

Bebauungsplan, Gefährdung, Deponie, Rüge

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 41.03
OVG 8 C 10373/02
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Juli 2003
durch den die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. L e m m e l ,
Prof. Dr. R o j a h n und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz
vom 30. April 2003 wird zurückgewiesen.
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Die Antragsteller zu 1 und 2 sowie die Antragsteller zu 3 und 4 tragen
jeweils als Gesamtschuldner die Hälfte der Kosten des Beschwerde-
verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren
auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Aus dem Be-
schwerdevorbringen ergibt sich kein Grund für eine Zulassung der Revision.
1. Der geltend gemachte Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) liegt nicht vor. Die An-
tragsteller rügen, das Normenkontrollgericht habe nicht ermittelt, welche Gefahren von der e-
hemaligen Gemeindemülldeponie der Antragsgegnerin auf das im Bebauungsplan von 1988
ausgewiesene Wohngebiet ausgehen. Es fehle an einer realistischen Einschätzung der Ge-
fährdungslage. Erst wenn feststehe, wie groß die mögliche Gesundheitsgefährdung bei der
Umsetzung des Bebauungsplanes sei und ob dieser Gefährdung überhaupt begegnet
werden könne, stelle sich die Frage, inwieweit die von der Antragsgegnerin zugesicherten
Gegenmaßnahmen geeignet wären, diese Gesundheitsgefahren abzuwenden. Die Rüge
bleibt erfolglos, weil nicht erkennbar ist, dass sich dem Normenkontrollgericht auf der Grund-
lage seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachverhaltsaufklärung in der bezeichneten Rich-
tung hätte aufdrängen müssen.
Die Beschwerde berücksichtigt nicht, dass das Erstgericht die Normenkontrollanträge nur für
zulässig erklärt hat, soweit mit ihnen geltend gemacht wird, dass der angegriffene Bebau-
ungsplan nachträglich wegen Funktionslosigkeit außer Kraft getreten sei. Funktionslos kann
ein Bebauungsplan dann werden, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich so ver-
ändert hat, dass eine Verwirklichung des Planes auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen ist
und dies offenkundig für jedermann erkennbar ist (BVerwG, Urteil vom 3. August 1990
- BVerwG 7 C 41 - 43.89 - BVerwGE 85, 273 <281 f.>). Das Erstgericht setzt sich mit diesen
beiden Voraussetzungen auseinander. Es kommt nach einer Würdigung des Gutachtens
Arcadis und der von den Antragstellern vorgelegten Stellungnahme der Ingenieure H. und W.
zu dem Ergebnis, dass nach den durchgeführten Untersuchungen eine von der ehemaligen
Müllhalde ausgehende mögliche Gefährdung der Wohnbevölkerung im Plangebiet jedenfalls
nicht offenkundig und für jedermann erkennbar im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts sei; das gelte erst recht für das Ausmaß einer solchen Ge-
fährdung. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Normenkontrollgericht auf der Grundlage
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dieses rechtlichen Ansatzes im Hinblick auf eine etwaige Funktionslosigkeit des Planes
Anlass hatte, das Bestehen und das mögliche Ausmaß einer Gesundheitsgefährdung noch
weiter aufzuklären.
Das Normenkontrollgericht stellt ferner entscheidungstragend darauf ab, dass die von der
Antragsgegnerin zur Gefahrenabwehr genannten denkbaren und ausdrücklich zugesicherten
Maßnahmen ebenso technisch durchführbar seien wie beispielsweise auch eine Abdichtung
der ehemaligen Deponie oder deren Grundsanierung. Das gelte umso mehr, als auch die
von den Antragstellern zu 3 und 4 beauftragten Sachverständigen die Möglichkeit geeigneter
Gegenmaßnahmen nicht ausdrücklich ausgeschlossen hätten und die Antragsgegnerin als
ehemalige Betreiberin des Müllplatzes und Normgeberin des Bebauungsplanes für die Ge-
fahrenabwehr rechtlich verantwortlich sein dürfte. Das Erstgericht ist davon ausgegangen,
dass es technische Möglichkeiten der Behebung einer eventuellen Gesundheitsgefahr gibt
und dass die Antragsgegnerin die insoweit gebotenen Maßnahmen im Umkreis der Deponie,
aber außerhalb des Plangebiets ergreift. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Normen-
kontrollgericht vor diesem tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund noch Anlass hatte, im
Einzelnen aufzuklären, welche geeigneten Maßnahmen zur Gefahrenabwehr in Betracht
kommen könnten. Allein das Vorbringen der Antragsteller, der Standpunkt des Normenkon-
trollgerichts, es gebe technische Möglichkeiten zur Abwehr einer etwaigen Gefahr, sei "rein
spekulativ", so lange die Gefahrenlage überhaupt nicht ausreichend überprüft worden sei, ist
nicht geeignet, einen weiteren Aufklärungsbedarf hinsichtlich einer etwaigen Funktionslosig-
keit des Bebauungsplanes zu rechtfertigen. Anhaltspunkte dafür, dass auch eine Abdichtung
der ehemaligen Deponie oder deren Grundsanierung zur Abwehr etwaiger Gefahren unge-
eignet seien, führt die Beschwerde nicht an.
2. Die Rüge, das Normenkontrollgericht habe den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1
VwGO) verletzt, bleibt ebenfalls erfolglos. Aus dem Vorstehenden (vgl. oben 1.) ergibt sich,
dass die von den Antragstellern vermisste weitere Gefährdungsabschätzung angesichts der
vorliegenden sachverständigen Stellungnahmen nicht erforderlich war, um dem Normenkon-
trollgericht die Prüfung der Frage zu ermöglichen, ob der angegriffene Bebauungsplan we-
gen Funktionslosigkeit nachträglich außer Kraft getreten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1
ZPO und § 159 Satz 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1
Satz 1 GKG.
Lemmel Rojahn Gatz