Urteil des BVerwG vom 23.07.2003

Nationalpark, Wirtschaftliches Interesse, Beschränkung, Gaststätte

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BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 40.03
OVG 2 K 258/01
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Juli 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. L e m m e l , H a l a m a und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes
Sachsen-Anhalt vom 17. April 2003 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Änderung des
vorinstanzlichen Streitwertbeschlusses vom 17. April 2003 für
jeden Rechtszug auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass
die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen der behaupteten grundsätzlichen Be-
deutung der Rechtssache zuzulassen ist.
1. Die als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage, ob ein Bundesland kraft Na-
turschutzrechts die Öffnungs- und Sperrzeiten für Gaststätten in einem wie ein Naturschutz-
gebiet zu schützenden Nationalpark festsetzen darf, führt nicht zur Zulassung der Revision.
Sie lässt sich anhand des Gesetzes und auf der Grundlage der vorhandenen Rechtspre-
chung beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
a) Die Kompetenzordnung des Grundgesetzes (Art. 70 ff.) verbietet nicht ein Landesgesetz,
das die Öffnungszeiten gastronomischer Einrichtungen festsetzt oder - wie hier - zu Festset-
zungen durch die Exekutive ermächtigt. Zwar lässt sich ein solches Gesetz dem Recht der
Wirtschaft i.S. des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zuordnen, weil darunter alle das wirtschaftliche
Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnden Normen zu verstehen sind
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. März 1970 - 2 BvO 1/65 - BVerfGE 28, 119 <146>). Ist es
dem Naturschutz zu dienen bestimmt, ist aber auch Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GG ange-
sprochen. Die Materien des Art. 74 Abs. 1 GG hat der Bund unter den in Art. 72 Abs. 2 GG
genannten Voraussetzungen selbst zu regeln, während er im Anwendungsbereich des
Art. 75 Abs. 1 GG nur Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder erlassen darf.
Da nicht unterstellt werden kann, dass das Grundgesetz dieselbe Sachkompetenz in zwei
verschiedenen Bestimmungen mit unterschiedlichem Ausmaß regelt, kann Art. 74 Abs. 1
Nr. 11 GG nur so ausgelegt werden, dass die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit
für das Recht der Wirtschaft nicht denselben sachlichen Bereich erfasst wie die Rahmen-
kompetenz des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GG (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Oktober 1962
- 2 BvF 2/60, 1, 2, 3/61 - BVerfGE 15, 1 <15> zum Verhältnis zwischen Art. 74 Abs. 1 Nr. 21
und Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GG). Vorrang hat Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GG, weil er ge-
genüber der weit zu verstehenden Bestimmung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (BVerfG, Be-
schluss vom 18. März 1970, a.a.O. <146>) eine kompetenzielle Spezialregelung darstellt. Er
schließt in seinem Anwendungsbereich einen Rückgriff auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG aus,
mag die auf seiner Grundlage getroffene Regelung auch von erheblicher Bedeutung für das
Wirtschaftsleben sein (vgl. Kunig in: von Münch/Kunig, GG, 5. Aufl., Art. 74 Rn. 43). Die
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Frage, ob der Bund durch die Sperrzeitregelung in § 18 GastG von seinem Gesetzgebungs-
recht aus Art. 72 Abs. 2, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG abschließend Gebrauch gemacht hat, stellt
sich nicht.
b) Das Bundesnaturschutzgesetz steht einer landesrechtlichen Norm, die die Öffnungszeiten
von Schank- und Speisewirtschaften in einem Nationalpark festlegt, ebenfalls nicht entge-
gen. Nationalparke sind Gebiete, die wie Naturschutzgebiete zu schützen sind (§ 14 Abs. 2
BNatSchG 1998 = § 24 Abs. 3 BNatSchG 2002). Diese Verweisung schließt den Grundsatz
ein, dass alle Handlungen, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des
Naturschutzgebietes oder seiner Bestandteile oder zu einer nachhaltigen Störung führen
können, nach Maßgabe näherer Bestimmungen verboten sind (§ 13 Abs. 2 Satz 1
BNatSchG 1998 = § 23 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG 2002). Die unerwünschten Folgen, die das
Gesetz aufzählt, vor allem die nachhaltige Störung der Natur, kann auch der Betrieb einer
Gaststätte in einem Nationalpark auslösen oder jedenfalls verstärken; denn er ist geeignet,
die Verweildauer der Touristen zu verlängern und die Begleiterscheinungen, namentlich die
Geräuschentwicklung, die mit dem Verlassen des Parks verbunden sind, zeitlich auszudeh-
nen. Mit der Beschränkung der Öffnungszeiten lässt sich erreichen, dass die Natur die not-
wendigen Ruhephasen erhält. Ob der Nationalpark "Hochharz" des Schutzes durch § 1 der
hier streitigen Verordnung überhaupt bedarf und, wenn ja, ob die Regelungen in § 1 verhält-
nismäßig sind, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
2. Die Revision ist auch nicht zur Klärung der Frage zuzulassen, ob der Begriff der Ausnah-
me in § 14 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG 1998 (= § 24 Abs. 3 BNatSchG 2002) gleichbedeutend
ist mit der Ausnahmebewilligung im Sinne des allgemeinen Verwaltungsrechts, d.h. der Ein-
zelfallgestattung eines ansonsten repressiv verbotenen Verhaltens, oder ob die durch die
Besiedlung gebotenen Ausnahmen des § 14 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG 1998 spezifisch räum-
lich-gegenständlich zu verstehen sind, d.h. als Ausgrenzung eines bestimmten Gebiets aus
einem Nationalpark. Die Norm verpflichtet die Länder sicherzustellen, dass Nationalparks
unter Berücksichtigung der durch die Großräumigkeit und Besiedlung gebotenen Ausnah-
men wie Naturschutzgebiete geschützt werden. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass - wie
die Beschwerde meint - der Geltungsbereich eines Bebauungsplans durch Bildung einer
entsprechenden Enklave aus einem Nationalpark ausgegrenzt werden muss. Geschuldet
sind nur die durch die Großräumigkeit und Besiedlung "gebotenen" Ausnahmen. Welche
Ausnahmen geboten sind, ist im Wege einer Abwägung zwischen den Belangen des Natur-
und Landschaftsschutzes und den Interessen der Eigentümer zu ermitteln, deren planungs-
rechtlich zulässige bauliche Anlagen von der Schutzgebietsausweisung betroffen sind. § 14
Abs. 2 Satz 1 BNatSchG 1998 gebietet nicht, dass sich die Eigentümerinteressen ohne Ab-
striche durchsetzen müssen, sondern erlaubt naturschutzrechtliche Regelungen, die durch
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eine Beschränkung einer ansonsten zugelassenen Nutzung einer baulichen Anlage einen
angemessenen Ausgleich zwischen den divergierenden Interessen schaffen soll.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Die An-
tragstellerin hat am Ausgang des Verfahrens ein wirtschaftliches Interesse. Sie befürchtet,
dass der Betreiber den Pachtvertrag über den Touristensaal auf dem Brocken kündigt, wenn
§ 1 der angefochtenen Verordnung als rechtmäßig bestätigt wird. Ist ein Prozess für den
Kläger von wirtschaftlicher Bedeutung, ist der Streitwert nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG und
nicht - wie vom Normenkontrollgericht angenommen - nach § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG zu
bestimmen. Der Senat schätzt, dass die Antragstellerin mit einer Gewinneinbuße von min-
destens 10 000 € rechnen muss, falls sich der Brockenwirt von dem Pachtvertrag löst. Er
setzt deshalb den Streitwert auf diesen Betrag fest. Seine Befugnis, die erstinstanzliche
Streitwertentscheidung von Amts wegen zu ändern, ergibt sich aus § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG.
Lemmel Halama Gatz
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Naturschutzrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BNatSchG1998
§ 13 Abs. 2 Satz 1, § 14 Abs. 2
BNatSchG 2002
§ 23 Abs. 2 Satz 1, § 24 Abs. 3
GG
Art. 72 Abs. 2, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11,
Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
Stichworte:
Nationalpark; Besiedlung in -; Gaststätte in -; Beschränkung der Öffnungszeiten; Gesetzge-
bungskompetenz; konkurrierende Gesetzgebung; Rahmengesetzgebung.
Leitsätze:
1. Eine landesrechtliche Festlegung der Öffnungszeiten gastronomischer Betriebe in einem
Nationalpark aus naturschutzrechtlichen Gründen widerspricht nicht der Kompetenzordnung
des Grundgesetzes.
2. Das Bundesnaturschutzgesetz verlangt nicht, dass der Geltungsbereich eines Bebau-
ungsplans aus einem Nationalpark ausgegrenzt werden muss.
Beschluss des 4. Senats vom 23. Juli 2003 - BVerwG 4 BN 40.03
I. OVG Magdeburg vom 17.04.2003 - Az.: OVG 2 K 258/01 -