Urteil des BVerwG vom 19.02.2004

Bebauungsplan, Raumplanung, Bindungswirkung, Gehalt

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BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 4.04
VGH 26 N 99.3785
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Februar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. L e m m e l und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 15. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 50 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde
hat keinen Erfolg.
Das Normenkontrollgericht hat den Bebauungsplan "Eschach Nr. 1 - Ost" der An-
tragsgegnerin sowohl wegen eines Verstoßes gegen das Anpassungsgebot des § 1
Abs. 4 BauGB als auch wegen eines Verstoßes gegen das Abwägungsgebot des § 1
Abs. 6 BauGB für nichtig erklärt. Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere
selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen
werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend
gemacht wird und vorliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1994
- BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4). Wenn nur
bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begrün-
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dung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens
ändert.
Die Beschwerde greift den Befund des Erstgerichts, der angefochtene Bebauungs-
plan sei wegen Missachtung des § 1 Abs. 4 BauGB nichtig, mit drei Grundsatzrügen,
einer Abweichungsrüge und einer Verfahrensrüge an. Ob wenigstens eine dieser
Rügen zulässig und begründet ist, kann offen bleiben; denn die Beschwerde schei-
tert daran, dass die Feststellung im Normenkontrollurteil, die Nichtigkeit des Bebau-
ungsplans ergebe sich auch aus einer Verletzung des § 1 Abs. 6 BauGB, nicht auf
den insoweit allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeu-
tung der Rechtssache führt. Soweit die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob
Aussagen der Regional- oder Landesplanung ohne Zielcharakter im Sinne des § 1
Abs. 4 BauGB ein besonderes Gewicht bei der Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB
zukommt, einer fallübergreifenden Klärung zugänglich ist, lässt sie sich unschwer im
Sinne des angegriffenen Urteils beantworten. Das Erstgericht hat der Sache nach
angenommen, dass die Festlegung im maßgeblichen Regionalplan, es solle auf die
Freihaltung u.a. besonders prägender Drumlins hingewirkt werden, für den Fall man-
gelnder oder nur auf grünordnerische Maßnahmen beschränkter Zielqualität als
Grundsatz zu gelten habe. Dem liegt ein zutreffender rechtlicher Ansatz zugrunde.
Ob eine raumordnerische Vorgabe den Charakter eines Ziels mit der Folge einer
strikten Beachtenspflicht bei nachfolgenden Planungsentscheidungen aufweist oder
ob sie als Grundsatz zu werten ist, der lediglich die Funktion einer Abwägungsdirek-
tive hat, richtet sich nach dem materiellen Gehalt der Planaussage (BVerwG, Urteil
vom 18. September 2003 - BVerwG 4 CN 20.02 - ZfBR 2004, 177 = BauR 2004,
375). Hat ein Träger der Raumplanung ein Ziel festlegen wollen, erfüllt seine Plan-
aussage aber nicht die inhaltlichen Voraussetzungen des § 3 Nr. 2 ROG, bedeutet
das nicht, dass der Aussage überhaupt keine rechtliche Relevanz zukommt. Viel-
mehr darf sie als die Vorgabe verstanden werden, die kraft Gesetzes mit der gerin-
geren Bindungswirkung ausgestattet ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. April 2003
- BVerwG 4 BN 25.03 - BauR 2004, 285). Mit welchem Gewicht sie bei einer nachge-
lagerten Abwägung zu Buche schlägt, beurteilt sich nach den konkreten Umständen
des Einzelfalles und entzieht sich einer grundsätzlichen Klärung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Obwohl sie den Antragstel-
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lern, die einen Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde gestellt haben, einen Kos-
tentitel verschafft, sind deren außergerichtliche Kosten nicht nach § 162 Abs. 1
VwGO erstattungsfähig. Im Regelfall - ein solcher ist hier gegeben - ist es nicht not-
wendig, dass ein Beschwerdegegner alsbald nach Eingang einer Beschwerde und
ohne Kenntnis der Beschwerdebegründung einen Rechtsanwalt mit der Wahrneh-
mung seiner Interessen im Beschwerdeverfahren beauftragt (stRspr; z.B. BVerwG,
Beschluss vom 17. Januar 1995 - BVerwG 4 B 1.95 - Buchholz 310 § 162 VwGO
Nr. 29).
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Dr. Paetow Dr. Lemmel Gatz