Urteil des BVerwG vom 10.09.2002

Rechtliches Gehör, Ausweisung, Bebauungsplan, Beitragspflicht

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BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 39.02
OVG 1 C 11217/01
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. September 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. B e r k e m a n n und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom
18. April 2002 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Be-
schwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Be-
schwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO
gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
bleibt ohne Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeu-
tung, die ihr die Beschwerde beimisst.
1.1 Die Antragsteller bezweifeln die Erforderlichkeit der Än-
derung des Bebauungsplans im Jahre 2001, durch die unter ande-
rem auch ihre Grundstücke oder Teile davon in den Geltungsbe-
reich einbezogen werden. Sie halten in diesem Zusammenhang im
Anschluss an die bereits ergangene Rechtsprechung zu § 1
Abs. 3 BauGB sinngemäß die Frage für grundsätzlich klärungsbe-
dürftig, ob das städtebaulich erforderliche planerische Kon-
zept sich auf nur ein oder wenige Grundstücke beziehen könne.
Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren der An-
tragsteller jedoch nicht stellen. Denn der ursprüngliche Be-
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bauungsplan aus dem Jahre 1989 umfasst eine Vielzahl von
Grundstücken. Auch der Geltungsbereich der Änderung aus dem
Jahre 2001 ist nicht auf wenige Grundstücke beschränkt. Davon
abgesehen können die in der Rechtsprechung aufgestellten und
vom Normenkontrollgericht sowie den Beteiligten bereits wie-
dergegebenen Grundsätze zur Erforderlichkeit eines Bebauungs-
plans nicht unbesehen auf die Änderung eines bereits rechts-
gültigen Bebauungsplans übertragen werden. Im Übrigen ist die
Frage, ob einzelne Grundstücke oder gar nur Teile davon in den
Geltungsbereich eines bestehenden Bebauungsplans einbezogen
werden können, keine Frage der Erforderlichkeit der Bauleit-
planung als Ganzer (vgl. auch den Senatsbeschluss vom
16. Januar 1996 - BVerwG 4 NB 1.96 - BRS 58 Nr. 1 zur Ein-
schränkung der Bebaubarkeit). Schließlich kann nach der Recht-
sprechung des Senats nicht zweifelhaft sein, dass unter be-
stimmten Voraussetzungen auch die Erforderlichkeit für die
erstmalige Aufstellung eines Bebauungsplans zu bejahen ist,
dessen Geltungsbereich nur ein oder wenige Grundstücke um-
fasst. Der vorliegende Fall ist aus den genannten Gründen
nicht geeignet, insoweit zu einer weiteren Klärung beizutragen
– falls dies überhaupt losgelöst von den Besonderheiten des
jeweiligen Einzelfalls möglich sein sollte.
1.2 Die Zulassungsbeschwerde hält ferner die Frage für klä-
rungsbedürftig,
"ob es zulässig ist, in die Abwägung nach § 1 Abs. 6
BauGB als öffentlicher Belang die Herstellung der Bei-
tragsgerechtigkeit in Bezug auf eine auszubauende
Straße einzustellen und deswegen Grundstücke, die
nicht unmittelbar an die auszubauende Straße angrenzen
durch Änderung des räumlichen Geltungsbereichs eines
bestehenden Bebauungsplans, mit dem Ziel, auch diese
Grundstücke der Beitragspflicht zu unterwerfen, in den
Bebauungsplan mit einzubeziehen."
Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revisi-
on. Das Normenkontrollgericht hat hierzu festgestellt, dass
die Erweiterung des Bebauungsplangebiets in dem in Rede ste-
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henden Bereich städtebaulich motiviert sei. Die gegebene
Struktur einer Bebauung in zweiter Bautiefe entlang der Kreis-
straße habe auch für andere Grundstücke festgeschrieben werden
sollen. Damit stelle sich eine etwaige Ausbaubeitragspflicht
der Hinterliegergrundstücke nicht als das eigentliche Ziel der
Planung dar, sondern als eine notwendige und legitime Neben-
folge der beschlossenen bauplanerischen Festsetzungen. Von den
damit getroffenen tatsächlichen Feststellungen über die Be-
schlussfassung sowie der wertenden Einordnung als "Ziel" und
als "notwendige Nebenfolge" hätte auch das Beschwerdegericht
in einem Revisionsverfahren auszugehen. Jedenfalls vor diesem
Hintergrund verbleibt keine Frage, die weiterer grundsätzli-
cher Klärung zugänglich wäre.
Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer
Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung.
Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraus-
setzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problem-
gehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebo-
tener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine
höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der
ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsge-
richts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechts-
frage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit
Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation
ohne weiteres beantworten lässt (BVerwG Beschluss vom 28. Mai
1997 - BVerwG 4 B 91.97 - Buchholz 407.4 § 5 FStrG Nr. 10 =
NVwZ 1998, 172; stRspr). So liegt es hier.
Eine Gemeinde ist nicht gehindert, einzelne Grundstücke oder
Teile davon in einen Bebauungsplan einzubeziehen und damit ih-
re Bebaubarkeit entweder konstitutiv herbeizuführen oder zu-
mindest klarzustellen. Dies stellen auch die Antragsteller
nicht ernstlich in Frage. In erster Linie dienen die Festset-
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zungen eines Bebauungsplans der Ausweisung der bebaubaren bzw.
nicht bebaubaren Flächen sowie der hierzu zu regelnden weite-
ren Einzelheiten. Beitragspflichten entstehen dann als bundes-
oder landesgesetzlich geregelte Folge dieser Ausweisung. Die
Rechtsordnung verbietet jedoch nicht, dass die über eine Er-
weiterung des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans beschlie-
ßenden Mitglieder der Gemeindevertretung sich zugleich Rechen-
schaft über deren beitragsrechtliche Folgen ablegen. Sie sind
nicht gehalten, hinsichtlich der sich aus der jeweiligen Ge-
setzeslage ergebenden beitragsrechtlichen Lasten gleichsam die
Augen zu verschließen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Abwä-
gungsentscheidung leidet nicht an einem Mangel, wenn sich die
zur Entscheidung Berufenen zugleich Gedanken über die weiteren
Konsequenzen der vorgesehenen Festsetzungen machen. Dem ent-
spricht im Übrigen die vom Senat bereits in seinem - in der
Beschwerde erwähnten - Urteil vom 30. Januar 1976 - BVerwG 4 C
12. u. 13.74 (BRS 30 Nr. 1) getroffene Aussage, wonach die Be-
sorgnis einer zukünftigen Belastung mit Erschließungsbeiträgen
kein überwiegender privater Belang ist, der dem öffentlichen
Interesse an der Aufstellung eines Bebauungsplans entgegen-
steht.
2. Auch die Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg. Die Antragstel-
ler rügen, ihnen sei das rechtliche Gehör versagt worden, denn
das Normenkontrollgericht habe über ihre "Rüge", die Herstel-
lung der Beitragsgerechtigkeit sei kein abwägungserheblicher
Belang, nicht entschieden und damit ihren Vortrag übergangen.
Diesem Vorbringen muss schon deswegen der Erfolg versagt blei-
ben, weil das Oberverwaltungsgericht sich sowohl mit dem ent-
sprechenden Tatsachenvortrag der Antragsteller auseinander ge-
setzt als auch die Rechtsfrage behandelt hat, ob im Zusammen-
hang mit der als gesetzliche Folge entstehenden Beitrags-
pflicht ein Abwägungsmangel vorliegt (Urteil S. 12). Dass das
Normenkontrollgericht dabei in der Formulierung seiner Ent-
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scheidungsgründe einen (teilweise) anderen rechtlichen Ansatz
gewählt hat, als die Antragsteller es sich gewünscht hätten,
kann keinen Verstoß gegen das Gebot, rechtliches Gehör zu ge-
währen, begründen. Denn dieses Gebot verpflichtet das Gericht,
das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in
Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist aber nicht gezwungen, sich
mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich
zu befassen. Umso weniger ist es gehalten, sich nur in denje-
nigen rechtlichen Bahnen zu bewegen, die die Beteiligten oder
einer von ihnen für einschlägig halten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 159
Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO; die Festsetzung des Streitwer-
tes auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 und 3 GKG.
Paetow Berkemann Jannasch