Urteil des BVerwG vom 19.10.2010

Grundstück, Bebauungsplan, Aufklärungspflicht, Wohngebäude

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 38.10
OVG 1 KN 7/09
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Oktober 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Hol-
steinischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2010
wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Bei-
geladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Ob dem Antragsteller - wie die Beigeladene meint - bereits das Rechtsschutz-
bedürfnis für eine Revision im Normenkontrollverfahren fehlt, nachdem er seine
Klage gegen die der Beigeladenen auf der Grundlage des Bebauungsplans
erteilte Baugenehmigung zurückgenommen hat, kann offen bleiben. Denn die
Gründe für die Zulassung der Revision, die er geltend macht, werden in der
Beschwerdebegründung nicht in der gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erfor-
derlichen Weise dargelegt. Unabhängig hiervon sind die erhobenen Rügen
auch nicht begründet.
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1. Der Antragsteller ist Eigentümer eines reetgedeckten Hauses, das sich im
Gebiet des ursprünglichen Bebauungsplans, nicht aber des mit dem Normen-
kontrollantrag angegriffenen Änderungsplans befindet. Das Oberverwaltungs-
gericht hat den Normenkontrollantrag abgelehnt, weil der Antragsteller nicht
antragsbefugt sei. Der angefochtene Bebauungsplan treffe für sein Grundstück
keine Regelungen. Der Antragsteller könne auch nicht in seinem Recht auf ge-
rechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) verletzt sein. Angesichts der Entfernung
zwischen dem Grundstück des Antragstellers und dem Plangebiet und der da-
zwischen liegenden Wohnhäuser und Verkehrseinrichtungen könne weder das
im Änderungsplan zugelassene Wohngebäude noch seine Nutzung das Grund-
stück des Antragstellers beeinträchtigen. Die Befürchtung, dass sich durch die
Zulassung eines Wohnhauses mit Hartdach das Niveau der Bebauung im Ge-
biet des Bebauungsplans verschlechtere, betreffe ausschließlich objektiv-recht-
liche städtebauliche Aspekte. Selbst wenn die Veränderung die Belange des
Antragstellers beträfe, so wären diese Belange nicht in die Abwägung einzustel-
len, weil die Veränderung geringfügig sei.
Der Antragsteller macht geltend, das Oberverwaltungsgericht weiche mit diesen
Ausführungen von dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Fe-
bruar 2003 - BVerwG 4 BN 9.03 - (Buchholz 406.11 § 8 BauGB Nr. 13) ab. Aus
dieser Entscheidung zum Entwicklungsgebot (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB) lasse
sich ableiten, dass die konzeptionellen Grundzüge der Darstellungen eines Flä-
chennutzungsplans dann und solange unangetastet blieben, wie Darstellung im
Flächennutzungsplan und Festsetzung im Bebauungsplan „in ein und dieselbe
Richtung weisen“. Bei der hier erfolgten Darstellung einer Gemeinbedarfsfläche
nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB und der daraus „entwickelten“ Festsetzung als
allgemeines Wohngebiet gebe es einen solchen konzeptionellen Gleichklang
nicht; das Entwicklungsgebot sei verletzt. Hierdurch werde die geordnete städ-
tebauliche Entwicklung beeinträchtigt. Diese sei darauf gerichtet, das homoge-
ne Erscheinungsbild einer einheitlichen Einzelhausbebauung zu erhalten. Hier-
auf dürfe sich der Antragsteller berufen.
Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO darzulegen. Hierfür muss die Beschwerde einen inhaltlich be-
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stimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz
benennen, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung der-
selben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschluss vom 19. August 1997
- BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Der Antragsteller benennt weder ei-
nen Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts zum Entwicklungsgebot nach § 8
Abs. 2 Satz 1 BauGB noch einen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts
zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Antragsteller durch eine Ver-
letzung des Entwicklungsgebots in seinem Anspruch auf gerechte Abwägung
seiner Belange verletzt sein kann (zu dieser Frage vgl. Beschluss vom 7. März
2007 - BVerwG 4 BN 1.07 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 174). Derartige
Rechtssätze sind in den angeführten Entscheidungen auch nicht enthalten. Das
Oberverwaltungsgericht hat sich zum Entwicklungsgebot nicht geäußert. Der
Antragsteller hatte einen Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB auch nicht
- jedenfalls nicht schriftsätzlich - geltend gemacht. Außerdem bestanden keine
Anhaltspunkte dafür, dass sich hier aus einem etwaigen Verstoß gegen das
Entwicklungsgebot ein abwägungsbeachtlicher Belang des Antragstellers erge-
ben könnte. Im Übrigen hat sich das Bundesverwaltungsgericht in seinem Be-
schluss vom 12. Februar 2003 zwar zum Entwicklungsgebot, nicht aber zu Fra-
gen der Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO geäußert.
2. Als Verfahrensmangel macht der Antragsteller eine Verletzung der Aufklä-
rungspflicht geltend. Das Oberverwaltungsgericht sei von einem unvollständi-
gen Sachverhalt ausgegangen. Es habe den Flächennutzungsplan und die be-
stehende Abweichung hiervon seiner Tatbestandsschilderung und seiner Ent-
scheidung nicht zugrunde gelegt.
Damit ist ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz ebenfalls nicht in
der erforderlichen Weise dargelegt. Bei der Prüfung, ob der Vorinstanz ein Ver-
fahrensfehler unterlaufen ist, ist von deren materiellrechtlicher Rechtsauffas-
sung auszugehen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte (Urteil vom 25. März
1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 S. 4). Das
Oberverwaltungsgericht hat die Antragsbefugnis des Antragstellers aus den
dargelegten Gründen verneint. Welcher Anlass ausgehend von dieser
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Rechtsauffassung bestanden haben sollte, Feststellungen zum Inhalt des Flä-
chennutzungsplans zu treffen, ist weder dargelegt noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
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