Urteil des BVerwG vom 10.10.2013

Rüge, Beweisantrag, Niederlassungsfreiheit, Gemeinde

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 36.13
OVG 1 KN 7/12
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Oktober 2013
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz, Petz und Dr. Decker
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Schleswig-
Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. März
2013 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 100 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Gründe für die Zulassung der Revision lie-
gen nicht vor.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die
Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragstellerin
beimisst.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung
einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Be-
schwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen
und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1
VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine
bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungs-
bedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu
erwarten ist (stRspr, so bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B
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78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011
- BVerwG 7 B 45.10 - juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.
a) Die Beschwerde hält zunächst folgende Frage für grundsätzlich klärungsbe-
dürftig:
„Kann eine Gemeinde einen einheitlichen Planungsvor-
gang in verschiedene in sich abgeschlossene und selb-
ständige Planungsverfahren aufteilen oder muss sie bei
einem einheitlichen Lebenssachverhalt mit einem einheit-
lichen Planungsziel auch ein einheitliches Bebauungs-
planverfahren durchführen?“
Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Soweit die Be-
schwerde betont, vorstehende Frage sei (auch) im Rahmen der Antragsbefug-
nis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO von Bedeutung, bezieht sie sich ganz offen-
sichtlich auf die Ablehnung des Normenkontrollantrages gegen die 4. Änderung
des Bebauungsplans Nr. 15 C als unzulässig. Die Voraussetzungen, unter de-
nen ein Eigentümer bzw. - wie hier - ein Auflassungsvormerkungsberechtigter
eines Grundstücks antragsbefugt ist für einen Normenkontrollantrag gegen ei-
nen Bebauungsplan, der sein Grundstück nicht erfasst, sind in der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts bereits hinreichend geklärt (vgl. zusam-
menfassend Beschluss vom 29. Juli 2013 - BVerwG 4 BN 13.13 - juris Rn. 4;
zur Antragsbefugnis bei Bestehen eines engen konzeptionellen Zusammen-
hangs bei - zeitlich gestaffelter - Überplanung verschiedener Bebauungsplanbe-
reiche siehe Urteil vom 16. Juni 2011 - BVerwG 4 CN 1.10 - BVerwGE 140, 41
= Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 182 Rn. 22). Einen über diese Rechtsprechung
hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
In Bezug auf die 4. Änderung des Bebauungsplans Nr. 15 B wird mit obiger
Fragestellung das Problem der räumlichen Abgrenzung des Geltungsbereichs
eines (hier: Änderungs-) Bebauungsplans angesprochen. In der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Gemeinde hinsicht-
lich der Festlegung des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans
grundsätzlich frei ist. Unter Beachtung der Grundregeln des § 1 BauGB darf sie
die Grenzen des Plangebiets nach ihrem planerischen Ermessen festsetzen
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und sich dabei auch von Zweckmäßigkeitserwägungen unter Berücksichtigung
ihrer Planungs- und Durchführungskapazität und der Finanzierbarkeit der städ-
tebaulichen Maßnahmen leiten lassen (Beschluss vom 20. November 1995
- BVerwG 4 NB 23.94 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 87 = juris Rn. 11). Es
ist anerkannt, dass die Gemeinde ihre planerische Tätigkeit auf diejenigen Be-
reiche beschränken darf, in denen ein „akuter“ planerischer Handlungsbedarf
besteht (Beschluss vom 18. Dezember 1990 - BVerwG 4 NB 8.90 - Buchholz
406.11 § 9 BBauG/BauGB Nr. 47). Selbst eine planerische Konzeption, die sich
auf größere Teile des Gemeindegebiets auswirkt, muss grundsätzlich nicht
notwendig auf einen Schlag realisiert werden (Beschluss vom 23. Juni 1992
- BVerwG 4 B 55.92 - NVwZ-RR 1993, 456). Die Verwirklichung einer (Ge-
samt-)Planung in Abschnitten ist daher grundsätzlich zulässig (Urteil vom
19. September 2002 - BVerwG 4 CN 1.02 - BVerwGE 117, 58 <65> = Buchholz
406.11 § 1 BauGB Nr. 112 = juris Rn. 46). Das Oberverwaltungsgericht hat
festgestellt, dass zwar die Ausweisung eines Einzelhandelszentrums und die
Einzelhandelseinschränkungen in der Nachbarschaft auf einem einheitlichen
Planungskonzept der Antragsgegnerin beruhen, dass aber die von den verfah-
rensgegenständlichen Änderungsbebauungsplänen betroffenen Bereiche be-
reits vorher durch unterschiedliche Bebauungspläne überplant gewesen sind.
Folglich habe es nahe gelegen, die jeweiligen Planungen im Rahmen der be-
reits vorhandenen Bebauungspläne fortzuschreiben (UA S. 13). Diese Ausfüh-
rungen stehen mit der dargestellten Rechtsprechung des Senats im Einklang.
Einen darüber hinaus gehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
b) Ferner hält die Beschwerde folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürf-
tig:
„Ist es mit Art. 3 Abs. 1 GG sowie dem Diskriminierungs-
verbot vereinbar, dass nach Art. 43 EG (richtig: Art. 49
AEUV) die Niederlassungsfreiheit beeinträchtigt ist, weil
die Zulässigkeit der Ansiedlung von Einzelhandelsbetrie-
ben nicht von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig ge-
macht werden darf, in Deutschland ansässige Unterneh-
mer jedoch in ihrer Niederlassungsfreiheit durch § 1
Abs. 3, 5 BauGB dahingehend beschränkt sind, dass die
Ansiedlungserlaubnis für Einzelhandelsbetriebe sich auch
anhand der Struktur des Marktes und der Auswirkungen
auf bestehende Einzelhandelseinrichtungen beurteilt?“
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Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Im Beschluss
vom 30. Mai 2013 - BVerwG 4 B 3.13 - (ZfBR 2013, 572 = BauR 2013, 1633 =
NVwZ 2013, 1085 Rn. 4) hat der Senat ausgesprochen, dass planungsrechtlich
bewirkte Beschränkungen der Standorte von Einzelhandelsbetrieben aus Grün-
den der Stadtentwicklung und des Verbraucherschutzes grundsätzlich zulässig
sind und nicht im Widerspruch zu Unionsrecht stehen. Nach den mit Verfah-
rensrügen nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellun-
gen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) ist die 4. Änderung des
Bebauungsplans Nr. 15 B darauf gerichtet, eine städtebaulich gerechtfertigte
Konzeption umzusetzen. Die Einschränkung des Einzelhandels im Gebiet der
Änderung sei Teil der Gesamtkonzeption der Antragsgegnerin, durch eine Stär-
kung der Einzelhandelsangebotssituation und eine Attraktivitätserhaltung und
Attraktivitätssteigerung der Innenstadt den Kaufkraftabfluss in andere Gemein-
den zu verhindern (UA S. 9). Aufgrund dessen ist davon auszugehen, dass der
Einzelhandelsausschluss durch die 4. Änderung des Bebauungsplans Nr. 15 B
mit Unionsrecht, namentlich mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), in
Einklang steht, da er städtebaulich gerechtfertigt ist. Ein Verstoß gegen Art. 3
Abs. 1 GG bzw. das Diskriminierungsverbot in Bezug auf inländische Einzel-
handelsunternehmen scheidet von vorneherein aus.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die
geltend gemachten Verfahrensfehler sind entweder schon nicht in einer den An-
forderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt
oder liegen jedenfalls nicht vor.
a) Die von der Beschwerde erhobene Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Beset-
zung des Oberverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 138 Nr. 1
VwGO; Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) genügt zum Teil schon nicht dem Darle-
gungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO; im Übrigen ist sie unbegrün-
det.
(1) Nach § 138 Nr. 1 VwGO liegt ein absoluter Revisionsgrund dann vor, wenn
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Erkennendes Ge-
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richt i.S.d. Norm ist die Richterbank, wie sie in der mündlichen Verhandlung be-
setzt war, aufgrund der die angefochtene Entscheidung ergangen ist (Urteile
vom 17. November 1972 - BVerwG 4 C 41.68 - BVerwGE 41, 174 <176> und
vom 29. April 1982 - BVerwG 5 C 81.80 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO
Nr. 21 = juris Rn. 9, Beschluss vom 30. November 2004 - BVerwG 1 B 48.04 -
Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 Nr. 43 = juris Rn. 3). Es kommt somit - anders als die
Beschwerde meint - für die Frage der ordnungsgemäßen Besetzung des Ge-
richts nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs des Verfahrens bei Gericht, son-
dern auf den der mündlichen Verhandlung an, aufgrund derer das Urteil ergeht.
Wie die Beschwerde selbst einräumt (S. 10 des Beschwerdebegründungs-
schriftsatzes), entsprach die Besetzung der Richterbank im Zeitpunkt der münd-
lichen Verhandlung dem ab 1. Januar 2013 geltenden Geschäftsverteilungsplan
des Oberverwaltungsgerichts.
(2) Bedenken gegen die Wirksamkeit des Geschäftsverteilungsplans des Ober-
verwaltungsgerichts für das Jahr 2013 wegen des Fehlens einer Übergangsre-
gelung bestehen nicht. Nach § 4 Satz 1 VwGO i.V.m. § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG
verteilt das Präsidium des Gerichts die Geschäfte. Es trifft diese Anordnungen
vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer (§ 21e Abs. 1 Satz 2
GVG). Aufgrund dieses „Jährlichkeitsprinzips“ tritt der für die Dauer eines Jah-
res beschlossene Geschäftsverteilungsplan am Ende des Jahres ohne Weite-
res außer Kraft (Urteile vom 30. Oktober 1984 - BVerwG 9 C 67.82 - NJW 1985,
822 = juris LS 3 und vom 18. Oktober 1990 - BVerwG 3 C 19.88 - NJW 1991,
1370 m.w.N.). Nach dem „Vollständigkeitsprinzip“ sind für das neue Geschäfts-
jahr daher nicht nur die neu eingehenden, sondern mit konstitutiver Wirkung
auch diejenigen Sachen (erneut) zuzuweisen, die bereits aufgrund der alten
Geschäftsverteilung verteilt worden waren (Urteile vom 30. Oktober 1984 a.a.O.
Rn. 10 und vom 18. Oktober 1990 a.a.O.). Einer - wie von der Beschwerde ge-
fordert - Übergangsregelung für bereits anhängige Verfahren bedarf es folglich
nicht. Fehlt eine solche, so bedeutet das nur, dass die durch den (neuen) Ge-
schäftsverteilungsplan begründeten Zuständigkeiten auch bereits anhängige
Verfahren erfassen (Urteil vom 18. Oktober 1990 a.a.O.).
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(3) Die weitere Rüge, im Geschäftsverteilungsplan des Oberverwaltungsge-
richts für das Jahr 2013 seien die ehrenamtlichen Richter nicht benannt worden,
weshalb das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei, genügt nicht
den Darlegungserfordernissen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Hierzu ist nach
ständiger Rechtsprechung erforderlich, dass der Beschwerdeführer die einzel-
nen Tatsachen angibt, aus denen sich die nicht vorschriftsmäßige Besetzung
des Gerichts ergibt. Handelt es sich dabei um gerichtsinterne Vorgänge, die ihm
nicht ohne Weiteres bekannt sind, muss er insoweit eine Aufklärung durch
zweckentsprechende Ermittlungen anstreben und ggf. darlegen, dass er sich
vergeblich um die Aufklärung dieser Tatsachen bemüht hat. Eine lediglich „auf
Verdacht“ behauptete nicht vorschriftsmäßige Besetzung reicht insoweit nicht
aus (vgl. Beschlüsse vom 26. März 1982 - BVerwG 9 CB 1019.81 - Buchholz
310 § 133 VwGO Nr. 36 und vom 18. Mai 1999 - BVerwG 11 B 37.98 - juris).
Wie sich aus Ziffer IV. 1. des Geschäftsverteilungsplans des Oberverwaltungs-
gerichts ergibt, werden den Senaten die aus dem Anhang A zum Geschäftsver-
teilungsplan ersichtlichen ehrenamtlichen Richterinnen und Richter und Beisit-
zerinnen und Beisitzer zugeteilt. Die Beschwerde legt weder dar, dass sie sich
um die Übermittlung des Anhangs A bemüht hat, noch, dass die im Verfahren
vor dem Oberverwaltungsgericht zugezogenen ehrenamtlichen Richter nicht die
nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen gewesen sind.
b) Die Beschwerde ist weiter der Auffassung, das Oberverwaltungsgericht habe
seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, weil es unterlassen
habe, ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob unter Maß-
gabe geänderter Voraussetzungen (Wunsch der Antragstellerin, das Einzelhan-
delsgeschäft zu erhalten, während das Einzelhandelskonzept von einer Schlie-
ßung ausgeht) das Einzelhandelskonzept der Antragsgegnerin noch tragfähig
sei.
Ein Aufklärungsmangel ist hiermit nicht dargetan. Nach ständiger Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts verletzt ein Gericht seine Pflicht zur er-
schöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von ei-
ner Beweiserhebung absieht, die ein - wie hier - anwaltlich vertretener Beteilig-
ter nicht ausdrücklich beantragt hat. Der Beweisantrag ist förmlich spätestens in
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der mündlichen Verhandlung zu stellen (Beschluss vom 11. August 1999
- BVerwG 11 B 61.98 - VIZ 2000, 27). Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu,
Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsa-
cheninstanz zu kompensieren und insbesondere Beweisanträge zu ersetzen,
die ein Beteiligter zumutbarerweise hätte stellen können, jedoch zu stellen un-
terlassen hat (stRspr; vgl. Urteil vom 23. Mai 1986 - BVerwG 8 C 10.84 -
BVerwGE 74, 222 <223 f.> = Buchholz 448.0 § 17 WPflG Nr. 7 S. 8 f.; Be-
schlüsse vom 10. Oktober 2001 - BVerwG 9 BN 2.01 - Buchholz 401.65 Hun-
desteuer Nr. 7 S. 10 f. und vom 20. Dezember 2012 - BVerwG 4 B 20.12 - juris
Rn. 6).
Die Tatsache, dass ein Beweisantrag nicht gestellt wurde, ist allerdings dann
unerheblich, wenn sich dem Tatsachengericht auch ohne ausdrücklichen Be-
weisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung hätte aufdrängen müssen. Das
setzt aber den schlüssigen Vortrag voraus, dass das Gericht auf der Grundlage
seiner Rechtsauffassung Anlass zur weiteren Aufklärung hätte sehen müssen
(stRspr; z.B. Beschluss vom 1. Februar 2011 - BVerwG 7 B 45.10 - juris
Rn. 13); sein materiell-rechtlicher Standpunkt ist auch dann maßgeblich, wenn
er rechtlichen Bedenken begegnen sollte (Urteil vom 14. Januar 1998 - BVerwG
11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; Beschlüsse vom 25. Januar 2005
- BVerwG 9 B 38.04 - NVwZ 2005, 447 = juris Rn. 21, vom 20. Dezember 2010
- BVerwG 5 B 38.10 - juris Rn. 18 und vom 20. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 7).
Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerde nicht. Sie legt nicht dar, warum
sich dem Oberverwaltungsgericht von seiner Rechtsauffassung ausgehend eine
weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen, sondern beurteilt die Frage
der weiteren Sachaufklärung aus Sicht der Antragstellerin.
Mit ihrer Rüge verkennt die Beschwerde im Übrigen auch die zeitliche Grenze
des § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Die von ihr beanstandete Passage im verfah-
rensgegenständlichen Urteil betrifft Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts
zur Frage, ob die 4. Änderung des Bebauungsplans Nr. 15 B dem Abwägungs-
gebot nach § 1 Abs. 7 BauGB gerecht wird (UA S. 12). Gemäß § 214 Abs. 3
Satz 1 BauGB ist für die Abwägung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
Beschlussfassung über den Änderungsbebauungsplan maßgebend. Bis zu die-
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sem Zeitpunkt hatten aber nach den für den Senat bindenden Feststellungen
des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) weder die Antragstellerin
noch deren Rechtsvorgänger Einwendungen gegen die 4. Änderung des Be-
bauungsplans Nr. 15 B erhoben (UA S. 5). Der (offensichtlich nach Satzungs-
beschluss entstandene) Wunsch der Antragstellerin, das Einzelhandelsgeschäft
zu erhalten, war daher für die Abwägungsentscheidung nicht mehr von Bedeu-
tung und musste deshalb vom Oberverwaltungsgericht bezüglich seiner Folgen
für das Einzelhandelskonzept der Antragsgegnerin auch nicht aufgeklärt wer-
den.
c) Ferner liegt keine „aktenwidrige“ Entscheidung vor.
Die Verfahrensrüge, das Gericht habe den Sachverhalt „aktenwidrig“ festge-
stellt, betrifft den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und das Gebot der
sachgerechten Ausschöpfung des vorhandenen Prozessstoffes (§ 86 Abs. 1,
§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie bedingt die schlüssig vorgetragene Behaup-
tung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächli-
chen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Wider-
spruch gegeben (Beschluss vom 19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 -
Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1 = juris Rn. 6). Nach der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts muss dieser Widerspruch offensichtlich sein,
so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des Sachverhalts nicht
bedarf; der Widerspruch muss „zweifelsfrei“ sein (z.B. Urteil vom 2. Februar
1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338). Diese Voraussetzungen sind
durch die Beschwerde nicht dargetan.
(1) Die Klägerin rügt, das Gericht habe den Sachverhalt „aktenwidrig“ festge-
stellt, weil es davon ausgehe, dass die Antragsgegnerin - mangels entspre-
chender Einwendungen des Grundstückseigentümers - keinen Anlass gehabt
habe, sich konkret mit dessen Wunsch, einen Discount-Markt zu betreiben, wei-
ter zu beschäftigen. Dieser Umstand hätte wenigstens beim Bebauungsplan Nr.
15 C eine differenzierte Auseinandersetzung erfordert. Insofern verkennt die
Beschwerde allerdings, dass der Normenkontrollantrag gegen die 4. Änderung
des Bebauungsplans Nr. 15 C vom Oberverwaltungsgericht bereits wegen feh-
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lender Antragsbefugnis als unzulässig abgelehnt worden ist. Fragen der Abwä-
gung, die in der Begründetheitsprüfung zu erörtern sind, stellten sich daher in-
sofern nicht mehr.
(2) Mit der Rüge, aktenwidrig habe das Gericht unbeachtet gelassen, dass in
dem Einzelhandelskonzept der B.-G. AG auf Seite 58 der Marktzone 1 eine
positive Zentralität, mithin ein Kaufkraftzufluss zugesprochen worden sei, wird
schon kein Widerspruch zwischen den Feststellungen des Oberverwaltungsge-
richts und dem Akteninhalt aufgezeigt.
d) Der Beschwerde kann schließlich auch nicht gefolgt werden, soweit sie eine
Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes rügt. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1
VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis
des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Grundsätze der Beweiswürdi-
gung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen
(vgl. nur Beschluss vom 14. Juli 2010 - BVerwG 10 B 7.10 - Buchholz 310
§ 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4). Die Freiheit der richterlichen Überzeugungs-
bildung mit der Folge des Vorliegens eines Verfahrensfehlers ist aber dann
überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung
nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner
Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder akten-
widrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolge-
rungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür ge-
prägt sind; diese Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als Ver-
fahrensmängel gerügt werden (vgl. Beschlüsse vom 28. März 2012 - BVerwG
8 B 76.11 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 76 Rn. 8, vom 13. Februar 2012
- BVerwG 9 B 77.11 - NJW 2012, 1672 Rn. 7, vom 17. Mai 2011 - BVerwG 8 B
98.10 - juris Rn. 8 und vom 25. Juni 2012 - BVerwG 7 BN 6.11 - juris Rn. 13,
jeweils m.w.N.). Der Einwand der Antragstellerin, das Gericht habe gegen den
Überzeugungsgrundsatz verstoßen, weil es - trotz fehlender Anhaltspunkte in
den Akten - zu der Überzeugung gelangt sei, der von der Antragstellerin betrie-
bene Einzelhandel sei nicht überlebensfähig, genügt den Anforderungen an die
Darlegung eines solchen Verfahrensfehlers nicht. Er erschöpft sich vielmehr in
der Kritik an der Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Gatz
Petz
Dr. Decker
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