Urteil des BVerwG vom 23.07.2003

Bekanntmachung, Bebauungsplan, Grünfläche, Nichtigkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 36.03
VGH 3 N 1249/01
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Juli 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. L e m m e l , H a l a m a
und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom
20. März 2003 wird zurückgewiesen.
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Die Antragsteller zu 1 und 2 und die Antragsteller zu 3 und 4 tragen
die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zur Hälfte als Gesamt-
schuldner.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren
auf 100 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde der An-
tragsteller bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund, der die
Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.
1. Die Beschwerde macht geltend, rechtsgrundsätzliche Bedeutung habe die Frage, "ob die
Auslegung eines Bebauungsplans den Anforderungen des § 3 Abs. 2 BauGB entspricht,
wenn bei Überschneidung von Bekanntmachungsfrist und Offenlegungsfrist zwar die vorge-
schriebene Dauer der Auslegung, nicht jedoch die Bekanntmachungsfrist von einer Woche
eingehalten wird". Dem ist nicht zu folgen.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Frage missverständlich formuliert ist. Es geht hier
um eine Offenlegung nach § 3 Abs. 2 BauGB, bei der am 16. November 1998 bekannt ge-
macht worden ist, dass der Planentwurf vom 23. November bis zum 23. Dezember 1998 öf-
fentlich ausliege. Entscheidungserheblich - und so auch von der Beschwerde gemeint - ist
deshalb allein, ob die Nichteinhaltung der Bekanntmachungsfrist des § 3 Abs. 2 Satz 2
BauGB auch dann zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen kann, wenn die (bekannt
gemachte) Auslegungszeit so bemessen ist, dass der Zeitraum zwischen der Bekanntma-
chung der Auslegung und deren (bekannt gemachtem) Ende insgesamt sowohl die Wochen-
frist des § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB als auch die Mindestfrist von einem Monat für die Ausle-
gung gemäß Satz 1 der Vorschrift umfasst. Um einen Tag verkürzt ist hier nämlich die Be-
kanntmachungsfrist, weil die Wochenfrist des § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB erst am Tage nach
der Bekanntmachung beginnt, während die Mindestfrist des § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB um
einen Tag überschritten ist, weil bei der Berechnung dieser Frist der erste Tag der Ausle-
gung mitzuzählen ist (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe
des Bundes vom 6. Juni 1972 - GmS-OGB 2/71 - BVerwGE 40, 363).
Die so präzisierte Frage hat das Normenkontrollgericht zu Recht bejaht. Für diese Beurtei-
lung bedarf es nicht erst der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Zulassung einer
"Kompensation" (vgl. Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 3 Rn. 41) ist dann
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unbedenklich, wenn dem interessierten Bürger durch eine formell fehlerhafte Bekanntma-
chung der Auslegung des Planentwurfs sein gesetzlicher Anspruch auf Einsicht in die Pla-
nungsunterlagen im Ergebnis nicht verkürzt wird. Das ist der Fall, wenn die Fristen des § 3
Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BauGB insgesamt eingehalten werden und wenn sich die längere
Auslegung auch bereits aus der Bekanntmachung ergibt. Diese Rechtsauffassung wird seit
Jahrzehnten in Literatur und Rechtsprechung allgemein vertreten (vgl. z.B. Dolde, NJW
1975, 21 <26>; Beninde, BauR 1984, 433 ff.; Bielenberg, a.a.O.; Battis, in: Battis/
Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl. 2002, § 3 Rn. 14, jeweils m.w.N.; OVG Lüneburg, Be-
schluss vom 23. März 1984 - 1 C 10/83 - BRS 42 Nr. 24). Die vom Verwaltungsgerichtshof
Baden-Württemberg im Jahre 1970 geäußerten Zweifel (Beschluss vom 15. Juli 1970
- III 312/70 - BRS 23 Nr. 10) sind überholt.
2. Die Revision kann auch nicht wegen Abweichung von dem Beschluss der 3. Kammer des
1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2002 - 1 BvR 1402/01 - (DÖV
2003, 376) zugelassen werden.
Eine Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nur vor, wenn die Vorinstanz
in Anwendung derselben Rechtsvorschrift von einem in der Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder
des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Rechtssatz mit einem widersprechenden
Rechtssatz abgerückt ist. Dass eine solche Divergenz hier vorliege, trägt die Beschwerde
selbst nicht vor. Insbesondere bezeichnet sie keinen Rechtssatz, mit dem das Normenkon-
trollgericht von der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgewichen
sei. Gerügt wird vielmehr nur, dass das Normenkontrollgericht die Entscheidung des Bun-
desverfassungsgerichts nicht hinreichend berücksichtigt, deshalb erforderliche rechtliche
Prüfungen zu Unrecht unterlassen und daher verkannt habe, dass die Antragsgegnerin unter
Verstoß gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Beurteilung des
Abwägungsvorgangs das Verhältnismäßigkeitsprinzip völlig außer Acht gelassen habe.
Selbst wenn diese Beurteilung zutreffend wäre, würde sich aus ihr nicht der Revisionszulas-
sungsgrund der Abweichung ergeben.
Darüber hinaus geht das Normenkontrollgericht auch in der Sache von keinem anderen
rechtlichen Ansatz als das Bundesverfassungsgericht aus. Nach der Rechtsauffassung des
Normenkontrollgerichts kommt es bei der Prüfung der Abwägungsentscheidung der An-
tragsgegnerin maßgeblich darauf an, ob die für die planerische Entscheidung sprechenden
Belange gewichtige private Belange wie die Ausnutzung grundrechtlich verbürgten Eigen-
tums zurückdrängen können. Das Normenkontrollgericht führt unter Bezugnahme auf die
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Festsetzungen des Bebauungsplans und seine Begründung im Einzelnen aus, weshalb sich
die Antragsgegnerin "auch unter Berücksichtigung des hohen Stellenwerts, den das verfas-
sungsrechtlich verbürgte Grundeigentum genießt", noch im Rahmen des ihr eingeräumten
planerischen Gestaltungsspielraums halte. Es billigt das planerische Ziel, die Bachaue künf-
tig von weiterer als der bereits vorhandenen Bebauung freizuhalten, und verneint sinngemäß
einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil die betroffenen Grundstücke
bisher überwiegend und insoweit auch zusammenhängend nicht bebaut seien. Die hiervon
abweichende Wertung der Beschwerde führt nicht zum Zulassungsgrund der Divergenz.
3. Zu Unrecht macht die Beschwerde geltend, die Entscheidung des Normenkontrollgerichts
weiche von den Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Januar 1994 - BVerwG
4 NB 30.93 - (NVwZ 1994, 684) und vom 17. Juli 2001 - BVerwG 4 B 55.01 - (BRS 64 Nr. 29)
ab. Die Beschwerde entnimmt diesen Entscheidungen - zu Recht - den Rechtssatz, dass
unterschiedliche Festsetzungen für ein und dieselbe Fläche als wirksamer Beitrag zur
Ordnung der baulichen Nutzung ausscheiden, wenn sie sich gegenseitig ausschließen. Sie
irrt jedoch, wenn sie annimmt, das Normenkontrollgericht vertrete eine andere Auffassung.
Im Gegenteil ergibt sich aus der Nichtigkeitsfeststellung im ersten Satz des Urteilstenors,
dass auch nach der Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts widersprüchliche Fest-
setzungen für ein Grundstück unzulässig sind.
Tatsächlich rügt die Beschwerde etwas anderes: Sie wendet sich dagegen, dass das Nor-
menkontrollgericht einen nur scheinbaren Widerspruch angenommen und deshalb auch nur
klarstellend die Nichtigkeit der Festsetzungen über Art und Maß der baulichen Nutzung auf
den Flächen festgestellt hat, auf denen nach seiner Auslegung des Bebauungsplans eine
bauliche Nutzung ausgeschlossen ist. Um diese Frage ging es in den Entscheidungen des
Senats vom 4. Januar 1994 und vom 17. Juli 2001 (a.a.O.) nicht; auch insoweit ist deshalb
der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht gegeben. Darüber hinaus steht die
Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts tendenziell nicht etwa im Gegensatz, sondern
in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass bei Un-
gereimtheiten gemeindlicher Satzungen zunächst einmal zu prüfen sei, ob sie sich durch
Auslegung überwinden lassen. So hat der Senat beispielsweise den Rechtssatz, dass bei
Zeichen in einem Bebauungsplan normalerweise davon auszugehen sei, dass sie als Fest-
setzungen gewollt seien, dahingehend eingeschränkt, dass er nicht bei einem offenkundigen
Versehen gelte (Beschluss vom 4. Januar 1994, a.a.O.). Im vorliegenden Fall hat das Nor-
menkontrollgericht in tatrichterlicher Würdigung des streitigen Bebauungsplans die mit der
Festsetzung einer privaten Grünfläche unvereinbaren Festsetzungen als Redaktionsverse-
hen und deshalb als unbeachtlich angesehen. Dagegen ist nichts zu erinnern.
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4. Die geltend gemachte Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
19. September 2002 - BVerwG 4 CN 1.02 - (BVerwGE 117, 58 <63>) könnte nur vorliegen,
wenn die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung, den Bebauungsplan erst nach
Klärung von Entschädigungsfragen bekannt machen zu lassen, noch eine abwägende Ent-
scheidung erfordert hätte. Davon geht das Normenkontrollgericht jedoch nicht aus; es wertet
die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung als einen "Nichtbekanntmachungsbe-
fehl". Unter dieser Voraussetzung stimmt der rechtliche Ansatz des Normenkontrollgerichts
mit dem des Bundesverwaltungsgerichts in der o.a. Entscheidung überein. Ob das Normen-
kontrollgericht die Voraussetzung richtig beurteilt hat, lässt sich nicht mit der geltend ge-
machten Divergenzrüge in Zweifel ziehen.
5. Ob die Aufklärungsrüge den Darlegungsanforderungen genügt, ist zweifelhaft. Welche
entscheidungserheblichen konkreten Tatsachen, von denen das Normenkontrollgericht nicht
in seiner Entscheidung bereits ausgegangen ist, bei der vermissten Ortsbesichtigung fest-
gestellt worden wären, lässt sich der Beschwerde kaum entnehmen. Dass der Westerbach
"keine Auefunktion" mehr habe, ist keine reine Tatsachenbehauptung, sondern enthält Wer-
tungen. Ebenso wenig deutlich ist, welche tatsächlichen Feststellungen bei einer Ortsbesich-
tigung zu der Behauptung, die als Grünfläche festgesetzten Grundstücke würden nicht als
zusammenhängend wahrgenommen, hätten getroffen werden können.
Diese Fragen können jedoch offen bleiben. Denn die Beschwerde trägt nicht vor, dass die
Antragsteller in der mündlichen Verhandlung eine Ortsbesichtigung beantragt haben. Ein
solcher Antrag wäre jedoch nur dann überflüssig gewesen, wenn sich dem Normenkontroll-
gericht die Notwendigkeit einer Ortsbesichtigung auch ohne einen entsprechenden Antrag
hätte aufdrängen müssen. Davon kann jedoch hier keine Rede sein. Dem Normenkontrollge-
richt lagen die Planungsunterlagen der Antragsgegnerin vor, aus denen sich die Örtlichkeit
ergab. Unstreitig war ferner, dass sich die Bachaue nicht mehr in einem unberührten Zu-
stand befand; ein Ziel der Planung bestand gerade in dem "naturnahen Ausbau" des
Westerbachs (Urteil S. 11). Wenn die sich aus den Verwaltungsvorgängen und den Schrift-
sätzen der Prozessbeteiligten ergebende Tatsachengrundlage nach Ansicht der Antragsteller
gleichwohl unzutreffend war, hätten sie dies substantiiert vortragen und in der mündlichen
Verhandlung unter Beweis stellen müssen.
6. Die Einwendungen der Beschwerde gegen die Tenorierung sind unbegründet. Das Nor-
menkontrollgericht ist davon ausgegangen, dass die im Urteilstenor für nichtig erklärten
Festsetzungen aus einem früheren Planentwurf stammten und von der Antragsgegnerin
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nicht gewollt waren. Es hat sie wie ein Redaktionsversehen behandelt und die Antragsgeg-
nerin lediglich zur Klarstellung verpflichtet, ihre Unbeachtlichkeit durch Feststellung ihrer
Nichtigkeit bekannt zu machen. Im Übrigen hat das Normenkontrollgericht den Bebauungs-
plan für fehlerfrei gehalten und den Normenkontrollantrag abgelehnt. Weshalb auf der
Grundlage dieser materiellen Rechtsauffassung die Tenorierung der Normenkontrollent-
scheidung fehlerhaft sein sollte, ist nicht erkennbar. Das Vorbringen der Beschwerde ist nur
nachvollziehbar, wenn man es nicht als gegen die Tenorierung, sondern als gegen die (ma-
terielle) Entscheidung gerichtet ansieht; insoweit legt die Beschwerde jedoch mit ihrer Rüge
keinen Zulassungsgrund - nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 1 VwGO - dar.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 VwGO. Den Wert des Streitge-
genstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG
Lemmel Halama Jannasch
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Bauplanungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BauGB § 1 Abs. 6, § 3 Abs. 2
Stichworte:
Bebauungsplan; Auslegung des Planentwurfs; Bekanntmachungsfrist; Kompensation; Ab-
wägung; Privateigentum; Festsetzungen, widersprüchliche.
Leitsatz:
Eine Verkürzung der Bekanntmachungsfrist für die Auslegung des Entwurfs eines Bebau-
ungsplans ist für seine Wirksamkeit unerheblich, wenn die (bekannt gemachte) Dauer der
Auslegung so bemessen ist, dass die Mindestfristen des § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauGB für
Bekanntmachung und Auslegung des Entwurfs insgesamt eingehalten werden.
Beschluss des 4. Senats vom 23. Juli 2003 - BVerwG 4 BN 36.03
I. VGH Kassel vom 20.03.2003 - Az.: VGH 3 N 1249/01 -