Urteil des BVerwG vom 03.08.2005

Bebauungsplan, Regionalplan, Gemeinde, Raumordnung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 35.05
OVG 1 KN 9/03
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. August 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht G a t z und die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:
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Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts vom 20. Januar 2005 wird zurückge-
wiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 390 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungstatbestände des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nicht begründet. Das Normen-
kontrollurteil weicht nicht von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom
17. Dezember 2002 - BVerwG 4 C 15.01 - (BVerwGE 117, 287 = NVwZ 2003, 733)
und vom 28. Februar 2002 - BVerwG 4 CN 5.01 - (NVwZ 2002, 1114) ab.
Die Beschwerde bezieht sich auf die Ausführungen in diesen Urteilen zu der Befug-
nis einer Gemeinde, in der Bauleitplanung für die Zulässigkeit emittierender Anlagen
über die bloße Gefahrenabwehr nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG hinaus auch
Gesichtspunkte des vorsorgenden Immissionsschutzes (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
BImSchG) zu berücksichtigen, soweit dies städtebaulich begründet werden kann,
also insbesondere abwägungsfehlerfrei erfolgt. Das Normenkontrollgericht hat seiner
Entscheidung keinen davon abweichenden Rechtssatz zugrunde gelegt, auch nicht
- wie die Beschwerde meint - sinngemäß.
Das Normenkontrollgericht hält den angegriffenen Bebauungsplan u.a. für unwirk-
sam, weil er gegen das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB verstoße. Die An-
tragsgegnerin habe den Plan nicht an die Ziele der Raumordnung angepasst, näm-
lich an die in dem maßgebenden Regionalplan enthaltene Zielausweisung eines
ca. 30 ha großen Eignungsraums für die Windenergienutzung auf ihrem Gemeinde-
gebiet. Der Bebauungsplan verfehle dieses Ziel deutlich, weil er nur auf einer Fläche
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von unter 3 ha die Errichtung von Windenergieanlagen zulasse. Die im Regionalplan
angeführten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer flächenmäßigen Einschrän-
kung des Eignungsraums seien hier nicht gegeben (Urteilsabdruck S. 10). Fragen
des vorsorgenden Immissionsschutzes waren also für das Normenkontrollgericht
- zu Recht - ohne Bedeutung, weil die Befugnis, mit Mitteln der Bauleitplanung Vor-
sorge im Sinne der erwähnten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts zu betreiben,
ihre Grenze an entgegenstehenden raumordnerischen Zielvorgaben findet, sofern
diese ihrerseits - was das Normenkontrollgericht bejaht hat - wirksam sind.
Auch soweit das Normenkontrollgericht eine Verletzung des Abwägungsgebots (§ 1
Abs. 6 BauGB a.F., § 1 Abs. 7 BauGB n.F.) angenommen hat (Urteilsabdruck
S. 17 f.), hat es sich mit dem Fragenkreis des bauleitplanerischen vorsorgenden Im-
missionsschutzes nicht befasst, sondern den Bebauungsplan für abwägungsfehler-
haft angesehen, weil er eine sogenannte Verhinderungsplanung darstelle.
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde
beimisst (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf, "ob es der Ge-
meinde verwehrt ist, die Eignungsräume der Raumordnung dann (verkleinernd) zu
konkretisieren, wenn die Flächenfindung auf raumordnerischer Ebene den Aspekt
des vorbeugenden Immissionsschutzes nicht berücksichtigt". Dieses Vorbringen führt
schon deshalb nicht auf einen Zulassungsgrund, weil es einen Sachverhalt zugrunde
legt, der im Normenkontrollurteil nicht festgestellt ist. Den Ausführungen des
Normenkontrollgerichts zum Inhalt des maßgebenden Regionalplans lässt sich nicht
entnehmen, dass der genannte Gesichtspunkt bei der Ausweisung des Eig-
nungsraums keine Berücksichtigung gefunden hätte. Im Gegenteil lassen die um-
fangreichen Regelungen des Regionalplans über die Voraussetzungen, unter denen
die kleinräumige Steuerung und flächenmäßige Einschränkung des Eignungsraums
durch die Bauleitplanung zulässig sind, grundsätzlich auch Raum für immissions-
schutzrechtliche Vorsorgeerwägungen. Ob solche Erwägungen eine Flächenreduzie-
rung oder andere Einschränkungen ohne Verstoß gegen die raumordnerische An-
passungspflicht ermöglichen, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
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3. Das Normenkontrollurteil kann schließlich nicht wegen des behaupteten Mangels
unzureichender Sachaufklärung (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 86 Abs. 1 VwGO) zugelassen
werden.
Die Beschwerde ist der Auffassung, die Flächengröße des im Regionalplan ausge-
wiesenen Eignungsraums betrage nicht, wie vom Normenkontrollgericht angenom-
men, ca. 30 ha, sondern lediglich knapp 20 ha. Dies sei vom Bürgermeister der An-
tragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung auch vorgetragen worden. Zum
Nachweis dafür habe der Bürgermeister auf mitgebrachte Aktenunterlagen Bezug
genommen, aus denen sich die wirkliche (geringere) Flächengröße ergebe. Eine
Einsicht in diese Unterlagen habe der Berichterstatter als nicht erforderlich abge-
lehnt. Da das Urteil zur Begründung des Abwägungsfehlers nach § 1 Abs. 6 BauGB
mehrfach auf das im Vergleich zum Regionalplan erhebliche Ausmaß der im Bebau-
ungsplan vorgenommenen Flächenreduzierung - 30 ha zu nur noch 3 ha - abgeho-
ben habe, habe das Normenkontrollgericht Beweis über die Flächengröße des Eig-
nungsraums erheben müssen.
Dieses Vorbringen ist schon deshalb nicht geeignet, einen Verfahrensmangel im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darzutun, weil es eine nicht entscheidungser-
hebliche und deshalb auch nicht aufklärungsbedürftige Tatsache betrifft. Selbst wenn
man mit der Beschwerde davon ausgehen müsste, dass das Normenkontrollgericht
das Vorliegen eines Abwägungsfehlers bei Zugrundelegen einer Flächengröße von
nur ca. 20 ha möglicherweise anders beurteilt hätte, würde das angefochtene Urteil
nicht auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen. Denn das Urteil ist in
selbständig tragender Weise auch darauf gestützt, dass der Bebauungsplan wegen
einer Verletzung des Anpassungsgebots nach § 1 Abs. 4 BauGB unwirksam ist. Zu
diesem Begründungsteil trägt die Beschwerde selbst nicht vor, dass die Frage, ob die
Flächengröße 30 ha oder nur 20 ha beträgt, nach der insoweit maßgeblichen
materiellrechtlichen Auffassung des Normenkontrollgerichts entscheidungserheblich
gewesen sein kann. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Vielmehr behandelt das
Normenkontrollurteil (Abdruck S. 10 - 17) in diesem Zusammenhang selbständig tra-
gend die seiner Ansicht nach zu großzügigen und sachlich nicht gerechtfertigten Ab-
stände zwischen den Standorten der Windenergieanlagen und den verschiedenen
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bebauten Bereichen sowie Fragen des Schutzes des Orts- und Landschaftsbildes
und der Erholungsfunktion der Landschaft.
Überdies müsste die Zulassung der Revision an einem weiteren Gesichtspunkt
scheitern. Die Sachaufklärungsrüge ist nur dann ordnungsgemäß dargelegt (§ 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO), wenn u.a. die Maßnahme substantiiert bezeichnet wird, die
das Tatsachengericht zur Aufklärung entscheidungserheblicher Tatsachen hätte er-
greifen müssen. Hierzu trägt die Beschwerde nichts vor. Sollte sie so zu verstehen
sein, dass die vermisste Aufklärungsmaßnahme in der Beiziehung und Berücksichti-
gung der vom Bürgermeister der Antragsgegnerin in die mündliche Verhandlung mit-
gebrachten Akten zu sehen ist, würde das die Anforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO nicht erfüllen. Dem Beschwerdegericht ist es ohne nähere Darlegung
dazu, um welche Unterlagen es sich handelt und weshalb diese Unterlagen geeignet
sein können, die genaue Flächengröße zu erkennen, nicht möglich zu beurteilen, ob
das Normenkontrollgericht zu einer Einsicht in diese Akten verpflichtet gewesen wä-
re. Auch der Hinweis der Beschwerde auf ein Schreiben des Chefs der Staatskanzlei
vom 9. Mai 1999 hilft diesem Darlegungsmangel nicht ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streit-
werts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Gatz Dr. Philipp