Urteil des BVerwG vom 26.11.2009

Begründung des Urteils, Verfahrensmangel, Satzung, Grundstück

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 31.09
VGH 5 S 1054/08
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. November 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsge-
richtshofs Baden-Württemberg vom 8. April 2009 wird zu-
rückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die „Klarstellungs- und Ergänzungssatzung“ der
Antragsgegnerin und die hierzu ergangene 1. Änderungssatzung aus zwei
selbständig tragenden Gründen für rechtswidrig gehalten. Zum einen hat er
angenommen, dass die Satzungen unter einem beachtlichen Verfahrensmangel
im Sinne einer Bewertungsfehleinschätzung (§ 2 Abs. 3, § 214 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 BauGB) leiden, weil die Antragsgegnerin die Interessen der Antragsteller
zu 1 bis 3 nicht ihrer Bedeutung entsprechend in die Abwägung eingestellt habe
(UA S. 14 ff.). „Außerdem“ hat er die Auffassung vertreten, dass die
Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB nicht gegeben seien,
wonach eine Ergänzungssatzung nur zur Einbeziehung einzelner Außenbe-
reichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile ergehen dürfe und
die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden (In-
nen-) Bereichs entsprechend geprägt sein müssten; weder bilde die Bebauung
(auf den einbezogenen Flächen) östlich des Grundstücks D.straße 10, zu der
auch die Wohn- und Wirtschaftsgebäude der Antragsteller gehörten, für sich
genommen einen Ortsteil, noch sei ein Bebauungszusammenhang mit dem
westlich gelegenen, mit dem Anwesen D.straße 10 und der Bebauung an der
R.straße beginnenden Ortsteil gegeben; fehle es aber im Bereich der östlichen
D.straße bereits an einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil, könne ein sol-
cher auch die bauliche Nutzung des angrenzenden (Außen-) Bereichs nicht
prägen, so dass es zwangsläufig auch an dieser weiteren Voraussetzung für
den Erlass einer Ergänzungssatzung fehle (UA S. 18 ff.). Ist die vorinstanzliche
Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so
kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Be-
gründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (vgl.
Beschluss vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310
§ 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4; stRspr). Daran fehlt es hier.
Hinsichtlich der als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Frage, wel-
che materiellen Anforderungen an eine Ergänzungssatzung gemäß § 34 Abs. 4
Satz 1 Nr. 3 BauGB zu stellen sind (Beschwerdebegründung S. 9), möchte die
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Antragsgegnerin zum einen rechtsgrundsätzlich geklärt haben, ob eine Bebau-
ung, die für sich genommen keinen Ortsteil darstellt und auch in keinem Be-
bauungszusammenhang zu einem Ortsteil steht, durch eine Ergänzungssat-
zung gemäß § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB in einen Ortsteil einbezogen wer-
den kann. Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie ist
schon nicht entscheidungserheblich, weil der Verwaltungsgerichtshof festge-
stellt hat, dass weder die Bebauung östlich des Grundstücks D.straße 10 sich
genommen einen Ortsteil bilde noch ein Bebauungszusammenhang mit dem
westlich gelegenen, mit dem Anwesen D.straße 10 und der Bebauung an der
R.straße beginnenden Ortsteil gegeben sei (UA S. 20 ff.). Abgesehen davon
wäre die Frage auch nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Sie lässt sich bereits
nach dem Wortlaut der Vorschrift eindeutig bejahen. Hiernach kann die Ge-
meinde „einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten
Ortsteile einbeziehen“. Bei den einzubeziehenden Flächen muss es sich also
um Flächen handeln, die dem bauplanungsrechtlichen Außenbereich im Sinne
des § 35 BauGB zuzuordnen sind, mithin demjenigen Bereich, der weder in-
nerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines qualifizierten Bebauungsplans
im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB noch innerhalb der im Zusammenhang be-
bauten Ortsteile im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB liegt (vgl. die Legaldefinition
in § 19 Abs. 1 Nr. 3 BauGB in der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fas-
sung).
Der Sache nach rügt die Antragsgegnerin auch, der Verwaltungsgerichtshof
stelle bei der Frage, ob die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung
des angrenzenden (Innen-) Bereichs entsprechend geprägt seien, auf die fal-
schen Bezugsflächen ab (Beschwerdebegründung S. 11). Es kann dahingestellt
bleiben, ob die im Berufungsurteil verwendete Formulierung, dass, weil es im
(einbezogenen) Bereich der östlichen D.straße bereits an einem im Zusam-
menhang bebauten Ortsteil fehle, ein solcher auch die bauliche Nutzung des
angrenzenden (Außen-) Bereichs nicht prägen könne, mit der Beschwerde tat-
sächlich so zu verstehen ist, dass der Verwaltungsgerichtshof auf den prägen-
den Einfluss der im Außenbereich bestehenden Bebauung und nicht - wie es
die Antragsgegnerin für richtig hält - des Ortsteils abgestellt habe, dessen Exis-
tenz auch der Verwaltungsgerichtshof bestätigt habe. Denn der Verwaltungsge-
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richtshof legt seiner Prüfung zugrunde, dass es im Rahmen des § 34 Abs. 4
Satz 1 Nr. 3 BauGB auf die Prägung der einbezogenen Flächen durch den im
Zusammenhang bebauten Ortsteil ankommt (UA S. 20). Im Übrigen bedarf es
nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens um den Maßstab gemäß
§ 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB zu bestimmen: Die Prägung von Grundstücks-
flächen durch eine umgebende Bebauung ist gerade das Charakteristikum der
zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil gehörenden Flächen (vgl. Jäde,
in: Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB/BauNVO, 5. Aufl. 2007, Rn 51 zu § 34). Aus
diesem Grunde macht § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB die Einbeziehung von
Außenbereichsflächen davon abhängig, dass die im Zusammenhang bebauten
Ortsteile auch diese im Außenbereich gelegenen Flächen sachlich und räumlich
prägen und deshalb auch insoweit eine Plan ersetzende Maßstabsfunktion
entfalten können (vgl. z.B. Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Rn 117
zu § 34).
Da somit jedenfalls hinsichtlich des zweiten Begründungselements des Beru-
fungsurteils - das Nichtvorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des
§ 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB - ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegt, führen die Grundsatzrügen der An-
tragsgegnerin insgesamt nicht zum Erfolg, weil das erste Begründungselement
- ein beachtlicher Verfahrensmangel gemäß § 2 Abs. 3, § 214 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 BauGB - hinweggedacht werden kann, ohne dass sich der Ausgang des
Verfahrens ändert.
2. Der mit der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO) führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Das Normenkon-
trollurteil verstößt nicht gegen § 117 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Urteilsformel ist
hinreichend bestimmt.
Im Tenor des Urteils werden die Klarstellungs- und Ergänzungssatzung, „soweit
sie sich auf Flächen entlang der östlich des Grundstücks D.straße 10 verlau-
fenden D.straße erstreckt“, sowie die 1. Änderungssatzung für unwirksam er-
klärt. Die Antragsgegnerin macht geltend, östlich des Grundstücks D.straße 10
existiere ausweislich der Lagepläne keine Straße; diese verlaufe vielmehr west-
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lich des Grundstücks D.straße 10. Dieser Fehler lasse sich auch nicht im Wege
der Auslegung korrigieren. Aus der Begründung des Urteils ergebe sich, dass
der für unwirksam zu erklärende Teilbereich an der östlichen Grenze des
Grundstücks D.straße 10 zum Grundstück Fl.Nr. ../7 beginne. Dieser Bezugs-
punkt mache jedoch keinen Sinn, weil die Flächen östlich des Grundstücks
Fl.Nr. ../7 außerhalb des Geltungsbereichs der Satzung lägen. Möglicherweise
habe der Verwaltungsgerichtshof nur den Teil der Satzung für unwirksam erklä-
ren wollen, der sich nördlich bzw. nordöstlich des Grundstücks D.straße 10 be-
finde. Eine solche Auslegung kollidiere jedoch mit dem klaren Wortlaut des Te-
nors.
Ein Verstoß des Normenkontrollurteils gegen § 117 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ergibt
sich hieraus nicht. Der Urteilstenor ist bereits für sich genommen hinreichend
bestimmt. Er bezieht sich auf Flächen entlang der D.straße, die vom Geltungs-
bereich der Satzung umfasst sind, und macht deutlich, dass das Grundstück
D.straße 10 die Trennmarke im Verlauf der D.straße sein soll. Unschärfen er-
geben sich allenfalls insoweit, als die D.straße im betreffenden Bereich nicht
durchgängig östlich des Grundstücks D.straße 10 verläuft. Zweifel an dem, was
gemeint ist, ergeben sich mit Blick auf die definierte Trennmarke D.straße 10
gleichwohl nicht. Das gilt erst recht unter Berücksichtigung der Entscheidungs-
gründe, die bei der Auslegung der Urteilsformel herangezogen werden können
und müssen (Urteile vom 17. Dezember 1963 - BVerwG 2 C 20.63 - BVerwGE
17, 293, 299 und vom 28. Oktober 1981 - BVerwG 8 C 4.81 - Buchholz 406.11
§ 123 BBauG Nr. 21; stRspr). Dort wird die Urteilsformel weiter dahin präzisiert,
dass „der für unwirksam zu erklärende Teilbereich … an der östlichen Grenze
des Grundstücks D.straße 10 zum Grundstück Fl.Nr. ../7“ beginne.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Bumke
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