Urteil des BVerwG vom 25.07.2005

Rüge, Überprüfung, Subsumtion, Überzeugung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 31.05
OVG 7 D 103/04.NE
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juli 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht G a t z und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 22. April 2005 wird zurückge-
wiesen.
Die Antragsteller zu 1, 2 und 3 tragen jeweils ein Drittel der
Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 30 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde
gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde rügt in mehreren Punkten einen Verstoß gegen die Pflicht zur
Sachaufklärung. Diese Rüge greift nicht durch. Der insoweit geltend gemachte Ver-
fahrensmangel ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet,
wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner
rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird. Hinsichtlich des von der Be-
schwerde behaupteten Aufklärungsmangels hätte dementsprechend substantiiert
dargelegt werden müssen, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungs-
bedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungs-
maßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststel-
lungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich
getroffen worden wären; weiterhin hätte dargelegt werden müssen, dass bereits im
Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung,
entweder auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nun-
mehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten
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Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müs-
sen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfah-
rensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von
Beweisanträgen, zu kompensieren. Lediglich schriftsätzlich angekündigte Beweisan-
träge genügen den letztgenannten Anforderungen nicht (BVerwG, vgl. Beschluss
vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265).
Diesen Erfordernissen wird die Beschwerde nicht gerecht. Sie legt insbesondere
nicht dar, dass in der mündlichen Verhandlung auf die jetzt vermisste Sachver-
haltsaufklärung hingewirkt worden ist.
Im Übrigen zeigt die Beschwerde unter 1 a) auch nicht auf, dass es auf der Grundla-
ge der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts auf die
Frage angekommen wäre, ob in dem bereits bebauten Plangebiet ein nicht unerheb-
licher Leerstand existiert. Dies versteht sich auch nicht von selbst. Denn für das
Oberverwaltungsgericht kam es auf die umstrittene - also durch die Be-
schlussfassung des Bebauungsplans verursachte - Erhöhung des Verkehrsaufkom-
mens an. Eine intensivere Ausnutzung bereits vorhandener, aber leer stehender Ge-
bäude wird jedoch nicht durch den jetzt beschlossenen Bebauungsplan hervorgeru-
fen. Den planbedingten Mehrverkehr durch die zu erwartende Bebauung der Ver-
kaufsflächen 1 und 2 hat die Vorinstanz in Rechnung gestellt (UA S. 24 f.).
Soweit die Beschwerde unter 1 b) auf die GFZ eingeht, unterstellt sie dem Oberver-
waltungsgericht ersichtlich die Behauptung, dass die GFZ von 2,0 auf 1,0 reduziert
werden könne. Eine so weitgehende Aussage enthält das angegriffene Urteil indes
nicht. Vielmehr verweist es lediglich auf eine Darstellung in der Bebauungsplanbe-
gründung (Urteil S. 24). Daher hätte die Beschwerde - neben anderem - auch näher
darlegen müssen, dass es für die Entscheidung des Normenkontrollgerichts auf die
von den Antragstellern vermisste Tatsachenfeststellung überhaupt ankam. Im Übri-
gen fehlt es an der Darlegung des Beweismittels.
Hinsichtlich der Ausführungen der Beschwerde zu 1 c) ist ergänzend darauf hinzu-
weisen, dass das Normenkontrollgericht aus rechtlichen Erwägungen, die es auf Sei-
te 26 (unten) seines Urteils näher darlegt, davon ausgeht, dass die Auswirkungen
eines anderen Bebauungsplans nicht in das vorliegende Bebauungsplanaufstel-
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lungsverfahren einzubeziehen waren. Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung
brauchte das Gericht der Frage, in welcher Höhe planbedingte Verkehre der angren-
zenden Bebauungspläne entstehen, nicht nachzugehen, so dass ein Verstoß gegen
die Pflicht zur Sachaufklärung auch aus diesem Grund ausscheidet.
2. Die Beschwerde rügt ferner einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz.
Auch diese Rüge bleibt erfolglos. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das
Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen
Überzeugung. Die Vorschrift verpflichtet das Gericht, alle erheblichen Tatsachen
oder Beweisergebnisse zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein
Verstoß gegen diese Pflicht liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder
unvollständigen Sachverhalt ausgeht, insbesondere Umstände übergeht, deren Ent-
scheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt
es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts
und zugleich für die Überprüfung seiner Entscheidung darauf, ob die Grenze einer
die anerkannten Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze beach-
tenden Würdigung überschritten ist. Beschränkt sich der Mangel tatrichterlicher
Überzeugungsbildung auf die Würdigung von Tatsachen, ohne die rechtliche Sub-
sumtion zu berühren, gehört er nicht zum dem materiellen Recht zugeordneten Be-
reich der freien Beweiswürdigung, sondern begründet einen Verfahrensfehler, der im
Revisionsverfahren gerügt werden kann (BVerwG, Urteil vom 23. September 2004
- BVerwG 7 C 23.03 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 27 m.w.N.).
Vorliegend verneint das Normenkontrollgericht, eine mögliche Verkehrszunahme an
den Grundstücken der Antragsteller sei planbedingt, also durch die Beschlussfas-
sung des Bebauungsplans verursacht. Dabei stellt es wesentlich darauf ab, dass das
überplante Gebiet bereits weitgehend bebaut ist. Demgegenüber geht die Be-
schwerde von einem anderen rechtlichen Ansatz aus, wenn sie die Verkehrsmengen
aus "diversen Gebietsausweisungen" betrachtet und meint, diese würden sich auch
auf den Grundstücken der Antragsteller auswirken. Bereits aus diesem Grund legt sie
keinen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz dar. Daher bedarf es keiner
weiteren Ausführungen zu den an eine derartige Rüge zu stellenden Anforderungen
an die eindeutige Erkennbarkeit eines derartigen Verstoßes (vgl. BVerwG, Beschluss
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vom 19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 - Buchholz 406.11 § 153 BauGB
Nr. 1).
Die Beschwerde legt auch nicht näher dar, warum das Fehlen der Angabe eines
Prognosezeitraums in einem Verkehrsgutachten geeignet sein kann, die Richtigkeit
des angegriffenen Urteils in Frage zu stellen.
3. Aus den dargestellten Gründen scheidet auch ein Verstoß gegen das rechtliche
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) aus.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halb-
satz 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizu-
tragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO i.V.m.
§ 100 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow
Gatz
Dr. Jannasch