Urteil des BVerwG vom 02.03.2015

Rechtsverletzung, Gemeinde, Aufklärungspflicht, Nacht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 30.14
VGH 2 N 14.1217
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Decker
beschlossen:
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Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 12. August 2014 wird zu-
rückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Verfahrensfehler liegen
nicht vor.
1. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Anforderungen an die Antragsbefugnis
nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht überspannt.
Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2
Satz 1 VwGO ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen
vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die
Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird
(BVerwG, Urteil vom 30. April 2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO
Nr. 165; stRspr). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grund-
sätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es - wie vor-
liegend - um das Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) eines au-
ßerhalb des Bebauungsplangebiets wohnenden Grundstückseigentümers geht
(mittelbar Betroffener). Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tat-
sachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwä-
gung als möglich erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 24. September 1998
- 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <218 f.>). Antragsbefugt ist hiernach, wer sich
auf einen abwägungserheblichen privaten Belang berufen kann; denn wenn es
einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die
Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat (BVerwG,
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Urteile vom 30. April 2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 und
vom 16. Juni 2011 - 4 CN 1.10 - BVerwGE 140, 41; Beschluss vom 22. August
2000 - 4 BN 38.00 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 142). Die Antragsbefugnis ist
jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und ein-
deutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet (BVerwG, Urteile vom
24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <217> und vom
18. November 2002 - 9 CN 1.02 - BVerwGE 117, 209 <211>). Hiervon ist ins-
besondere auszugehen, wenn das Interesse des Betroffenen geringwertig, nicht
schutzwürdig, für die Gemeinde nicht erkennbar oder sonst makelbehaftet ist
(BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2011 a.a.O. Rn. 15 a.E.; Beschlüsse vom 28. Juni
2007 - 7 B 4.07 - juris Rn. 10 m.w.N. und vom 22. August 2000 a.a.O. S. 41).
Die Prüfung, ob das der Fall ist, ist allerdings nicht unter Auswertung des ge-
samten Prozessstoffes vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 24. September 1998
a.a.O. S. 218), und sie darf nicht in einem Umfang und in einer Intensität erfol-
gen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt (BVerwG, Beschluss vom
8. Juni 2011 - 4 BN 42.10 - BauR 2011, 1641 Rn. 8). Das Normenkontrollgericht
ist daher insbesondere nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbe-
fugnis den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Deswegen vermag die
im Laufe des Verfahrens fortschreitende Sachverhaltsaufklärung durch das
Normenkontrollgericht die Antragsbefugnis eines Antragstellers nicht nachträg-
lich in Frage zu stellen. Andererseits muss es widerstreitendes Vorbringen des
Antragsgegners, auf dessen Grundlage sich die maßgeblichen Tatsachenbe-
hauptungen in der Antragsschrift als offensichtlich unrichtig erweisen, nicht
ausblenden, sondern kann auf der Grundlage des wechselseitigen Schriftver-
kehrs darüber befinden, ob es einen abwägungserheblichen Belang des An-
tragstellers geben kann (BVerwG, Beschlüsse vom 10. Juli 2012 - 4 BN 16.12 -
UPR 2013, 31 Rn. 3 und vom 29. Juli 2013 - 4 BN 13.13 - ZfBR 2014, 159
Rn. 4).
Gemessen hieran hat der Verwaltungsgerichtshof die Antragsbefugnis zu Recht
verneint. Das Normenkontrollgericht hat (wohl) im Hinblick auf das Verkehrs-
gutachten der T. GmbH vom Juni 2012, wonach bebauungsplanbedingt für das
Anwesen des Antragstellers mit einer Verkehrsmehrbelastung von
ca. 52 Kfz/Tag (Prognose-Nullfall: 162 Kfz/Tag; Planfall H: 214 Kfz/Tag) zu
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rechnen sei, angenommen, dass der Antragsteller durch die Planung nicht ne-
gativ betroffen werde. Die Verkehrslärmerhöhungen lägen mit voraussichtlich
0,8 dB(A) tags und 0,7 dB(A) nachts deutlich unterhalb der Hörbarkeitsschwel-
le; auch würden die hilfsweise heranzuziehenden Grenzwerte nach § 2 Abs. 1
Nr. 2 der Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissions-
schutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BImSchV) bei Weitem
eingehalten (BA S. 8, 9). Letzteres hat es (wohl) der mit Schriftsatz vom 23. Mai
2014 durch die Antragsgegnerin übermittelten Stellungnahme der M. AG vom
21. Mai 2014 entnommen. Ein unzulässiger Vorgriff auf die Prüfung der Be-
gründetheit liegt darin nicht, weil der Verwaltungsgerichtshof ohne nennenswer-
ten Aufwand, vor allem ohne Rückgriff auf den Sachverstand des Urhebers die-
ser Stellungnahme, von der Richtigkeit dieser Werte ausgehen konnte. Denn es
handelt sich hierbei nur um eine auf das Grundstück des Antragstellers erfolgte
Konkretisierung der im Verkehrsgutachten der T. GmbH festgestellten Immissi-
onswerte. Dieses ging von einer bebauungsplanbedingten Verkehrslärmerhö-
hung zwischen 0,5 dB(A) am Tag bzw. in der Nacht am nördlichen Ende der
E.-straße und 1,2 bis 1,4 dB(A) tagsüber bzw. 1,2 dB(A) nachts am südlichen
Ende der E.-straße aus, hatte aber das Anwesen des Antragstellers, das etwa
in der Mitte der E.-straße liegt, nicht explizit in den Blick genommen. Den an der
Plausibilität dieser Untersuchungen geäußerten Zweifeln des Antragstellers im
Hinblick auf den durch die Bebauungsplanung ausgelösten zusätzlichen Ver-
kehr durfte das Gericht bereits bei der Prüfung der Antragsbefugnis nachgehen
und sie als nicht stichhaltig entkräften. Denn der Verwaltungsgerichtshof ist da-
von ausgegangen, dass das Verkehrskonzept nach Planfall H verbindlich ist
und hierdurch die durch die Bebauungsplanung ausgelösten Verkehrsprobleme
im Wege eines (zulässigen) Konflikttransfers einer Lösung zugeführt werden.
Dem entsprechend hat es in Bezug auf die planbedingte Zunahme der Ver-
kehrsimmissionen am Wohnhaus des Antragstellers dem Prognose-Nullfall den
Planfall H gegenüber gestellt und damit die auf den Bezugsfall abstellende Ar-
gumentation des Antragstellers verworfen.
Soweit die Beschwerde weiter rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe sich nicht
mit den geltend gemachten naturschutzrechtlichen Aspekten auseinanderge-
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setzt, legt sie nicht dar, inwiefern diese eine Antragsbefugnis des Antragstellers
zu begründen vermögen.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1
VwGO) nicht verletzt.
Wie bereits ausgeführt, ist das Normenkontrollgericht nicht befugt, für die Ent-
scheidung über die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO den Sach-
verhalt von sich aus weiter aufzuklären. Damit scheidet schon tatbestandlich
eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Decker
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