Urteil des BVerwG vom 29.09.2011

Rechtliches Gehör, Hotel, Bebauungsplan, Erwerb

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 30.11
OVG 1 C 31/08
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. September 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Petz
beschlossen:
Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom
20. April 2011 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückver-
wiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung an die Vorinstanz
begründet (§ 133 Abs. 6 VwGO).
Die Antragstellerin wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen den Be-
bauungsplan „Heiterer Blick“ - 1. Änderung - der Antragsgegnerin, die für das
Grundstück der Antragstellerin ein „sonstiges Sondergebiet Hotel“ festsetzt.
Ihren Antrag, den Bebauungsplan - 1. Änderung - für unwirksam zu erklären,
hat das Oberverwaltungsgericht abgelehnt.
Die Antragstellerin beanstandet mit der Verfahrensrüge, dass das Oberverwal-
tungsgericht ihr Vorbringen, die festgesetzte Grundstücksnutzung sei unwirt-
schaftlich, nicht berücksichtigt habe. Die Rüge, die die Antragstellerin als Auf-
klärungsrüge versteht, enthält sinngemäß auch den Vorwurf, das Oberverwal-
tungsgericht habe ihren Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs ver-
letzt. Mit diesem Vorwurf sind die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO dargetan.
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Das Gebot, gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO rechtliches Gehör
zu gewähren, verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteilig-
ten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu
ziehen (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205
<216>; stRspr). Das Gericht ist zwar nicht gehalten, das gesamte Vorbringen in
den Entscheidungsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichts-
punkt Stellung zu nehmen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist aber jeden-
falls dann verletzt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen,
dass das Gericht zentrale Argumente eines Beteiligten nicht zur Kenntnis ge-
nommen oder sich mit ihnen nicht auseinander gesetzt hat (Urteil vom 13. Mai
1976 - BVerwG 2 C 26.74 - Buchholz 237.4 § 35 HmbBG Nr. 1). So liegt es
hier.
Das Oberverwaltungsgericht hat zwar im Tatbestand seines Urteils den Vortrag
der Antragstellerin wiedergegeben, ein wirtschaftlicher Hotelbetrieb sei unmög-
lich und die Antragstellerin erleide fortlaufend Verluste (UA Rn. 13 a.E.). Es hat
sich mit diesem Vorbringen bei der Abwägungskontrolle jedoch nicht auseinan-
der gesetzt. Die Antragstellerin hat schon im Verfahren der Auslegung des
Planentwurfs unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 29. September
1978 (nicht: 1987) und Angabe der Fundstelle DVBl 1979, 151 geltend ge-
macht, dass eine auf Dauer unrentable Festsetzung einem unzumutbaren und
deshalb unzulässigen Bauverbot gleichkomme. Im Normenkontrollverfahren hat
sie das Urteil vom 29. September 1978 erneut bemüht und unter Beweisantritt
behauptet, dass ein Hotel mit der vorhandenen Größe am vorgegebenen
Standort, auch als Seniorenhotel, nicht wirtschaftlich betrieben werden könne.
Aus dem von der Antragstellerin zitierten Senatsurteil ergibt sich, dass die Fest-
setzung einer Nutzung, deren Wirtschaftlichkeit auf Dauer nicht erwartet werden
könne, im Ergebnis abwägungsfehlerhaft sei. Das Normenkontrollurteil geht auf
das Urteil vom 29. September 1978 - BVerwG 4 C 30.76 - (BVerwGE 56, 283)
weder ausdrücklich noch sinngemäß ein. Bei der Kontrolle des Abwägungser-
gebnisses beschäftigt sich das Oberverwaltungsgericht nur mit der Frage, ob
die Antragstellerin beim Erwerb des Hotelgrundstücks darauf vertrauen durfte,
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das Hotel künftig als Einrichtung für betreutes Wohnen nutzen zu können (UA
Rn. 39).
Der Verfahrensfehler kann sich auf die Entscheidung der Vorinstanz ausgewirkt
haben. Wäre das Oberverwaltungsgericht dem Vorbringen der Antragstellerin
nachgegangen, hätte sich möglicherweise ein Sachverhalt herausgestellt, der
zum Erfolg des Normenkontrollantrags geführt hätte. Im Interesse der Prozess-
beschleunigung mach der Senat von seiner Befugnis nach § 133 Abs. 6 VwGO
Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur an-
derweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht
zurückzuverweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
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