Urteil des BVerwG vom 09.04.2014

Raumordnung, Ausnahme, Bestimmtheit, Eingriff

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 3.14
OVG 10 D 4/11.NE
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. April 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Decker
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungs-
gerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Okto-
ber 2013 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die
Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragsgegne-
rin beimisst.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung
einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Be-
schwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen
und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1
VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine
bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungs-
bedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu
erwarten ist (stRspr; so bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B
78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011
- BVerwG 7 B 45.10 - juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.
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Die Beschwerde hält zunächst folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürf-
tig:
„Welche Anforderungen an die Bestimmtheit eines regel-
haften Verbotstatbestandes sind erforderlich, um landes-
planerische Aussagen, die eine Regel-Ausnahme-Struktur
aufweisen, insgesamt als Ziele der Raumordnung im Sin-
ne von § 3 (Abs. 1 Nr. 2) ROG, § 1 Abs. 4 BauGB qualifi-
zieren zu können.“
Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Sie ist zu unbestimmt for-
muliert, weil sie für eine Vielzahl gedachter Fallgestaltungen einer Antwort zu-
gänglich ist. Der Senat könnte sie daher nur in der Art eines Lehrbuches be-
antworten. Das ist nicht Aufgabe eines Revisionsverfahrens. Außerdem ist die
Frage nicht dem revisiblen Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) zuzuordnen. Das Ober-
verwaltungsgericht hat in Auslegung des Regionalplans Münsterland (im Fol-
genden: Regionalplan) festgestellt, dass es sich bei der Randnummer 115 des
Regionalplans, wonach sich zur Verwirklichung der landesplanerisch angestreb-
ten Schwerpunktbildung die Siedlungsentwicklung der Gemeinden grundsätz-
lich auf den Flächen zu vollziehen hat, die im Regionalplan als Siedlungsberei-
che dargestellt sind, um ein Ziel der Raumordnung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2
ROG handelt (UA S. 12). Den Planaussagen in den Randnummern 115
und 172 mangele es weder an der für die Annahme einer abschließenden Ab-
wägung erforderlichen Regelungsdichte noch seien diese nicht hinreichend be-
stimmt. Aus diesen Regelungen ergäben sich in Verbindung mit den zeichneri-
schen Darstellungen des Regionalplans hinreichend bindende Vorgaben für die
Bauleitplanung der Gemeinden im Sinne eines Ziels der Raumordnung (UA
S. 13). An diese Auslegung des Regionalplans wäre der Senat in einem Revi-
sionsverfahren gebunden, da der Regionalplan dem irrevisiblen Landesrecht
angehört (§ 137 Abs. 1 VwGO) und damit gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 560
ZPO einer revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen ist (Urteile vom
10. November 2011 - BVerwG 4 CN 9.10 - Buchholz 406.14 § 3 ROG 1998
Nr. 4 Rn. 8, vom 20. November 2003 - BVerwG 4 CN 6.03 - BVerwGE 119, 217
<228> = Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 161 = juris Rn. 38 und vom
18. September 2003 - BVerwG 4 CN 20.02 - BVerwGE 119, 54 <57> = juris
Rn. 25; Beschlüsse vom 1. Juli 2005 - BVerwG 4 BN 26.05 - ZfBR 2005, 807
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= juris Rn. 5 und vom 28. Dezember 2005 - BVerwG 4 BN 40.05 - Buchholz
406.11 § 1 BauGB Nr. 123 Rn. 11). Ob eine Planaussage bestimmt genug ist,
um Zielqualität zu besitzen, ist zwar vom Bundesrecht her zu beurteilen, das auf
den Zielbegriff nicht nur im Raumordnungsgesetz (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG), son-
dern auch in der für die Bauleitplanung bedeutsamen Vorschrift des § 1 Abs. 4
BauGB abhebt (vgl. Urteil vom 18. September 2003 a.a.O.; siehe auch Be-
schluss vom 31. März 2011 - BVerwG 4 BN 18.10 - BRS 78 Nr. 9 Rn. 8). Wird
mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Nichtbeachtung von Bundesrecht bei
der Auslegung und Anwendung von Landesrecht gerügt, so ist jedoch näher
darzulegen, inwieweit der bundesrechtliche Maßstab seinerseits entschei-
dungserhebliche ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft
(stRspr; vgl. etwa Beschlüsse vom 21. Dezember 1994 - BVerwG 4 B 266.94 -
NVwZ 1995, 601 = juris Rn. 6, vom 9. Oktober 1997 - BVerwG 6 B 42.97 -
Buchholz 406.39 Denkmalschutzrecht Nr. 8 = juris Rn. 8 m.w.N., vom 30. Juni
2003 - BVerwG 4 B 35.03 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26 = juris
Rn. 4, vom 28. Dezember 2005 a.a.O., vom 14. Juni 2012 - BVerwG 4 B 22.12 -
BauR 2012, 1788 = juris Rn. 2 und vom 10. Juni 2013 - BVerwG 4 B 6.13 -
BauR 2013, 1671 = juris Rn. 10). Einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf
in Bezug auf die Auslegung von § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG, § 1 Abs. 4 BauGB oder
zu den Anforderungen an die Bestimmtheit hierauf bezogener Regelungen
eines Regionalplans zeigt die Beschwerde aber nicht auf. In der Sache be-
schränkt sie sich vielmehr auf eine inhaltliche Kritik an der rechtlichen Würdi-
gung des Oberverwaltungsgerichts. Hiermit lässt sich die grundsätzliche Bedeu-
tung einer Rechtsfrage nicht begründen. Das gilt in gleicher Weise für die von
der Beschwerde weiter formulierte Frage, ob es neben Zielen mit Regel-
Ausnahme-Struktur auch Grundsätze mit Regel-Ausnahme-Struktur gibt und
wie sich beide unterscheiden.
Unabhängig davon ließe sich die Frage nach der „Bestimmtheit eines regelhaf-
ten Verbotstatbestandes“ auch nicht allgemeinverbindlich in einem Revisions-
verfahren klären. Ob ein Ziel hinreichend bestimmt ist, hängt davon ab, welchen
materiellen Gehalt es hat. Bereits aus der Formulierung muss sich ergeben,
dass es sich um eine die gesetzliche Anpassungspflicht nach § 1 Abs. 4 BauGB
begründende Handlungsanweisung mit Letztentscheidungscharakter und nicht
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um eine Anregung oder Abwägungsdirektive handelt, die einer weiteren abwä-
genden Konkretisierung und Ausformung durch die untere Planungsebene zu-
gänglich ist (Beschluss vom 20. August 1992 - BVerwG 4 NB 20.91 - NVwZ
1993, 167 = juris Rn. 23; s.a. Urteile vom 22. Juni 2011 - BVerwG 4 CN 4.10 -
BVerwGE 140, 54 = Buchholz 406.14 § 3 ROG 1998 Nr. 3 und vom 16. De-
zember 2010 - BVerwG 4 C 8.10 - BVerwGE 138, 301 = Buchholz 406.14 § 3
ROG 1998 Nr. 2 = juris Rn. 10, 13 f.). Es kommt damit maßgeblich auf die Um-
stände des jeweiligen Einzelfalles an.
Auch die weitere Frage, ob
„landesplanerische Ziele verhältnismäßig und mit dem
Recht auf kommunale Selbstverwaltung nach Art. 28 GG
vereinbar (sind), wenn sie die Baulandausweisung zur Ei-
genentwicklung von Ortsteilen bis 2 000 Einwohnern nur
zu Gunsten von bereits im Ortsteil wohnenden Personen
(„Ansässigen“) zulassen, nicht aber z.B. für die am Ort Be-
rufstätigen oder für ehemals Ortsansässige, die nach
Ausbildung/Studium/Arbeitsplatzwechsel oder zur Unter-
stützung ihrer Eltern an den Ort zurückkehren wollen?“,
führt nicht zur Zulassung der Revision. Sofern sie sich überhaupt in verallge-
meinerungsfähiger Weise beantworten lässt, betrifft sie die vom Oberverwal-
tungsgericht vorgenommene Auslegung des Regionalplans, mithin irrevisibles
Landesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO; vgl. oben). Vorstehende Frage wird nicht
deshalb zu einer solchen des revisiblen Rechts, weil die Beschwerde insofern
auf Art. 28 Abs. 1 GG abhebt, denn der Beschwerde kann nicht entnommen
werden, inwiefern die gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab
angeführte bundesrechtliche Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätz-
licher Bedeutung aufwirft (stRspr; vgl. oben).
Überdies ist in der Rechtsprechung des Senats hinreichend geklärt (vgl. Urteil
vom 15. Mai 2003 - BVerwG 4 CN 9.01 - BVerwGE 118, 181 <184 f.> = Buch-
holz 11 Art. 28 GG Nr. 133 = juris Rn. 13 ff.; Beschlüsse vom 20. August 1992
- BVerwG 4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329 <335> = juris Rn. 19, vom 7. Februar
2005 - BVerwG 4 BN 1.05 - NVwZ 2005, 584 = juris Rn. 9 und vom 8. März
2006 - BVerwG 4 B 75.05 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 124 Rn. 16), dass
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Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG der Bindung der gemeindlichen Bauleitplanung an
Ziele der Raumordnung nicht prinzipiell entgegen steht. Das Grundgesetz ge-
währleistet die kommunale Selbstverwaltung nur im Rahmen der Gesetze. Die
Gemeinde ist landesplanerischen Zielvorgaben jedoch nicht einschränkungslos
ausgesetzt. Sie ist, soweit für sie Anpassungspflichten begründet werden, in
den überörtlichen Planungsprozess einzubeziehen. Auch materiellrechtlich setzt
die kommunale Planungshoheit der Raumordnung Grenzen. Schränkt die Lan-
des- oder Regionalplanung die Planungshoheit einzelner Gemeinden ein, so
müssen überörtliche Interessen von höherem Gewicht den Eingriff rechtfertigen;
der Eingriff in die Planungshoheit muss gerade angesichts der Bedeutung der
kommunalen Selbstverwaltung verhältnismäßig sein (vgl. Urteil vom 15. Mai
2003 a.a.O.). Einen über diese Rechtsprechung hinausgehenden Klärungsbe-
darf legt die Beschwerde nicht dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Decker
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