Urteil des BVerwG vom 23.01.2002

Bebauungsplan, Verzicht, Bepflanzung, Grundstück

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BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 3.02
VGH 3 S 1628/00
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Januar 2002
durch den Vorsitzenden Richter Dr. P a e t o w und die
Richter Dr. L e m m e l und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
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Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom
26. September 2001 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Be-
schwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 51 129 € (früher:
100 000 DM) festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Antragsteller wenden sich im Normenkontrollverfahren gegen
einen Bebauungsplan, der in 170 m Entfernung von ihrem Lege-
hennenbetrieb Wohn- und Gewerbebauflächen festsetzt. Gegenwär-
tig sind 23 500 Hennenplätze vorhanden; der Betrieb soll auf
36 000 Hennenplätze erweitert werden. Die Antragsteller be-
fürchten, dass ihr Betrieb wegen der von ihm ausgehenden Ge-
ruchsbelästigungen Abwehransprüchen zugunsten der Wohnbebauung
ausgesetzt sein werde. Nach den Feststellungen des Normenkon-
trollgerichts würden bei einer Erweiterung des Betriebes auf
36 000 Hennenplätze erhebliche Geruchsbelästigungen auf 14
Wohngrundstücken auftreten. Diese Belästigungen ließen sich
bei zehn Grundstücken durch die Bepflanzung des im Bebauungs-
plan vorgesehenen Vegetationsstreifens auf ein zumutbares Maß
reduzieren; allerdings werde die Schutzbepflanzung erst nach
zehn Jahren ausreichenden Immissionsschutz bieten. Bei den
vier weiteren Wohngrundstücken könnten die Immissionen mittels
eines Sammelkamins auf dem Grundstück der Antragsteller unter
die Erheblichkeitsschwelle gebracht werden; die Antragsgegne-
rin sei bereit, die Kosten des Kamins zu erstatten.
Das Normenkontrollgericht hat den Bebauungsplan wegen Abwä-
gungsfehlern für unwirksam erklärt. Bis zur vollständigen Her-
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stellung der Bepflanzung auf dem Immissionsschutzwall in den
ersten zehn Jahren und im Fall einer vorübergehenden Ein-
schränkung der Funktionsfähigkeit der Bepflanzung fehle es an
einer sachgerechten Konfliktbewältigung. Die als Ersatz vorge-
sehenen dinglich gesicherten Erklärungen der Eigentümer der
betroffenen Wohngrundstücke über einen Verzicht auf Abwehr-
rechte gegen Immissionen seien kein taugliches Mittel zur Be-
wältigung des beschriebenen Konflikts. Darüber hinaus sei auch
die Bereitschaft der Antragsgegnerin, die Kosten für
emissionsmindernde Maßnahmen zu übernehmen, nicht zur Kon-
fliktbewältigung geeignet, weil die Kostenübernahme weder im
Bebauungsplan noch auf andere Weise rechtlich gesichert sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Be-
schwerde der Antragsgegnerin.
II.
Die allein auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde
bleibt erfolglos. Es ist schon zweifelhaft, ob sie den Darle-
gungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Jeden-
falls lässt sich ihr eine noch klärungsbedürftige Rechtsfrage
von grundsätzlicher Bedeutung auch nicht im Wege der Auslegung
des Beschwerdevortrags entnehmen.
Für rechtsgrundsätzlich bedeutsam hält die Beschwerde die Fra-
ge, "in welcher Weise durch zivilrechtliche Gestaltungsmittel
ein Rechtsgut in seiner Intensität zulässigerweise geändert
und dadurch zugleich der Inhalt des auf den Schutz dieses
Rechtsguts zielende öffentliche Belang beeinflusst werden
kann". Wie sich aus dem weiteren Inhalt der Beschwerdebegrün-
dung ergibt, möchte die Beschwerde mit dieser Frage klären
lassen, ob ein Abwägungsfehler in der Gestalt des Mangels ei-
ner ausreichenden Konfliktlösung dann zu verneinen sei, wenn
der durch die Planung Betroffene auf aus seinem Eigentum stam-
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mende Abwehrrechte mittels einer Ausschließungsdienstbarkeit
verzichte und dadurch die Erheblichkeitsgrenze für die Ge-
ruchsbelästigung hinaufgesetzt werde. Zur Klärung dieser Frage
bedarf es keines Revisionsverfahrens. Auf der Grundlage der
Ausführungen des Senats in seinem - bereits im Normenkontroll-
urteil herangezogenen - Urteil vom 28. April 1978 - BVerwG 4 C
53.76 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 150 - BauR 1978, 385)
ist die hier rechtserhebliche Frage, ob sich das Gewicht der
Beeinträchtigung der geplanten Wohngrundstücke durch die Gerü-
che der Intensiv-Legehennenhaltung der Antragsteller durch
(dinglich gesicherte) Verzichtserklärungen in beachtlicher
Weise verringern lässt, ohne Weiteres zu verneinen.
In seiner Entscheidung vom 28. April 1978 (a.a.O) hat der Se-
nat im Hinblick auf den öffentlichen Belang der Vermeidung
schädlicher Umwelteinwirkungen und auf das Rücksichtnahmegebot
in § 35 Abs. 3 Satz 1 BBauG (nunmehr: § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
BauGB) ausgeführt, dass auf den Schutz, der zugunsten von Be-
lästigten von diesen öffentlichen Belangen ausgeht, nicht da-
durch wirksam "verzichtet" werden kann, dass sich die Beläs-
tigten mit dem Vorhaben einverstanden erklären. Dies gilt erst
recht im Rahmen der Bauleitplanung. Die Bauleitplanung dient
der städtebaulichen Ordnung (vgl. § 1 Abs. 3 BauGB) und ist
regelmäßig verfehlt, wenn sie - unter Verstoß gegen den Tren-
nungsgrundsatz des § 50 BImSchG - dem Wohnen dienende Gebiete
anderen Grundstücken so zuordnet, dass schädliche Umweltein-
wirkungen auf die Wohngebiete nicht soweit wie möglich vermie-
den werden. Ob und in welchem Umfang dem Trennungsgrundsatz
genügt ist, richtet sich nach objektiven Kriterien; private
Verzichtserklärungen sind für die städtebauliche Ordnung eben-
so wie für die Frage der Beeinträchtigung öffentlicher Belange
i.S. von § 35 Abs. 3 BauGB grundsätzlich ohne Bedeutung.
Private Vereinbarungen oder Verzichtserklärungen können aller-
dings dann bedeutsam sein, wenn sie sich nicht auf den Ver-
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zicht auf Abwehrrechte beschränken, sondern - objektiv - zu
einer Konfliktlösung führen. In diesem Sinne hat der Senat
(a.a.O.) ausgeführt, eine "Zustimmung" führe dann weiter, wenn
sie alle künftigen Konflikte entfallen lasse und dadurch auch
künftige Konfliktlösungen verlässlich entbehrlich mache; so
könne der öffentliche Belang der Vermeidung schädlicher Um-
welteinwirkungen beispielsweise dadurch überwunden werden,
dass sich der Eigentümer des einzigen in der näheren Umgebung
des störenden Vorhabens vorhandenen Wohnhauses zu dessen Ab-
bruch bereit finde. Ebenso kann dem öffentlichen Belang
"schädliche Umwelteinwirkungen" der Boden entzogen werden,
wenn ein Nachbar einem lärmintensiven Vorhaben zustimmt, weil
er in sein Wohnhaus Schallschutzfenster einbaut und der Kon-
flikt dadurch ausgeräumt wird (Schmaltz, in: Schrödter, BauGB,
6. Aufl. 1998, § 35 Rn. 57; vgl. auch Krautzberger, in: Bat-
tis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl. 2002, § 35 Rn. 48).
Entscheidend ist jedoch immer, dass der Konflikt selbst tat-
sächlich gelöst ist. Der Verzicht auf Abwehransprüche kann ein
Indiz für das Vorhandensein einer Konfliktlösung sein, niemals
aber selbst die Konfliktlösung darstellen.
Im vorliegenden Fall hat das Normenkontrollgericht angenommen,
dass Teile des in dem streitigen Bebauungsplan geplanten Wohn-
gebiets erst dann keinen unzumutbaren Immissionen vom Legehen-
nenhaltungsbetrieb der Antragsteller ausgesetzt sein werden,
wenn die Bepflanzung auf dem vorgesehenen Vegetationsstreifen
nach zehn Jahren herangewachsen sein wird und dann die ihr zu-
gedachte Schutzfunktion erfüllen kann. Die Beschwerde nimmt
dies hin. Damit akzeptiert sie aber auch, dass der Konflikt
während der ersten zehn Jahre bestehen bleibt. Allein durch
einen Verzicht der durch die Schutzanpflanzung Begünstigten
auf Abwehrrechte lässt sich dieser Abwägungsmangel nicht aus-
räumen. Selbst wenn die Antragsteller durch diesen Verzicht
vor Ansprüchen ihrer Nachbarn wirksam geschützt sein sollten,
bliebe die Planung während dieser Zeit wegen Verletzung des
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§ 1 Abs. 6 BauGB objektiv fehlerhaft.
Da die Beschwerde bereits aus diesem Grunde unbegründet ist,
kann offen bleiben, ob sie auch schon allein deshalb erfolglos
bleiben müsste, weil die planerische Entscheidung der Antrags-
gegnerin nach der Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts
an einem weiteren Abwägungsmangel leidet. Das Normenkontroll-
gericht nimmt an, dass die vorgesehene Schutzanpflanzung die
vom Betrieb der Antragsteller ausgehenden Geruchsbelästigungen
nur bei zehn von vierzehn Wohngrundstücken auf ein zumutbares
Maß reduzieren wird. Für die übrigen vier Grundstücke ließen
sich auf Dauer zumutbare Verhältnisse nur durch bauliche Maß-
nahmen auf dem Grundstück der Antragsteller, durch einen Sam-
melkamin, schaffen. Das Normenkontrollgericht sieht einen Ab-
wägungsmangel darin, dass die Antragsgegnerin zwar bereit ist,
die Kosten für einen solchen Kamin zu erstatten, dies jedoch
weder im Bebauungsplan noch auf andere Weise sichergestellt
sei. Es spricht Überwiegendes dafür, dass allein dieser - von
der Beschwerde nicht angegriffene - Abwägungsmangel geeignet
ist, die Erklärung der Unwirksamkeit des Bebauungsplans durch
das Normenkontrollgericht zu tragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Den Wert
des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1 und
3, § 13 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1 GKG fest.
Paetow Lemmel Jannasch
Sachgebiet
BVerwG: nein
Bauplanungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BauGB § 1 Abs. 3 und 6; § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
Stichworte:
Bebauungsplan; Trennungsgrundsatz; Abwägung; Abwägungsmangel;
Konfliktlösung; Verzicht auf Abwehrrechte; Zustimmung.
Leitsatz:
Bei der Aufstellung von Bebauungsplänen lassen sich Abwägungs-
mängel wegen unzureichender Lösung eines Konflikts - hier die
von einem Legehennenbetrieb ausgehenden schädlichen Umweltein-
wirkungen - nicht allein durch einen (dinglich gesicherten)
Verzicht auf die Abwehrrechte der Betroffenen überwinden.
Beschluss des 4. Senats vom 23. Januar 2002 - BVerwG 4 BN 3.02
I. VGH Baden-Württemberg vom 26. September 2001
- Az.: VGH 3 S 1628/00 -