Urteil des BVerwG vom 23.07.2009

Ausschluss, Gemeinde, Form, Bebauungsplan

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 28.09
OVG 1 KN 8/08
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Juli 2009
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Schleswig-
Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. März
2009 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 100 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Be-
schwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Be-
deutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
1. Die Beschwerde hält für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig,
ob ein Verstoß gegen § 1 Abs. 7 BauGB in der Form eines
Abwägungsdefizits vorliegt, wenn bei einem Ausschluss
von Einzelhandel in einem Bebauungsplan die von der
Rechtsprechung geforderten Untersuchungen zu den
Strukturen des Gebietes zum Zeitpunkt der Be-
schlussfassung über den Bebauungsplan nicht abge-
schlossen sind.
Diese Frage ist einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Welche
Ermittlungen eine Gemeinde anstellen muss, wenn sie in einem Baugebiet Ein-
zelhandel ausschließen will, hängt maßgebend von der jeweiligen Planungssi-
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tuation und insbesondere davon ab, welche städtebaulichen Ziele den Aus-
schluss des Einzelhandels rechtfertigen sollen.
Die Beschwerde meint, dass, wenn in einem Baugebiet Einzelhandel im Hin-
blick auf seine Zentrenschädlichkeit ausgeschlossen werde, es konkreter An-
gaben bedürfe, weshalb jegliche Form von Einzelhandel die gewachsenen Ein-
zelhandelstrukturen in den Zentren der Gemeinde schädigen würde. Hier habe
das Zentrenkonzept der Antragsgegnerin noch nicht vorgelegen, sondern ledig-
lich eine „Vorgezogene Stellungnahme im Rahmen des Einzelhandelskon-
zepts“; das reiche nicht aus.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist der
Ausschluss des Einzelhandels nicht nur - wie die Beschwerde voraussetzt -
durch das Ziel, die Innenstadt der Antragsgegnerin zu schützen, sondern auch
deshalb gerechtfertigt, weil die Antragsgegnerin im Plangebiet Flächen für das
produzierende Gewerbe vorhalten möchte (UA S. 6 f.). Dass der Ausschluss
von Einzelhandel in einem solchen Fall nur auf der Grundlage eines Einzelhan-
delskonzepts beschlossen werden kann, macht auch die Beschwerde nicht gel-
tend. Ob eine „Vorgezogene Stellungnahme im Rahmen eines Einzelhandels-
konzepts“ oder erst das Einzelhandelskonzept selbst die für die Abwägung
maßgebenden Tatsachen enthält, hängt im Übrigen maßgebend vom Inhalt der
in Rede stehenden „Vorgezogenen Stellungnahme“ und damit von den Um-
ständen des konkreten Einzelfalles ab.
2. Die Fragen,
ob eine Festsetzung nach § 1 Abs. 5 i.V.m. § 1 Abs. 9
BauNVO gerechtfertigt ist, die innenstadtrelevante und
nicht innenstadtrelevante Sortimente ausschließt, weil die
Ansiedlung von nicht innenstadtrelevanten Einzelhandels-
betrieben nach Auffassung der Gemeinde im Plangebiet
nicht wirtschaftlich sinnvoll ist und
ob der durch Art. 14 GG verfassungsrechtlich garantierte
Grundsatz der Baufreiheit verletzt wird, wenn nach § 1
Abs. 5 i.V.m. § 1 Abs. 9 BauNVO zunächst einmal die
nicht innenstadtrelevanten Einzelhandelsbetriebe ausge-
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schlossen werden, weil nicht alle möglichen Einzelhan-
delsbedürfnisse im Zeitpunkt der Abwägung erkennbar
waren, um atypische Fallgestaltungen durch eine Befrei-
ung, die im Ermessen der Genehmigungsbehörde steht,
zu regeln,
würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungs-
gericht hat den Ausschluss auch des Einzelhandels mit nicht innenstadtrelevan-
ten Sortimenten im Gewerbegebiet mit doppelter Begründung als gerechtfertigt
angesehen. Der Ausschluss aller weiteren Sortimente (mit Ausnahme des für
das Teilgebiet II zugelassenen Auto- und Zweiradhandels) sei deshalb gerecht-
fertigt, weil in Quickborn bereits ein dezentraler Ergänzungsstandort für groß-
flächigen und nicht zentrenrelevanten Einzelhandel im Gewerbegebiet Halen-
berg vorhanden sei und mehrere Sonderstandorte bei einer Stadtgröße wie
Quickborn nicht zu empfehlen seien. Im Übrigen erscheine im Hinblick auf die
Einwendungen der Grundstückseigentümer, die allein den Ausschluss des Le-
bensmitteleinzelhandels im Blick gehabt hätten, die Ansiedlung von nicht in-
nenstadtrelevanten Einzelhandelsbetrieben im Plangebiet fernliegend. Auch
sonst sei angesichts der Grundstücksgrößen und der Verkaufsflächenbegren-
zungen in Gewerbegebieten (vgl. § 11 Abs. 3 BauNVO) nicht ersichtlich, welche
nicht zentrumsschädigenden Einzelhandelsbetriebe dort wirtschaftlich sinnvoll
betrieben werden könnten (UA S. 8).
Ist eine Entscheidung - wie hier - auf mehrere, jeweils selbständig tragende
Gründe gestützt worden, kann eine Beschwerde nach § 132 Abs. 2 VwGO nur
Erfolg haben, wenn der Zulassungsgrund bei jedem der Urteilsgründe zulässig
vorgetragen und gegeben ist (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG
7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). In Bezug auf die erste Begründung zeigt die
Beschwerde einen Zulassungsgrund nicht auf. Schon aus diesem Grund kön-
nen die auf die zweite Begründung zielenden Grundsatzfragen nicht zur Zulas-
sung der Revision führen.
Unabhängig davon wären sie aus einem weiteren Grund nicht entscheidungs-
erheblich. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts
hat die Antragsgegnerin nicht innenstadtrelevante Sortimente nicht - wie die
Beschwerde meint (S. 11 der Beschwerdebegründung) - aus Gründen des
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Wettbewerbs, sondern deshalb ausgeschlossen, weil sie für das vorliegende
Gewerbegebiet keinen Anlass hatte, innenstadtrelevante von nicht innenstadt-
relevanten Sortimenten abzugrenzen und sie differenziert zu regeln (zur Erfor-
derlichkeit von Differenzierungen unter dem Gesichtspunkt der Zentrengeeig-
netheit vgl. Urteil vom 26. März 2009 - BVerwG 4 C 21.07 - zur Veröffentlichung
in BVerwGE - Rn. 26 - vorgesehen). Es sei nicht ersichtlich, welche nicht zent-
rumsschädigenden Einzelhandelsbetriebe in dem Gewerbegebiet wirtschaftlich
sinnvoll betrieben werden könnten; bei dieser Sachlage sei es nicht zu bean-
standen, dass die Antragsgegnerin nicht alle theoretisch möglichen Einzelhan-
delsbedürfnisse, die im Zeitpunkt der Abwägung nicht erkennbar gewesen sei-
en, erwogen und geregelt habe (UA S. 8). Welche nicht zentrumsschädigenden
und nicht gemäß § 11 Abs. 3 BauNVO Kern- oder Sondergebieten vorbehalte-
nen Einzelhandelsbetriebe die Antragsgegnerin bei ihrer Regelung hätte in Be-
tracht ziehen müssen, legt auch die Beschwerde nicht dar. Sie hatte geltend
gemacht, im Plangebiet einen Lebensmittelmarkt/Discounter ansiedeln zu wol-
len. Lebensmittel und Waren des periodischen Bedarfs, wie sie typischerweise
von Discountern und Lebensmitteleinzelhändlern mit vollem Sortiment angebo-
ten werden, gehören aber nach den Feststellungen des Oberverwaltungsge-
richts im Gebiet der Antragsgegnerin zu den innenstadtrelevanten Sortimenten
(UA S. 8).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Gatz
Dr. Philipp
Petz
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