Urteil des BVerwG vom 05.07.2007

Bebauungsplan, Unterlassen, Einheit, Vorrang

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 27.07
VGH 26 N 04.1177
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Juli 2007
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn, Dr. Jannasch
und Dr. Hofherr
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Ver-
waltungsgerichtshofs vom 6. Dezember 2006 wird zurück-
gewiesen.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Beschwer-
deverfahrens jeweils zur Hälfte mit Ausnahme der außer-
gerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst
tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde
hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
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Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist nur ge-
geben, wenn die Rechtssache eine für die Revisionsentscheidung erhebliche
Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des
Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
muss die grundsätzliche Bedeutung in der Beschwerdebegründung dargelegt
werden. Eine grundsätzliche Bedeutung liegt nicht vor, wenn die Beurteilung
der Sache ausschlaggebend von der Würdigung der konkreten Gegebenheiten
des Einzelfalls abhängt und demgemäß nicht auf eine Rechtsfrage führt, die
sich in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten lässt (stRspr, vgl. Be-
schluss vom 13. April 1989 - BVerwG 1 B 54.89 - NVwZ-RR 1990, 220).
Die Beschwerde misst folgenden Fragen grundsätzliche Bedeutung zu:
Darf eine Gemeinde eines in ca. 40 Jahren gewachsenen
reinen Wohngebiets mit Siedlungscharakter und aufgelo-
ckerter Bebauung, das bereits im Wesentlichen bebaut ist,
die Neuaufstellung eines Bebauungsplans beschließen,
das überdimensionierte Baurechte schafft, die auch noch
entsprechend den unterschiedlichen Grundstücken diffe-
renziert sind?
Ist dies mit dem verfassungsrechtlichen Übermaßgebot
und Verhältnismäßigkeit sowie dem Gleichheitssatz ver-
einbar oder liegt Willkür vor?
Kann eine gravierende Ungleichbehandlung der Grundei-
gentümer mit der bestehenden Erschließungssituation be-
gründet oder muss die Erschließung der Neuaufstellung
angepasst werden, um eine gravierende Ungleichbehand-
lung auszuschließen?
Darf ein Bauantrag, der gravierende Abweichungen vom
bestehenden Bebauungsplan aufweist, zum Anlass ge-
nommen werden, eine Neuaufstellung des Bebauungs-
plans mit den Wünschen/Vorstellungen des Bauherren für
ein gesamtes Plangebiet übernommen werden, wenn da-
bei auch noch für das gesamte Planungsgebiet überdi-
mensionierte Baurechte geschaffen werden?
Bezüglich dieser Fragen legt die Beschwerde schon nicht hinreichend im Sinne
des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dar, weshalb ihnen über den vorliegenden Fall
hinaus im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts allgemeine Bedeu-
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tung zukommen soll. Der pauschale Hinweis, für die Rechtssicherheit der Ge-
meinden und der Bürger sei es erforderlich, dass diese Fragen höchstrichterlich
geklärt werden, um damit ggf. Falschplanungen in Zukunft auszuschließen und
um entsprechende gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden bzw. ein-
heitliche Revisionsurteile zu schaffen, reicht hierfür nicht aus.
Im Übrigen sind diese Fragen einerseits zu allgemein und nicht hinreichend be-
stimmt genug gehalten, als dass sie sich in dem angestrebten Revisionsverfah-
ren stellen würden. Andererseits hängt ihre Beantwortung ausschlaggebend
von der Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls ab. Sie sind
deshalb einer verallgemeinerungsfähigen Klärung nicht zugänglich. Davon ab-
gesehen enthalten die Fragen Würdigungen des Sachverhalts, die das Nor-
menkontrollgericht seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt hat. Insbesonde-
re ist es nicht davon ausgegangen, dass durch den neuen Bebauungsplan
„überdimensionierte Baurechte“ geschaffen werden.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die
Beschwerde behauptet lediglich, dass das Berufungsurteil von maßgeblicher
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht, ohne dass sie die
Divergenz entsprechend den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
schlüssig darlegt.
3. Die Revision ist schließlich nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Soweit die Beschwerde in mehreren Punkten einen Verstoß gegen die Pflicht
zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO rügt, bleibt sie ohne Erfolg. Der
insoweit geltend gemachte Verfahrensmangel ist nur dann im Sinne von § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) be-
gründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert
dargetan wird. Hinsichtlich des von der Beschwerde behaupteten Aufklärungs-
mangels hätte dementsprechend substantiiert dargelegt werden müssen, hin-
sichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat,
welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür
in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei
Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getrof-
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fen worden wären; weiterhin hätte dargelegt werden müssen, dass bereits im
Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhand-
lung, entweder auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterblei-
ben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die
bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hät-
ten aufdrängen müssen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um
Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem
das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (stRspr).
Lediglich schriftsätzlich angekündigte Beweisanträge genügen den letztgenann-
ten Anforderungen nicht (vgl. Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B
81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265).
Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen, das sich in der Art
einer Berufungsbegründung mit dem angegriffenen Normenkontrollurteil ausei-
nandersetzt, nicht. Insbesondere haben die Antragstellerinnen zu keiner der
Fragen, die die Beschwerde als noch aufklärungsbedürftig ansieht, in der
mündlichen Verhandlung vom 16. November 2006 einen Beweisantrag gestellt.
Das Beschwerdevorbringen bietet keinen Anhalt dafür, dass sich - wie die Be-
schwerde meint - dem Normenkontrollgericht eine weitere Sachverhaltsaufklä-
rung hätte aufdrängen müssen.
Soweit die Beschwerde eine mangelnde Sachverhaltsaufklärung etwa bezüglich
der Frage rügt, ob der das Gebiet vorher überplanende Bebauungsplan wirk-
sam gewesen ist (S. 11), kommt es außerdem hierauf nach der insoweit maß-
geblichen materiellen Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts nicht an.
Denn dieses hat selbständig tragend als Alternative zur Unwirksamkeit dieses
Bebauungsplans zu Gunsten der Antragstellerinnen unterstellt, dass der „alte“
Bebauungsplan nicht unwirksam war. Für diesen Fall hat das Normenkontroll-
gericht zwar angenommen, dass sich das Gewicht der in der Abwägung zu be-
rücksichtigenden privaten Interessen zu Gunsten der Antragstellerinnen ver-
schiebt. Es hat aber weiter angenommen, dass auch in einem solchen Fall die
Entscheidung der Antragsgegnerin, der gesteuerten Nachverdichtung den Vor-
rang einzuräumen, nicht abwägungsfehlerhaft wäre (UA S. 16 f.).
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Eine weitere Sachverhaltsaufklärung musste sich dem Normenkontrollgericht
auch nicht bezüglich der Erforderlichkeit des Bebauungsplans nach § 1 Abs. 3
BauGB aufdrängen. Die Beschwerde meint, das Normenkontrollgericht habe es
unterlassen, die wahren Gründe der Erforderlichkeit für die Aufstellung des Be-
bauungsplans festzustellen, nämlich die privaten Interessen insbesondere eines
einflussreichen Bürgers der Gemeinde, der ein Grundstück im Plangebiet in
einer Art und Weise bebauen wollte, die mit den Festsetzungen des früheren
Bebauungsplans nicht zu vereinbaren war (S. 17). Diesen Gesichtspunkt einer
sogenannten Gefälligkeitsplanung hat das Normenkontrollgericht nicht ver-
kannt. Es führt vielmehr aus, dass selbst dann, wenn man zu Gunsten der An-
tragstellerinnen unterstellen wollte, dass der Gemeinderat der Antragsgegnerin
sich bei der Entscheidung über den Bebauungsplan rechtswidrig von unsachli-
chen Gesichtspunkten zu Gunsten eines bestimmten Grundstückseigentümers
habe leiten lassen - was nach Lage der Dinge nicht ausgeschlossen werden
könne - die angegriffene Planung gleichwohl den Anforderungen des § 1 Abs. 3
BauGB genügen würde, weil tragfähige planungsrechtliche Gründe vorlägen,
die sie aus der Sicht der städtebaulichen Entwicklung rechtfertigten (UA
S. 11 f.). Wenn die Beschwerde diese Würdigung des Sachverhalts durch das
Normenkontrollgericht dahin, dass jedenfalls auch tragfähige planungsrechtli-
che Gründe für die Aufstellung des angegriffenen Bebauungsplans vorliegen,
für unzutreffend hält, berührt dies nicht das Verfahrensrecht sondern das mate-
rielle Recht und kann daher nicht als Aufklärungsmangel gerügt werden (vgl.
den Beschluss vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - DVBl 1995, 517).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2
VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizu-
tragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rojahn
Dr. Jannasch
Dr. Hofherr
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