Urteil des BVerwG vom 10.04.2003

Gemeinde, Bebauungsplan, Ermessen, Absicht

B
U
N
D
E
S
V
E
R
W
A
L
T
U
N
G
S
G
E
R
I
C
H
T
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 24.03
VGH 3 S 2658/01
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. April 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
H a l a m a und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers zu 1 gegen
die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
vom 12. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
- 2 -
Der Antragsteller zu 1 trägt die Kosten des
Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus dem Beschwerdevorbringen
ergibt sich nicht, dass die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO wegen eines Verfahrensmangels oder gemäß § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu-
zulassen ist.
1. Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerde einen Verstoß gegen
den in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verankerten Überzeugungsgrund-
satz. Dabei kann dahinstehen, ob hier überhaupt die Vorausset-
zungen gegeben sein könnten, unter denen eine Verletzung des
§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausnahmsweise einen Verfahrensmangel
und nicht einen materiellrechtlichen Mangel darstellt. Auch
kann offen bleiben, ob das Normenkontrollgericht den Umstand,
dass sich 90 % der Eigentümer in und außerhalb des Plangebiets
gegen die umstrittene Bauleitplanung ausgesprochen haben, tat-
sächlich nicht berücksichtigt hat. Die Verfahrensrüge scheitert
nämlich jedenfalls daran, dass die Beschwerde nicht darlegt,
dass das Urteil auf dem behaupteten Mangel beruhen kann. Nach
Auffassung des Normenkontrollgerichts hängt die städtebauliche
Erforderlichkeit (im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB) eines Bebau-
ungsplans nicht davon ab, dass Betroffene mit der Planung ein-
verstanden sind oder ihr zumindest neutral gegenüber stehen.
Diese Begründung verfängt auch gegenüber dem Einwand des An-
tragstellers, nicht nur er und die Antragsteller zu 2 bis 7,
sondern ein größerer Personenkreis habe sich ablehnend geäu-
ßert. Die Beschwerde kritisiert die Auslegung des Tatbestands-
merkmals der Erforderlichkeit in § 1 Abs. 3 BauGB durch das
Normenkontrollgericht. Mit einem in das Gewand einer Verfah-
rensrüge gekleideten Angriff gegen die Auslegung und Anwendung
- 3 -
des materiellen Rechts lässt sich ein Verstoß gegen den Über-
zeugungsgrundsatz indessen nicht dartun (BVerwG, Beschluss vom
29. Oktober 1997 - BVerwG 7 B 336.97 - Buchholz 428.5 § 6 GVO
Nr. 1).
2. Der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt eben-
falls nicht vor.
a) Der Senat unterstellt zugunsten der Beschwerde, dass mit der
auf den konkreten Fall zugeschnittenen Frage, ob die Festset-
zung einer Erschließungsstraße in einem Bebauungsplan erforder-
lich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB ist, wenn eine Erschließung
über ein Wegerecht besteht, die allgemeine Frage aufgeworfen
sein soll, ob der Begriff der Erforderlichkeit dahin zu verste-
hen ist, dass für die konkrete Planung ein unabweisbares Be-
dürfnis vorliegen muss. Diese Frage rechtfertigt nicht die Zu-
lassung der Grundsatzrevision, weil sie vom Senat bereits ent-
schieden worden ist und die Beschwerde weiteren Klärungsbedarf
nicht aufzeigt. Aus dem Erforderlichkeitsmerkmal lässt sich
nicht ableiten, dass bauplanerische Festsetzungen nur zulässig
sind, wenn sie zur Bewältigung einer bauplanungsrechtlichen
Problemlage unentbehrlich oder gar zwingend geboten sind
(BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 1999 - BVerwG 4 BN 15.99 -
Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 27 m.w.N.; Beschluss vom 8. Sep-
tember 1999 - BVerwG 4 BN 14.99 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB
Nr. 106). Vielmehr besitzt die Gemeinde bei der Entscheidung ü-
ber die Erforderlichkeit ein weites planerisches Ermessen. Der
Gesetzgeber ermächtigt sie, die "Städtebaupolitik" zu betrei-
ben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen ent-
spricht. Einer "Bedarfsanalyse" bedarf es insoweit nicht
(BVerwG, Beschluss vom 14. August 1995 - BVerwG 4 NB 21.95 -
Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 86). Nicht erforderlich im Sinne
des § 1 Abs. 3 BauGB sind nur solche Bauleitpläne, die einer
positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der För-
derung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Pla-
nungsinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind. Ob die
Festsetzung der von der Beschwerde bekämpften Erschließungs-
- 4 -
straße nach diesen Maßstäben erforderlich ist, ist eine Frage
der Einzelfallwürdigung.
b) Die Frage, ob ein Bebauungsplan als erforderlich angesehen
werden kann, den die Gemeinde gar nicht vollziehen will, nötigt
ebenfalls nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Nach stän-
diger Rechtsprechung des Senats (vgl. nur Urteil vom 12. August
1999 - BVerwG 4 CN 4.98 - BVerwGE 109, 246 <249 f.>) ist ein
Bebauungsplan nicht erforderlich, wenn er aus rechtlichen oder
tatsächlichen Gründen nicht vollzugsfähig ist. Es liegt auf der
Hand und bedarf keiner Klärung eigens in einem Revisionsverfah-
ren, dass dies auch dann gilt, wenn der Gemeinde die Vollzugs-
willigkeit fehlt. In Wahrheit wirft die Beschwerde dem Normen-
kontrollgericht vor, die mangelnde Absicht der Antragsgegnerin
zur Umsetzung des angegriffenen Bebauungsplans nicht erkannt zu
haben. Damit rügt sie eine fehlerhafte Sachverhaltswürdigung.
Auf eine Rechtsfrage, noch dazu auf eine solche von fallüber-
greifender Bedeutung, führt ihr Vorhalt nicht.
c) Schließlich ist die Frage, wann das Abwägungsgebot des
§ 1 Abs. 6 BauGB bei unberücksichtigt gebliebenen Planungsal-
ternativen verletzt ist, nicht (mehr) grundsätzlich klärungsbe-
dürftig. Die Beschwerde zitiert selbst den in der Senatsent-
scheidung vom 20. Dezember 1988 (BVerwG 4 B 211.88 - BRS 48
Nr. 7) enthaltenen Rechtssatz, dass eine Planungsalternative im
Rahmen der Abwägung nur zu würdigen ist, wenn sie sich nach La-
ge der konkreten Verhältnisse aufdrängt oder zumindest nahe-
liegt. Dass dieser Rechtssatz, der - soweit ersichtlich - nir-
gends in Frage gestellt wird, korrekturbedürftig wäre, zeigt
die Beschwerde nicht auf. Sie behauptet vielmehr dessen fehler-
hafte Anwendung durch das Normenkontrollgericht. Mit Angriffen
gegen die "Richtigkeit" der vorinstanzlichen Entscheidung lässt
sich die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache jedoch
nicht schlüssig darlegen. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dient nicht
dazu, die Bundesrechtskonformität zu sichern.
- 5 -
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die
Streitwertentscheidung auf § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1
Satz 1 GKG.
Paetow Halama Gatz