Urteil des BVerwG vom 21.09.2010

Ablauf der Frist, Bebauungsplan, Europarecht, Eugh

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 23.10
OVG 1 KN 11/08
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. September 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Petz
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen das Urteil des
Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom
22. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 50 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die
Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragstellerin
beimisst.
1. Die Frage, ob das mit einem Normenkontrollverfahren gemäß § 47 Abs. 1
VwGO befasste Oberverwaltungsgericht die Verfahrensgrundrechte aus den
Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, wenn es bei der Terminierung sei-
ner mündlichen Verhandlung ein erst im Laufe des anhängigen Rechtsstreits
initiiertes ergänzendes Verfahren gemäß § 214 Abs. 4 BauGB berücksichtigt,
führt nicht zur Zulassung der Revision. Die Antragstellerin missversteht das
Verfahren nach § 133 Abs. 3 VwGO, indem sie annimmt, die Frage der Verein-
barkeit einer angegriffenen Maßnahme mit Bestimmungen des Grundgesetzes
verleihe einer Rechtssache grundsätzliche Bedeutung. Notwendig ist vielmehr
die Darlegung, dass der bundesverfassungsrechtliche Maßstab selbst einen die
Zulassung der Revision rechtfertigenden Klärungsbedarf aufweist (vgl. Be-
schluss vom 21. Dezember 1994 - BVerwG 4 B 266.94 - NVwZ 1995, 601
<602>). Daran fehlt es hier.
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2. Auch die Frage, ob ein Verstoß gegen § 13a Abs. 1 und 4 BauGB vorliegt,
wenn im Fall einer Änderungsplanung die Flächenwerte aus dem zu ändernden
Bebauungsplan übernommen werden, ohne diese Flächenwerte für die Be-
rechnung der in § 13a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 BauGB vorgegebenen Schwel-
len um die in § 19 Abs. 4 BauNVO 1990 bezeichneten Flächen zu ergänzen,
nötigt nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Sie würde sich in dem ange-
strebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil in dem umstrittenen Änderungs-
bebauungsplan weder, wie in § 13a Abs. 1 Satz 2 BauGB vorausgesetzt, eine
zulässige Grundfläche i.S.d. § 19 Abs. 2 BauNVO oder eine Größe der Grund-
fläche worden ist, noch i.S.d. § 13a Abs. 1 Satz 3 BauGB bei Durch-
führung des Änderungsbebauungsplans voraussichtlich zusätzliche Flächen
versiegelt werden. Der Änderungsbebauungsplan regelt lediglich eine Verkaufs-
flächenbeschränkung bei ansonsten unverändert bestehend bleibenden Fest-
setzungen zum Maß der baulichen Nutzung. Soweit die Beschwerde die Flä-
chenwerte der ursprünglichen Planung für überprüfungsbedürftig hält, geht dies
schon deshalb fehl, weil der ursprüngliche Bebauungsplan nicht im beschleu-
nigten Verfahren ergangen ist und deshalb auch nicht an den tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 13a Abs. 1 BauGB zu messen ist.
3. Die Revision ist schließlich nicht zur Klärung der Frage zuzulassen, ob Be-
schränkungen des Einzelhandels in einem Bebauungsplan mit dem AEU-Ver-
trag und der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 2006/123/EG)
vereinbar sind.
a) Die Rechtsfrage, ob ein Einzelhandelsausschluss nach § 1 Abs. 9 BauNVO,
der die Zulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben im Planbereich an bestimmte
Handelssortimente, eine bestimmte Bruttogeschossfläche sowie die Bestim-
mung knüpft, nur ein gewisses Gebiet zu versorgen, die Grundfreiheiten aus
Art. 49 und 56 AEUV (ex Art. 43 und 49 EGV) verletzt, löst deshalb nicht die
Zulassung der Revision aus, weil sie sich in dem angestrebten Revisionsverfah-
ren nicht stellen würde. Beide Vorschriften setzen einen grenzüberschreitenden
Sachverhalt voraus (Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV - Das Verfas-
sungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta,
3. Aufl., Art. 43 EGV Rn. 6 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH,
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Art. 49 EGV Rn. 22), an dem es hier fehlt. Die Antragstellerin ist eine Beteiligte
aus dem Inland. Die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage lässt sich
nicht mit der Erwägung begründen, dass auch ausländische Bauherrn von der
umstrittenen Planung betroffen sein könnten. Da aufgrund des Anwendungs-
vorrangs von EU-Recht eine Unvereinbarkeit der Bebauungsplanung mit
EU-Recht nicht zur Unwirksamkeit der Planung, sondern lediglich zu ihrer Un-
anwendbarkeit führen würde (vgl. Oppermann/Classen/Nettesheim, Europa-
recht, 4. Aufl., S. 207), ist nur zu prüfen, ob die Anwendung der Festsetzungen
des Bebauungsplans auf das Vorhaben der Antragstellerin, also im konkreten
Einzelfall, mit EU-Recht vereinbar ist (vgl. Frenz, Handbuch Europarecht,
Band 5, S. 47).
b) Die Rechtsfrage, ob ein Einzelhandelsausschluss nach § 1 Abs. 9 BauNVO,
der die Zulässigkeit von Einzelhandelsbetrieben im Planbereich an bestimmte
Handelssortimente, eine bestimmte Bruttogeschossfläche sowie die Bestim-
mung knüpft, nur ein gewisses Gebiet zu versorgen, gegen Art. 9 und 10 der
Europäischen Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 2006/123/EG) verstößt, würde
sich in einem Revisionsverfahren ebenfalls nicht stellen. Zum maßgeblichen
Zeitpunkt, dem Inkrafttreten des angefochtenen Änderungsbebauungsplans am
26. März 2008 (UA S. 3), war die Umsetzungsfrist der Richtlinie (28. Dezember
2009) noch nicht abgelaufen. Vor Ablauf der Frist kann einer Richtlinie unmit-
telbare Wirkung nicht zukommen (EuGH, Urteil vom 17. Januar 2008
- Rs. C-246/06 - Navarro - Slg. I-00105 Rn. 25 m.w.N.). Die Frage, ob die zum
28. Dezember 2006 in Kraft getretene Richtlinie „Vorwirkung“ entfaltete, hat die
Antragstellerin nicht aufgeworfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
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