Urteil des BVerwG vom 09.02.2015

Kontrolle, Einfluss, Planungsermessen, Beurteilungsspielraum

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 20.14
OVG 1 N 676/12
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Februar 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz und Dr. Külpmann
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Ober-
verwaltungsgerichts vom 8. April 2014 wird zurückgewie-
sen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf
60 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos.
Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antrags-
gegnerin zumisst. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfah-
ren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung
über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klä-
rungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen
Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung
muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden,
dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemei-
nen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten
Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr; BVerwG, Beschlüsse vom
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2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 9. April 2014
- 4 BN 3.14 - ZfBR 2014, 479 Rn. 2).
1. Die Beschwerde hält für klärungsbedürftig,
ob die Anforderungen der Rechtsprechung an den Pla-
nungs- und Abwägungsvorgang nach § 7 Abs. 2 ROG
hinsichtlich der Verfahrens- und Inhaltsvorgaben sowie
deren Ausprägung durch die Rechtsprechung der Ober-
verwaltungsgerichte noch mit dem den Planungsträgern
zustehenden Planungsermessen hinsichtlich der Gewich-
tung der einzelnen Abwägungsbelange vereinbar sind.
Dies führt nicht zur Zulassung der Revision. Die aufgeworfene Frage wäre nicht
klärungsfähig, soweit sie Anforderungen „der Rechtsprechung“ und die „Recht-
sprechung der Oberverwaltungsgerichte“ zum Gegenstand macht. Die revisi-
onsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob das angefochtene Urteil auf
der Verletzung von revisiblem Recht beruht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Allgemeine
Tendenzen der Rechtsprechung, wie sie die Beschwerde zu erkennen glaubt,
können nicht zum Gegenstand eines Revisionsverfahrens gemacht werden.
Bei sachgerechtem Verständnis wirft die Beschwerde die Frage auf, welche
Grenzen das Planungsermessen der Planungsträger der gerichtlichen Kontrolle
der Abwägungsentscheidung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ROG setzt. Auch
dies führt nicht zur Zulassung der Revision, weil die Frage geklärt ist. Eine pla-
nerische Entscheidung zur Herbeiführung der Rechtsfolgen des § 35 Abs. 3
Satz 3 BauGB in Bezug auf Windenergieanlagen, sei es durch Darstellungen im
Flächennutzungsplan, sei es durch Ziele der Raumordnung, bedarf zu ihrer
Wirksamkeit eines schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzepts. Die An-
forderungen an ein solches Konzept hat das Oberverwaltungsgericht (UA
S. 20 f.) der Rechtsprechung des Senats entnommen (BVerwG, Urteile vom
13. Dezember 2012 - 4 CN 1.11 - BVerwGE 145, 231 Rn. 10 ff. und vom
11. April 2013 - 4 CN 2.12 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 391 Rn. 5). Un-
geachtet dieser Anforderungen unterliegt die Abwägungsentscheidung nach § 7
Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ROG nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle, weil
Planung ohne Gestaltungsfreiheit ein Widerspruch in sich wäre (BVerwG, Urteil
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vom 12. Dezember 1969 - 4 C 105.66 - BVerwGE 34, 301 <304>). Hiervon ist
der Senat bereits bei Entwicklung seiner Rechtsprechung ausgegangen und hat
anerkannt, dass die rechtlichen Anforderungen an die Planungspraxis, nament-
lich die Abgrenzung von harten und weichen Tabuzonen, mit Schwierigkeiten
verbunden sein kann. Dennoch wird dem Plangeber nichts Unmögliches abver-
langt. Von ihm wird nicht mehr gefordert, als er „angemessenerweise“ leisten
kann (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 4 CN 1.11 - BVerwGE 145,
231 Rn. 14). In Übereinstimmung hiermit verlangt das Oberverwaltungsgericht
ein Planungskonzept, das den allgemeinen Anforderungen des planungsrechtli-
chen Abwägungsgebots genügt (UA S. 19); dies schließt die Anerkennung ei-
nes Abwägungsspielraums ein. Weiteren rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf
zeigt die Beschwerde nicht auf. Soweit die Beschwerde in der Sache geltend
macht, das Oberverwaltungsgericht habe einen zu engen Prüfungsmaßstab
angelegt, wendet sie sich gegen die Rechtsanwendung im Einzelfall. Mit einer
solchen Kritik kann die Zulassung einer Revision wegen grundsätzlicher Bedeu-
tung nicht erreicht werden.
2. Die Beschwerde möchte der Sache nach rechtsgrundsätzlich auch klären
lassen,
ob es dem Abwägungsgebot des § 7 Abs. 2 Satz 1
Halbs. 2 ROG genügt, wenn der Plangeber zwar rechtsir-
rig statt einem weichen ein hartes Tabukriterium annimmt,
er aber zu jedem Kriterium im Regionalen Raumord-
nungsplan angibt, aus welchen Gründen er das Gebiet für
die Windenergienutzung für ungeeignet hält, und dieses
Gebiet daher jedenfalls aufgrund von Abwägungsge-
sichtspunkten ausscheidet.
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil der Fall sie nicht aufwirft.
Das Oberverwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Antragsgegnerin
fehlerhaft weiche Tabukriterien als harte Tabukriterien behandelt hat, sondern
dass es an einer Differenzierung fehle (UA S. 29, 31). Die Antragsgegnerin ha-
be auch der Sache nach nicht zwischen harten und weichen Taburäumen un-
terschieden (UA S. 25). Zumindest einige der Ausschlusskriterien, die die An-
tragsgegnerin ausweislich der Planbegründung selbst nicht entsprechend ein-
geordnet habe, ließen sich nicht als „harte“ Tabukriterien qualifizieren. In der
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Rechtsprechung des Senats ist aber geklärt, dass der Plangeber sich zur Ver-
meidung eines Fehlers im Abwägungsvorgang den Unterschied zwischen har-
ten und weichen Tabuzonen bewusst machen und ihn dokumentieren muss
(BVerwG, Urteil vom 11. April 2013 - 4 CN 2.12 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB
Nr. 391 Rn. 6). Die weitere Frage der Beschwerde nach Anforderungen an In-
halt und Tiefe einer Begründungspflicht hinsichtlich weicher Tabukriterien stellt
sich damit nicht.
Auch die von der Beschwerde für rechtsgrundsätzlich gehaltene Frage, ob das
von ihr unterstellte Vorgehen nach § 12 Abs. 3 Satz 2 ROG unbeachtlich sein
kann, stellt sich nach dem Voranstehenden nicht. Sie wäre im Übrigen nicht
entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht angenommen,
der von ihm gekennzeichnete Fehler sei stets beachtlich. Es hat den Sachver-
halt vielmehr dahin gewürdigt, dass die konkrete Möglichkeit bestanden habe,
dass die Antragsgegnerin bei hinreichender Differenzierung weniger Flächen
von vornherein aus der weiteren Prüfung ausgeschieden und insgesamt mehr
oder größere Vorranggebiete für Windenergie ausgewiesen hätte (UA S. 40).
Dies entspricht dem Maßstab des Senats, wonach ein Mangel auf das Abwä-
gungsergebnis von Einfluss gewesen ist, wenn nach den Umständen des jewei-
ligen Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne ihn die Planung anders
ausgefallen wäre (BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2003 - 4 BN 47.03 -
BauR 2004, 1130 und Urteil vom 11. April 2013 - 4 CN 2.12 - Buchholz 406.11
§ 35 BauGB Nr. 391 Rn. 9.).
3. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob dem Plangeber bei der Einordnung eines Gebietes als
„harte“ oder „weiche“ Tabuzone ein Beurteilungsspielraum
zusteht und ob der Plangeber den aus § 7 Abs. 2 Satz 1
Halbs. 2 ROG folgenden Anforderungen an die Abwägung
bei der Planaufstellung, insbesondere an die Einordnung
eines Gebietes als „harte Tabuzone“ gerecht wird, wenn
er seiner planerischen Entscheidung ein methodisch
nachvollziehbares Gutachten zugrunde legt, welches eine
rastermäßige Einteilung der Landschaft in bestimmte Be-
wertungsstufen mit unterschiedlichem Schutzniveau vor-
nimmt.
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Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Sie ist nicht entscheidungser-
heblich, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend annimmt (UA S. 30). Nach
seinen Feststellungen hat die Antragsgegnerin im Planungsprozess nicht
(nachweislich) zwischen „harten“ und „weichen“ Tabuzonen unterschieden (UA
S. 22), diese Differenzierung fehle (UA S. 29 f.). Die Frage nach dem Bestehen
eines Beurteilungsspielraums und nach den insoweit geltenden Grenzen der
gerichtlichen Kontrolle (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. April 2008 - 6 C 15.07 -
BVerwGE 131, 41 Rn. 21) wird aber nicht aufgeworfen, wenn die Behörde, wie
hier die Antragsgegnerin, eine Entscheidung unterlassen hat, für deren Beant-
wortung sie einen Beurteilungsspielraum in Anspruch nimmt. Demzufolge wirft
der Fall auch die hieran anschließende Frage der Beschwerde nicht auf. Diese
wäre im Übrigen nicht in rechtsgrundsätzlicher Weise klärungsfähig, sondern ist
auf den konkreten Einzelfall zugeschnitten.
4. Die Beschwerde möchte weiter rechtsgrundsätzlich klären lassen,
ob Mängel im Abwägungsvorgang (§ 7 Abs. 2 ROG) auf
das Abwägungsergebnis von Einfluss und damit erheblich
nach § 12 Abs. 3 ROG sind, wenn der Planungsträger
nach der Beteiligung der Öffentlichkeit erneut alle nicht
von ihm ausgewiesenen, gleichwohl möglicherweise ge-
eigneten und vorgeschlagenen Flächen hinsichtlich ihrer
Eignung als Konzentrationszone überprüft hat, wenn er al-
so das gesamte Plangebiet unter dem Gesichtspunkt einer
Ausweisung von Windvorranggebieten an anderen, bis-
lang nicht ins Auge gefassten Stellen in den Blick genom-
men und damit eine Art „Generalrevision“ der Planung
vorgenommen hat, um auch die Frage zu beantworten, ob
einer Windenergienutzung „substantiell“ Raum gegeben
wurde.
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil ihr ein Sachverhalt zu
Grunde liegt, den das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Dass die
Antragsgegnerin die Planung abschließend in einer Art „Generalrevision“ ge-
prüft hat, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt, sondern vielmehr,
dass die Antragsgegnerin sich in einem weiteren Verfahrensschritt erneut mit
der Frage auseinandergesetzt habe, ob mit dem vorliegenden Windenergiekon-
zept der Windenergienutzung ausreichend substanziell Raum gegeben worden
sei. Von einer (erneuten) Prüfung einzelner Ausschlusskriterien, die allenfalls
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als weiche Tabukriterien eingeordnet werden könnten, sei nicht die Rede (UA
S. 41).
5. Die Beschwerde hält schließlich für grundsätzlich klärungsbedürftig,
welche Anforderungen bezüglich Art, Umfang, Reichweite
und Erfassungstiefe an die vom Bundesverwaltungsge-
richt in seinen Urteilen vom 13. Dezember 2012 - 4 CN
1.11 - und vom 11. April 2013 - 4 CN 2.12 - angenomme-
nen Dokumentationspflicht hinsichtlich der Unterscheidung
zwischen harten und weichen Tabukriterien zu stellen
sind.
Diese Frage wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Inhalt der Dokumentationspflichten offen
gelassen. Denn die Antragsgegnerin habe schon ihrer Pflicht nicht genügt,
überhaupt zu dokumentieren, sich des Unterschieds zwischen harten und wei-
chen Tabuzonen bewusst gewesen zu sein (UA S. 30). Hiervon ausgehend
spielt keine Rolle, welche Anforderungen im Einzelnen an eine Dokumentation
zu stellen sind.
6. Die Beschwerde führt auch nicht zur Zulassung der Revision, soweit sie sich
in Form einer Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und einer in Hinblick
auf das Senatsurteil vom 17. Dezember 2002 (4 C 15.01 - BVerwGE 117, 287
<295>) erhobenen Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gegen die An-
nahme des Oberverwaltungsgerichts wendet, nicht alle Wälder, die größer als
10 000 qm sind, seien harte Tabuzonen für die Errichtung und den Betrieb von
Windenergieanlagen. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass die
fehlende Differenzierung zwischen harten und weichen Tabukriterien unschäd-
lich sei, wenn es sich bei sämtlichen Ausschlusskriterien der Sache nach um
harte Tabukriterien handelte (UA S. 31). Dies hat es für das Ausschlusskriteri-
um „Wald größer 10 000 qm“ (UA S. 30 - 34) und „erst recht“ für das Aus-
schlusskriterium „Gebiet mit sehr hoher und hoher Empfindlichkeit des Land-
schaftsbildes gegenüber Windenergieanlagen“ und „Gebiet mit sehr hoher und
hoher Empfindlichkeit der landschaftsgebundenen Erholung gegenüber Wind-
energieanlagen“ (UA S. 34 - 35) verneint. Dass nicht sämtliche Ausschlusskrite-
rien harte Tabuzonen sind, hat das Oberverwaltungsgericht damit selbständig
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tragend doppelt begründet. Ist ein Urteil in dieser Weise begründet, kann die
Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der Begründungen ein
Zulassungsgrund geltend gemacht und gegeben ist (stRspr, vgl. BVerwG, Be-
schlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 15 und vom 17. Dezember 2010 - 9 B 60.10 - BayVBl. 2011,
352 Rn. 3). Daran fehlt es hinsichtlich der Ausschlusskriterien mit Blick auf das
Landschaftsbild und die landschaftsgebundene Erholung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
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