Urteil des BVerwG vom 18.10.2006
Zugesicherte Eigenschaft, Rechtliches Gehör, Gemeinde, Rüge
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 20.06
VGH 3 N 124/05
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Oktober 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und Dr. Hofherr
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Revision im Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 12. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 40 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfah-
rensmangels zuzulassen.
a. Zu Unrecht beanstandet die Beschwerde mit der Gehörsrüge, dass der Ver-
waltungsgerichtshof die Ausführungen des Antragstellers, die Antragsgegnerin
habe nicht nur beim Abwägungsvorgang, sondern auch beim Abwägungser-
gebnis seine privaten Belange verkannt und zudem liege ein Fall der Abwä-
gungsdisproportionalität vor, nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung
gezogen hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und
des Bundesverwaltungsgerichts ist in der Regel davon auszugehen, dass das
Gericht bei seiner Entscheidung die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis
genommen und in Erwägung gezogen hat. Das gilt selbst für Vorbringen, das in
den Entscheidungsgründen nicht erörtert ist (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai
1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <146>; BVerwG, Beschluss vom
25. November 1999 - BVerwG 9 B 70.99 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO
Nr. 64). Umso mehr gilt dies für Ausführungen der Beteiligten, mit denen sich
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die Entscheidungsgründe ausdrücklich auseinandersetzen. Wie das Beschwer-
devorbringen selbst einräumt, hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen
der rechtlichen Würdigung des Abwägungsvorgangs mit den betreffenden Aus-
führungen des Antragstellers auseinander gesetzt. Der Anspruch auf rechtli-
ches Gehör erstreckt sich aber nur darauf, dass Ausführungen überhaupt zur
Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden, und nicht darauf, dass
dies in einem bestimmten rechtlichen Zusammenhang geschieht. Die Zuord-
nung des Prozessstoffs zu einzelnen Rechtsfragen betrifft vielmehr die Richtig-
keit der Rechtsanwendung (hier: in Bezug auf die Rechtmäßigkeit des Abwä-
gungsergebnisses), die mit der Gehörsrüge nicht angegriffen werden kann.
b. Aus dem bereits der Gehörsrüge zugrunde gelegten Sachverhalt kann die
Beschwerde auch keinen Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz in Ver-
bindung mit der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) im Hinblick darauf her-
leiten, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht aufgeklärt und untersucht habe,
ob Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass beim Abwä-
gungsergebnis die privaten Belange des Antragstellers verkannt worden sind
und/oder ein Fall der Abwägungsdisproportionalität vorliegt. Denn der Sache
nach rügt die Beschwerde kein Defizit tatsächlicher Feststellungen im Verfahren
vor dem Verwaltungsgerichtshof. Vielmehr meint sie, der Verwaltungsgerichts-
hof habe - auf der Grundlage des ihm bekannten Abwägungsmaterials - das
Abwägungsergebnis im Hinblick auf eine fehlerhafte Berücksichtigung und Ge-
wichtung der betroffenen Belange durch die Antragsgegnerin, insbesondere
bezüglich des privaten Belangs des Antragstellers an der Beibehaltung der bis-
herigen Festsetzungen des Bebauungsplans zur offenen Bauweise und der
damit verbundenen Gewähr einer freien Aussicht, beanstanden müssen. Die
Rüge betrifft damit ebenfalls die Richtigkeit der Rechtsanwendung und nicht die
hinreichende Tatsachenfeststellung, auf die § 86 Abs. 1 VwGO abzielt.
c. Aus dem bereits den vorstehenden Rügen zugrunde gelegten Sachverhalt
ergibt sich schließlich nicht, dass das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs im
Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen ist. Das ist nach der
Rechtsprechung allerdings nicht erst dann der Fall, wenn dem Tenor der Ent-
scheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn
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die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, so dass sie in Wirklich-
keit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßge-
bend gewesen sind. Dagegen reicht es nicht aus, wenn die Entscheidungs-
gründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (Be-
schluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG 9 B 412.98 - NJW 1998, 3290). Bei An-
wendung dieser Grundsätze liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor.
Das Urteil enthält Ausführungen zum Abwägungsergebnis. Diese sind verständ-
lich, insbesondere in der Funktion des Abwägungsergebnisses für die Erheb-
lichkeit von Mängeln im Abwägungsvorgang und in dem zentralen Motiv, von
dem die Antragsgegnerin sich bei der Abwägung hat leiten lassen. Soweit die
Beschwerde die Ausführungen als unvollständig oder unrichtig ansieht, betrifft
dies nicht die Frage, ob das Urteil in formeller Hinsicht mit Gründen versehen
ist, sondern wiederum die Richtigkeit der Rechtsanwendung.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätz-
licher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
a. Die Beschwerde möchte in dem erstrebten Revisionsverfahren rechtsgrund-
sätzlich geklärt wissen,
ob das Interesse an einem rationellen Betrieb einer priva-
ten Einrichtung wie eines privaten Pflege- und Altenhei-
mes einen öffentlichen Belang im Sinne des § 1 Abs. 7
BauGB darstellt.
Diese Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Die Bereit-
stellung bedarfsgerechter Alten- und Pflegeheimplätze kann eine im Interesse
einer Gemeinde liegende Tätigkeit der Daseinsvorsorge sein, und zwar unab-
hängig davon, ob diese Aufgabe von der Gemeinde selbst, oder - wie häufig -
von privaten Trägern erfüllt wird (vgl. etwa Berufungsurteil, das dem Urteil
des Senats vom 13. Juli 2006 - BVerwG 4 C 5.05 -, zur Veröffentlichung in
BVerwGE vorgesehen, zugrunde liegt). Da sich eine solche Einrichtung in wirt-
schaftlicher Hinsicht nur realisieren lässt, wenn sie effektiv betrieben werden
kann, nimmt auch das spezielle Interesse an einem rationellen Betrieb an die-
sem öffentlichen Interesse der Daseinsvorsorge teil. Im Übrigen verlangt
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- hierauf stellt die Beschwerde ebenfalls ab - die Erforderlichkeit einer Bebau-
ungsplanänderung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht zwingend ein
öffentliches Interesse. Es muss sich lediglich um Belange handeln, die eine
Bauleitplanung rechtfertigen können. Hierzu gehören alle in § 1 Abs. 6 BauGB
aufgeführten Belange, da dem Katalog des § 1 Abs. 6 insoweit eine Klarstel-
lungsfunktion zukommt (Gaentzsch, in: Berliner Kommentar zum BauGB,
3. Aufl. 2002, 6. Lieferung, § 1 Rn. 56). Die sozialen Bedürfnisse der Bevölke-
rung, insbesondere die Bedürfnisse der alten und behinderten Menschen,
denen durch die Errichtung eines Alten- und Pflegeheims Rechnung getragen
wird, sind in § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB genannt.
b. Die Beschwerde möchte weiter rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
ob eine Gemeinde bei einer Änderung eines bestehenden
Bebauungsplans im Rahmen der Erforderlichkeit gemäß
§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB sowie der Abwägung nach § 1
Abs. 7 BauGB das gleiche Maß an Gestaltungsfreiheit für
sich in Anspruch nehmen kann wie bei der Erstplanung.
Diese Frage wäre in dieser Allgemeinheit in einem Revisionsverfahren einer
grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Denn welches Maß an Gestaltungs-
freiheit eine Gemeinde im Rahmen der Erforderlichkeit gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1
BauGB für sich in Anspruch nehmen kann, hängt sowohl bei einer Erstplanung
als auch bei einer Änderungsplanung von den konkreten Umständen des Ein-
zelfalls ab. Dabei versteht sich ohne weiteres, dass eine Gemeinde bei einer
Änderungsplanung die durch die Erstplanung vorgegebene rechtliche Situation
der überplanten Grundstücke nicht ignorieren darf und deshalb das Interesse
des Planbetroffenen an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bei der Än-
derungsplanung in die Abwägung einzustellen ist. Insoweit ist in der Rechtspre-
chung des Senats geklärt, dass bei einer Änderung eines Bebauungsplans das
Interesse des Planbetroffenen an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes
nicht nur dann abwägungserheblich ist, wenn durch die Planänderung ein sub-
jektives öffentliches Recht berührt oder beseitigt wird. Abwägungsrelevant ist
vielmehr jedes mehr als geringfügige private Interesse am Fortbestehen des
Bebauungsplans in seiner früheren Fassung, auch wenn es lediglich auf einer
einen Nachbarn nur tatsächlich begünstigenden Festsetzung beruht (Beschluss
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vom 20. August 1992 - BVerwG 4 NB 3.92 - NVwZ 1993, 468). Von dieser
Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof auch ausgegangen.
c. Die Beschwerde möchte weiter grundsätzlich geklärt wissen,
ob die Tatsache, dass eine Gemeinde Bürgern Grundstü-
cke mit bestimmten Zusicherungen, insbesondere freiem
Seeblick, veräußert hat, einen Vertrauensschutz zu Guns-
ten der Bürger an der Beibehaltung des bisherigen Plan-
zustandes jedenfalls insoweit begründet, als eine Ände-
rung des Bebauungsplanes ihnen die zugesicherte Eigen-
schaft ihres Grundbesitzes nicht vollständig entziehen
darf.
Diese Rüge erfüllt schon nicht die Voraussetzungen einer hinreichenden Darle-
gung im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Denn das Beschwerdevorbrin-
gen enthält keine Ausführungen dazu, ob dem Antragsteller, der nach den
Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs in der Verhandlungsniederschrift
vom 11. Mai 2006 sein Anwesen etwa vier Jahre zuvor bei noch ungehindertem
Seeblick erworben hat, von der Antragsgegnerin unmittelbar oder über seinen
Rechtsvorgänger die Beibehaltung des freien Seeblicks in rechtsverbindlicher
Weise zugesichert worden ist. Allein aus dem Hinweis der Beschwerde, dass
die Antragsgegnerin die Grundstücke - etwa in ihrem Mitteilungsblatt - aus-
drücklich mit Seeblick angepriesen und zu entsprechend hohen Kaufpreisen
veräußert habe, ergibt sich noch keine rechtsverbindliche Zusicherung.
d. Schließlich möchte die Beschwerde grundsätzlich geklärt wissen,
ob die Tatsache, dass eine Gemeinde Bürgern Grundstü-
cke mit bestimmten Zusicherungen, insbesondere freiem
Seeblick, veräußert hat, als eigener Belang in die Abwä-
gung nach § 1 Abs. 7 BauGB eingestellt werden muss.
Auch diese Rüge erfüllt nicht die Voraussetzungen einer hinreichenden Darle-
gung im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, da sich auch diese als grund-
sätzlich angesehene Frage in einem Revisionsverfahren nur stellen könnte,
wenn von einer rechtsverbindlichen Zusicherung auszugehen wäre.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Gatz Dr. Hofherr
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