Urteil des BVerwG vom 02.02.2006

Grundstück, Aktenwidrige Feststellung, Bauverbotszone, Bebauungsplan

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 2.06
VGH 26 N 03.2078
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Februar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht G a t z und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers zu 1 gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 20. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller zu 1 trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die
Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Antragsteller zu 1
beimisst. Die Frage, ob ein im Aufstellungsverfahren erfolgter Abwägungsausfall im
Verlauf des gerichtlichen Normenkontrollverfahrens durch die Gemeinde ohne Vor-
lage des entsprechenden Gemeinderatsbeschlusses nachgeholt werden kann, würde
sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil das Normenkon-
trollgericht nicht angenommen hat, dass der umstrittene Bebauungsplan zum Zeit-
punkt seines Zustandekommens mit einem Abwägungsfehler in Form des Abwä-
gungsausfalls behaftet war. Es ist nicht zweifelhaft, dass sich die Aussage im ange-
fochtenen Urteil, andere zur Unwirksamkeit des streitgegenständlichen Bebauungs-
plans führende Abwägungsmängel lägen nicht vor (UA S. 11), auf den Zeitpunkt der
Beschlussfassung des Gemeinderats der Antragsgegnerin vom 2. Juli 2001 bezieht;
denn im Rahmen der vorher durchgeführten Prüfung, ob die Festsetzung einer öf-
fentlichen Grünfläche auf der ehemaligen Staatsstraße 2047 mit dem Abwägungs-
gebot vereinbar ist, findet sich der Rechtssatz, dass der Zeitpunkt des Satzungsbe-
schlusses für die Abwägung maßgeblich ist (UA S. 10).
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2. Der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist ebenfalls nicht
gegeben. Dem Normenkontrollgericht sind weder bei der Erörterung der Frage, ob
die Antragsgegnerin von einer Ausdehnung der Baugrenzen auf dem Grundstück
FlNr. 855/2 nach Westen bis zur Bauverbotszone absehen durfte, noch bei der Prü-
fung der Rechtmäßigkeit der textlichen Festsetzung Nr. 4.3, die die Errichtung von
Garagen und Nebengebäuden außerhalb der Baugrenzen verbietet, Verfahrensfehler
unterlaufen.
a) Der Vorwurf der Beschwerde, das Normenkontrollgericht habe dem
Antragsteller zu 1 beim Thema Erweiterung der Baugrenzen nach Westen in zweifa-
cher Hinsicht das rechtliche Gehör abgeschnitten, ist unbegründet. Zunächst trifft es
nicht zu, dass das Gericht den Vortrag des Antragstellers zu 1 übergangen hat, der
Bebauungsplan leide u.a. insoweit an einem Abwägungsmangel in Gestalt des Ab-
wägungsausfalls, als der Anregung, die Baugrenze auf dem Grundstück 855/2 nach
Westen bis zur Bauverbotszone auszudehnen, ohne Begründung und unter Verlet-
zung des Gleichheitsgebots nicht gefolgt worden sei. Das Gericht hat dieses Vor-
bringen im Tatbestand der Entscheidungsgründe referiert (UA S. 7) und unter der
Nr. 2.2.2 der Entscheidungsgründe (UA S. 11) darauf geantwortet. Des Weiteren hält
die Beschwerde dem Normenkontrollgericht zu Unrecht vor, den gegen die Festset-
zung der Baugrenzen auf dem Grundstück FlNr. 855/2 erhobenen Einwand ignoriert
zu haben, auf dem Nachbargrundstück FlNr. 854/1 stehe ein in die Bauverbotszone
hineinragender Schuppen. Sie verkennt insoweit, dass der Grundsatz des rechtlichen
Gehörs das Gericht nur verpflichtet, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu
nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber, sich mit jedem Vorbringen in den
Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (vgl. BVerfGE 65, 293 <295>; 70,
288 <293>). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm
entgegengenommene Vorbringen sowohl zur Kenntnis genommen als auch in seine
Erwägungen einbezogen hat; nur bei deutlichen gegenteiligen Anhaltspunkten kann
ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs angenommen werden (vgl.
BVerfGE 86, 133 <146>). Solche Anhaltspunkte liegen hier nicht vor. Das Normen-
kontrollgericht hat die Festsetzung der Baugrenzen für das Grundstück FlNr. 855/2
mit der Begründung gebilligt, der Bauraum sei so bemessen, dass die Möglichkeit
einer Bebauung entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans (freistehen-
des Einzelhaus mit maximal zwei Wohneinheiten) auch ohne Hinreichen der Bebau-
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ungsgrenze bis an die Bauverbotszone ausreichend gegeben sei. Die Existenz des
Schuppens auf dem Grundstück FlNr. 854/1, die ihm ausweislich des Tatbestands
seiner Entscheidung nicht entgangen ist (UA S. 8), hat es in diesem Zusammenhang
offenbar für rechtlich nicht relevant gehalten.
Die Rüge, das Normenkontrollgericht habe beim Vergleich der
Grundstücke, die nach dem Bebauungsplan bis an die Bauverbotszone bebaut wer-
den dürfen, mit denjenigen, bei denen die Baugrenzen nicht bis zu dieser Zone aus-
gedehnt worden sind, eine aktenwidrige Feststellung getroffen, führt ebenfalls nicht
zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde trägt selbst vor, dass das im Bebau-
ungsplan mit Nr. 1 gekennzeichnete Grundstück 620 m², das Grundstück Nr. 2
580 m² und das Grundstück Nr. 12 des Antragstellers zu 1 (= FlNr. 855/2) 680 m²
groß ist. Sie wendet sich dagegen, dass das Normenkontrollgericht aus dem Grö-
ßenvergleich den Schluss gezogen hat, die Grundstücke Nr. 1 und Nr. 2 seien "deut-
lich" kleiner als das Grundstück Nr. 12 (UA S. 11). Die Bewertung der Größenunter-
schiede als deutlich gehört freilich zur tatrichterlichen Beweiswürdigung und Über-
zeugungsbildung, die als solche der Verfahrensrüge nicht zugänglich sind (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 2. November 1999 - BVerwG 4 BN 41.99 - UPR 2000, 226).
b) Soweit sich die Verfahrensrügen auf die Ausführungen im Normen-
kontrollurteil zu der textlichen Festsetzung Nr. 4.3 (UA S. 12) beziehen, hat die Be-
schwerde ebenfalls keinen Erfolg. Die Gehörsrüge, das Normenkontrollgericht habe
den Hinweis des Antragstellers zu 1 nicht ausreichend gewürdigt, dass der Gemein-
derat der Antragsgegnerin noch im März und im Mai 1999 die Errichtung von Gar-
tenhäusern außerhalb der Baugrenzen zugelassen habe, ist unschlüssig. Die Be-
schwerde moniert nicht, dass das Normenkontrollgericht über den Vortrag des An-
tragstellers zu 1 zu früheren Planungsabsichten der Antragsgegnerin hinweggegan-
gen sei. Vielmehr beanstandet sie, dass das Normenkontrollgericht dem Rat der An-
tragsgegnerin das Recht zugebilligt hat, seine planerischen Vorstellungen im Laufe
des Verfahrens zur Aufstellung eines Bebauungsplans zu ändern. Mit Angriffen ge-
gen die Auslegung und Anwendung materiellen Rechts lässt sich ein die Zulassung
der Verfahrensrevision rechtfertigender Verfahrensverstoß nicht dartun (BVerwG,
Beschluss vom 29. Oktober 1997 - BVerwG 7 B 336.97 - Buchholz 428.5 § 6 GVO
Nr. 1).
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Die Beschwerde sieht eine Gehörsverletzung ferner darin, dass das
Normenkontrollgericht eine offenkundige Fehlvorstellung des Gemeinderats der An-
tragsgegnerin bei der Beschlussfassung über die Zulässigkeit von Nebengebäuden
nicht berücksichtigt habe. Der Gemeinderat sei davon ausgegangen, bei einer Aus-
dehnung der Baugrenzen entsprechend der Anregung des Antragstellers zu 1 werde
eine Bebauung bis zur südlichen Grenze des Grundstücks FlNr. 855 ermöglicht. Dies
sei unzutreffend, weil einer Grenzbebauung die Ausweisung einer privaten Grünflä-
che im südlichen Grundstücksbereich entgegenstehe. Da der Gemeinderat offen-
sichtlich nicht zwischen den als privaten Grünflächen festgesetzten Grundstückstei-
len und den außerhalb der Baugrenzen liegenden Grundstücksteilen unterschieden
habe, liege ein Abwägungsmangel vor. Hierauf sei das Normenkontrollgericht nicht
eingegangen, obwohl der Antragsteller zu 1 auf diesen Sachverhalt im Schriftsatz
vom 5. Oktober 2004 (Seite 1) hingewiesen habe. - Diese Gehörsrüge bleibt erfolg-
los, weil die Darstellung der Beschwerde über den Inhalt des in Bezug genommenen
Schriftsatzes vom 5. Oktober 2004 nicht zutrifft. Soweit es darauf ankommt, be-
schränkt sich der Schriftsatz auf die Wiedergabe der Ansicht des Antragstellers zu 1,
durch die Festlegung eines verhältnismäßig breiten Grünstreifens habe die Antrags-
gegnerin ausreichend sichergestellt, dass ein bestimmter Anteil an Fläche nicht be-
baut werde. Hierauf hat das Normenkontrollgericht unter Nr. 2.2.3 der Entschei-
dungsgründe geantwortet, es liege innerhalb der weiten Grenzen der planerischen
Gestaltungsfreiheit, die Grundstücksteile, die außerhalb der - ausreichend bemesse-
nen - Baugrenzen lägen, zur Verhinderung einer wahllosen Bebauung von jeglicher
Bebauung freizuhalten.
Die Beschwerde vermisst eine Beweisaufnahme des Normenkontrollge-
richts zu der Tatsache, ob das Grundstück des Antragstellers zu 1 von weitem ein-
sehbar ist. Sie erhebt damit eine Aufklärungsrüge. Abgesehen davon, dass das Be-
weisthema zu unbestimmt ist, als dass sich ihm das Normenkontrollgericht hätte
widmen müssen, genügt die Rüge nicht den Erfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass es nach dem materiellrechtlichen
Standpunkt des Normenkontrollgerichts, auf den abzustellen ist, auf die Einsehbar-
keit des Grundstücks ankam. Darüber hinaus mangelt es an der gebotenen Sub-
stanziierung (vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997
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- BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Die Beschwerde legt nicht dar, welche für
geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen in Betracht gekommen
und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen
Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich im Einzelnen getroffen worden wären. Au-
ßerdem zeigt sie nicht auf, dass bereits im Verfahren vor dem Normenkontrollgericht,
insbesondere in der mündlichen Verhandlung, durch Beweisanträge auf die Vor-
nahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hin-
gewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch
ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen.
3. Die Revision ist schließlich nicht zuzulassen, um dem Senat den
Zugriff auf die von der Beschwerde bemängelte Kostenentscheidung der Vorinstanz
zu eröffnen. Die Beschwerde scheitert sowohl daran, dass sie ihre Kritik an der Kos-
tenquotelung mit keinem der in § 132 Abs. 2 VwGO abschließend aufgeführten Zu-
lassungsgründe verknüpft, als auch an § 158 Abs. 1 VwGO. Nach dieser Bestim-
mung ist die Anfechtung der Kostenentscheidung unzulässig, wenn nicht gegen die
Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird. Zwar umfasst die
Nichtzulassungsbeschwerde des Antragstellers zu 1 auch das Begehren auf Fest-
stellung der vollständigen Unwirksamkeit des umstrittenen Bebauungsplans, sie ist
jedoch kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung in der Hauptsache. § 158 Abs. 1
VwGO bezweckt, die oberen Gerichte davon freizustellen, ohne Entscheidung zur
Hauptsache isoliert die Kostenentscheidung überprüfen zu müssen. Deshalb steht
die Vorschrift einer Anfechtung (auch) der Kostenentscheidung nur dann nicht ent-
gegen, wenn das Rechtsmittel zur Hauptsache zu einer Sachentscheidung führen
kann. Bei Rechtsmitteln, die der Zulassung bedürfen, ist dies erst nach der - hier
nicht in Betracht kommenden - Zulassung möglich (BVerwG, Beschluss vom 6. März
2002 - BVerwG 4 BN 7.02 - NVwZ 2002, 1385 <1386>).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streit-
wertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Gatz Dr. Jannasch