Urteil des BVerwG vom 04.02.2003

Bebauungsplan, Grundstück, Verfahrensmangel, Beiladung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 2.03
OVG 1 K 2683/00
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Februar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
H a l a m a und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom
18. September 2002 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Be-
schwerdeverfahrens mit Ausnahme der außerge-
richtlichen Kosten des Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO
gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
bleibt ohne Erfolg.
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Antrag-
steller sind durch die Normenkontrollentscheidung des Ober-
verwaltungsgerichts nicht beschwert.
Mit ihrem Normenkontrollantrag hatten sie begehrt, den Bebau-
ungsplan für nichtig zu erklären, soweit er für ihr Grundstück
eine mit Geh-, Fahr- und Leitungsrechten zu belastende Fläche
festsetzt. Das Normenkontrollgericht ist bei seiner Entschei-
dung über diesen Antrag hinausgegangen, da nach seiner Auffas-
sung der für unwirksam zu erklärende Teil mit anderen nicht
angegriffenen Teilen des Bebauungsplans in einem untrennbaren
Zusammenhang stehe. Das Oberverwaltungsgericht ist dann zu dem
Ergebnis gelangt, hinsichtlich der Festsetzung eines Geh-,
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Fahr- und Leitungsrechts genüge der Plan dem Abwägungsgebot
(§ 1 Abs. 6 BauGB), nicht aber hinsichtlich der Belange des
Naturschutzes. Ferner sei der Plan fehlerhaft, soweit es um
die Berücksichtigung des Niedersächsischen Spielplatzgesetzes
gehe. Das Oberverwaltungsgericht hat den Bebauungsplan daher
für nicht wirksam erklärt.
Die Antragsteller erstreben mit sämtlichen in ihrer Nichtzu-
lassungsbeschwerde erhobenen Rügen in der Sache das Ziel, dass
das Gericht den Bebauungsplan auch insoweit als fehlerhaft an-
sieht, als in ihm ein Geh-, Fahr- und Leitungsrecht auf ihrem
Grundstück festgesetzt worden ist. Selbst wenn das Bundesver-
waltungsgericht als Revisionsgericht oder nach einer Zurück-
verweisung der Sache das Normenkontrollgericht diesem Begehren
entsprechen würde, könnte dies nur dazu führen, dass der Be-
bauungsplan für unwirksam erklärt würde. Denn ein - unter-
stellter - Fehler hinsichtlich der Festsetzung eines Geh-,
Fahr- und Leitungsrechts würde nicht so schwer wiegen, dass er
den Kern oder das Grundgerüst der Abwägungsentscheidung be-
treffen würde (vgl. Beschluss vom 20. Juni 2001 - BVerwG 4 BN
21.01 - NVwZ 2002, 83 = BRS 64 Nr. 58 m.w.N.). Mit dem Bebau-
ungsplan strebte die Antragsgegnerin die Ausweisung eines All-
gemeinen Wohngebiets und damit die Schaffung von Bebauungsmög-
lichkeiten auf mehreren Grundstücken innerhalb festgesetzter
Begrenzungen an. Demgegenüber stellt die Festsetzung eines
Geh-, Fahr- und Leitungsrechts - so bedeutsam es für die be-
troffenen Grundstückseigentümer sein mag - nur eine Detailre-
gelung dar, die für die Gesamtkonzeption von untergeordneter
Bedeutung ist. Die Antragsteller haben in ihrer Beschwerde
auch nichts dafür vorgetragen, dass vorliegend eine Nichtiger-
klärung in Betracht käme.
Für den Ausspruch der Unwirksamkeit eines Bebauungsplans ge-
nügt es jedoch, dass das Normenkontrollgericht einen einzigen
zur Unwirksamkeit führenden Mangel feststellt. Die prozessuale
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Lage eines Antragstellers würde sich nicht verbessern, wenn
das Normenkontrollgericht weitere Unwirksamkeitsgründe anneh-
men würde, weil der Bebauungsplan auch dann nur für unwirksam
erklärt werden könnte (BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 2002
- BVerwG 4 BN 16.02 - zur Veröffentlichung bestimmt).
Aus § 47 Abs. 5 Satz 4 VwGO folgt nichts anderes. Zwar erklärt
das Oberverwaltungsgericht nach dieser Vorschrift den Bebau-
ungsplan "bis zur Behebung der (festgestellten) Mängel" für
nicht wirksam. Auch daraus ergibt sich jedoch nicht, dass ein-
zelne Unwirksamkeitsgründe zum Gegenstand des Normenkontroll-
verfahrens oder eines Rechtsmittels gegen die Normenkontroll-
entscheidung gemacht werden können. Die Vorschrift stellt
klar, dass die Unwirksamkeitserklärung eines an behebbaren
Mängeln leidenden Bebauungsplans - im Gegensatz zur Nichtig-
keitserklärung nach Satz 2 - zeitlich beschränkt ist; sie gilt
nur bis zum Abschluss des ergänzenden Verfahrens nach § 215 a
BauGB. Dabei verdeutlicht die Formulierung des § 47 Abs. 5
Satz 4 VwGO, dass das Normenkontrollgericht auch mehrere Un-
wirksamkeitsgründe feststellen kann.
Eine Beschwer liegt schließlich auch nicht darin, dass das
Normenkontrollurteil in seiner Begründung Ausführungen ent-
hält, nach denen der streitige Bebauungsplan an keinen weite-
ren Mängeln leidet, die für seine Wirksamkeit beachtlich sind.
Diese Ausführungen tragen den Entscheidungsausspruch des Nor-
menkontrollgerichts nicht und nehmen deshalb an seiner Rechts-
kraft nicht teil. Nach einer Behebung des im Normenkontroll-
verfahren festgestellten Mangels in einem ergänzenden Verfah-
ren nach § 215 a BauGB wären die Antragsteller nicht gehin-
dert, in einem zweiten Normenkontrollverfahren die für nicht
durchgreifend angesehenen Rügen erneut zu erheben.
Das bedeutet nicht, dass das Normenkontrollgericht seine Prü-
fung beenden muss, wenn es einen zur Unwirksamkeit führenden
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Mangel festgestellt hat. Vielmehr sollte es im Sinne eines
"nobile officium" auf die übrigen ernsthaft zwischen den Be-
teiligten streitigen oder sich anderweit aufdrängenden Fragen
eingehen, wenn der Streitstoff auch insoweit entscheidungsreif
ist, um auf diese Weise zur endgültigen Beilegung des Rechts-
streits beizutragen. Eine strikte prozessuale Pflicht hierzu
besteht jedoch nicht (vgl. den Senatsbeschluss vom 11. Dezem-
ber 2002, a.a.O.).
2. Im Übrigen bliebe die Beschwerde auch in der Sache ohne Er-
folg.
2.1 Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeu-
tung, die ihr die Beschwerde beimisst. Dies setzt die Formu-
lierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten
und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des
revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die
allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beste-
hen soll (vgl. BVerwGE 13, 90 <91 f.>; stRspr).
Die Beschwerde wirft die Frage auf, welche Anforderungen an
den konkreten Nachweis einer Abwägung zu stellen seien. Dabei
verweist sie bereits selbst auf Besonderheiten des Einzel-
falls. Eine derartige Frage lässt sich jedoch nicht in rechts-
grundsätzlicher Weise beantworten.
Nichts anderes gilt für die von der Beschwerde weiter aufge-
worfene Frage, was in die Abwägung eingestellt werden muss.
Das Vorbringen der Antragsteller lässt in keiner Weise erken-
nen, dass der vorliegende Fall sich für eine Weiterentwicklung
der in der Rechtsprechung bereits aufgestellten Grundsätze
eignen könnte. Vielmehr setzt sie sich mit Besonderheiten des
konkreten Einzelfalls auseinander, die sich in erster Linie
daraus ergeben, dass die Antragsteller das Grundstück nach Er-
lass des Bebauungsplans erworben haben. Im Übrigen hat das
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Normenkontrollgericht keineswegs verkannt, dass auch eine an-
dere Erschließung des Nachbargrundstücks möglich ist; es hat
selbst darauf hingewiesen.
Auch soweit die Antragsteller auf eine vermeintliche Funkti-
onslosigkeit des Bebauungsplans hinweisen und die Bedenken der
Feuerwehr zur Breite des Zufahrtsweges wiederholen, werfen sie
keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung im genannten Sinn
auf.
2.2.1 Die Antragsteller rügen ferner als Verfahrensfehler,
dass das Oberverwaltungsgericht den Voreigentümer nicht zum
Verfahren beigeladen habe. Damit bleiben sie schon deswegen
ohne Erfolg, weil in keiner Weise dargelegt oder erkennbar
ist, dass das Gericht im Falle der Beiladung zu einem anderen,
für die Antragsteller günstigeren, Ergebnis gelangt wäre. So-
weit sie in diesem Zusammenhang auf selbständige Beweis- und
Verteidigungsmittel verweisen, wird nicht erkennbar, warum sie
diese nicht selbst hätten anwenden können.
Sie meinen ferner, der Voreigentümer hätte als Zeuge vernommen
werden müssen. Der insoweit geltend gemachte Verfahrensmangel
ist jedoch nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO be-
zeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründen-
den Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung sub-
stantiiert dargetan wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. No-
vember 1992 - BVerwG 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO
Nr. 5). Hinsichtlich des von der Beschwerde behaupteten Auf-
klärungsmangels hätte dementsprechend substantiiert dargelegt
werden müssen, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände
Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und er-
forderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht
gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei
Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraus-
sichtlich getroffen worden wären; weiterhin hätte dargelegt
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werden müssen, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachenge-
richt, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, entweder
auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterblei-
ben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich
dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein sol-
ches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen. Denn die
Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines
Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das
Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren.
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht einmal an-
satzweise. Insbesondere legt die Beschwerde nicht dar, wieso
der nunmehr als Zeuge benannte Voreigentümer in der Lage gewe-
sen wäre, Tatsachen mitzuteilen, die darüber hätten Aufschluss
geben können, ob bei der Abwägungsentscheidung der Antragsgeg-
nerin bestimmte Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind oder
nicht.
2.2.2 Die Antragsteller machen ferner geltend, das Oberverwal-
tungsgericht habe eine unzulässige Überraschungsentscheidung
getroffen. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn das Gericht ei-
nen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen
Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und da-
mit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher insbeson-
dere der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf
des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerwG, Urteil
vom 25. März 1980 - BVerwG 4 C 87.77 - Buchholz 310 § 104 VwGO
Nr. 13; Urteil vom 31. Mai 1983 - BVerwG 4 C 20.83 - Buchholz
310 § 108 VwGO Nr. 135; Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C
106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235; Beschluss vom
23. Dezember 1991 - BVerwG 5 B 80.91 - Buchholz 310 § 108 VwGO
Nr. 241).
Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Allerdings hat das
Normenkontrollgericht in einem Schreiben vom 8. April 2002
(Seite 52R der Akten) bei der Antragsgegnerin angefragt, ob
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diese an der im Bebauungsplan festgesetzten Erschließung fest-
halte, und dies unter Hinweis auf das zwischenzeitliche Ver-
halten des Nachbarn näher begründet. Diese Anfrage erfolgte im
Rahmen der sich durch das Verfahren hinziehenden Bemühungen
des Gerichts, eine alle Beteiligten zufrieden stellende Lösung
herbeizuführen. Wenn derartige Bemühungen erfolglos bleiben,
hat das Gericht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung
und unter Verwertung des gesamten Sach- und Streitstandes
darüber zu befinden, wie zu entscheiden ist. Kein Beteiligter
kann sich darauf verlassen, dass das Gericht später zu seinen
Gunsten entscheiden wird, nur weil es die Möglichkeiten einer
vergleichsweisen Einigung ausgelotet und hierzu Fragen ge-
stellt hat. Dies gilt umso weniger, wenn die Problematik
- hier einer Erschließung der betroffenen Grundstücke - in der
mündlichen Verhandlung nochmals ausführlich erörtert worden
ist, wie sich aus der Niederschrift ergibt.
3. Abschließend hebt der Senat hervor: Der Bebauungsplan ist
zurzeit unwirksam. Die Antragsgegnerin hat über ihn erneut zu
befinden. Falls nicht schon geschehen, kann dies zum Anlass
genommen werden, mit allen Betroffenen nochmals über die um-
strittene Erschließung der rückwärtigen Grundstücke zu verhan-
deln, um so möglicherweise eine bessere Lösung herbeizuführen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3
VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 und 3, § 13
Abs. 1 Satz 1 GKG.
Paetow Halama Jannasch