Urteil des BVerwG vom 13.11.2006

Bekanntmachung, Bebauungsplan, Raumordnung, Erlass

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 18.06
OVG 10 A 12.05
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. November 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und Dr. Hofherr
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungs-
gerichts Berlin-Brandenburg vom 11. April 2006 wird zu-
rückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 25 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich mit seinem Normenkontrollantrag gegen die als
Ziel der Raumordnung erfolgte Ausweisung eines Eignungsgebietes für die
Windnutzung im Regionalplan Uckermark-Barnim. Sein im Außenbereich gele-
genes Grundstück, das er zu Wohnzwecken und für seinen Beruf als Musiker
nutzt, liegt etwa 800 m von der Grenze des Eignungsgebietes entfernt. Der An-
tragsteller befürchtet insbesondere unzumutbare Immissionen im Falle der Er-
richtung von Windenergieanlagen.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag mangels Antragsbe-
fugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) als unzulässig abgelehnt. Zur Begründung
hat es ausgeführt: Der Antragsteller werde durch die Zielfestlegung des Regio-
nalplans noch nicht in seiner Rechtsstellung betroffen; insbesondere könne er
sich nicht auf einen eigenen abwägungserheblichen Belang berufen.
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II
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Rechtssache besitzt nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeu-
tung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1.1 Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob und
unter welchen Voraussetzungen die Interessen und Belange auch von Privaten
im Verfahren zur Aufstellung eines Regionalplans abzuwägen sind und gericht-
lich geltend gemacht werden dürfen. In dieser Allgemeinheit würde sich indes
diese Frage in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Vielmehr wäre
allenfalls von Bedeutung, unter welchen Voraussetzungen sich bei Fallgestal-
tungen, die in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ebenso wie der hier
zugrunde liegende Sachverhalt gelagert sind, aus dem raumordnungsrechtli-
chen Abwägungsgebot eine Antragsbefugnis Privater nach § 47 Abs. 2 Satz 1
VwGO ergeben kann. Doch auch mit diesem eingeschränkten Inhalt wird ein
Zulassungsgrund im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargetan. Die
Frage lässt sich eindeutig aus dem Gesetz und der dazu ergangenen höchst-
richterlichen Rechtsprechung beantworten und bedarf zu ihrer Klärung nicht der
Durchführung eines Revisionsverfahrens.
Für die aus dem planungsrechtlichen Abwägungsgebot herzuleitende Antrags-
befugnis zur Stellung eines Normenkontrollantrags gegen einen raumordnungs-
rechtlichen Plan gelten im Grundsatz dieselben Anforderungen wie etwa im
Falle eines Normenkontrollantrags gegen einen Bebauungsplan (vgl. hierzu
BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 - BVerwGE 107,
215). Ein Antragsteller muss also hinreichend substantiiert Tatsachen vortra-
gen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch bestimmte
Regelungen des raumordnungsrechtlichen Plans oder deren Anwendung in
seinem Recht auf ordnungsgemäße Abwägung seiner Belange verletzt wird.
Das wiederum setzt voraus, dass er einen eigenen Belang als verletzt benennt,
der für die Abwägung überhaupt zu beachten war (vgl. BVerwG a.a.O. S. 219).
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Das Oberverwaltungsgericht ist der Sache nach von diesen - höchstrichterlich
nicht weiter klärungsbedürftigen - Grundsätzen ausgegangen und hat eine
durch die Zielfestlegung Z.1.1 hervorgerufene abwägungserhebliche Beein-
trächtigung des Grundeigentums des Antragstellers und damit die Möglichkeit
der Verletzung eines Rechtsanspruchs auf ordnungsgemäße Abwägung ver-
neint. Vielmehr komme eine Verletzung von Rechten des Antragstellers erst in
Betracht, wenn in dem fraglichen Eignungsgebiet des Regionalplans in der Nä-
he seines Wohngrundstücks entweder ein die Errichtung von Windenergieanla-
gen zulassender Bebauungsplan erlassen oder eine immissionsschutzrechtliche
Genehmigung für derartige Vorhaben erteilt werde; insoweit könne er durch
einen Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan oder durch eine Klage
gegen die Genehmigungsentscheidung Rechtsschutz erlangen.
1.2 Grundsätzliche Bedeutung erhält die Rechtssache auch nicht durch die von
der Beschwerde (Schriftsatz vom 31. Mai 2006, S. 41 ff.) in diesem Zusam-
menhang angesprochene Regelung in § 7 Abs. 7 des am 1. Januar 1998 in
Kraft getretenen Raumordnungsgesetzes vom 18. August 1997 (BGBl I
S. 2081) - ROG 1998. Nach Satz 1 dieser rahmenrechtlichen Vorschrift ist für
die Aufstellung der Raumordnungspläne vorzusehen, dass die Grundsätze der
Raumordnung gegeneinander und untereinander abzuwägen sind. Weiter ist
vorzusehen, dass sonstige öffentliche Belange sowie private Belange in der
Abwägung zu berücksichtigen sind, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebe-
ne erkennbar und von Bedeutung sind (§ 7 Abs. 7 Satz 2 ROG 1998 bzw. § 7
Abs. 7 Satz 3 ROG 1998 i.d.F. des Art. 2 EAG Bau vom 24. Juni 2004
S. 1359>). In Ausfüllung dieser rahmenrechtlichen Vorgaben wurde durch Art. 3
des Gesetzes vom 15. März 2001 (GVBl I S. 42) in § 2 Abs. 7 Satz 1 und 3 des
Gesetzes zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sa-
nierungsplanung im Land Brandenburg - RegBkPlG - vom 13. Mai 1993 (GVBl I
S. 170) eine inhaltsgleiche Regelung in das Landesrecht eingefügt (vgl. auch
die Bekanntmachung der Neufassung dieses Gesetzes vom 12. Dezember
2002, GVBl I 2003 S. 2).
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Diese auch die privaten Belange erwähnende Fassung des raumordnungs-
rechtlichen Abwägungsgebots ist indes im hier zu beurteilenden Fall nicht
zugrunde zu legen. Mit der Aufstellung des angegriffenen Regionalplans ist, wie
die beigezogenen Behördenakten ergeben, im Jahr 1994 und somit vor Inkraft-
treten des ROG 1998 am 1. Januar 1998 begonnen worden. Damit war für die-
sen Plan nach der Überleitungsvorschrift des § 23 Abs. 1 ROG 1998 weiterhin
die bis dahin geltende Fassung des Raumordnungsgesetzes anzuwenden.
Dass die Antragsgegnerin wegen eines möglichen Fehlers bei der öffentlichen
Bekanntmachung des am 4. Oktober 2000 als Satzung beschlossenen Regio-
nalplans am 3. März 2004 ausschließlich zum Zweck einer erneuten
- fehlerfreien - Bekanntmachung nochmals einen Satzungsbeschluss (mit
Rückwirkung auf das ursprünglich vorgesehene Inkrafttreten) gefasst hat, än-
dert daran nichts. Denn durch diesen Vorgang ist kein neues Planungsverfah-
ren im Sinne von § 23 Abs. 1 ROG 1998 eingeleitet worden.
In der somit maßgebenden früheren Fassung des Raumordnungsgesetzes (vgl.
Fassung der Bekanntmachung vom 28. April 1993, BGBl I S. 630) war für den
Erlass von Raumordnungsplänen eine Berücksichtigung privater Belange in der
Abwägung nicht vorgesehen; somit entfalteten raumordnungsrechtliche Ziel-
festlegungen auch keine Rechtswirkungen gegenüber dem privaten Einzelnen
(vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2001 - BVerwG 4 C 4.00 -
BVerwGE 115, 17 <29>). Dementsprechend enthielt auch die ursprüngliche
Fassung des Gesetzes zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkoh-
len- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg vom 13. Mai 1993 (GVBl I
S. 170) keine Vorschrift über die Berücksichtigung privater Belange in der Ab-
wägung und sah folgerichtig eine Beteiligung im Aufstellungsverfahren nur für
Träger öffentlicher Belange vor (vgl. § 2 Abs. 4 RegBkPlG 1993). In zutreffen-
der Anknüpfung hieran hat die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall auch nur
solche Träger beteiligt, wie aus den Behördenakten hervorgeht.
Allerdings konnten schon beim früheren Rechtszustand private Belange nach
allgemeinen Grundsätzen bei der Abwägung zu berücksichtigen sein, nämlich
dann, wenn raumordnerische Zielfestlegungen infolge raumordnungsexterner
Regelungen nachteilige rechtliche Wirkungen für die Rechtsstellung von Priva-
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ten zur Folge haben konnten. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Vorschrift
des § 35 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 und Abs. 3 BauGB, wonach unter näher be-
zeichneten Voraussetzungen Ziele der Raumordnung als entgegenstehende
öffentliche Belange die Genehmigung eines im Außenbereich gelegenen Vor-
habens ausschließen. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Problematik ge-
sehen, aber auch insoweit eine Antragsbefugnis des Antragstellers zutreffend
verneint. Denn im Hinblick auf die genannten Vorschriften könnte sich die Mög-
lichkeit einer Verletzung des Rechts auf ordnungsgemäße Abwägung im Sinne
von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO allenfalls dann ergeben, wenn der Antragsteller
selbst Windenergieanlagen errichten wollte und die hierfür erforderliche immis-
sionsschutzrechtliche Genehmigung an der mit dem Normenkontrollantrag an-
gegriffenen Zielfestlegung Z 1.1 scheitern könnte. Solche Bauabsichten hat der
Antragsteller nicht geltend gemacht; er will im Gegenteil die Zulassung solcher
Anlagen möglichst verhindern.
1.3 Dass die Ausführungen der Beschwerdebegründung unter der Überschrift
„Verkürzung des Rechtsschutzes durch Verweis auf Rechtsschutz in Bauleit-
und Genehmigungsverfahren“ nicht geeignet sind, den Zulassungsgrund des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO darzutun, folgt aus dem vorstehend unter 1.2 Gesag-
ten. Eine rechtliche Betroffenheit des Antragstellers und damit auch das Erfor-
dernis einer Rechtsschutzgewährung können sich - je nach Sachlage - erst
durch den Erlass eines Bebauungsplans oder die Erteilung einer immissions-
schutzrechtlichen Genehmigung für eine Windenergieanlage ergeben. Von ei-
ner Verkürzung des Rechtsschutzes kann in diesen Fällen umso weniger die
Rede sein, als im Rahmen eines Normenkontrollantrags gegen einen Bebau-
ungsplan oder einer Nachbarklage gegen die Genehmigung inzident auch die
Gültigkeit der Zielfestlegung überprüft werden kann, soweit es entscheidungs-
erheblich darauf ankommen sollte.
1.4 Schließlich führen die Darlegungen der Beschwerde zur Umweltverträglich-
keitsprüfung (Beschwerdebegründung Seite 45 ff.) nicht auf einen Zulassungs-
grund. Dass ein Privater, der nicht einmal in seinen eigenen Belangen abwä-
gungserheblich betroffen ist, eine Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1
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VwGO nicht isoliert aus Regelungen über die Umweltverträglichkeitsprüfung
herleiten kann, liegt auf der Hand.
2. Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund einer Divergenz (§ 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO) ist nicht gegeben.
Die behauptete Abweichung des vorinstanzlichen Urteils vom Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 13. März 2003 - BVerwG 4 C 4.02 - (BVerwGE
118, 33) liegt schon deshalb nicht vor, weil - wie dargelegt - die Regelung des
§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für die Rechtsstellung des Antragstellers ohne Be-
deutung ist.
Ebenso wenig weicht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 -
(BVerwGE 107, 215) ab. Wie oben ausgeführt, ist das Oberverwaltungsgericht
von den in dieser Entscheidung dargelegten Grundsätzen zur Antragsbefugnis
ausgegangen. Dass es in Anwendung der Grundsätze zu einem Ergebnis ge-
langt ist, das die Beschwerde für unrichtig hält, begründet keine Divergenz.
Schließlich besteht mit Blick auf den dargestellten Regelungsgehalt der Ziel-
festlegung Z 1.1 auch keine Divergenz zum Beschluss des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 27. September 1978 (BVerfGE 49, 220) und den dort ge-
machten Ausführungen zur Bedeutung des Art. 14 Abs. 1 GG.
3. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO be-
stehen nicht. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts leidet nicht an den von
der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehlern. Das diesbezügliche
Vorbringen variiert im Gewand von Verfahrensrügen die grundlegende These
der Beschwerde, dass sich der Antragsteller auf einen aus seiner Eigentümer-
stellung folgenden, bei der regionalplanerischen Abwägung zu berücksichtigen-
den Belang berufen könne bzw. es jedenfalls möglich erscheine, dass ihm eine
solche die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO vermittelnde
Rechtsposition zu Seite stehe. Wie mehrfach dargelegt, ist dies nicht der Fall.
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Weitere Ausführungen hierzu sind nicht veranlasst (vgl. § 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertent-
scheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Gatz Dr. Hofherr
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Raumordnungsrecht
Fachpresse: ja
Verwaltungsprozessrecht
Rechtsquellen:
VwGO
§ 47 Abs. 2 Satz 1
ROG 1998 § 7 Abs. 7, § 23 Abs. 1
RegBkPlG Brandenburg § 2
BauGB
§ 35 Abs. 3 Satz 2 und 3
Stichworte:
Windenergienutzung; Regionalplan; Eignungsgebiet; Zielfestlegung; Normen-
kontrolle; Antragsbefugnis; Abwägungsgebot; Anspruch auf ordnungsgemäße
Abwägung.
Leitsatz:
Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Grundstückseigentümer aus dem
Abwägungsgebot seine Antragsbefugnis zur Stellung eines Normenkontrollan-
trags herleiten kann, mit dem er sich gegen die zielförmige Festlegung eines
Eignungsgebietes „Windnutzung“ in einem Regionalplan wendet.
Beschluss des 4. Senats vom 13. November 2006 - BVerwG 4 BN 18.06
I. OVG Berlin-Brandenburg vom 11.04.2006 - Az.: OVG 10 A 12.05 -