Urteil des BVerwG vom 16.11.2006

Beteiligungsrecht, Gemeinde, Normenkontrolle, Regionalplanung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 16.06
OVG 10 A 14.05
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. November 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und Dr. Hofherr
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts Berlin-Brandenburg vom 25. April 2006 wird zurück-
gewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 25 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Die Antragstellerin, eine Gemeinde, wendet sich mit ihrem Normenkontrollan-
trag gegen die als Ziel der Raumordnung erfolgte Ausweisung eines Eignungs-
gebietes für die Windnutzung im Regionalplan Uckermark-Barnim. Das Ge-
meindegebiet der Antragstellerin grenzt an das Eignungsgebiet an, liegt aber
außerhalb des Geltungsbereichs des Regionalplans. Die Antragstellerin wurde
bei der Aufstellung des Regionalplans nicht beteiligt. Sie befürchtet, dass die
künftig zu errichtenden Windenergieanlagen nachteilige Auswirkungen insbe-
sondere für ihr Orts- und Landschaftsbild hervorrufen werden. Das Oberverwal-
tungsgericht hat den Normenkontrollantrag mangels Antragsbefugnis (§ 47 Abs.
2 Satz 1 VwGO) als unzulässig abgelehnt.
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Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg.
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1. Die Rechtssache besitzt nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeu-
tung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1.1 Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, unter
welchen Voraussetzungen eine Gemeinde an dem Verfahren zur Aufstellung
eines Regionalplans zu beteiligen ist und infolgedessen die für eine Normen-
kontrolle erforderliche Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) besitzt,
wenn die Gemeinde an das vom Regionalplan erfasste Gebiet angrenzt. Die
Beschwerde nimmt dabei Bezug auf das in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewähr-
leistete Recht der kommunalen Selbstverwaltung und das daraus abzuleitende
Anhörungs- und Beteiligungsrecht bei überörtlichen Planungen.
Ein höchstrichterlicher Klärungsbedarf ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht.
Das Oberverwaltungsgericht hat nicht in Frage gestellt, dass in Fällen wie dem
vorliegenden grundsätzlich ein derartiges Anhörungs- und Beteiligungsrecht
bestehen und sich daraus eine Antragsbefugnis im Sinne von § 47 Abs. 2
Satz 1 VwGO ergeben kann (Urteilsabdruck S. 9). Für den vorliegenden Fall hat
es indes auf Grund der konkreten Umstände die - eine Antragsbefugnis be-
gründende - Möglichkeit verneint, dass die Antragstellerin dadurch in einem
Anhörungs- und Beteiligungsrecht verletzt sein könnte, dass sie vom Träger der
Regionalplanung nicht an der Aufstellung des Plans beteiligt worden ist. Es feh-
le, so das Oberverwaltungsgericht, bereits an einer möglichen Verletzung des
kommunalen Selbstverwaltungsrechts, weil die Antragstellerin selbst nicht gel-
tend mache, dass die angegriffene Regionalplanung mit der zielförmigen Fest-
legung eines Eignungsgebiets für Windnutzung in eigene konkretisierte Pla-
nungsvorstellungen nachhaltig eingreife, und weil sie auch nicht aufzeigen kön-
ne, dass die Planung möglicherweise ihr Selbstgestaltungsrecht verletze.
Die Beschwerde greift die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende tat-
sächliche Würdigung der möglichen Auswirkungen der Zielfestlegung auf das
Gemeindegebiet der Antragstellerin nicht mit revisionsrechtlich beachtlichen
Rügen an. Von diesem für den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindend fest-
gestellten tatsächlichen Ausgangspunkt aus ist nicht erkennbar, welche rechts-
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grundsätzlich noch zu klärenden Fragen zum gemeindlichen Anhörungs- und
Beteiligungsrecht bei überörtlichen Planungen in einem Revisionsverfahren be-
antwortet werden könnten.
1.2 Einen höchstrichterlichen Klärungsbedarf lässt auch die weiter aufgeworfe-
ne Frage nicht erkennen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Interes-
sen und Belange der nicht im Geltungsbereich des Regionalplans gelegenen
Gebietskörperschaften im Verfahren zur Aufstellung dieses Plans - unter Be-
rücksichtigung der Grundsätze über die interkommunale Abstimmung - abzu-
wägen sind.
Die Beschwerde missversteht das angefochtene Urteil, wenn es ihm die Auf-
fassung entnimmt, außerhalb des Geltungsbereichs eines Regionalplans gele-
gene Gemeinden seien generell nicht an der Planaufstellung zu beteiligen und
mit ihren Belangen nicht in die raumordnungsrechtliche Abwägung einzubezie-
hen. Das Oberverwaltungsgericht geht vielmehr davon aus, dass auch solche
Gemeinden die Berücksichtigung ihrer Belange in der Abwägung beanspruchen
können, sofern sie abwägungserheblich sind (Urteilsabdruck S. 6 f.). Es nennt
in diesem Zusammenhang etwa das gemeindliche Selbstgestaltungsrecht und
die Planungshoheit. In Würdigung der tatsächlichen Umstände ist es indessen
zu der Überzeugung gelangt, dass die von der Antragstellerin vorgetragenen
Beeinträchtigungen des Orts- und Gemeindebilds nicht die Erheblichkeits-
schwelle erreichten, die für das Bestehen einer abwägungsrelevanten Position
erforderlich sei (Urteilsabdruck S. 7).
Dass nur geringfügige Beeinträchtigungen von Belangen die aus dem Abwä-
gungsgebot herzuleitende Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) nicht
begründen können, entspricht der ständigen, auch für Raumordnungspläne
geltenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. nur Beschluss
vom 9. November 1979 - BVerwG 4 N 1.78 u.a. - BVerwGE 59, 87 zur Antrags-
befugnis bei Bebauungsplänen). Weiterführende Erkenntnisse hierzu wären in
einem Revisionsverfahren nicht zu erwarten. Das gilt auch mit Blick auf die von
der Beschwerde angeführte Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB. Diese
Regelung über die unter bestimmten Voraussetzungen eintretende Aus-
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schlusswirkung von Zielfestlegungen ist für die Rechtsstellung der Antragstelle-
rin ohne Bedeutung und kann nicht zu ihrer Antragsbefugnis im Normenkon-
trollverfahren führen.
1.3 Aus dem unter Abschnitt II.1.2 Gesagten ergibt sich, dass der Zulassungs-
tatbestand der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache auch nicht durch
die von der Beschwerde formulierte - ohne weiteres zu bejahende - Frage erfüllt
wird, ob eine Gemeinde im Normenkontrollverfahren ihre Antragsbefugnis
darauf stützen darf, dass ihre abwägungserheblichen Belange und Interessen
nicht abgewogen wurden.
1.4 Schließlich kommt eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO nicht mit Blick auf den Vortrag der Beschwerde in Betracht, der sich mit
dem Fehlen einer Umweltverträglichkeitsprüfung befasst. Das gilt schon des-
halb, weil der mit der Normenkontrolle angegriffene Regionalplan zutreffend oh-
ne eine solche Prüfung erlassen werden durfte.
Die Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über
die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme vom
27. Juni 2001 (ABl EG Nr. L 197 S. 30) - SUP-Richtlinie - musste durch den Ge-
setzgeber der Mitgliedstaaten bis spätestens zum 20. Juli 2004 in nationales
Recht umgesetzt werden (Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie). Dementsprechend ver-
langt das Raumordnungsgesetz in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung
des EuGH (vgl. zuletzt Urteil vom 23. März 2006 - Rs. C-209/04 - NuR 2006,
429, Rn. 56 ff. m.w.N.) eine Umweltprüfung nur bei Raumordnungsplänen, de-
ren Aufstellung nach dem 20. Juli 2004 förmlich eingeleitet worden ist (§ 23
Abs. 3 Satz 1 ROG). Daran fehlt es hier. Somit geht auch die auf die Umwelt-
prüfung bezogene Verfahrensrüge fehl.
2. Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund einer Divergenz (§ 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO) ist nicht gegeben. Das Vorbringen der Beschwerde erfüllt über-
wiegend bereits nicht die Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die
ordnungsgemäße Darlegung der behaupteten Abweichung.
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Eine Abweichung des vorinstanzlichen Urteils von dem Beschluss des Bundes-
verfassungsgerichts vom 19. November 2002 - 2 BvR 329/97 - (BVerfGE 107,
1) liegt schon deshalb nicht vor, weil sich das Bundesverfassungsgericht in dem
genannten Beschluss nicht mit gemeindlichen Anhörungs- und Beteiligungs-
rechten bei der Aufstellung überörtlicher Pläne befasst und dementsprechend
auch keinen Rechtssatz aufgestellt hat, von dem das Oberverwaltungsgericht
hätte abweichen können. Soweit das Bundesverfassungsgericht in dem Be-
schluss allgemein geltende Ausführungen zu den aus Art. 28 Abs. 2 GG abzu-
leitenden Anhörungs- und Beteiligungsrechten von Gemeinden macht, steht
das angefochtene Urteil nicht in Widerspruch hierzu. Denn das Oberverwal-
tungsgericht spricht - wie dargelegt - der Antragstellerin nicht generell, sondern
allein auf Grund der konkreten Fallumstände ein Anhörungs- und Beteiligungs-
recht ab. Aus diesem Grund ist auch die behauptete Abweichung vom Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 1969 - BVerwG 4 C 82.66 -
(DVBl 1969, 362) nicht gegeben.
Von einer Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. De-
zember 2002 - BVerwG 4 C 15.01 - (BVerwGE 117, 287) und zum Beschluss
des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. März 2006 - BVerwG 4 BN 38.05 -
kann schon deshalb keine Rede sein, weil das Oberverwaltungsgericht die
Grundsätze des raumordnungsrechtlichen Abwägungsgebots nicht in Frage
stellt, sondern in Anwendung dieser Grundsätze einzelfallbezogen die Ansicht
vertritt, dass sich die Antragstellerin nicht auf eigene abwägungserhebliche Be-
lange berufen könne. Aus diesem Grund besteht auch die behauptete Abwei-
chung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Mai 2003 - BVerwG
4 CN 9.01 - (BVerwGE 118, 181) nicht.
Das Oberverwaltungsgericht hat sich nicht in Widerspruch zu einem Rechtssatz
gesetzt, der im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. September 1998
- BVerwG 4 CN 2.98 - (BVerwGE 107, 215 <219>) aufgestellt ist. Dort hat das
Bundesverwaltungsgericht seine ständige Rechtsprechung wiederholt, wonach
u.a. geringwertige Interessen nicht in die (planerische) Abwägung einzubezie-
hen sind. Wenn das Oberverwaltungsgericht für die Abwägungsbeachtlichkeit
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eines Belangs das Erreichen einer „Erheblichkeitsschwelle“ verlangt (vgl. Ur-
teilsabdruck S. 7), so ist damit in der Sache kein anderer Maßstab angelegt.
Die behauptete Abweichung von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts
vom 15. Dezember 1989 - BVerwG 4 C 36.86 - (BVerwGE 84, 209) und vom
8. September 1972 - BVerwG 4 C 17.71 - (BVerwGE 40, 323) ist schon deshalb
nicht ordnungsgemäß dargelegt, weil sich die genannten Entscheidungen nur
zu der für das Recht der Bauleitplanung geltenden Vorschrift des § 2 Abs. 2
BauGB/BBauG und nicht zu der Frage äußern, ob es im Raumordnungsrecht
eine gleichartige Pflicht gibt.
3. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO be-
stehen nicht. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts leidet nicht an den von
der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehlern. Das diesbezügliche
Vorbringen variiert im Gewand von Verfahrensrügen die grundlegende These
der Beschwerde, dass sich die Antragstellerin auf bei der regionalplanerischen
Abwägung zu berücksichtigenden Belange ihrer Planungshoheit und ihres
Selbstgestaltungsrechts berufen könne bzw. es jedenfalls möglich erscheine,
dass ihr eine solche die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ver-
mittelnde Rechtsposition zur Seite stehe. Wie mehrfach dargelegt, ist dies nicht
der Fall. Weitere Ausführungen hierzu sind nicht veranlasst (vgl. § 133 Abs. 5
Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Auch soweit die Beschwerde darauf abhebt, dass das
Oberverwaltungsgericht das im Eigentum der Antragstellerin stehende Schloss
weder in seiner zivilrechtlichen Bedeutung noch mit Bezug auf die „denkmal-
schutzfundierte“ kommunale Planungshoheit in den Blick genommen habe, er-
gibt sich nichts anderes. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil zur mögli-
chen Beeinträchtigung des Ortsbildes beziehen sich ersichtlich auch auf das
Schloss (vgl. Urteilsabdruck S. 7 und die dort erwähnte „Schlossanlage“).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertent-
scheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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