Urteil des BVerwG vom 07.07.2004

Gemeinde, Rüge, Ausweisung, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 16.04
OVG 1 C 10624/03
In der Normenkontrollsache
- 2 -
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Juli 2004
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und
Dr. J a n n a s c h und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-
Pfalz vom 19. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen
zu je ein Achtel.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragsteller
beimessen.
- 3 -
a) Die Beschwerde wirft als grundsätzlich klärungsbedürftig die Rechtsfrage auf, ob
Optimierungsgebote im Planungsrecht, wie z.B. der Trennungsgrundsatz des § 50
BImSchG, ihr gesetzlich vorgesehenes Gewicht in der Abwägung verlieren können,
wenn sie mit Belangen der Wirtschaft konkurrieren, oder ob sie gegenüber den Be-
langen der Wirtschaft sozusagen "konkurrenzlos" sind.
Der erste Teil der Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen, denn
das Normenkontrollgericht ist nicht davon ausgegangen, dass Optimierungsgebote
an Gewicht verlieren, wenn sie mit Belangen der Wirtschaft konkurrieren. Es hat die
Bedeutung von Optimierungsgeboten in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 22. März 1985 - BVerwG 4 C 73.82 -
BVerwGE 71, 163, 165) darin gesehen, den in dem Gebot enthaltenen Zielvorgaben
für die Abwägung ein besonderes Gewicht zuzumessen und insoweit die planerische
Gestaltungsfreiheit (relativ) einzuschränken, wobei die Zielvorgabe jedoch im Konflikt
mit anderen Zielen zumindest teilweise zurücktreten kann (vgl. UA S. 25). Auch § 50
BImSchG hat es der - früheren - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
folgend (vgl. Urteil vom 22. März 1985 - BVerwG 4 C 73.82 - a.a.O.) als Optimie-
rungsgebot in diesem Sinne qualifiziert (im Urteil vom 28. Januar 1999 - BVerwG
4 CN 5.98 - BVerwGE 108, 248 hat der Senat § 50 BImSchG als - bloße - Abwä-
gungsdirektive gekennzeichnet). Den Schutz des Wohngebiets an der O.straße vor
Beeinträchtigungen durch den Industriebetrieb der Beigeladenen hat es im Hinblick
auf deren Belange nicht als von vornherein weniger gewichtig angesehen; es hat die
Vereinbarkeit der Planung mit § 50 BImSchG vielmehr bejaht, u.a. weil das Wohn-
gebiet nach seinen Feststellungen auf Grund der Nutzungsgliederung des Gewerbe-
bzw. des Industriegebiets nach immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleis-
tungspegeln keinen unzulässigen Immissionen ausgesetzt wird (vgl. UA S. 21, 26).
Der zweite Teil der Frage braucht nicht in einem Revisionsverfahren geklärt zu wer-
den. Dass auch die in Optimierungsgeboten geschützten Ziele im Rahmen der Ab-
wägung nicht - wie die Beschwerde meint - "konkurrenzlos" sind, sondern zumindest
teilweise gegenüber den Belangen der Wirtschaft zurücktreten können, ist in der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 22. März 1985
- BVerwG 4 C 73.82 - a.a.O.) bereits geklärt. Optimierungsgebote sind nicht dem
strikten Recht zuzuordnen. Sie unterliegen den Anforderungen des Abwägungsge-
- 4 -
bots und können - wenn gewichtige Gründe dies rechtfertigen - im Wege der Abwä-
gung überwunden werden.
b) Die Frage, ob es mit dem Optimierungsgebot des § 50 BImSchG noch in Einklang
zu bringen ist, wenn es bei Vorliegen wirtschaftlicher Belange im Rahmen der Abwä-
gung von vornherein zurückgedrängt wird, und ob dies selbst dann gelten kann,
wenn es eine echte, gleichwertige Planungsalternative für den Bauherren gibt, bedarf
ebenfalls nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Das Normenkontrollgericht
ist - wie bereits dargelegt - nicht davon ausgegangen, dass das Optimierungsgebot
des § 50 BImSchG durch die wirtschaftlichen Belange der Beigeladenen von
vornherein zurückgedrängt wird. Es hat auch nicht festgestellt, dass eine gleichwerti-
ge Planungsalternative bestand. Nach seinen Feststellungen hätte bei einer Ansied-
lung im Industriegebiet S. nicht eine Verlegung des gesamten Betriebs, sondern le-
diglich eine Betriebserweiterung und damit eine nicht dem wohlverstandenen Inte-
resse der Beigeladenen entsprechende Standorttrennung in Rede gestanden (vgl.
UA S. 27).
c) Die Beschwerde wirft weiter als klärungsbedürftig die Frage auf, ob es mit dem
Optimierungsgebot des § 50 BImSchG noch in Einklang gebracht werden kann, dass
bei einem "Aufeinandertreffen" eines ausschließlich dem Wohnen dienenden Gebie-
tes mit einem Industriegebiet, auf dem ein erheblich belästigender Gewerbebetrieb
errichtet werden soll, den wirtschaftlichen Belangen ein derart hohes Gewicht bei-
gemessen wird, dass der Trennungsgrundsatz nur noch für eine Abmilderung der Im-
missionsbelastung auf ein zumutbares Maß herangezogen wird. Auch diese Frage
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. In der Rechtsprechung des beschlie-
ßenden Senats ist bereits geklärt, dass es sich bei dem Trennungsgebot um nicht
mehr als einen ausnahmefähigen Grundsatz handelt und nur handeln kann (vgl.
Urteil vom 5. Juli 1974 - BVerwG 4 C 50.72 - BVerwGE 45, 309, 329; Beschluss vom
20. Januar 1992 - BVerwG 4 B 71.90 - Buchholz 406.11 § 214 BauGB Nr. 5). Geklärt
ist außerdem, dass eine Gemeinde bei der Planung eines neu anzulegenden, der
Wohnbebauung benachbarten Gewerbe- und Industriegebietes nicht von der Pflicht
entbunden ist, die besondere Schutzbedürftigkeit der Wohnbebauung in ihre Abwä-
gung einzustellen. Zwar können Eigentümer von Grundstücken am Rande eines Au-
ßenbereichs nicht damit rechnen, dass in ihrer Nachbarschaft keine emittierenden
- 5 -
Nutzungen oder höchstens ebenfalls nur eine Wohnnutzung entsteht; sie dürfen in-
des darauf vertrauen, dass keine mit der Wohnnutzung unverträgliche Nutzung ent-
steht. Besteht eine derartige unverträgliche Nutzung, so muss die Gemeinde durch
planerische Festsetzungen den künftigen Konflikt auflösen und damit vermeiden.
Dazu können beispielsweise auch planerische Festsetzungen gemäß § 9 Abs. 1
Nr. 24 BauGB gehören. Die Gemeinde hat als Ortsgesetzgeber ihre Festsetzungs-
möglichkeiten zu nutzen, um im Rahmen sachgerechter Abwägung vor solchen Ein-
wirkungen zu schützen, sie tunlichst zu vermeiden oder jedenfalls zu vermindern.
Das gilt erst recht, wenn die Gemeinde durch ihre eigene Planung derartige Störun-
gen in rechtlich zulässiger Weise ermöglichen will. In diesem Falle hat sie durch pla-
nerische Maßnahmen - soweit wie möglich - dafür zu sorgen, dass entstehende
schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 BImSchG nicht hervorgerufen
werden können. Das folgt unmittelbar aus § 50 BImSchG, aber auch aus dem Gebot
sachgerechter Konfliktbewältigung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. November 1992
- BVerwG 4 NB 41.92 - juris). Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt
die Beschwerde nicht auf.
d) Die Frage, ob das Optimierungsgebot des § 50 BImSchG und das schützenswerte
Interesse der Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstückes am
weitestgehenden, höchstmöglichen Erhalt des Verkehrswertes ihrer Grundstücke im
Rahmen der Abwägung eine (zwingend) vorrangige Berücksichtigung gegenüber den
wirtschaftlichen Belangen verlangen, wenn zum einen zahlreiche Eigentümer wegen
eines Wertverlustes betroffen sind und zum anderen eine echte Planungsalternative
für den Bauherren vorhanden ist, ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
Welche rechtlichen Schlüsse aus dem Optimierungsgebot des § 50 BImSchG und
dem Abwägungsgebot zu ziehen sind, wenn der Verkehrswert von Wohngrundstü-
cken durch die Ausweisung eines Industriegebiets gemindert wird, hängt von den
tatsächlichen Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab.
2. Die Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht durch.
a) Die Antragsteller legen nicht dar, warum sich dem Normenkontrollgericht auf der
Grundlage seines - insoweit maßgeblichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998
- BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115, 119) - materiellrechtlichen Standpunktes
- 6 -
die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Geeignetheit der Stand-
ortalternative hätte aufdrängen müssen. Nach Auffassung des Normenkontrollge-
richts musste die auch von der Antragsgegnerin erwogene Standortalternative im
Rahmen der Abwägung nicht den Ausschlag zu Ungunsten der Planung geben, weil
die damit verbundene Standorttrennung auf Grund einer veränderten unternehmeri-
schen Ausrichtung der Beigeladenen nicht mehr deren wohlverstandenem Interesse
entsprochen hätte. Dafür, dass die Antragsgegnerin hierüber im Planaufstellungsver-
fahren keine hinreichenden Ermittlungen angestellt hatte, hat es keine Anhaltspunkte
gesehen (vgl. UA S. 27). Warum das Normenkontrollgericht auf der Grundlage dieser
Rechtsauffassung selbst ein Sachverständigengutachten hätte einholen sollen, ist
weder dargelegt noch ersichtlich.
b) Die Rüge, das Normenkontrollgericht habe von einer sich aufdrängenden Ortsbe-
sichtigung zu der Frage abgesehen, ob es sich bei der angrenzenden Bebauung um
ein faktisches allgemeines oder reines Wohngebiet handele, ist nicht den Anforde-
rungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend begründet. Die Beschwerde
zeigt nicht - wie es für die Darlegung eines Verstoßes gegen den Amtsermitt-
lungsgrundsatz erforderlich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997
- BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26) - auf, hinsichtlich
welcher konkreten tatsächlichen Umstände ein weiterer Aufklärungsbedarf bestand
und welche tatsächlichen, dem Urteil nicht bereits zugrunde liegenden Feststellungen
bei Durchführung einer Ortsbesichtigung voraussichtlich getroffen worden wären. Ob
das Gericht die vorhandene Wohnbebauung auf der Grundlage seiner Feststellungen
als faktisches allgemeines Wohngebiet qualifizieren durfte, ist eine Frage des
materiellen Rechts, die nicht zum Gegenstand einer Verfahrensrüge gemacht werden
kann.
c) Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe im Rahmen seiner Abwägung den
Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG nicht als Optimierungsgebot, sondern ledig-
lich als Abwägungsbelang aufgefasst, bezeichnet ebenfalls keinen Verfahrensmangel
im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; auch sie betrifft die Auslegung des materiel-
len Rechts.
- 7 -
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100
Abs. 1 ZPO und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 und
3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Halama
Dr. Jannasch
Dr. Philipp