Urteil des BVerwG vom 24.02.2003

Bebauungsplan, Anhörung, Beweisantrag, Unterlassen

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BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 14.03
OVG 1 K 11/00
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Februar 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. L e m m e l , H a l a m a und G a t z
beschlossen:
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Die Beschwerde der Antragsteller gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts
vom 26. September 2002 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwer-
deverfahrens je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Be-
schwerdeverfahren auf 25 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO ge-
stützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulas-
sen. Die Rüge, das angefochtene Urteil weiche von dem Beschluss
des Senats vom 17. Dezember 1998 (- BVerwG 4 NB 4.97 -, NVwZ
1999, 984 ff.) ab, geht fehl. Die Entscheidungen enthalten kei-
ne miteinander unvereinbaren Rechtssätze. Zwar lässt sich dem
zitierten Senatsbeschluss die Aussage entnehmen, § 9 Abs. 1
Nr. 18 BauGB rechtfertige es nicht, im Bebauungsplan von
j e g l i c h e r Bebauung freizuhaltende Flächen festzuset-
zen. Jedoch behauptet auch das Normenkontrollgericht nichts
Gegenteiliges, sondern macht sich durch die Bezugnahme auf
Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 9 Rn. 64 f., deren
Aussage zu Eigen, durch eine Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 18
BauGB werde die Zulassung solcher Vorhaben nicht ausgeschlos-
sen, die im Falle des Buchstabens a der Landwirtschaft oder im
Falle des Buchstabens b dem Wald dienen. Dies entspricht im Üb-
rigen dem Willen des Rates der Antragsgegnerin, der nicht beab-
sichtigte, sämtliche Vorhaben zu verbieten, sondern es bei der
Anwendbarkeit des § 35 BauGB belassen wollte, "jedoch unter Be-
rücksichtigung der B-Planfestsetzungen" (s. Nr. 3 der Begrün-
dung zum Bebauungsplan, S. 4).
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2. Der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt
ebenfalls nicht vor. Die von der Beschwerde als grundsätzlich
bedeutsam bezeichnete Frage, ob "eine Fläche für Wald nach § 9
Abs. 1 Nr. 18 Buchst. b BauGB nur aus land- oder forstwirt-
schaftlichen, also städtebaulichen Gründen, oder auch allein
aus Umweltgesichtspunkten festgesetzt werden" darf, unter-
stellt, dass "land- und forstwirtschaftliche Gründe" städtebau-
liche Gründe sind, "Umweltgesichtspunkte" dagegen nicht zum
Städtebaurecht gehören. Das ist unzutreffend. Die Formulierung
des § 9 Abs. 1 BauGB, dass im Bebauungsplan (nur) "aus städte-
baulichen Gründen" festgesetzt werden könne, knüpft an § 1
Abs. 3 BauGB an, in dem die "städtebauliche Entwicklung und
Ordnung" als Rechtfertigung, aber auch als Grenze der gemeind-
lichen Planungsbefugnis genannt werden (vgl. Gaentzsch, in:
Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl. 2002, § 9 Rn 8). "Städ-
tebauliche Gründe" sind somit Gründe, die sich auf die Entwick-
lung und Ordnung des Gemeindegebiets beziehen und den in § 1
Abs. 5 BauGB aufgeführten Zwecken dienen. Die Förderung der
- in § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 8 BauGB genannten - Land- und
Forstwirtschaft durch bauplanerische Festsetzungen kann deshalb
ebenso auf städtebaulichen Gründen beruhen wie die Berücksich-
tigung des - in § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 7 BauGB genannten - Um-
weltschutzes bei der Festsetzung von Wald. Dass das Städtebau-
recht auch für landespflegerische Zwecke einsetzbar ist
- beispielsweise mittels Festsetzungen gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 18
Buchst. b (Wald) oder Nr. 20 (Flächen oder Maßnahmen zum
Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und
Landschaft) BauGB -, ist in der Rechtsprechung des Senats ge-
klärt (vgl. z.B. Beschluss vom 27. Juli 1990 - BVerwG 4 B
156.89 - Buchholz 406.11 § 17 BauGB Nr. 4; Beschluss vom
12. Februar 2003 - BVerwG 4 BN 9.03 – zur Veröffentlichung vor-
gesehen).
Ferner nötigt die Frage, ob in einem Bebauungsplan durch eine
Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 18 Buchst. b BauGB jegliche Be-
bauung ausgeschlossen werden darf, ohne dass dieser generelle
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Ausschluss und die sich aus § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 BauGB er-
gebenden Folgen Gegenstand der planerischen Abwägung waren, un-
abhängig von ihrer Entscheidungserheblichkeit nicht zur Zulas-
sung der Grundsatzrevision. Zu ihr lässt sich unter Rückgriff
auf das Gesetz und die dazu ergangene Rechtsprechung Stellung
nehmen, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens
bedarf. Die Entschädigungsfolge des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12
BauGB ist nur in den Blick zu nehmen, wenn im Bebauungsplan von
der Bebauung freizuhaltende Flächen festgesetzt sind. Wie be-
reits zur Divergenzrüge ausgeführt ist, ermächtigt § 9 Abs. 1
Nr. 18 BauGB nicht dazu, im Bebauungsplan von jeglicher Bebau-
ung freizuhaltende Flächen festzusetzen. Rechtsgrundlage dafür
ist vielmehr § 9 Abs. 1 Nr. 10 BauGB. Ob eine Festsetzung nach
§ 9 Abs. 1 Nr. 18 BauGB als eine solche nach § 9 Abs. 1 Nr. 10
BauGB zu werten ist, ist eine Auslegungsfrage. Wird sie bejaht,
ist weiter zu prüfen, ob die Festsetzung mit diesem Regelungs-
gegenstand auch Gegenstand der Abwägung war. Insoweit kann es
auch darauf ankommen, ob der Planungsträger mit der Festsetzung
von Bebauung freizuhaltender Flächen auch die sich aus § 40
BauGB ergebenden Folgen - insbesondere die Möglichkeit, einem
Übernahmeanspruch nach § 40 Abs. 2 Satz 1 BauGB ausgesetzt zu
sein - zumindest hat in Kauf nehmen wollen, oder ob er die for-
mal auf § 9 Abs. 1 Nr. 18 BauGB gestützte Festsetzung nur für
den Fall getroffen hat, dass allenfalls Entschädigungsansprüche
nach § 42 BauGB in Betracht kommen könnten (BVerwG, Beschluss
vom 17. Dezember 1998, a.a.O.).
3. Zu Unrecht beruft sich die Beschwerde schließlich auf den
Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, indem sie dem Nor-
menkontrollgericht eine Verletzung des verwaltungsprozessualen
Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) vorhält. Ihre Ver-
fahrensrüge genügt nicht den Erfordernissen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO. Die Beschwerde legt nicht dar, dass in der mündli-
chen Verhandlung vor dem Normenkontrollgericht auf die Sachver-
haltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hinge-
wirkt worden ist, oder dass sich der Vorinstanz die bezeichne-
ten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus
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hätten aufdrängen müssen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein
Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der
Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von
Beweisanträgen, zu kompensieren (BVerwG, Urteil vom 23. Mai
1986 - BVerwG 8 C 10.84 - BVerwGE 74, 222 <223>). Ein lediglich
schriftsätzlich angekündigter Beweisantrag genügt den letztge-
nannten Anforderungen nicht (BVerwG, Beschluss vom 6. März 1995
- BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265).
Die Beschwerde lässt überdies außer Acht, dass die Frage, ob
das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, vom mate-
riellrechtlichen Standpunkt des Vorderrichters aus zu beurtei-
len ist, selbst wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte
(BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1996 - BVerwG 11 B 150.95 -
Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1). Sie zeigt nicht in der durch
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotenen Weise auf, dass das Normen-
kontrollgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung
gehalten war, der Frage der Bedeutung des Breedenmoores für die
Bevölkerung N...s und H...s im Wege der Beweisaufnahme nachzu-
gehen. Das Normenkontrollgericht hat die Vereinbarkeit des Be-
bauungsplans mit § 1 Abs. 6 BauGB auf die Erwägung gestützt,
der vorgesehene Wald werde seinen Zweck erfüllen, Erholungssu-
chende vor den vom Autobahnverkehr ausgehenden Immissionen zu
schützen und das Landschaftsbild und den Naturgenuss, die
gegenwärtig durch die Autobahn erheblich beeinträchtigt würden,
deutlich zu verbessern. Auf das Einzugsgebiet des Waldes kam es
dem Normenkontrollgericht nicht an. Es hatte daher auch keine
Veranlassung zu dessen Ermittlung.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1
VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO und die Streitwertentscheidung auf § 14
Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Im Hinblick auf den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der
Antragsgegnerin vom 4. Februar 2003, mit dem die Übersendung
der Beschwerdebegründung erbeten wird, ist in gebührenrechtli-
cher Hinsicht auf Folgendes hinzuweisen:
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Die getroffene Kostenentscheidung verschafft der Antragsgegne-
rin einen Kostentitel. Daraus ergibt sich noch nicht, dass die
Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin - soweit es das Beschwer-
deverfahren betrifft - im Sinne des § 162 Abs. 1 VwGO notwendig
war. Das erfordert eine eigene Beurteilung. Hierzu ist zu be-
merken: Im Regelfall ist es nicht erforderlich, dass ein Be-
schwerdegegner bereits die gerichtlich verfügte, zum Zweck der
Kenntnisnahme erfolgte Übersendung einer Beschwerde, in der die
Begründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten wird, zum
Anlass nimmt, einen Rechtsanwalt durch Prozessvollmacht mit der
Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen. Vorinstanz und
Bundesverwaltungsgericht prüfen die Voraussetzungen des § 132
Abs. 2, § 133 Abs. 3 VwGO von Amts wegen. In diesem Stadium
werden andere Verfahrensbeteiligte nicht angehört. Dafür be-
steht kein Anlass, wenn bereits das Vorbringen der Beschwerde
ohne weiteres deren Erfolglosigkeit ergibt. Vor einer gericht-
lich veranlassten Anhörung stellt es deshalb für die übrigen
Verfahrensbeteiligten im Allgemeinen keine nahe liegende oder
gar angemessene Rechtsverfolgung dar, sich schon in diesem Sta-
dium des Verfahrens anwaltlichen Beistandes zu bedienen. Sie
brauchen nicht zu unterstellen, vor ihrer Anhörung werde zu ih-
rem Nachteil entschieden und die Revision zugelassen. Ob Aus-
nahmen bei erkennbarer Eilbedürftigkeit durch eine vorbeugende
"Schutzschrift" denkbar sind, bedarf keiner näheren Erörterung.
Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Zwar ist keiner der
anderen Verfahrensbeteiligten gehindert, sich bereits vor Anhö-
rung anwaltlicher Hilfe zu versichern und im Beschwerdeverfah-
ren Anträge zu stellen oder Ausführungen zur Sache zu machen.
Derartiges haben die Gerichte auch zur Kenntnis zu nehmen. Das
ändert aber nichts daran, dass eine entsprechende Rechtsverfol-
gung in diesem Stadium regelmäßig unnötig ist. Das ist jeden-
falls dann anzunehmen, wenn - wie hier - irgendwelche Ausfüh-
rungen, welche die Erörterung des Streitstoffes fördern könn-
ten, unterblieben sind und mangels Kenntnis der Beschwerdebe-
gründung auch kaum förderlich wären. Da über die Beschwerde von
Amts wegen zu entscheiden ist, reduziert sich die Ankündigung
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einer Beschwerdeerwiderung letztlich auf den Hinweis, dass der
andere Verfahrensbeteiligte im Beschwerdeverfahren anwaltlich
vertreten ist und im Fall einer Anhörung dem Anwalt als Pro-
zessbevollmächtigtem zugestellt werden kann. Indes gehört die
Zustellungserklärung ohnehin nach § 37 Nr. 7 BRAGO zum vorin-
stanzlichen Rechtszug und lässt daher einen zusätzlichen Gebüh-
rentatbestand nicht entstehen. Im vorliegenden Verfahren musste
nicht einmal diese Erklärung abgegeben werden, da der Beschwer-
degegner bereits im vorinstanzlichen Verfahren anwaltlich ver-
treten war, die erteilte Prozessvollmacht insoweit auch für das
Beschwerdeverfahren die Zustellungsbevollmächtigung nach § 67
Abs. 3 Satz 3 VwGO begründete und der Beschwerdegegner einen
Wechsel der Prozessbevollmächtigung nicht vornahm. Es ist Sinn
der raschen Entscheidung des beschließenden Senats, im Interes-
se des jeweiligen Beschwerdeführers weitere, von der Sache her
nicht veranlasste Kosten nach Möglichkeit zu vermeiden (stRspr;
z.B. BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 1995 - BVerwG 4 B 1.95 -
Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 29 und Beschluss vom 19. Juni 2002
- BVerwG 4 BN 36.02 – n.v.). Deshalb hat der Senat auch davon
Abstand genommen, der im Schriftsatz vom 4. Februar 2003 geäu-
ßerten Bitte der Antragsgegnerin um Übersendung der Beschwerde-
begründung nachzukommen und ihr Gelegenheit zur Beschwerdeer-
widerung zu geben.
Lemmel
Halama
Gatz