Urteil des BVerwG vom 11.04.2012

Eigentum, Grünfläche, Vollzug, Enteignung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 13.12
VGH 3 C 535/10.N
In der Normenkontrollsache
- 2 -
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. April 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2011 wird zurück-
gewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 100 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO, die ihr die Antragstellerin beimisst.
1.1 Die Fragen, ob eine Planung zulässig ist, deren Vollzug nicht beabsichtigt
ist, sowie ob ein Vollzug der Planung gegen den Willen des Grundstückeigen-
tümers überhaupt möglich ist, beruhen auf Annahmen, von denen der Verwal-
tungsgerichtshof nicht ausgegangen ist.
Nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs ist es unter anderem Ziel
des angefochtenen Bebauungsplans, die vorhandene, im Eigentum der Antrag-
stellerin stehende Grünfläche zu erhalten und mit der Zweckbestimmung Kin-
derspielplatz der Öffentlichkeit - als öffentliche Grünfläche - für die Naherholung
zugänglich zu machen. Der Zweck eines öffentlich zugänglichen Kinderspiel-
platzes könne nicht an anderer Stelle erreicht werden. Da auf der Grünfläche
1
2
3
4
- 3 -
bereits mehrere Bäume und einzelne Kinderspielgeräte stünden, werde keine
Festsetzung getroffen, die der bisherigen Grundstücksnutzung durch die An-
tragstellerin zuwiderlaufe. Darüber hinaus sei die Antragstellerin nach § 8
Abs. 2 HBO ohnehin bauordnungsrechtlich verpflichtet, einen Spielplatz für
Kleinkinder anzulegen und zu unterhalten, da auf dem Baugrundstück Parzel-
le 2/55 mehr als drei Wohnungen errichtet worden seien. Mit der nunmehr pla-
nungsrechtlich festgesetzten Nutzung könne sie eine Lösung schaffen, mit der
sie diese Verpflichtung auch im Hinblick auf die anderen in ihrem Eigentum ste-
henden Baugrundstücke mit mehr als drei Wohnungen erfülle. Die Antragsgeg-
nerin habe bei der Abwägung auch den Vortrag der Antragstellerin zur Wert-
minderung und ihren Einwand, ihr werde ein bestehendes Recht auf Bebauung
entzogen, was einen enteignungsgleichen Eingriff darstelle und zur Entschädi-
gung verpflichte, zur Kenntnis genommen. Die Zurückstellung der privaten Nut-
zungsabsichten der Antragstellerin bei der Abwägung sei rechtlich nicht zu be-
anstanden. Sollte ein rechtlich relevanter Schaden durch die angefochtene Pla-
nung eintreten bzw. eingetreten sein, so sei dies gegebenenfalls in einem Ver-
fahren nach §§ 39 ff. BauGB, nicht aber im Rahmen der Normenkontrolle zu
prüfen.
Danach kann keine Rede davon sein, dass der angefochtene Bebauungsplan
aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen auf Dauer oder auf unabsehbare
Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt (vgl. dazu nur Urteil vom 21. März 2002
- BVerwG 4 CN 14.00 - BVerwGE 116, 144 <147>). Denn nach den Feststel-
lungen des Verwaltungsgerichtshofs ist die Antragstellerin bereits bauordnungs-
rechtlich zur Anlegung eines Spielplatzes verpflichtet. In diesem Rahmen wird
zu klären sein, in welchem Umfang eine auch gegen den Willen der Antragstel-
lerin mit den Mitteln der Verwaltungsvollstreckung durchsetzbare Herstellungs-
pflicht besteht und welche rechtlichen Folgen sich für die Antragsgegnerin - wie
die Antragstellerin u.a. geltend macht - etwa im Hinblick auf Verkehrssiche-
rungspflichten aus der fremdnützigen Festsetzung als öffentliche Grünfläche mit
Spielplatz ergeben. Dabei beschränkt sich der bauordnungsrechtliche Bedarf
nicht auf den durch das Baugrundstück Parzelle 2/55 vorgegebenen Umfang,
sondern umfasst nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs auch
die anderen Baugrundstücke im Planbereich, die bis auf zwei Grundstücke alle
5
- 4 -
im Eigentum der Antragstellerin stehen. Dass der Verwaltungsgerichtshof of-
fensichtlich - wie er es formuliert - von einer „Lösung“, also von einer einver-
nehmlichen Einigung zwischen den Beteiligten ausgegangen ist, bedeutet nicht,
dass er die Verwirklichung des Planvollzugs auch gegen den Willen der Antrag-
stellerin in Abrede stellt. Im Übrigen beurteilt sich die Frage, aus welchen tat-
sächlichen oder rechtlichen Gründen mit der Realisierung einer planerischen
Festsetzung auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist, nach den Umständen des
Einzelfalls. Die Beschwerde legt nicht dar, dass der vorliegende Streitfall dem
Senat in einem Revisionsverfahren Anlass geben könnte, seine Rechtspre-
chung zu § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB in rechtsgrundsätzlicher Weise fortzuentwi-
ckeln.
1.2 Die zwei weiteren Fragen, mit denen die Antragstellerin auf die Frage des
Wertverlustes bzw. auf den durch die Planung bedingten wirtschaftlichen Scha-
den abhebt, erschöpfen sich in dem mit einer Verfahrensrüge verbundenen
(Beschwerdebegründung S. 6) Vorwurf, der Verwaltungsgerichtshof habe es
versäumt zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Enteignung vorlägen, und
es verfahrensfehlerhaft offen gelassen, ob der Antragstellerin ein Entschädi-
gungsanspruch nach §§ 39 ff. BauGB zustehe. Auch mit diesem Vortrag wird
kein grundsätzlicher Klärungsbedarf dargelegt.
Die Antragstellerin erkennt selbst, dass in der Rechtsprechung geklärt ist, dass
eine enteignungsrechtliche Vorwirkung des Bebauungsplans grundsätzlich nicht
besteht (Beschluss vom 14. Juni 2007 - BVerwG 4 BN 21.07 - BRS 71 Nr. 3
= juris Rn. 9 m.w.N.). Ob der Vollzug der Festsetzung es auch erfordert, das
Grundstück seinem bisherigen Eigentümer hoheitlich zu entziehen, ist erst in
einem etwaigen Enteignungsverfahren zu entscheiden. Der planerische Zugriff
der Gemeinde auf im privaten Eigentum stehende Grundstücke bedeutet nicht,
dass etwa Gemeinbedarfsflächen oder öffentliche Grünflächen nur unter den
Voraussetzungen festgesetzt werden dürfen, an die die §§ 85 ff. BauGB eine
Enteignung knüpfen (Beschluss vom 21. Februar 1991 - BVerwG 4 NB 16.90 -
Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 51 sowie BVerfG, Beschluss vom 22. Februar
1999 - 1 BvR 565/91 - NVwZ 1999, 979).
6
7
- 5 -
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung, die auch nicht durch den Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 15. September 2011 - 1 BvR 2232/10 -
(BauR 2012, 63), der Fragen des Planungsschadensrechts betrifft, in Frage
gestellt wird, durfte sich der Verwaltungsgerichtshof daher zu Recht darauf be-
schränken, auf die Möglichkeit, planungsschadensrechtliche Ansprüche geltend
zu machen, hinzuweisen und musste nicht im Einzelnen prüfen, ob ein An-
spruch gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB, der im Übrigen unter dem Vor-
behalt des Satzes 2 der Vorschrift steht, besteht. Unabhängig davon hat der
Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich offen gelassen, ob die von der Festset-
zung betroffenen Flächen hätten bebaut werden dürfen (UA S. 14), so dass die
Behauptung der Antragstellerin, es handele sich um Bauland, das durch die
Herabzonung wirtschaftlich wertlos geworden sei, auch nicht von den tatsächli-
chen Feststellungen des Gerichts gedeckt ist. Auch aus diesem Grund unter-
scheidet sich der vorliegende Fall grundlegend von der Fallkonstellation, die
dem von der Beschwerde in Bezug genommenen Urteil des Oberverwaltungs-
gerichts des Saarlands vom 25. Juni 2009 - 2 C 478/07 - zugrunde liegt (nach-
folgend Beschluss vom 13. Oktober 2009 - BVerwG 4 BN 51.09 -).
Dass die Antragsgegnerin bei ihrer Abwägung die privaten Belange der Antrag-
stellerin als Eigentümerin zurückstellen durfte, beruht auf einer Gesamtwürdi-
gung der Umstände des Einzelfalls mit Blick auf die konkreten Planungsziele,
die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist. Der Sache nach greift die
Antragstellerin die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Abwä-
gung nicht zu beanstanden ist, als „rechtsfehlerhaft“ an (Beschwerdebegrün-
dung S. 4) und übt damit letztlich nur schlichte Urteilskritik. Bei der Abwägung
hat die Antragsgegnerin jedenfalls zur Kenntnis genommen, dass die Antrag-
stellerin eine Wertminderung in Höhe von 769 800,00 € befürchtet.
2. Soweit die Antragstellerin einen Verfahrensfehler i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO rügt, wiederholt sie lediglich ihren Vortrag, mit dem sie einen grundsätz-
lichen Klärungsbedarf i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend macht. Das ge-
nügt nicht als Darlegung gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
8
9
10
- 6 -
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Jannasch
Dr. Bumke
11